30 Jahre Bundeswehrkrankenhaus Berlin

Ein historischer Beitrag

E. Grunwald

BwKrhs Berlin

Das Ministerium des Inneren der DDR übergab wenige Tage vor der Wiedervereinigung am 30.09.1990 dem Ministerium für Abrüstung und Verteidigung ihr „Volkspolizei-Krankenhaus“, das dann kurzfristig unter der Bezeichnung „Lazarett Berlin-Mitte der Nationalen Volksarmee“ firmierte. Am 03.10.1990 ging dieses Krankenhaus in die Verfügungsgewalt der Bundeswehr über und erhielt am 01.01.1991 seine heutige Bezeichnung.

Im Rahmen der Wiedervereinigung 1990 wurden neben dem Berliner Haus anfänglich noch acht weitere Lazarette der Nationalen Volksarmee mit etwa 2 000 Betten übernommen. Die Bundeswehr selbst besaß zu diesem Zeitpunkt mit ihren zwölf Krankenhäusern im Frieden einen Gesamtbettenumfang von 3 523, von denen aber gemäß gültiger Organisationsbefehle nur 3 200 Betten betrieben wurden.

Bereits seit 1989 waren umfangreiche Erhebungen in allen Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs) vorgenommen worden. Sie dienten als Grundlage für die Bettenbedarfsplanung im Rahmen der Gesamtplanung deutscher Streitkräfte mit ihrer nach der Wiedervereinigung festgelegten Obergrenze von 370 000 Mann, der eine Reduzierung auf 340 000 Soldaten folgte. Im Ergebnis konnten rund 2 300 Betten ausgeplant werden. Hinsichtlich der Neustrukturierung der Krankenhäuser entschied man sich für ein gemischtes System mit vier größeren Häusern (Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, ferner die BwKrhs Ulm, Berlin und Hamburg) sowie vier sogenannten „156-Betten-Standardkrankenhäusern“ in Bad Zwischenahn, Hamm, Amberg und Leipzig. Alle anderen BwKrhs in Ost und West waren aufzulösen beziehungsweise an einen zivilen Weiterbetreiber zu übergeben.

Mit der Ministerweisung zur „Neuausrichtung der Bundeswehr“ vom 11.10.2000, der im Februar 2001 folgenden „Ressortentscheidung Stationierung“ und der damit verbundenen einsatzorientierten Umstrukturierung wurden die Häuser Amberg, Leipzig und Hamm geschlossen und die Fähigkeiten zur stationären Versorgung auf jetzt fünf Häuser mit rund 1 800 Betten konzentriert, um dem Auftrag der umfassenden sanitätsdienstlichen Versorgung der Soldaten im Frieden, Verteidigungsfall und Einsatz gerecht zu werden.

Mit der Wiedervereinigung kamen auf das Berliner Krankenhaus tiefgreifende Reformen zu, wobei die Aufnahme in den Berliner Krankenhausplan mit 170 Betten am Anfang stand und für die Weiterentwicklung des Hauses von erheblicher Bedeutung war. Der Anteil ziviler Patienten stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an und beträgt nun, bei einem Gesamtbettenumfang von 367, mit mehr als zwei Dritteln die deutliche Mehrheit. Dies ist für die fachliche Fortentwicklung von entscheidender Bedeutung. Bereits 1993 erhielt das Krankenhaus als Zeichen seiner Leistungsfähigkeit den Status eines „Akademischen Lehrkrankenhauses der Charité“. Weitere Schritte zur Integration des BwKrhs in das Gesundheitssystem der Stadt Berlin waren seit 1995 die Teilnahme am Rettungsdienst mit eigenem Notarztwagen sowie die enge Zusammenarbeit mit der Berliner Feuerwehr.

Mit der Aufstellung von Krisenreaktionskräften Anfang der 90er Jahre ergaben sich für den Sanitätsdienst Herausforderungen ganz neuer Art. Die weltweite sanitätsdienstliche Versorgung hochmobiler Einsatzverbände erforderte jetzt einen vollständig neuen Ansatz bei der medizinischen Betreuung der Soldaten. Einsatzmedizin bedeutete nicht mehr Medizin mit eingeschränkten Mitteln, sondern definierte sich als Individualmedizin auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und Technik.

Um diesen Herausforderungen auch fachlich nachkommen zu können, ist seitens der sanitätsdienstlichen Führung damals die Maxime formuliert worden, dass jeder Soldat im Einsatz eine medizinische Versorgung erhält, die im Ergebnis der des Heimatlandes entspricht.

Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung wurden nun zur strukturbestimmenden Aufgabe der Bundeswehr – mit allen Konsequenzen für den Sanitätsdienst und damit auch für die BwKrhs. Dieser Einsatzauftrag war zum bestimmenden Faktor aller BwKrhs geworden. Der Kernauftrag zu jener Zeit beinhaltete eine intensivierte Aus-, Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals, die Abstellung dieses Fachpersonals für die Einsätze sowie die abschließende medizinische Versorgung repatriierter Soldaten.

2006 erhielt das Sanitätsführungskommando den Auftrag, eine Planung für die Überleitung der Krankenhäuser in eine Zielstruktur 2010 zu erarbeiten; ausgehend von einem Berliner Bettensoll von 396 Betten wurde für jede Abteilung eine Soll-Fallzahl erarbeitet, die bis 2010 zu erreichen war. Dabei kamen alle personellen, materiellen und infrastrukturellen Möglichkeiten des Hauses auf den Prüfstand, um die Ausbringung auch neuer Leistungssegmente zu ermöglichen. Beispielsweise wurden die Abteilungen für Orthopädie und Unfallchirurgie zusammengelegt und die Abteilung für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie zu zwei eigenständigen Abteilungen umgegliedert.

