Die Aufstellung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für die Landes- und Bündnisverteidigung

H. Borsch, H. Ploß

Der Kernauftrag des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (SanDstBw) ist, die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten zu schützen, zu erhalten und wiederherzustellen. Um diesen vor dem Hintergrund sich ständig ändernder nationaler wie internationaler sowie fachlicher und sicherheitspolitischer Anforderungen auch weiterhin vollumfänglich zu erfüllen, bedarf es eines kontinuierlichen Anpassungsprozesses.

War die Bundeswehr und damit auch der SanDstBw in den letzten Jahren vor allem auf die Durchführung von Aufträgen im Internationalen Krisenmanagement (IKM) ausgerichtet, stehen wir spätestens seit 2014/15 vor der Herausforderung, dass neben dem neuerlichen Schwerpunkt der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) alle im Weißbuch vorgegebenen Aufgaben (beispielsweise IKM, Heimatschutz, nationale Krisen- und Risikovorsorge, humanitäre Not- und Katastrophenhilfe) gleichrangig und gegebenenfalls auch gleichzeitig abzubilden und wahrzunehmen sind. 

LV/BV erfolgt im Verbund aller Fähigkeiten der Bundeswehr und stets multinational. Die Handlungsfähigkeit der NATO und der EU beruht auch auf der Aufgabenerfüllung Deutschlands als Truppensteller und Host Nation (zum Beispiel als Transitland und Drehscheibe für die Verlegung von Kräften) sowie auf den militärisch oder auch zivil bereitgestellten Unterstützungsleistungen (unter anderem Logistik, IT-Services und sanitätsdienstliche Versorgung). Aufgrund der Leistungsfähigkeit des SanDstBw hat Deutschland im Framework Nation Concept die Rolle als Anlehnnation übernommen und uns wird häufig auch die Rolle als Medical Lead Nation in NATO- und EU-Missionen zugewiesen. Die Herausforderungen für den SanDstBw, die mit der Neuausrichtung auf die LV/BV einhergehen, sind daher ausgesprochen vielschichtig.

Rahmenbedingungen

Rahmengebend für die sanitätsdienstliche Versorgung von Soldat*innen im Einsatz sind die Vorgaben der NATO und der Konzeption der Bundeswehr. Dieses wird maßgeblich in der Fachlichen Leitlinie zum Ausdruck gebracht, wonach das Ergebnis der sanitätsdienstlichen Versorgung im Ergebnis qualitativ dem fachlichen Standard in Deutschland entsprechen muss. Die Fachstrategie „Gesundheitsversorgung der Bundeswehr“ präzisiert diesen Aspekt dahingehend, dass die Ergebnisqualität immer kontextabhängig ist. Der sanitätsdienstliche Einsatzbeitrag bemisst sich dabei grundsätzlich an den missionsabhängigen operativen Fähigkeitsforderungen der zu unterstützenden Kräfte und unter Berücksichtigung nationaler Vorgaben und Auflagen („tailored to the mission“). 

Aus der Grundaufstellung der Bundeswehr heraus sind alle Fähigkeiten zur Erfüllung der gleichzeitig zu leistenden Aufgaben abzurufen. Diese werden durch Missionspakete für darüberhinausgehende weitere gleichrangige Aufgaben ergänzt.

„Continuum of Care“ – die sanitätsdienstliche Versorgung im Einsatz
„Continuum of Care“ – die sanitätsdienstliche Versorgung im Einsatz
Quelle: PIZ Sanitätsdienst

Die Sanitätsdienstliche Unterstützung entlang der Rettungskette

Planungs- und handlungsleitende Kernaspekte der sanitätsdienstlichen Unterstützungsleistungen im Einsatz sind die „Clinical Timelines“ der NATO, die Kontinuität und Bruchfreiheit der sanitätsdienstlichen Versorgung („Continuum of Care“) sowie das multinationale Einsatzumfeld für die Versorgungsempfänger als auch die -erbringer. 

Die sanitätsdienstliche Unterstützung reicht dabei von der Selbst- und Kameradenhilfe noch am Ort der Verwundung („Point of Injury“) über die unterschiedlichen Versorgungsebenen ansteigender Versorgungsqualität im rückwärtigen Einsatzraum bis hin zur definitiven Versorgung und erforderlichen Rehabilitation im Heimatland. 

