01.07.2024 •

„Die Zeitenwende betrifft den Fachbereich Zahnmedizin als Ganzes.“

Interview mit Oberstarzt Dr. Jürgen Rentschler, Leitender Zahnarzt der Bundeswehr

A. Müllerschön, H. Lange

Oberstarzt Dr. Jürgen Rentschler, Leitender Zahnarzt der Bundeswehr, im Gespräch mit der Verlegerin, Frau Heike Lange
Bundeswehr

WM: Sehr geehrter Herr Oberstarzt, seit etwas mehr als eineinhalb Jahren vertreten Sie den Fachbereich Zahnmedizin nach innen und nach außen. Wie ist die aktuelle Lage, was hat sich seit dem Amtsantritt als Leitender Zahnarzt der Bundeswehr verändert

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die vergangenen Monate waren in vielerlei Hinsicht eine bewegte Zeit. Zum einen hat sich die geopolitische Lage weiter verschärft, Eventualitäten münden zunehmend, nicht zuletzt mit der Aufstellung der Brigade Litauen, in reale Planungen. Auch innerhalb des Fachbereiches gab es merkliche Veränderungen, so habe ich in den vergangen sechs Monaten die Zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen dreier Unterstützungszentren in meiner Funktion als Inspizient Zahnmedizin bereist. Dieser Kontakt zur Basis und die gewonnenen Eindrücke vor Ort sind mir ein persönliches Anliegen und führen, insbesondere durch Gespräche mit den Einheitsführern vor Ort, zur Zeichnung eines scharfen, realitätsnahen Lagebildes. Analog hierzu fand die Inspizierung der Fachgruppe I/3 des Schifffahrtmedizinischen Instituts der Marine und der Klinik XXIII des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Hamburg statt. Auch hier konnten entscheidende Weichen für die künftige Kooperation beider Einrichtungen am Standort Hamburg gestellt werden. Der Fachbereich überzeugt im Rahmen der Auftragserfüllung insgesamt uneingeschränkt, befindet sich jedoch derzeit durch innere und äußere Einflüsse im Wandel.

WM: Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 und den sich seither veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbe­dingungen steht die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) wieder verstärkt im Fokus. Wie ist der Fachbereich dafür aufgestellt?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die Zeitenwende betrifft den Fachbereich Zahnmedizin ebenso wie andere Fachrichtungen aber auch Truppengattungen und die Bundeswehr als Ganzes. Die bisherige Ausrichtung auf den Bereich Internationales Krisenmanagement (IKM) der letzten beiden Jahrzehnte führte zur Ausbildung sehr spezifischer Fähigkeiten und Ressourcenverbünde. Diese wurden zwar konsequent weiterentwickelt sind aber nur bedingt auf das Szenar der LV/BV übertragbar. Analog unterscheidet sich auch die kontingentierte Bereitstellung von Einsatzkräften im Bereich IKM wesentlich von einer Kräfteplanung für das LV/BV Szenar. Hier spielen Überlegungen zu Zweitrollen und Verteidigungsdienstposten eine wichtige Rolle. Die grundlegenden Konzepte und Planungen wurden für den Fachbereich Zahnmedizin erstellt, nun geht es jedoch darum die erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten zur Operationalisierung und Aktivierung im Ernstfall organisatorisch zu hinterlegen und aufzubauen. Eine solche zu ergänzende Fähigkeit ist die zahnärztliche (Notfall-)Versorgung auf Ebene 1 bzw. 2 durch Einführung des „Beweglichen Zahnarzttrupps“.