Ganz unabhängig vom Einsatzauftrag des Sanitätsdienstes waren für die Umstrukturierung der BwKrhs eine Vielzahl unterschiedlichster Faktoren ausschlaggebend. Parallel zu den weit­reichenden Gesetzesnovellierungen im deutschen Gesundheitswesen – welche unter anderem eine Leistungsverschiebung vom stationären in den ambulanten Sektor bedingen – verzeichnen wir eine zunehmende Verknappung personeller, materieller und finanzieller Ressourcen bei gleichzeitig steigenden Ansprüchen an Umfang und Qualität der medizinischen Leistungen. Und da wir dringend auf die Behandlung von zivilen Patienten angewiesen sind, resultierte auch für den Sanitätsdienst die Notwendigkeit der zeitnahen Um- und Neustrukturierung unserer Krankenhäuser, um konkurrenzfähig zu zivilen Häusern zu bleiben.

Mit der Verschiebung des Schwerpunktes von der Behandlung Angehöriger der Streitkräfte im Frieden und Krieg hin zu einer Ausbildungsorganisation, die einsatzrelevantes Wissen schafft, erhält und vermittelt, steht und fällt die Existenzberechtigung bundeswehreigener Krankenhäuser mit deren Fähigkeit, diesen Auftrag zu erfüllen. Dies ist nur denkbar, wenn hinreichende Fallzahlen relevanten Patientengutes aus dem militärischen und zivilen Umfeld gewonnen werden können, Weiterbildungsermächtigungen an den jeweiligen Häusern eine einsatzrelevante Aus-, Fort- und Weiterbildung erlauben und die Attraktivität der BwKrhs für die Nachwuchsgewinnung erhalten bleibt. Es ist für die Häuser also von existentieller Bedeutung, mit wettbewerbsfähigen Strukturen und Strategien am Markt zu agieren. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Patientenakquise, ohne hierbei die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung zu vernachlässigen. Wie anfänglich bereits erwähnt, wird die Entwicklung der BwKrhs nicht nur durch die medizinischen Möglichkeiten, sondern vor allem auch durch den Auftrag und der Ausrichtung der zu betreuenden Streitkräfte beeinflusst. Mit der Wales Summit Declaration der NATO 2014, den dadurch ausgelösten Neuausrichtungsprozess mit einem entsprechenden Weißbuch 2016 und der daraus folgenden Neukonzeption der Bundeswehr 2018 als bestimmendes Dachdokument zur langfristigen Festlegung der militärischen Verteidigung Deutschlands, ist eine Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung beschrieben worden. Dies bedeutet für unsere Krankenhäuser nicht nur das bisher erreichte qualitative Versorgungsniveau zu halten, sondern sich auch den Anforderungen bei der im Rahmen der Landesverteidigung möglichen Massenversorgung erneut zu stellen. Somit steht das BwKrhs Berlin gemeinsam mit den anderen BwKrhs vor großen Herausforderungen, um dem Auftrag, die sanitätsdienstliche Versorgung der Soldaten in allen Situationen sicherzustellen, nachkommen zu können.

Die BwKrhs sind Teil der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland und unterliegen somit der militärischen Entwicklung und ihren spezifischen Auswirkungen. Gleichzeitig sind unsere Häuser – immer, wenn sie zivile Patienten versorgen – den Entwicklungen im Bereich des zivilen Gesundheitssystems sowie den regionalen Strömungen und Tendenzen unterworfen.

Um auch zukünftig das medizinische Leistungsspektrum auf hohem Niveau anbieten zu können, widmet sich das BwKrhs Berlin mit seinen rund 1 453 Mitarbeitern, aufgeteilt auf 16 Fachgebiete, der Weiterentwicklung der klinischen Fächer im wissenschaftlichen Standard mit Anpassung an die die gesetzlichen Vorgaben sowie dem Ausbau der Kapazitäten im Rettungsdienst.

Das BwKrhs Berlin hat in den drei Jahrzehnten gezeigt, dass es seine Aufträge zu jeder Zeit gemeistert hat und sich so auch den zukünftigen Aufgaben tatkräftig stellen wird. 


Verwandte Artikel

Interleukin-6, Procalcitonin und C-reaktives Protein im Serum können bei stationärer Aufnahme den schweren Verlauf einer COVID-19-Pneumonie vorhersagen

Interleukin-6, Procalcitonin und C-reaktives Protein im Serum können bei stationärer Aufnahme den schweren Verlauf einer COVID-19-Pneumonie vorhersagen

COVID-19 kann einen sehr variablen Verlauf zeigen, von asymptomatischen Infektionen bis hin zu akutem Lungenversagen und Tod.

Wehrmedizinische Monatsschrift 1-2/2024

KINO – Kurs für invasive Notfalltechniken  am Bundeswehrkrankenhaus Berlin

KINO – Kurs für invasive Notfalltechniken am Bundeswehrkrankenhaus Berlin

„Don‘t pump an empty heart“ schreibt das European Resuscitation Council (ERC) in seinen Reanimationsleitlinien 2020/21.

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2022

Phagentherapie bis 2030?

Phagentherapie bis 2030?

Die relevanteste postoperative Komplikation in der Chirurgie ist die Infektion der Operationswunde.

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2022

Meist gelesene Artikel

Photo

Kohäsion

Unter Kohäsion werden der Zusammenhalt und der gemeinsame Zeichenvorrat von Manöverelementen verschiedener Teilstreitkräfte (TSK) bzw. Militärischer Organisationsbereiche (MilOrgBer) verstanden.…