Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Patientenversorgung – das Sanitätsversorgungszentrum Hamburg-Mitte geht neue Wege

Aus dem Sanitätsversorgungszentrum Hamburg-Mitte (Leiter: Flottillenarzt Dr. St. Bär) des Sanitätsunterstützungszentrums Kiel (Leiter: Oberstarzt Dr. H.-P. Diller)

Alltag in Regionalen Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr: Chefwechsel, Personalfluktuation, junge Kolleginnen und Kollegen sowohl im truppenärztlichen als auch truppenzahnärztlichen Bereich. Wie können fachliche Standards, wissenschaftliche Neuerungen und auch deren Umsetzung im Alltag einer regionalen Sanitätseinrichtung an die Frau, an den Mann, sprich an die Sanitätsoffiziere Arzt und Zahnarzt gebracht und gelebt werden?

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Abbildung 1: Typische Haltung bei CMD mit Kopfvorhalteposition, Hyperkyphose der BWS, Hyperlordose der LWS, Beckenkippung nach vorne und veränderte Stellung des Thorax. (1)
Gemeinsame Fortbildungsreihe – eine Idee war geboren

Mit der Übernahme der Leitung des Sanitätsversorgungszentrums Hamburg-Mitte durch Flottillenarzt Dr. Bär entstand die Konzeption und Umsetzung einer gemeinsamen Fortbildungsreihe für Truppenärzte und Truppenzahnärzte. Die Themenauswahl, der bisher gehaltenen Vorträge reichten von der Auswertung Biomonitoring Alter Elbtunnel, Kardioprotektion in der klinischen Praxis, Rückenschmerzen über die Dermatologie in der Hausarztpraxis bis hin zur Interdisziplinären Zusammenarbeit Human- und Zahnmedizin. Die Zertifizierung der Fortbildung erfolgt durch die Ärztekammer Hamburg.

„Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Human- und Zahnmedizin“

Diese scheint auch im Jahr 2019 noch keine regelhafte Selbstverständlichkeit zu sein. Sowohl aus meiner Erfahrung im zivilen Bereich vor meiner Bundeswehrzeit als auch als Sanitätsoffizier Zahnarzt weiß ich, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Kollegen anderer Fakultäten, weitgehend von dem Wissensstand und dem persönlichen Engagement der einzelnen Akteure abhängt – und längst noch nicht in die alltäglichen Arbeitsabläufe der meisten Kollegen und Kolleginnen der jeweiligen Approbationen integriert ist.

So entstand die Idee zu einem Grundlagenvortrag „Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Human – und Zahnmedizin“. Hierbei sollte erstmals der Versuch unternommen werden, Symptome und Diagnosen aus dem Alltag eines Truppenarztes / einer Truppenärztin auf Zusammenhänge mit dem Fachbereich der Zahnmedizin hin zu beleuchten.

Schnittstellen der interdisziplinären Zusammenarbeit

Folgende Schnittstellen zwischen Truppenarzt und Truppenzahnarzt wurden hierbei bisher identifiziert:

  • Trauma
  • Verschiedene Formen des Kopfschmerzes
  • Unklarer Gesichtsschmerz
  • Unklare Augenprobleme
  • Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule
  • Jegliche Art von Kiefergelenksbeschwerden/ muskuläre Schmerzen im Gesicht
  • Focussuche bei Herderkrankungen
  • Fragestellungen im Bereich der HNO
  • Internistische Fragestellungen
  • Betreuung und Begleitung in der Schwangerschaft und Beratung bezüglich des Kleinkindes


Die Aufbereitung der Schnittstellen zeigt ein mannigfaltiges Bild an Beschwerden und Umständen, mit denen ein Truppenarzt, eine Truppenärztin täglich konfrontiert ist und bei denen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den zahnärztlichen Kollegen und Kolleginnen indiziert sein kann. Im Sinne eines synop­tischen Behandlungskonzeptes sollten Kenntnisse, fachübergreifende Zusammenhänge, die Einbeziehung des jeweiligen Fachmannes bzw. der jeweiligen Fachfrau und die Sensibilisierung des Patienten bezüglich der Komplexität miteinander einhergehen.