Die konkrete Ausgestaltung orientiert sich dabei am Auftrag, dem Einsatzumfeld und spezifischen Einsatzbedingungen sowie den zu unterstützenden Truppenteilen respektive der Soldat*innen auf dem Gefechtsfeld („Population at Risk – PAR“). Grundsätzlich wird angestrebt, sämtliche Fähigkeiten bereit zu stellen, die auch im Grundbetrieb im Inland verfügbar sind. Wo dies nicht möglich oder zweckmäßig ist, kommt unter anderem der Rückgriff auf vorhandene Mittel im Heimatland („Reachback-Verfahren“) zum Einsatz. Ergänzend werden einsatzspezifische Kräfte und Mittel eingesetzt.

Herausforderung LV/BV

Auch bei LV/BV muss letztlich eine individualmedizinische Behandlung mit dem Schwerpunkt auf einsatzspezifische Verwundungsmuster und Krankheitsbilder das Ziel sein.

Allerdings erfordern hier die schnelle und hochdynamische Operationsführung in einem digital geprägten Umfeld eine verbesserte Skalierbarkeit und Flexibilität der sanitätsdienstlichen Fähigkeiten. Gefechtsräume sind immer weniger statisch zu betrachten, vielmehr können sie sich rasch über sehr große Distanzen ausdehnen und sind mehrdimensional.

Die durch die NATO vorgegebenen planerischen Schätzungen der gemittelten Ausfallraten („Casualty Rate Estimation“) ermöglichten eine darauf basierende generische Planung von Sanitätskräften in einem Szenar LV/BV. Hierbei ausschlaggebende Faktoren sind die zu erwartende PAR sowie deren Gefährdung durch moderne Aufklärungs- und Waffensysteme mit hoher Zielgenauig­keit und großer Reichweite. Die daher anzunehmenden deutlich steigenden Patientenzahlen bedingen gegenüber bisherigen Einsätzen entsprechend höhere Bedarfe an medizinischen Versorgungskapazitäten wie zum Beispiel OP-Plätze, (Intensiv)Überwachungs- und Behandlungsbetten sowie eine deutliche Erhöhung der Patiententransportkapazitäten, auch über größere Entfernungen. Abschließend muss im Inland eine flächendeckende Befähigung zur Anschlussbehandlung und Rehabilitation mit dem Ziel der Wiederherstellung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit gegeben sein.

Auf der Basis dieser Planungen wird, trotz Sicherstellung der qualitativen Standards in der Routineversorgung, in Spitzenzeiten die Versorgung einer hohen Zahl an Verwundeten bei intensiven Gefechten regelmäßig zu quantitativen und qualitativen Überlastungen der sanitätsdienstlichen Unterstützung führen. Dies ist aus Ressourcengründen nicht anders leistbar.

Um Verluste dennoch möglichst gering zu halten, bedarf es entsprechend des Umfangs und der Gliederung der zu versorgenden Truppenkörper einen personellen und materiellen Aufwuchs an Sanitätskräften sowie einer ergänzenden Umsetzung von möglichst flexiblen und innovativen Ideen, beispielsweise der Abstützung auf (teil-)automatisierte System in der Patientenversorgung sowie im -transport, die effektive Schwerpunktbildungen unterstützen können.

Im gemeinsamen Eckpunktepapier der Bundesministerin der Verteidigung und des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom Mai 2021 wird eine „Kaltstartfähigkeit“ für schnelle Anfangsoperationen als Reaktion auf eine eskalierende militärische Krise gefordert. Dies erfordert eingespielte und kampfkräftige Einsatzverbünde sowie eine zuverlässige und wirkungsvolle Kohäsion des sanitätsdienstlichen Unterstützungspersonals mit definierten Truppenkörpern bereits in Friedenszeiten bei Ausbildung und Übungen. 

Konkret bedeutet dies aber auch eine Anpassung der aktuellen Strukturen hin zu kleineren, hochmobilen und durchhaltefähigen Sanitätseinsatzelementen, welche die Einsatzgrundsätze der zu unterstützenden Truppe kennen, deren Operations-, Gefechts- und Marschgeschwindigkeit erreichen, über gleichwertigen Schutz verfügen und in verschiedenen Klimazonen bestehen können. Die Digitalisierung der Elemente ist von vornherein berücksichtigt, eine logistische Teilautarkie wird bei der zukünftigen Gestaltung eine Rolle spielen. Das Herstellen der Einsatz- und Verlegebereitschaft der Sanitätskomponenten darf nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen, als das Zusammenführen der dauerhaft truppendienstlich unterstellten eigenen Strukturelemente.

