Tätigkeitsfelder und Aufgabenbereiche des Einsatzanästhesisten der Bundeswehr
Tätigkeitsfelder und Aufgabenbereiche des Einsatzanästhesisten der Bundeswehr
17.06.2024 •

Einsatzanästhesie – Keyplayer in der Einsatzmedizin

F. Josse, M. Kulla

Seit dem Jahr 2014 ist die Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des Bundeswehrkrankenhauses Ulm eng mit der Combat Medical Care Conference (CMC-Conference) verbunden. Diese Konferenz deckt alle Bereiche der Einsatz- und taktischen Medizin ab. Doch warum engagiert sich die Anästhesiologie innerhalb der Bundeswehr und der internationalen Streitkräfte in diesem Bereich, und was bedeutet Einsatzanästhesie?

Anders als in den meisten NATO-Ländern ist die Anästhesiologie als AINS (Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie) in Deutschland äußert breit aufgestellt und deckt die divergenten Bereiche von der operativen Anästhesie, über die Intensivmedizin, die prähospitale und klinische Notfall- und Akutmedizin bis hin zur Schmerztherapie ab. Sie spielt eine entscheidende Rolle in allen Stufen der Patientenversorgung von Role 1 bis 4 und umfasst weiterhin wesentliche Bausteine der Ausbildung in der prähospitalen sowie der innerklinischen Notfallmedizin, die Einsatzplanung, den Verwundetentransport und Teile der Nachsorge.

Ist der Einsatz in Deutschland von zunehmender Spezialisierung geprägt, wird der Einsatzanästhesist als Generalist, im Team mit seinem Fachpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin, stark gefordert. Die AINS ist für Einsätze im Rahmen des internationalen Krisenmanagements sowie insbesondere für die Landes- und Bündnisverteidigung unentbehrlich. Ihre Einsatzbereiche sind in den unterschiedlichen Versorgungseinrichtungen mit Damage Control Surgery und Damage Control Resuscitation (DCR) wie Role 2 Forward, Role 2 Basic und Enhanced, dem Einsatz im Special Operations Surgical Team, den Casualty Support Units und den Bordfacharztgruppen im Rahmen der Marineeinsätze. Zusätzliche Sekundärschäden durch notfallmedizinische und erweiterte Sofortmaßnahmen gilt es zu verhindern. Die Wiederherstellung, Aufrechterhaltung und Stabilisierung von lebenswichtigen Organfunktionen und Systemen sind essentiell, um dann durch die chirurgischen Komponenten der Rettungskette unmittelbar lebensrettende operative Eingriffe durchführen zu können. Erweiterte Kompetenzen, die Anästhesie für Operationen und die Vorbereitung für den Patiententransport gehören zu den Kernkompetenzen. Der Verwundetentransport im Einsatz und aus dem Einsatz heraus mit Tactical Aeromedical Evacuation und Strategical Aeromedical Evacuation wird ebenfalls von Anästhesisten geplant und durchgeführt.

Die Bedrohung durch hybride Kriegsführung war das Szenario der vergangenen Jahre und stellt insbesondere für den militärischen Sanitätsdienst eine komplexe Herausforderung dar. Hybride Kriegsführung kombiniert konventionelle, irreguläre und asymmetrische Strategien, oft in dicht besiedelten Gebieten, umfasst eine Vielzahl von Angriffsmethoden wie chemische, biologische, radiologische, nukleare und Sprengstoffeinsätze sowie Cyberterrorismus. In den letzten Jahrzehnten hat der zunehmende Einsatz asymmetrischer und multimodaler Taktiken durch Terroristen weltweit Anästhesisten veranlasst, ihre Rolle in Massenunfallszenarien eingehender zu analysieren und zu trainieren. Dies ist eine logische Entwicklung, da Anästhesisten die nötigen Kernkompetenzen bereits im klinischen Alltag anwenden, um mit den klinischen Folgen terroristischer Angriffe vom Punkt der Verletzung im präklinischen Bereich bis hin zur Notaufnahme, zum Operationssaal und zur Intensivstation umzugehen.