Das Chamäleon – die Craniomandibuläre Dysfunktion

Die Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist ein Überbegriff für strukturelle, funktionelle und psychische Fehlregulationen der Muskel- oder Gelenkfunktion der Kiefergelenke. Die Symptomatik ist vielschichtig und nicht immer auf den ersten Blick eindeutig. So ist auch die Therapie häufig nur interdisziplinär beschreitbar und oftmals die Zusammenarbeit von Orthopäden, Radiologen, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten und Zahnmedizinern gefordert.

Bei Kopfschmerzen oder Kiefergelenksbeschwerden denken Ärzte wohl noch am ehesten an den Fachbereich Zahnmedizin. Anders sieht es sicherlich bei unklaren Augenproblemen, orthopädischen Beschwerdebildern und Fragestellungen aus dem Bereich der HNO aus.

Zu unklaren Augenproblemen wie (1) gehören z. B.:

  • Flimmern
  • Schlieren vor den Augen
  • Verschwommenes Sehen
  • Trockenes Auge mit Juckreiz
  • Druck auf den Augen
  • Sehverschlechterung


Nachdem ein augenärztlicher Facharztbefund keine pathophysiologischen Ursachen ergeben hat, sollte der Patient zur Abklärung einer Craniomandibulären Dysfunktion einem zahnärztlichen ­Kollegen vorgestellt werden. Häufig verschwinden die Symptome nach physiotherapeutischer Behandlung und Versorgung mit einem adjustierten Aufbissbehelf (1).

Ebenso werden bei Patienten mit einer Craniomandibulären Dysfunktion oftmals mannigfaltige Haltungsstörung symptomatisch (s. Abbildung 1):

  • Kopfvorhalteposition
  • Aufgehobene HWS-Lordose
  • Verstärkte BWS-Kyphose
  • Beckenkippung nach vorne
  • Protraktion der Schulter
  • Verlagerung des Schwerpunktes nach dorsal
  • Leichte Flexion der Knie
  • Oft skoliotische Fehlhaltung oder echte Skoliose
  • Funktionelle Beinlängendifferenz


Eine CMD- Erkrankung kann sich auch hinter vermeintlichen HNO-ärztliche Fragestellungen verbergen. Hier sei der Tinnitus, der Schwindel oder allgemein Ohrenschmerzen ohne fachärztliches HNO-Ergebnis genannt.

Zusammenhänge internistischer Fragestellungen mit der Zahnmedizin

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Abbildung 3.1: Zahnärztlicher Kinderpass Herausgeber Zahnärztekammer Schleswig-Holstein, Referat Prävention
Diabetes mellitus ist eine hoch prävalente Erkrankung in der Weltbevölkerung (3). Deutschland gehört mit 7,6 Millionen Diabetes-Patienten (davon rund 95 Prozent Diabetes Typ 2) zu den zehn Ländern mit der höchsten Anzahl an Diabetikern (4). Diabetes kann zwar behandelt werden, ist aber nicht heilbar und bis heute mit hohen Risiken verbunden: Etwa drei Viertel aller Betroffenen sterben an akuten Gefäßverschlüssen, vor allem am Herzinfarkt, gefolgt von Schlaganfall.

Dass hohe Blutzuckerwerte die Blutgefäße schädigen, ist allgemeinhin bekannt. Sie schädigen somit auch die kleinen Blutgefäße, mit denen das Zahnfleisch durchzogen ist. Die Durchblutung und dadurch auch die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung verschlechtern sich.

Daher sind Patienten mit Diabetes besonders gefährdet, an einer Parodontitis zu erkranken. Umgekehrt begünstigt eine chronische Entzündung, zum Beispiel eine nicht behandelte Parodontitiserkrankung, hohe Blutzuckerwerte.

Da Parodontitisbakterien die Blutgefäße angreifen, können Herzinfarkt und Schlaganfall eine mögliche Folge sein.

Die Parodontitiskeime haben unter anderem die Eigenschaft bestimmte Botenstoffe, wie z. B. Interleukin 1, Tumor-Nekrose-­Faktor (TNF) u. a. in den Blutkreislauf einzuschleusen. In deren Folge verstärken sie Entzündungsreaktionen. Das Risiko einer thromboembolischer Komplikation wird durch dies Entzündungsbotenstoffe gesteigert. Im Vergleich gegenüber einem Gesunden erhöht sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf das 15-fache (2, 5 - 7). Das Schlaganfallrisiko steigt bei einem Parodontitispatienten um das 2-Fache, für Fälle mit tödlichem Ausgang sogar um das 3-Fache (8).