WM: Die Bundeswehr muss insgesamt „kriegstüchtiger“ werden. Welchen Beitrag leistet der Fachbereich für die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die Einsatzverwendungsfähigkeit aller Truppen ist unter anderem von der Ausbildung und materiellen Ausstattung, ganz wesentlich aber auch vom Gesundheitszustand aller Soldatinnen und Soldaten abhängig. Zur Aufrechterhaltung der Einsatzverwendungsfähigkeit aus zahnärztlicher Sicht gehört hierbei nicht nur die Therapie von Krankheitsbildern und Durchführung Präventivmedizinischer- sowie Prophylaxemaßnahmen, sondern auch ein zielgerichtetes Gesundheitsmonitoring. Es reicht nicht mehr aus, den Gesundheitszustand eines jeden Soldaten bzw. jeder Soldatin auf Aufforderung unmittelbar vor einer Einsatzverwendung zu überprüfen. Im Hinblick auf die Zeitenwende und die damit verbunden Herausforderungen benötigen wir mehr denn je ein genaues Lagebild. Mit dem NATO Standardization Agreement 2466 – Allied Medical Publication-4.4 (STANAG 2466 - AMedP-4.4) „Dental Fitness Standards for Military Personnel and the NATO Dental Fitness Classification System“ steht dem Fachbereich Zahnmedizin seit mehr als 25 Jahren ein effektives und im NATO-Verbund standardisiertes Werkzeug zu Verfügung ein solches Lagebild zu erzeugen. Alle Soldatinnen und Soldaten sind verpflichtet sich jährlich bei ihrem Truppenzahnarzt bzw. ihrer Truppenzahnärztin vorzustellen, um eine solche Dental Fitness Class erheben zu lassen. Anders als die Gesundheitsziffer dient diese nicht nur der Feststellung des gegenwärtigen Gesundheitszustandes und der Einsatzverwendungsfähigkeit, als wesentlicher Kernindikator liefert sie darüber hinaus eine verlässliche Prognose zur prospektiven Abschätzung gesundheitlicher Risiken über einen Zeitraum von zwölf Monaten. Ein solches Lagebild ist alles andere als ein Selbstzweck, ­sondern nicht zuletzt essentielle Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Kräfteplanung unter Berücksichtigung möglicher Eventualitäten.

WM: Wie in allen Bereichen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr gibt es auch im Fachbereich viele familienbedingte Abwesenheiten, nicht nur unter den Sanitätsoffizieren. Wie erfolgt eine Kompensation? Wie ist der Stand im Hinblick auf Vertragszahnärzte?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die Herausforderungen die sich insbesondere durch familienbedingte Abwesenheiten (Beschäftigungsverbote, Mutterschutz, Teil- und Elternzeiten) ergeben, sind keine Besonderheit des Fachbereichs Zahnmedizin. Die Herausforderung der Kompensation einer sich so ergebenden Differenz im Kräftedispositiv spielt insbesondere an Standorten mit nur einem Truppenzahnarzt bzw. Truppenzahnärztin eine Rolle. Vakanzen aber auch bereits die Inanspruchnahme von Teilzeitmodellen wirken sich hier direkt auf den Betrieb einer solchen Einrichtung aus. Ebenso spielen Ausfälle im Bereich des Assistenzpersonals eine wichtige Rolle. Für den Fall des Ausfalles eines Sanitätsoffiziers in diesen Einrichtungen hat der Fachbereich bereits im vergangenen Jahr ein effektives Werkzeug zur gesteuerten Vakanzendeckung konzipiert. Hierbei werden ab Ende ­dieses Jahres bis zu vier, auf freiwilliger Basis ausgewählte, Sanitätsoffiziere zur Deckung kurzfristig auftretender, länger währender Vakanzen in einen Bereitschaftspool eingeplant und im Bedarfsfall innerhalb kurzer Zeit an den Ort der Vakanz verfügt. Weitere wichtige Maßnahmen zur Vakanzendeckung, wie die verbesserte Möglichkeit zur Einrichtung von Kompensationsdienstposten werden derzeit geprüft. Eine in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr wertvolle und über viele Jahrzehnte äußerst gewinnbringend genutzte Möglichkeit ist der Einsatz von zivilen Vertrags(zahn-)ärzten und Vertrags(zahn-)ärztinnen, die anstelle einer Truppen(zahn-)ärztin bzw. eines Truppen(zahn-)arztes tätig werden. Diese Option ist jedoch zunehmend beschränkt, da seit 2018 aus zunächst rechtlichen, dann verwaltungsorganisatorischen Gründen bis dato kein Schluss von Neuverträgen mehr möglich ist und die lebensälteren Kolleginnen und Kollegen zunehmend nicht mehr zur Verfügung stehen. Die „Reaktivierung“ dieser Möglichkeit würde insbesondere im Grundbetrieb zu einer weiteren Entlastung führen.

