Die Strahlen-MANAGER
Task Force Medizinischer A-Schutz am Institut für Radiobiologie der Bundeswehr – neue Entwicklungen
A. Lamkowski, C. Hermann, C. Siebenwirth, M. Abend, M. Port
In den sicherheitspolitischen Analysen wird seit Jahrzehnten auf das Gefahrenpotenzial des radionuklearen Terrorismus hingewiesen. Durch die weltweite Verbreitung und teilweise leichte Verfügbarkeit an radioaktiven Strahlenquellen besteht das ubiquitäre Risiko für Anschlagsszenarien mit radiologischen oder nuklearen Kampfmitteln. Dabei sind unter den radiologischen Szenarien Vergiftungen denkbar, bei denen Trinkwasser oder Lebensmittel radioaktiv kontaminiert werden.
Weitere Möglichkeiten umfassen den Einsatz einer schmutzigen Bombe (konventionelle Sprengmittel mit radioaktivem Material) oder eine radiologische Expositionswaffe (versteckte Strahlenquelle mit hoher Dosisleistung). Weiterhin sind nukleare Szenarien wie etwa der Einsatz einer Kernwaffe (auch durch Terroristen!) oder Sabotageakte an Kernkraftwerken latente Bedrohungskulissen für eine Großschadenslage mit überregionaler Dimension. Zusätzlich zur vorsätzlichen Verwirklichung der oben skizzierten Anschläge treten beispielsweise im industriellen Kontext wiederkehrende Unfälle mit Strahlenexpositionen auf.
Die Identifikation von strahlenexponierten Personen und die Diagnostik sowie Behandlung von Patienten, welche an der Akuten Strahlenkrankheit (ASK) erkranken, erfordert eine hochspezialisierte Expertise. Das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBioBw) stellt hierfür seit 2006 das Personal für eine Task Force (TF), welche auf das medizinische Management von strahlenexponierten Personen spezialisiert ist.
Bei potenziellen Strahlenexpositionen kann diese TF bereits kurz nach dem Ereignis essenzielle medizinische Beratungsleistungen erbringen und somit ermöglichen, dass das medizinische Management schon in der Anfangsphase der Versorgung zielgerichtet und effizient ist. Die TF nutzt hierfür eigens entwickelte Modelle aus klinischen Daten, um Patienten mit einer ASK und deren Schweregrad zu identifizieren. Ein wesentlicher Schwerpunkt sollte hierbei auf der Frühdiagnostik liegen, da eine frühzeitige Behandlung die Prognose wesentlich verbessert. Zusätzlich zeigten Erfahrungen aus vergangenen Strahlenunfallszenarien, dass neben den tatsächlich strahlenexponierten Patienten, eine vielfach größere Personenanzahl im Umfeld des Wirkungsbereichs an eine Beeinträchtigung ihrer Gesundheit durch die stattgefundenen Ereignisse glauben („worried well“). Daher entfaltet sich ebenfalls eine psychologische Wirkungsdimension von radionuklearen (RN) Ereignissen, die aufgrund der hohen Anzahl an Betroffenen eine Herausforderung für medizinische Versorgungseinrichtungen werden kann.
Um die „worried wells“ von tatsächlich exponierten Personen zu unterscheiden, bedarf es einer hochdurchsatzfähigen Diagnostik, die auf den Säulen einer breit verfügbaren apparativen Ausstattung der medizinischen Behandlungseinrichtungen aufbaut. Somit wurden Modelle entwickelt um Blutbilder auszuwerten. Diese können einen Strahlenschaden anzeigen und die Messung eines Differentialblutbildes ist einfach, kostengünstig und überall schnell verfügbar. Das InstRadBioBw hat hierfür ein weltweit verfügbares und wissenschaftlich evaluiertes Tool entwickelt, um eine diagnostische Abschätzung des hämatologischen Schweregrads bereits ab dem ersten Tag anhand der Lymphozyten, Granulozyten und Thrombozyten durchführen zu können (Abb. 1). Die Bedienung des H-Moduls (als App kostenfrei downloadbar) ist intuitiv aufgebaut.
Zusätzlich zu den Unterstützungsleistungen der Reachbackfähigkeit kann es bei RN-Szenarien erforderlich sein, dass am Ort des Geschehens im Einsatzland physikalische Messungen und Probenentnahmen am Patienten durchgeführt werden müssen. Hierfür besitzt die medizinische TF einen mobilen Anteil, sodass eine Expertengruppe auch Vorort unterstützen kann. Für eine schnellere Bereitstellung der mobilen Fähigkeiten wird seit 2020 aus dem TF-Stammpersonal ein Medical Radiological Incident Investigation Team geschaffen, dessen Mitglieder durch Zusatzausstattungen und einsatzvorbereitende Maßnahmen (zum Beispiel Impfungen und Speziallehrgänge) für eine zeitnahe und weltweite Einsatzoption vorbereitet sind. Somit können die Fähigkeiten der TF als Elemente in militärische Operationen integriert werden.
