08.08.2019 •

Auf dem Weg zu einem ­zivil-militärischen Exzellenzzentrum – Von der Idee zur ­Vertragszeichnung

Aus dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Inspekteur: Generaloberstabsarzt
Dr. U. Baumgärtner)

„Die Kooperation zwischen dem operativ ausgerichteten ZentrLuRMedLw und dem wissenschaftlich ausgerichteten Institut des DLR führt zu einer in Deutschland einmaligen Verbindung von Praxis und Wissenschaft, auf Grund derer die Parteien dieser Vereinbarung Vorteile in

  • der wissenschaftlichen Nachwuchsgewinnung
  • der Erweiterung der fachärztlichen Aus- und Weiterbildung
  • einer kostenoptimierten technisch wissenschaftlichen Infrastruktur und
  • in der Stärkung der fachlichen Positionen auf nationaler und internationaler Ebene

erwarten.“

So steht es im Kooperations- und im Infrastrukturvertrag zwischen dem Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw) und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR). Gemeinsam sollen Forschungsvorhaben im Bereich der Luft- und Raumfahrtmedizin durchgeführt werden.

Wie kam es überhaupt zu dieser Kooperation?

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Spatenstich für das gemeinsame Nutzungsobjekt auf dem Gelände des DLR am 6. März 2019
Im Rahmen der Neuausrichtung der Streitkräfte hatte sich 2010 auch bei Generalarzt Luftwaffe (GenArztLw) eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, die sich grundsätzliche Überlegungen für eine Weiterentwicklung der Luft- und Raumfahrtmedizin (LuRMed) machen sollte.

Organisatorisch gab es neben dem GenArztLw, der über eine eigene Dienststelle verfügte, das Flugmedizinische Institut ­(FlMedInstLw) mit Hauptsitz in Fürstenfeldbruck, Beratungselemente und den Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr (FlgÄrztlDstBw) – ein nicht immer konfliktfreies Miteinander.

Eine Vorgabe für die Arbeitsgruppe war, dass die zukünftigen Strukturen auf Stabilisierungsoperationen ausgerichtet und an wenigen Standorten konzentriert werden sollten. Auch der Standort Fürstenfeldbruck mit dem FlMedInstLw stand zur Disposition, und die Arbeitsgruppe war aufgefordert, alternative Überlegungen anzustellen.

Erste Untersuchungen ergaben, dass durch eine Konzentration der Fachaufgaben (LuRMed und FlgÄrztlDstBw) und eine Verortung (GenArztLw und FlMedInstLw) am Standort Köln in ein zu schaffendes Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe Vorteile für die Führungsverantwortung des GenArztLw, einer besseren infrastrukturellen Anbindung für die Eignungsfeststellung und für die Zusammenarbeit mit dem Luftfahrtamt der Bundeswehr erzielt werden könnten. Auch wäre eine engere Kooperation mit dem Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz möglich, um sowohl einen wissenschaftlichen wie auch den personellen Austausch zu ermöglichen.

Zu prüfen war auch, wie die Aufgabe des FlMedInstLw als Ressortforschungseinrichtung der Luftwaffe für den Bereich der ­LuRMed und ihren zugehörenden Teil- und Nachbargebieten (Flugmedizin, Flugpsychologie, Flugphysiologie, Flugtoxikologie, etc.) weiterentwickelt werden könnte. Im Vordergrund sollte weiterhin die Erbringung wissenschaftsbasierter Serviceleistungen und die Durchführung anwendungsorientierter Forschung, u. a. im Bereich der unmittelbaren Auswirkungen und langfristigen Folgen hoher und höchster G-Belastung stehen.

Nach der Evaluation durch den Wissenschaftsrat in den Jahren 2009 und 2012 empfahl dieser dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), die Forschungstätigkeit im Bereich der ­LuRMed zu erhöhen und mit externen Kooperationspartnern auszubauen. Forschung profitiere im besonderen Maße von der Vernetzung wissenschaftlicher Mitarbeiter und der Möglichkeit, in wechselnden Arbeitsgruppenzusammenstellungen unterschiedliche, aber verwandte Themenfelder zu bearbeiten.