WM: Seit vielen Jahren verschärft sich der Mangel an Fachpersonal im Gesundheitswesen. Wie ist die aktuelle Situation in der Bundeswehr im Hinblick auf militärische und zivile Zahnmedizinische Fachangestellte (ZMFA)? Gibt es Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und Ballungszentren? Falls ein Mangel herrscht, mit welchen Maßnahmen wird versucht, diesen auszugleichen?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die Bewerberlage von ZMFA aus dem Zivilen ist grundsätzlich noch ausreichend. Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass ländliche Regionen hier von den geringeren Lebenshaltungskosten profitieren. Während in solchen Regionen, aufgrund der vergleichsweise höheren Bewerberzahlen, häufig eine Bewerberselektion möglich ist, stellt sich die Situation in Ballungs- und Einzugsgebieten anders dar. Die aus fachlicher Sicht zurückhaltende Einordnung von ZMFA in die Entgeldgruppe E5 nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, ist insbesondere in Metropolregionen kein Attraktor. Mit dem in den nächsten Jahren bevorstehenden Renteneintritt der Generation der „Babyboomer“ wird sich die Situation jedoch absehbar verschärfen. Ein wichtiger Aspekt zur Verbesserung der Situation bei Assistenzkräften ist die Regeneration von Fachkräften durch die interne Ausbildung ziviler Auszubildender aber auch militärischer Kräfte im Bereich der Fachunteroffiziere. Auch hier könnten weitere Maßnahmen im Hinblick auf eine ­vereinfachte Übernahme ziviler Auszubildender in militärische Beschäftigungsverhältnisse am Ausbildungsort hilfreich sein.

WM: Neben der kurativen zahnärztlichen Tätigkeit von Sanitätsoffizieren hat die wehrmedizinische Forschung einen wichtigen Stellenwert inne. Welche Forschungsprojekte werden im Fachbereich Zahnmedizin derzeit bearbeitet?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Wir begleiten aktuell zwölf Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Sonderforschung. Dabei wurden weitere 24 Forschungsvorhaben in den zurückliegenden Jahren beendet. Hier werden unter wissenschaftlicher Leitung von Sanitätsoffizieren vor allem aus den BwKrhs und oralchirurgisch besetzten Zahnarztgruppen der Regionalität wissenschaftliche Fragestellungen zur Konzeption und zum Umfang der postuniversitären Aus- und Weiterbildung, sowie Themen über die zahnärztliche Versorgung und ihre Umfänge auch in Zusammenhang mit zurückliegenden Auslandseinsätzen bearbeitet.

WM: Als Leitender Zahnarzt der Bundeswehr sind Sie regelmäßig Gast bei den Vorstandssitzungen der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und können sich eng mit den zivilen Standesvertretern austauschen. Profitiert der Fachbereich durch diesen Austausch? Gibt es Aspekte, wo die militärische als auch die zivile Zahnmedizin voneinander lernen können?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Der regelmäßige Austausch mit der BZÄK, den Körperschaften des öffentlichen Rechts und den Standesorganisationen ist ein wichtiger Baustein für die zivil-militärische Zusammenarbeit aber auch für die Fortentwicklung des Fachbereichs. Der Fachbereich Zahnmedizin der Bundeswehr ist integraler Bestandteil der Zahnmedizin in Deutschland und wird in allen Kammerbereichen gleichermaßen hochgeschätzt. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch durch die aktive Mitwirkung von berufenen Sanitätsoffizieren in den Fachausschüssen der BZÄK. Insbesondere im Bereich der Digitalisierung von Betriebsabläufen ist der zivile Bereich inzwischen deutlich vorangeschritten. Hier kann und muss die Bundeswehr von den Erkenntnissen und Erfahrungen im Prozess der Digitalisierung profitieren und darf den Anschluss nicht verlieren.

