DIE ANÄSTHESIE DES BWK WESTERSTEDE – KOOPERATION MIT DER AMMERLANDKLINIK
Seit 2007 befindet sich das neu geschaffene Bundeswehrkrankenhaus Westerstede in einer bislang einzigartigen, zivil-militärischen Kooperation mit der Ammerlandklinik Westerstede (AK). Die Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin bildet dabei den Kern der Kooperation.
In keiner anderen Abteilung sind Prozessabläufe, Personal und Ausbildung so eng miteinander verzahnt. Im Rahmen der Kooperation sind im gesamten Klinikzentrum Westerstede im Jahr 2010 16.624 Anästhesieverfahren in 13 OP-Sälen und an sieben fakultativen Arbeitsplätzen (NFA, Zahnarzt, MRT, etc.) durchgeführt worden (2009: 15.388 Anästhesieverfahren). In den drei Sälen des BWK arbeiten die Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie, die Abteilung für Neurochirurgie sowie das Institut für Hand- und Plastische Chirurgie. Durch die Arbeit am alten Standort des BWK in Bad Zwischenahn genießt die Abt. für Orthopädie und Unfallchirurgie in der Bevölkerung einen sehr guten Ruf unter anderem im Bereich der Endoprothetik. Zusammen mit der neu aufgestellten Handchirurgie bietet sich hier für die Abteilung X die Möglichkeit ihren Patienten einen sehr hohen Anteil an Regionalanästhesien (v.a. Femoraliskatheter, axilliäre Plexusanästhesien, interskalenäre Blockaden, Spinalanästhesien) anzubieten, wovon die Weiterbildungsassistenten (WBA) beider Häuser profitieren (Abb. 1).
Die Abteilung für Neurochirurgie erlaubt die Versorgung von Polytraumapatienten und für die Ausbildung der Chirurgen und Anästhesisten das Erlernen der Versorgung von intrakraniellen Eingriffen. In den Sälen der AK arbeiten die weiteren chirurgischen Fachdisziplinen. Insbesondere die Abteilung für Gefäß- und Thoraxchirurgie, die mit 63 Betten und fast 4000 Eingriffen jährlich zu einer der größten Abteilungen Deutschlands gehört, bietet ein spannendes und forderndes Aufgabengebiet für die Anästhesie. Von der ambulanten Versorgung der Varikosis bis hin zu Bauchaortenaneurysmata, großen Bypass-OPs oder Lungenteilresektionen – das gesamte Spektrum der Gefäßchirurgie wird hier abgebildet. Dies ermöglicht für die Ausbildung der WBA Anästhesie eine frühe Heranführung auch an große und schwerwiegende Eingriffe, eine enge Verzahnung mit der Intensivmedizin und postoperativen Weiterbehandlung sowie einen hohen Anteil an perioperativen Schmerztherapien mittels Periduralkatheter (Abb. 2).
Die Frauenklinik bietet neben der Gynäkologischen Versorgung im zertifizierten Endometriosezentrum, dem zertifizierten Brustzentrum und den Eingriffen im Bereich der Gynäkologischen Urologie und der Gynäkologischen Onkologie auch die Geburtshilfe an. Das bedeutet für die Abteilung X eine Versorgung von entbindenden Müttern mittels Peridualanästhesie (PDA). Insbesondere aber die Versorgung der Sectiones, geplant wie auch notfallmäßig, und die anschließende Versorgung des Neugeborenen bieten für die Ausbildung der WBA beider Häuser einen großen Vorteil (Abb. 3).
Durch die Klinik für Urologie und Kinderurologie mit rund 3500 Eingriffen jährlich bietet sich für die WBA die Möglichkeit Narkosen an Kindern unter 5 Jahren, unter anderem bei Phimosen oder auch Leistenhoden, durchzuführen. Große Operationen wie organerhaltende Nierentumorresektionen oder auch Radikale Zystektomie stellen vergleichbare Herausforderungen für den Anästhesisten dar wie die großen Eingriffe der Gefäß- und Thoraxchirurgie.
Die Abteilung für Abdominal- und Visceralchirurgie komplettiert die chirurgischen Fachabteilungen. Postoperative Intensivtherapie und perioperatives Schmerzmangement sind hier die Hauptaufgaben für die Anästhesie. Die Belegabteilungen der Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie, der Augenheilkunde und der Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde ergänzen die Bandbreite des Klinikzentrums Westerstede.
Insbesondere die HNO-Abteilung mit einem hohen Anteil an Kindernarkosen bietet für die Abteilung Anästhesie und die WBA eine wertvolle Ergänzung. Narkosen für MRT-Untersuchungen, interventionelle Angiographien sowie für den Einbau von Herzschrittmachern runden das Spektrum ab. Mit dieser Vielfalt an Fachdisziplinen ist das Klinikzentrum Westerstede überregional in die Versorgung der Zivilbevölkerung eingebunden.
Die gesamte Abteilung Anästhesie des Klinikzentrums Westerstede bestand im Jahre 2010 aus 31 ärztlichen Mitarbeitern, davon 19 Fachärzte und zwölf WBA. Auf die Abteilung X des BWK entfielen acht Fachärzte (1/7/0) und acht WBA. Der Ärztemangel im zivilen Bereich stellt derzeit auch die Ammerlandklinik vor große Herausforderungen und führt für die WBA der Bundeswehr dazu, dass sie größtenteils in den Sälen der AK eingesetzt werden und dort auch ausgebildet werden. Auch die Bereitschaftsdienste in der Nacht (Ein WBA auf der Intensivstation, ein WBA für den OP und die Notfallversorgung im Haus), werden derzeit zu rund 80 % durch WBA der Bundeswehr abgedeckt. Dies führt zu einer noch engeren Verzahnung der Kooperation und birgt für die Ausbildung der WBA der Bundeswehr enormes Potential.