Aktuelle und zukünftige Veränderungen im nationalen Gesundheitswesen, viel mehr noch die Anforderungen eines konventionellen Krieges unter nahezu ebenbürtigen Gegnern wird sowohl das Fach AINS in den Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs) vor allem jedoch die Einsatzanästhesie in Qualität und Quantität neu definieren müssen. Einsatzanästhesisten müssen vorbereitet sein, um unter extremen Bedingungen zu arbeiten und sich an die jetzigen Anforderungen anzupassen, die sich aus solchen Konflikten ergeben werden. Dieses zukünftige Anforderungsspektrum ist nicht mit durch seinerzeit erfolgreichen Lösungsstrategien zu meistern!

Die geforderten Kompetenzen für den Einsatzanästhesisten werden im Inland im Bereich der BwKrhs erworben, trainiert, aufrechterhalten und im Rahmen der militärmedizinischen Forschung weiterentwickelt. Prähospital durch den täglichen Einsatz auf den unterschiedlichen Rettungsmitteln vom Rettungswagen über Notarzteinsatzfahrzeug und Intensivtransportwagen bis zum Rettungshubschrauber sowie dem Einsatz im Rahmen der Katastrophenhilfe und als Leitende Notärzte.

Innerklinisch ist die im Bereich der AINS tätigen Ärzte in den Notaufnahmen sowie der klinischen Akut- und Notfallmedizin tätig und beteiligt sich an den Herausforderungen bei Massenanfällen. Im Operationssaal sind sie für die Durchführung von Anästhesie bei Eingriffen der unterschiedlichsten Fachrichtungen stationär wie ambulant verantwortlich und übernehmen Verantwortung bei der intensivmedizinischen Versorgung und Behandlung von kritisch Kranken. Im Rahmen der Schockraumversorgung, im Operationssaal und auf der Intensivstation ist das Management von Blutungen und Gerinnungsstörungen durch differenzierte und gezielte Therapie einer der Bausteine der Versorgung. Eine suffiziente Schmerztherapie bei akuten sowie chronischen Beschwerden ist im Rahmen der Nachsorge und Rehabilitation unumgänglich.

Aus-, Fort- und Weiterbildung ist Auftrag, Selbstverständnis und Passion der AINS. Neben den eigenen Ärzten und Pflegern werden auch fachfremde Sanitätsoffiziere für den jeweiligen Facharzt, den Erwerb der Ausbildungs- und Tätigkeitsbezeichnung Rettungsmedizin und die Zusatzweiterbildungen Intensivmedizin, Notfallmedizin und klinische Akut- und Notfallmedizin sowie Schmerztherapie aus- und weitergebildet. Mindestens genauso wichtig ist die an den BwKrhs implementierte Qualifikation des nichtärztlichen medizinischen Personals der Notfallpflege sowie der Notfall- und Rettungssanitäter, aber auch die Ausbildung von Nichtsanitätspersonal in notfallmedizinischen Maßnahmen, welche durch die Anästhesie geprägt und vorgegeben wird.

Und damit schließt sich der oben begonnene Kreis, warum sich die Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des BwKrhs Ulm im Rahmen der CMC-Conferenz engagiert und diese auch in Zukunft fachlich leiten wird. Die Tragweite und die Wichtigkeit der CMC-Conference zeigen sich nicht nur in den Teilnehmerzahlen von über 1 300 aus mehr als 30 Nationen, sondern auch in der internationalen Reputation innerhalb der taktischen Medizin und der Kooperation mit dem französischen Sanitätsdienst im Rahmen der Durchführung einer im jährlichen Wechsel stattfindenden Satellitenkonferenz in Paris (die Paris SOF CMC-Conference) sowie der jüngst geschlossenen Partnerschaft mit der Special Operation Medical Association. 



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