Die zahnärztliche Forensik im Rahmen der „Disaster Victim Identification“ ist ein Gebiet, auf dem die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe seit Jahren unterstützt. Die hier in den letzten beiden Jahrzehnten aufgebaute Expertise ist beachtlich und zweifelsohne auch für den zivilen Bereich von großem Interesse und Nutzen (z. B. Einsatz von Sanitätsstabsoffizieren Zahnarzt im Rahmen der Identifizierung von Opfern der Ahrtal-Flut). Sie wird im Fachbereich auch mit internationalen Partnern weiter ausgebaut. Synergien können nur durch den regelmäßigen Austausch zu Tage gebracht werden.

WM: Sind mögliche Auswirkungen der jüngsten Strukturentscheidungen des Ministers auf die Führung beziehungsweise die Organisation des Fachbereiches Zahnmedizin zum jetzigen Zeitpunkt absehbar?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Herr Bundesminister hat am 04.04.2024 seine Entscheidung zur Struktur der Bundeswehr verkündet. Zum derzeitigen Zeitpunkt sind entscheidende Details zur weiteren Ausplanung noch nicht bekannt. Eine suffiziente und flächendeckende truppen- und fachzahnärztliche Versorgung ist gerade vor dem Hintergrund der Befähigung der Bundeswehr zur LV/BV und der im Rahmen der Einsatzbereitschaft erforderlichen Dental Fitness des gesamten Personals unverzichtbar und von besonderer Bedeutung.

WM: Der Fachbereich Zahnmedizin wurde in der Vergangenheit durch den Bundesrechnungshof überprüft. Nach Auswertung des Abschlussberichtes ergriff die Leitung des Fachbereiches verschiedene Maßnahmen, um effizienter zu arbeiten. Haben sich die Maßnahmen bewährt oder steht die unentgeltliche truppenzahnärztliche Versorgung wie wir sie kennen bald der Vergangenheit an?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die Überprüfung durch den Bundesrechnungshof hat zunächst gewisse Defizite, insbesondere in den Bereichen der Dokumentation der Leistungserbringung und des Meldewesens aufgezeigt. Das Hauptaugenmerkt einer solchen Überprüfung ist hierbei die Wirtschaftlichkeit der Auftragserfüllung eines Bereiches, häufig auch mit Vergleichen zum Zivilen. 

Dashboard Fachbereich Zahnmedizin mit Parametern Leistungserfassung sowie...
Dashboard Fachbereich Zahnmedizin mit Parametern Leistungserfassung sowie Kernindikator
Dental Fitness (Einsatzbereitschaft und Behandlungsbedarf in Relation zum Betreuungsumfang)

Die Betrachtungen und das Aufzeigen von Optimierungspotentialen sind wichtig und schlussendlich ein weiteres Werkzeug des Qualitätsmanagements im Sinne einer Betrachtung von außen. Der bloße Vergleich und die isolierte Betrachtung greifen hierbei jedoch teilweise zu kurz, da die Erfüllung des Auftrages stets oberste Priorität hat. Die truppenzahnärztliche Versorgung im Inland im Rahmen der unentgeltlichen truppen(zahn-)ärztlichen Versorgung ist dabei nur ein Teil des Kernauftrages. Die zahnärztliche Versorgung muss überall dort sichergestellt werden, wo sie durch die Streitkräfte benötigt wird. Mit Blick auf die Aufstellung der Brigade Litauen kann dies, falls erforderlich, im Ausland, im Rahmen eines IKM-Einsatzes weltweit oder bei LV/BV im In- und Bündnisland der Fall sein. Die Erkenntnisse aus dem Prüfbericht des Bundesrechnungshofes waren dennoch der Anlass für eine weitreichende Überprüfung des Fachbereiches in nahezu jedem Handlungsfeld. Die Projektgruppe „Zahnmedizin in der Bundeswehr“ hat hierzu wertvolle Impulse zur Weiterentwicklung erarbeitet, diese wirken sich u. a. mit dem oben genannten Beispiel der gesteuerten Vakanzendeckung zum Teil bereits jetzt aus. Weitere Projekte werden sich, auf Grundlage dieser Ergebnisse und unter Berücksichtigung struktureller Veränderungen, in den kommenden Jahren auswirken. Insgesamt war die Erarbeitung neuer Konzepte und die Überprüfung von Strukturen, angestoßen durch den Prüfbericht zurückblickend ein „Glücksfall“, denn so wurden Überlegungen zur jetzt angewiesenen strukturellen Neuausrichtung frühzeitig eingeleitet. Im Zuge der eingeleiteten Maßnahmen konnten bereits deutliche Effizienzsteigerungen erzielt werden. Die Mindestvorgaben zur kurativen Leistungs­erbringung werden nun von fast allen Behandlungseinrichtungen erfüllt. Dort wo sie noch nicht erfüllt werden, ist dies zumeist maßgeblich auf Personalmangel, materielle sowie infrastruk­turelle Einschränkungen oder technische Defekte zurückzuführen.