An das Klinikzentrum angegliedert ist eine Rettungswache des Rettungsdienstes Landkreis Ammerland. Neben Rettungs- und Krankentransportwagen auf denen ärztliches Assistenzpersonal ausgebildet wird, sind hier auch zwei Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF) stationiert. Dabei wird ein NEF 24/7 und ein NEF an 72 Wochenstunden ärztlich durch die Abt. Anästhesie sowie vereinzelt durch die Abt. für Innere Medizin besetzt. Im Durchschnitt werden insgesamt täglich acht bis zehn Einsatzfahrten absolviert, bei denen auch die WBA Anästhesie sowie Sanitätsoffiziere anderer Fachrichtungen als NEF-Praktikanten eingesetzt werden. Zudem wird der Rettungstransporthubschrauber Christoph 26 am Standort Sanderbusch zum Teil durch Fachärzte sowie durch WBA in fortgeschrittener Weiterbildung der Abt. X des BWK besetzt. Der RTH Christoph 26 ist zudem mit einer Außenwinde ausgerüstet, so dass hier einsatzrelevante Ausbildungen absolviert werden können.
Die Ausbildung der WBA der Abt. Anästhesie aber auch der Kameraden anderer Fachdisziplinen zur In-Übunghaltung/Erlangung der ATN RettMed wird derzeit neu strukturiert und in Form eines Tutorialsystems durchgeführt (Tab. 1).
Theorie- und Praxisunterrichte für rund ein Dutzend Kernkompetenzen werden derzeit erstellt und wie Bausteine den einzelnen Personengruppen zugeteilt. Auch der Bereich der Pflege ist darin involviert, somit können die Bausteine auch für deren Ausbildung/InÜbunghaltung von RettAss/ RettSan/EH-Bravo/ EinsSan bis hin zu FachKrPfl. ANÄ/ITS genutzt werden. Ziel ist es, zum einen Ausbildungsinhalte zu standardisieren und zum anderen die Ausbildung insgesamt, vor allem bei der zunehmenden Anzahl an Personen die Notfallmedizinische/anästhesiologische Kernkompetenzen erlangen sollen, zu strukturieren. Im Verlauf des Jahres 2010 absolvierten elf ärztliche Kollegen aus den Fachbereichen Chirurgie, Allgemeinmedizin und Radiologie ihre sechsmonatige Ausbildungsphase in unserer Abteilung zur Erlangung der ATN Rett- Med, weitere 19 Ärzte waren zur In-Übunghaltung in unsere Abteilung kommandiert. Zusätzlich wurden 48 nicht-ärztliche Kameraden und Famulanten in unserer Abteilung aus-/fort- und weitergebildet (Abb. 4).
Die Transformation der Bundeswehr hin zu einer Einsatzarmee und die bisher damit gemachten Erfahrungen aus den Einsätzen insbesondere ISAF machen es unerlässlich, dass mehr und mehr Kameraden notfallmedizinische Kenntnisse nicht nur theoretisch erfahren sondern auch lernen sie praktisch umzusetzen. Dabei sollen sie von erfahrenen Anästhesisten angeleitet werden und dies alles neben der alltäglichen Routine eines Krankenhauses mit der Versorgung der Kameraden und der Zivilbevölkerung. Hinzu kommt der allgemeine Ärztemangel im zivilen Sektor wie auch im Bereich des Sanitätsdienstes. Daraus resultiert zum einen eine hohe zeitliche Dienstbelastung und eine starke personelle Bindung sowie zum anderen gerade für die WBA ANÄ des BWK Westerstede eine frühe Einbindung in die Lehre und Ausbildung von (nicht-)ärztlichem Personal in notfallmedizinische Kernkompetenzen.
Mittelfristig wird es deshalb weiter einen hohen Bedarf vor allem an Fachärzten Anästhesie geben, den es zu decken gilt. Dies ist zwingend notwendig um zum einen die Qualität der Ausbildung für die WBA auf hohem Niveau zu halten sowie zum anderen, im Rahmen der Kooperation mit einem zivilen Partner, auch die militärischen Belange angemessen zu vertreten.
Die Vielzahl an chirurgischen Fachdisziplinen sowie die hohe Fallzahl verbunden mit dem Mangel an Personal führt zu einer hohen Anzahl an Narkoseverfahren für den einzelnen WBA. Die Tabelle (Tab. 2) gibt einen Überblick über die in den ersten 16 Monaten der ersten klinischen Phase, für die Erlangung der Gebietsbezeichnung Anästhesie absolvierten Narkoseverfahren des Autors.
Die starke Einbindung des Klinikzentrums Westerstede in die überregionale Versorgung der Zivilbevölkerung wie auch der militärische Auftrag andere Kameraden für die Auslandseinsätze auszubilden machen die Arbeit für WBA Anästhesie in der Abt. X des Bundeswehrkrankenhauses Westerstede sehr attraktiv. Das Modell der zivil- militärischen Kooperation ist in diesem Bereich ein voller Erfolg und hat insgesamt Modellcharakter für den Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Datum: 15.02.2012
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/4