In der Mehrzahl der RN-Szenarien ist von einer Beteiligung mit offenen radioaktiven Quellen auszugehen. Dabei ist das radioaktive Material nicht in einem Festkörper gebunden, sondern kann sich als Staub oder Flüssigkeit im Gelände verteilen und bei betroffenen Personen zu Kontaminationen von Kleidung, Haut, Haaren und Schleimhäuten führen. Das dem Körper aufliegende radioaktive Material kann dabei beim Betroffenen zu einem relevanten Aufbau der Strahlendosis führen. Das schädigende Potenzial von offenen Quellen zeigte sich beispielhaft im Goiânia-Unfall 1987 in Brasilien. Dort wurde eine Strahlentherapiequelle aus einer stillgelegten Klinik entwendet und nach dem Öffnen der Schutzhülle das Radioisotop 137Cäsium freigesetzt. Die Diebe hielten das Material für ungefährlich und verteilten es aufgrund seiner bläulichen Lumineszenz im familiären Kreis und großflächig bei dem Abtransport der geöffneten Strahlenquelle mit einem Auto auf holprigen Straßen. Durch Kontaminationsverschleppung war binnen weniger Tage ein großer Personenkreis betroffen. In Folge verstarben vier Personen an der ASK, 249 wurden wegen schwerer Kontamination vorübergehend isoliert und insgesamt mehr als 112 000 Menschen mussten sich einer medizinischen Untersuchung unterziehen.
Das skizzierte Gesundheitsrisiko im Zusammenhang mit einer radioaktiven Kontamination erfordert eine schnellstmögliche Dekontamination der aufliegenden Radioisotope. Obwohl einige Dekontaminationslösungen bekannt sind, ist die Datenlage hinsichtlich ihrer Effizienz nur einem niedrigen Evidenzgrad zuzuordnen. Das InstRadBioBw startete hierfür ein eigenes Forschungsvorhaben, um die Wirksamkeit verschiedener Lösungen in einem Hautmodell zu untersuchen. Dabei wird die nach der standardisierten Dekontamination zurückgebliebene Restkontamination miteinander verglichen, um für die wichtigsten Radioisotope die Wirksamkeit der jeweiligen Dekontaminationsmittel zu bestimmen. Die Erkenntnisse dieser Studie können dabei unmittelbar in die Anwendung überführt werden und dienen der TF für zukünftige Einsätze.
Einhergehend mit der Kontamination von Patienten können Radioisotope durch Inhalation, Ingestion oder über verletzte Hautstellen in den Körper gelangen. Diese als Inkorporation bezeichnete Situation führt nicht selten zu einer Ablagerung von Radioisotopen in nuklidspezifischen Zielorganen. Zahlreiche Inkorporationen lassen sich zwar behandeln, allerdings ist die Effizienz stark an die frühzeitige Therapieeinleitung gekoppelt. So kann ein frühzeitiger Behandlungsbeginn direkt nach Inkorporationsereignis durchaus eine Ausscheidung von > 80 % der aufgenommenen Radioaktivität ermöglichen, während der wochenlange Verzug einer Behandlung zu keiner relevanten zusätzlichen Ausscheidung führen kann. Daher ist auch die Frühdiagnostik zur Indikationsstellung einer Dekorporationstherapie eine hochrelevante, strahlenmedizinische Notwendigkeit. Die Inkorporation von Radioisotopen, welche Gammaphotonen aussenden, kann in den meisten Fällen durch einen stationären Ganzkörperzähler präzise erfasst und quantifiziert werden. Darüber hinaus kann auch durch Ausscheidungsanalytik von Urin oder Stuhl der sensitive Nachweis einer Inkorporation erbracht werden. Sowohl der stationäre Ganzkörperzähler wie auch akkreditierte Labore für Ausscheidungsanalytik sind hochwertige Ressourcen, welche nur in geringer Zahl verfügbar sind. Zudem werden diese im Zivilen teils zurückgebaut, sodass ein verzögerter Behandlungsbeginn droht. Aus diesen Gründen hat das InstRadBioBw in einem technischen Entwicklungsprojekt seine Gammaspektrometer (Geräte zur qualitativen und quantitativen Messung von radioaktiven Quellen) als improvisierte Ganzkörperzähler vorbereitet. Die Gammaspektrometer sind handhabbare Kleingeräte, welche in einer spezifischen Anordnung vor oder hinter den Patienten positioniert werden (Abb. 2).
Hat ein Patient zusätzliche Radioisotope im Körper aufgenommen, können diese identifiziert und zugleich eine Abschätzung der aufgenommenen Menge vorgenommen werden. Hierfür wurde ein eigenes Berechnungstool erarbeitet, welches unmittelbar nach der Messung eine Indikationsstellung zur Therapieleinleitung ermöglicht. Mithilfe des improvisierten Ganzkörperzählers können eine Vielzahl an inkorporierten Radioisotopen mit adäquater Sensitivität nachgewiesen werden. Das Verfahren ersetzt eine Messung in einem stationären Ganzkörperzähler zwar nicht, unterstützt aber aufgrund seiner Einfachheit und Mobilität eine schnellere diagnostische Entscheidungsfindung am Einsatzort und ist auch für Auslandseinsätze einfach nutzbar. Zudem wird zurzeit an mit Alpha-Strahlern behandelten Tumorpatienten der Nachweis der Radionuklide mittels quantitativer PCR versucht. In einer ersten gerade durch das InstRadBioBw veröffentlichten Studie gibt es hierzu Hinweise.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2021
Für die Verfasser:
Oberfeldarzt Dr. A. Lamkowski
Institut für Radiobiologie der Bundeswehr
Neuherbergstrasse 11, 80937 München
E-Mail: AndreasLamkowski@bundeswehr.org