Ein Luftlanderettungszentrum – möglicher Ausgangspunkt für...
Ein Luftlanderettungszentrum – möglicher Ausgangspunkt für Feldsanitätseinrichtungen der Zukunft – modular, mobil, teilautark
Quelle: PIZ Sanitätsdienst

Sanitätseinrichtungen

Das hauptsächlich betrachtete (hoch)bewegliche Gefecht im Rahmen von LV/BV bedingt häufige Standortwechsel. Das bedeutet auch für die Sanitätseinrichtungen eine schnelle und eigenständige Verlegefähigkeit und (Wieder-)Inbetriebnahme. Eigenmobilität und Umschlaggeräte sind hier essentiell. Träge, containergestützte Sanitätseinrichtungen werden daher ausschließlich rückwärtig gelegene Räume abdecken. Eine schnelle Operationsführung kann nur durch mobile und flexible Sanitätseinrichtungen unterstützt werden. Sie werden sich daher durch konsequente Modularität und einen gegenüber heutigen SanEinr kleineren logistischen Footprint auszeichnen.

Patiententransport

Um in einem hochdynamischen Szenar der LV/BV den erhöhten Patientenfluss innerhalb der Rettungskette sicherstellen zu können, bedarf es auch eines Aufwuchses an geeigneten Transportmitteln, insbesondere an schwer geschützten Fahrzeugen (sgSanKfz Boxer). Die Wiederherstellung der früher vorhandenen Fähigkeit zum strategischen Patiententransport wird hierbei nicht mehr nur auf den Lufttransport zu beschränken sein, dem Land- und Seetransport wird aufgrund der Verletztenzahlen und abgesetzter Dislokationen erhebliche Bedeutung zukommen. Auch bedarf es der Ausplanung besonderer Versorgungseinrichtungen wie der „Casualty Staging Units“, um ausreichende Haltekapazitäten zur Vorbereitung der zu erwartend hohen Anzahl an Patienten auf den strategischen Transport verfügbar zu haben.

Patientensteuerung

Um den hohen Patientenflüssen zu begegnen, kommt der Patientensteuerung eine Schlüsselrolle zu. Darüber hinaus ist eine IT-gestützte medizinische Dokumentation unabdingbar. Sanitätsdienstliche Bedarfe müssen in Führungsinformationssystemen abgebildet sein, um zukünftig, unterstützt durch automatisierte Algorithmen, eine Echtzeitlage zu ermöglichen und rasche Steuerung sicherzustellen. Hierdurch wird die Verfolgung jedes einzelnen Patienten auf seinem Weg durch die sanitätsdienstlichen Versorgungseinrichtungen (Behandlungsebene 1–4) und die durch­gehende Dokumentation gewährleistet. 

Das Multinational Medical Coordination Centre/European Medical Command soll hierbei als strategische Koordinierungsstelle einen wesentlichen Beitrag zur Rückführung der Patienten aus dem Einsatzgebiet leisten. Zukünftige, an den Bundeswehrkrankenhäusern auszubringende „Patient Evacuation Coordination Cells“ werden für eine reibungsfreie regionale Verteilung der Patienten auf Behandlungseinrichtungen innerhalb Deutschlands zuständig sein.

Resümee

Der SanDstBw war und ist auch zukünftig sehr gut für Aufgaben im Rahmen des IKM sowie für die nationale Krisenvorsorge aufgestellt. Um die geforderte Qualität der sanitätsdienstlichen Unterstützung auch unter den Herausforderungen der Fokussierung auf LV/BV und den dabei zu erwartenden Patientenzahlen sicherstellen zu können, ist neben der zielgerichteten Ausrichtung der Führungs- und Einsatzgrundsätze auch ein Aufwuchs von Personal und Material unabdingbar erforderlich. Bereits begonnene und geplante Rüstungsprojekte müssen konsequent umgesetzt und Innovationen zielgerichtet berücksichtigt werden.  

Literatur und Nachweis bei Verfassern.


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