WM: Die Digitalisierung kommt immer mehr in der Fläche der Zahnarztgruppe an. Wie ist der Stand beim digitales Röntgen, sind mittlerweile alle Behandlungseinrichtungen damit ausgestattet?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Bereits heute sind 57 regionale Zahnärztliche Behandlungseinrichtungen, sowie alle Abteilungen VII und XXIII der BwKrhs mit digitaler dentaler Radiologie ausgestattet. Dies entspricht ca. 40 % aller regionalen Einrichtung. Durch den Abschluss eines Abrufvertrags mit einer Laufzeit bis zum Jahr 2026 ist der flächendeckende Rollout und damit die Ausstattung aller regionalen Behandlungseinrichtungen sichergestellt. Digitale Röntgentechnik steht darüber hinaus bereits seit Jahren im Einsatz zur Verfügung. Zahnärztliche Einsatzcontainer MSE (Modulare Sanitätseinrichtung) sind ebenfalls bereits mit moderner digitaler Technik ausgestattet.

WM: Ist die Einführung eines speziellen zahnmedizinischen digitalen Dokumentationssystem sinnvoll und geplant?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die Einführung einer zahnärztlichen Praxisverwaltungssoftware ist seit langem vorgesehen. Nach gegenwärtigem Planungsstand soll die erste Erprobung im Jahr 2026 erfolgen. Die bisherigen Ansätze die zahnmedizinischen Bedarfe im Rahmen einer fremdentwickelten digitalen Lösung zur Behandlungsdokumentation zu berücksichtigen, führten nicht zum Erfolg. Aufgrund der speziellen Erforderlichkeiten bei der Befunddokumentation ist eine Anpassung von nicht eigens konzipierter Software insgesamt kaum vorstellbar. Viel mehr ist hier die Beschaffung erprobter und marktverfügbarer Software, welche an Netzstruktur und Spezifika der Bundeswehr angepasst werden muss, zielführend. Analog hierzu kommt in vier BwKrhs bereits seit Jahren eine entsprechende Software eines zivilen Anbieters zum Einsatz. Die Notwendigkeit der zügigen Digitalisierung dieses Sektors ist nicht von der Hand zu weisen, zumal die fehlenden Möglichkeiten eines digitalen Workflows auch im Bereich Heilfürsorge oder auch im Rahmen der Abrechnung von Überweisungen in den zivilen Bereich durch die kassenzahnärztlichen Vereinigungen absehbar zu großen Herausforderungen führen werden. Der Bereich Digitalisierung, sowohl bei den Betriebsabläufen, der Dokumentation und Verwaltung aber auch bei den eingesetzten Behandlungsverfahren ist insgesamt ein Kernaspekt der fachlichen Weiterentwicklung und muss konsequent vorangetrieben werden. Nur so können künftig auch wichtige epidemiologische Daten zu Erkrankungsarten und deren Häufigkeit gewonnen und nutzbar gemacht werden.