Die gemeinsame Betreuung und Begleitung von Schwangeren

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Abbildung 3.2: Zahnärztlicher Kinderpass Herausgeber Zahnärztekammer Schleswig-Holstein, Referat Prävention
Hier spielt die Parodontitiserkrankung nicht nur im Zusammenhang mit internistischen Fragestellungen eine Rolle, sondern auch bei der Familienplanung und der Schwangerschaft selbst.

Die wissenschaftliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-Mund-und Kieferheilkunde macht u. a. auf den Zusammenhang der Parodontalerkrankung und einem möglichen erhöhten Frühgeburtenrisiko aufmerksam. Daher macht bei dieser Patientengruppe zunächst ein Gynäkologisches Konsil zur Evaluierung eines erhöhten Frühgeburtenrisikos Sinn.

Liegt nach Gynäkologischem Konsil ein erhöhtes Frühgeburtenrisiko vor, sollte vor einer parodontalen Behandlung, bei der es zu einer transienten Bakteriämie kommt, nach Rücksprache mit dem behandelnden Kollegen eine Antibiotikaprophylaxe überdacht werden (9).

Die Zahnmedizin ist eine der wenigen Fachdisziplinen, die einen Menschen von der frühesten Kindheit bis ins hohe Alter begleitet. Daher werden Schwangere und Eltern in der Zahnarztgruppe des Sanitätsversorgungszentrums Hamburg-Mitte auch zu diesem Lebensabschnitt beraten und begleitet.

Karies entsteht als Folge einer Störung des ökologischen Gleichgewichts an der Zahnoberfläche. Die schädigenden Bakterien werden mit dem Speichel der Eltern oder anderer Bezugspersonen auf das Kleinkind übertragen. Daher bietet die Zahnarztgruppe des Sanitätsversorgungszentrum Hamburg-Mitte bereits in der Schwangerschaft zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen und Prophylaxe-Maßnahmen an. Schwangere und werdende Väter und Mütter werden umfassend über Verhaltensregeln bezüg­lich Ernährung, Stillen, Nuckel-Flaschen, Schnuller, Fluodierungsmaßnahmen, Putztechnik beim Kleinkind ab dem 1. Zahn sowie zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen FU 1- FU 3 aufgeklärt.

Mit Unterstützung der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein werden den Eltern in dieser regionalen Sanitätseinrichtung als Informationsmaterial und Untersuchungsheft der zahnärztliche Kinderpass zur Verfügung gestellt.

Ein Sanitätsversorgungszentrum auf dem richtigen Weg

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit setzt bei den einzelnen Behandlern vor allem zwei Anforderungen voraus: Neben der Kenntnis über das Leistungsspektrum anderer Berufsgruppen ist es ebenso notwendig, um die Grenzen des eigenen Leistungsspektrums zu wissen. Hierbei darf es keine Berührungsängste mit anderen Therapeuten geben. Im Interesse des Patienten und dessen Wohl neugierig zu sein und die Bereitschaft über den „Tellerrand“ hinauszuschauen, schafft sowohl Berufszufriedenheit als auch Patientenzufriedenheit.

Die Resonanz auf das Thema interdisziplinäre Zusammenarbeit war sowohl bei den Truppenärzten, Vertragsärzten und Truppenzahnärzten im gegenseitigen Austausch durchweg informativ und positiv. Es zeigte sich, wie viele fachliche Berührungspunkte es im Alltag gibt. Weitere gemeinsame ­Projekte, wie z. B. die Erarbeitung eines gemeinsamen Ablaufschemas bei der ­Versorgung von Traumata im Schädel/Gesichtsbereich, sind angestrebt.

Die synergischen Effekte sollten zum Wohle unserer Patienten und der stetigen Verbesserung in der Patientenversorgung auch zukünftig genutzt und ausgebaut werden. Im Sanitätsversorgungszentrum Hamburg-­Mitte wurde bereits ein Tag nach der Fortbildung ein weiterer Patient durch den Truppenarzt beim Truppenzahnarzt zur Mitbeurteilung vorgestellt…. 

Verfasser:
Flottillenarzt Dr. Gwendolin Sprenger
Leiterin Zahnarztgruppe
Sanitätsversorgungszentrum Hamburg Mitte
Stoltenstraße 13
22119 Hamburg
E-Mail: Gwendolinsprenger@bundeswehr.org 

Datum: 12.08.2019

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2019

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