Die Weiterentwicklung des Institutes für Radiobiologie vom Beginn der Institutionalisierung bis heute

M. E. Hotz

Zur Geschichte

Die Vorgeschichte des Institutes für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBioBw) lässt sich bis in die 1950er Jahre zurückverfolgen. Zum damaligen Zeitpunkt lag alles, was mit ABC-Waffen zusammenhing, in der Obhut der ABC-Abwehrtruppe. Der erste und einzige Arzt, der sich damals mit der medizinischen Seite des Strahlenschutzes befasste, war Otfried Messerschmidt. Bis 1960 unterrichtete er an der ABC-Schule in Sonthofen zur Strahlenbiologie, -krankheit und -schutz, Auswirkung von Atombombenexplosionen auf den Menschen sowie Strahlenmessgeräte. 1962 erfolgte seine Kommandierung an das Radiologische Institut der Universität Freiburg, wo er experimentelle strahlenbiologische Arbeiten durchführte und somit den Grundstein für die Tätigkeit im Medizinischen A-Schutz der Bundeswehr legte. Nach seiner Versetzung an die Münchener Sanitätsschule (heute Sanitätsakademie der Bundeswehr) 1970 führte Messerschmidt in den folgenden Jahren als neuer Mitarbeiter im Spezialstab Auswertung, Truppenversuch und Planung seine in Freiburg begonnene Arbeit über Kombinationsschäden und Strahlenschutz fort. Aus dem Spezialstab entwickelte sich 1973 die Abteilung Studien und Wissenschaft mit einer Fachgebiet Strahlenbiologie innerhalb der Studiengruppe für spezielle Medizin und Naturwissenschaft.

Der Weg zur Institutionalisierung setzte sich fort, als 1984 ein neuer wissenschaftlicher, technologischer und ausbildungsaffiner Fachbereich (Bereich Studien und Wissenschaft) geschaffen wurde. Die Umgliederung der Studiengruppe für spezielle Medizin und Naturwissenschaft um Otfried Messerschmidt ist die Geburtsstunde des InstRadioBioBw, einer Teileinheit des neugeschaffenen Bereichs Studien und Wissenschaft. Zugleich erfuhr das neugegründete Institut einen deutlichen Aufwuchs auf 22 Dienstposten. Nach der Pensionierung von Messerschmidt und der Ernennung von Dirk van Beuningen zum neuen Institutsleiter, erfolgte über einen Zeitraum von mehreren Jahren die systematische Modernisierung des Institutes in ein modernes und wettbewerbsfähiges Ressortforschungsinstitut. Die Weiterentwicklung wurde von Viktor Meineke konsequent fortgeführt. Unter ihm fand eine erste Evaluierung durch den Wissenschaftsrat statt. Seit 2014 wird das InstRadBioBw von ­Matthias Port geleitet.

Die Dienststellenleiter des InstRadBioBw von 1984 bis heute mit den Laboren und...
Die Dienststellenleiter des InstRadBioBw von 1984 bis heute mit den Laboren und deren Ausstattung
im Wandel der Zeit
Quelle: InstRadBioBw/T. Popp

Wesentliche Weiterentwicklungen der vergangenen 15 Jahre betreffen den Kooperationsvertrag mit der Universität Ulm sowie die Einbindung in die weltweit relevanten Strahlenschutznetzwerke REMPAN (Radiation Emergency Medical Preparedness and Assistance Network) und RANET (Response and Assistance Network). Die hohe wissenschaftliche Güte, inzwischen ein weiteres Mal durch den Wissenschaftsrat bestätigt, führte zu einer deutlichen Attraktivitätssteigerung für weitere nationale und internationale Netzwerke wie RENEB (Running the European Network for Biological and retrospective Physical Dosimetry) oder IABERD (International Association of Biological and EPR Radiation Dosimetry), beides Biodosiemetrienetzwerke. Das Institut ist aktiv in den nationalen Strahlenschutz eingebunden, so leitet derzeit der Institutsleiter den Notfallausschuss der Strahlenschutzkommission. Ein großer Erfolg und eine „Herzensangelegenheit“ für die Ausbildung der „next generation radiobiologists“ ist die Einbindung in den Masterstudiengang „Radiation Biology“ der Technischen Universität München. Qualitätssicherung über Zertifizierung, Akkreditierung, Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirates und nicht zuletzt die sehr erfolgreiche Publikationstätigkeit belegen den hohen Standard des Institutes. Seit dem letzten substanziellen Aufwuchs des Dienstpostenumfangs im Jahre 2002 als Folge der Terroranschläge vom 11.09.2001, verfügt das Institut über insgesamt 48 Dienstposten, von denen 15 Stellen für wissenschaftliches Personal und 33 Stellen für technisches Personal vorgesehen sind. Seit 2002 ist das Institut eine militärisch eigenständige Dienststelle und Ressortforschungseinrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.

Zum Auftrag

Das InstRadBioBw betreibt Forschung zur Verbesserung von ­Diagnostik und Therapie im Strahlenunfallmanagement als Ressortforschungseinrichtung des Bundes für den medizinischen A-Schutz. Der wissenschaftliche Schwerpunkt liegt in den Bereichen Epidemiologie, Pathomechanismen, Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Gesundheitsstörungen nach Strahlenexposition. Eine zentrale diagnostische Fähigkeit ist die biologische Dosimetrie, welche im Ernstfall eine genaue Bemessung von strahlen­induzierten Organschäden ermöglicht. Basierend auf einer frühzeitigen Abschätzung des Schweregrades kann im Rahmen der Diagnostik eine gezielte Therapie der Strahlenschäden eingeleitet werden. Am InstRadBioBw sind modernste strahlen- und molekularbiologische Verfahren zur Abschätzung von Strahlenschäden auf den verschiedenen Ebenen der biologischen Organisation von der Einzelzelle, über den Gewebeverband bis hin zum Gesamtorganismus etabliert.

Für die sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung stellt das Institut bei Bedarf Beratungsleistungen („reachback capability“) sicher und hält Personal und Ausrüstung für eine Task Force (TF) Medizinischer ABC-Schutz (MedABCSch) vor. Mit der Bereitstellung von Personal für die TF MedABCSch als mobile Komponente zur Untersuchung von Strahlenunfallverletzten in radiologischen und nuklearen Szenarien besitzt das InstRadBioBw gegenüber vergleichbaren zivilen Einrichtungen auf nationaler Ebene ein Alleinstellungmerkmal. Zu den Aufgaben gehören im Einzelnen die Untersuchung, Diagnostik, Triage (Sichtung und Einteilung von Verwundeten), Entnahme und Versand von Proben sowie die Therapieeinleitung bei strahlenexponierten Patienten auf der Grundlage der physikalischen Dosimetrie und Radionukliddetektion einerseits und der klinischen Dosimetrie auf der Grundlage von klinischen Befunden und Symptomen sowie deren zeitlichem Verlauf andererseits. Die integrierte Diagnostikfähigkeit – mit der parallelen Möglichkeit zur klinischen, biologischen und physikalischen Dosimetrie – ist einzigartig. In Verbindung mit der ­wissenschaftlichen Expertise im Institut und den weltweit geknüpften Netzwerken kann eine initiale Versorgung von Strahlenverletzten auf höchstem medizinischen Standard sichergestellt werden. 


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