WM: Zukünftige Konflikte im Rahmen der LV/BV werden sicherlich dynamischer ablaufen und sind damit kaum vergleichbar mit den Stabilisierungseinsätzen der Vergangenheit. Wie ist der Fachbereich Zahnmedizin im Hinblick auf diese zukünftigen Szenarien materiell aufgestellt, um eine dann möglicherweise „frontnahe“ zahnmedizinische Versorgung sicherzustellen? Gibt es Überlegungen zu mobilen, eventuell geschützten, Behandlungseinheiten?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Dies ist eine für den Fachbereich wichtige, allerdings nicht gänzlich neue Erkenntnis. Die Überlegungen mündeten bereits vor einigen Jahren in ein Projekt zur Schaffung einer solchen Fähigkeit. Mobile geschützte, aber auch ungeschützte Zahnärztliche Behandlungseinrichtungen und Ausstattungen sollen lageabhängig zur Akutversorgung von zahnärztlichen Notfällen eingesetzt werden. Verwundungsmuster im Hals- Gesichtsbereich werden übereinstimmend mit einer relativen Häufigkeit von 20–30 % angegeben. Abseits vom schwerverwundeten Patienten treten proportional zum Kräftedispositiv auch akute zahnmedizinische Krankheitsgeschehen auf, welche nicht im taktischen oder gar strategischen Verwundetentransport münden dürfen, sondern mit vergleichsweise einfachen Mitteln versorgt werden müssen, um die Einsatzbereitschaft des Soldaten bzw. der Soldatinnen möglich schnell wieder herzustellen und die begrenzten Transportkapazitäten zu schonen. Diese Art der Versorgung ist mit der AMedP 8.13 „The Extent of Dental and Maxillofacial Treatment at Roles 1–3 Medical Support“ für die NATO verschriftlicht und beginnt in der Ebene 1.

WM: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundeswehr wird eine Kampfbrigade dauerhaft im Ausland stationiert. Wie ist die zahnmedizinische Versorgung in Litauen geplant?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die Aufstellung der Brigade Litauen ist ein absolutes Novum in der Bundeswehr. Der Fachbereich Zahnmedizin ist auch hier von Beginn an involviert und wird beginnend mit der Anfangsbefähigung im Frühjahr 2025 mit voraussichtlich einem Sanitätsoffizier vertreten sein. Dies stellt natürlich nur eine erste Befähigung im Zuge der Aufstellungskräfte dar. In den Monaten und Jahren danach werden bis zu vier Zahnärzte und zwei Fachzahnärzte Oralchirurgie, verteilt auf zwei Sanitätszentren, in Litauen stationiert sein. Dies stellt zunächst die truppen(zahn-)ärztliche Versorgung sicher, im Bündnisfalls werden entsprechende Aufwuchskräfte die Versorgungskapazitäten in geeigneter Weise zielgerichtet ergänzen.

WM: Wo sehen Sie die zukünftigen größten Herausforderungen für den Fachbereich Zahnmedizin?

Oberstarzt Dr. Rentschler: Die größte Herausforderung des Fachbereichs würde ich zum derzeitigen Zeitpunkt nicht unter einem Themenkomplex oder einem Projekt subsumieren wollen. Aktuell ist die parallele Entwicklung aller genannten Teilaspekte die große Herausforderung. Dem Fachbereich mit seinen (einschließlich Auszubildenden und Sanitätsoffizieranwärtern) insgesamt ca. 1 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stehen für den gesamten Bereich Steuerung, Betrieb und Weiterentwicklung des Teilsystems Zahnärztliche Versorgung in der jetzigen Struktur im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr und im Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung insgesamt nur sieben Sanitätsoffiziere und vier Unteroffiziere mit Portepee im Hauptamt zur Verfügung. Dies ist der limitierende Faktor! Alle anderen im Fachbereich tätigen Sanitätsoffiziere sind in der Kuration, der Heilfürsorgebearbeitung und der Behandlung eingesetzt. Die im Rahmen der Projektgruppe erarbeiteten Maßnahmen zur Weiterentwicklung, die Rüstung des Fachbereichs für denkbare LV/BV Szenare, das Vorantreiben der überfälligen Digitalisierung und die beginnende Umstrukturierung sind einzeln betrachtet bereits große Herausforderung. Diese Stränge nicht nur konsequent zu verfolgen, sondern parallel abzuwägen und die hierbei entstehenden Interferenzen zu nutzen ist die zu erfüllende Maßgabe.

WM: Herr Oberstarzt, vielen Dank für das Gespräch! Z



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