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Simulation der Fassade des gemeinsamen Neubaus auf dem Gelände des DLR
Als möglicher Kooperationspartner bot sich das DLR mit seinen Verbindungen zur European Space Agency (ESA) und zur National Aeronautics and Space Administration (NASA) an. Die schon bestehende Kooperation des FlMedInstLw mit dem DLR in einzelnen Forschungsprojekten sollte über die Schaffung und Nutzung gemeinsamer Ressourcen intensiviert werden. Durch Kombination mit den Ressourcen des DLR und dessen hervorragender Vernetzung mit dem Wissenschaftssystem könnte ein erheblicher Potenzialgewinn entstehen. Allein aus der Möglichkeit zu unmittelbarem Erfahrungsaustausch, dem Austausch von Methoden und der gemeinsamen Nutzung von beiderseits vorhandenen Geräten würde ein Gewinn resultieren. Es entstand somit sehr früh die Idee, ein europäisches zivil-militärisches Exzellenzzentrum zu schaffen.

Ermuntert durch die positiven Erfahrungen einer bestehenden Kooperation zwischen dem DLR und der Bundeswehr im Bereich des Weltraumlagezentrums, erfolgten erste Sondierungen mit dem DLR. Die daraufhin eingeleiteten Gespräche mit dem Vorstand des DLR und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bestätigen die gemeinsame Sichtweise zur Ausgestaltung und Zukunftsausrichtung einer Kooperation.

Der Kooperationspartner sah vor allem Vorteile in Anwendungs- als auch in Forschungsbereichen (z. B. unmanned aircraft system, Auswahl- und Trainingsmethoden, Fatigue, Arzneimittel und Fliegen, Sicherheitsforschung, Mensch-Maschine-Interaktion, Robotik und Telemedizin). Mit dem gerade neu entstandenen Forschungslabor „:envihab“ würde modernste Infrastruktur für gemeinsame Forschungen verfügbar sein. Angedacht wurde die gemeinsame Nutzung von Großgeräten, wie z. B. Humanzentrifuge, Höhen-/Klima-Simulationskammer, Magnetresonanztomograph sowie die Kooperation der beiden Aeromedical Center (AeMC). Beide Partner haben sich Vorteile in den folgenden Bereichen erwartet:

  • Erweiterung des Aufgabenspektrums,
  • Erweiterung der wissenschaftlichen Expertise,
  • Erweiterung der flugmedizinischen Aus- und Weiterbildung,
  • Stärkung der Zukunftsfähigkeit,
  • Nutzung von Synergiepotenzialen,
  • Reduzierung von Kosten für technisch-wissenschaftliche Infrastruktur und Betrieb,
  • Stärkung der fachlichen Positionen auf nationaler und internationaler Ebene,
  • Entwicklung eines europäischen zivil-militärischen Exzellenzzentrums.


Die zu erreichenden Meilensteine waren:

  • Planung einer neuen gemeinsamen Infrastruktur mit dem Kooperationspartner,
  • Festlegung der jeweiligen Finanzierungsanteile,
  • Haushaltsmäßige Anerkennung des angepassten Infrastrukturbedarfs des BMVg durch das Bundesministerium der Finanzen (BMF),
  • Erarbeitung eines Kooperationsvertrages,
  • Erstellung einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung,
  • Herbeiführen einer Leitungsentscheidung,
  • Zeichnung des Kooperationsvertrages mit anschließendem Baubeginn der Infrastrukturmaßnahmen.


Da am Bundeswehrstandort Köln einerseits keine geeignete Spezialinfrastruktur (Labore, Werkstätten, eine Simulationsanlage etc.) vorhanden war und somit Bedarf an einem Neubau bestand, andererseits das DLR ebenfalls infrastrukturellen Erweiterungsbedarf hatte, wurde eine gemeinsame Infrastrukturlösung auf dem Gelände des DLR (DLR-Campus) entwickelt. Der militärische Bedarf an allgemeiner Infrastruktur (Stabs-, Betreuungs-, Sport-, Unterkunftseinrichtungen etc.) war hiervon ausgenommen, da dieser durch vorhandene Kapazitäten und durch die Errichtung eines neuen Unterkunftsgebäudes gedeckt werden konnte. Somit waren nach Abschluss der Planungen für die Verlegung der Offizierschule der Luftwaffe die Voraussetzungen gegeben, die Standortentscheidung „Fürstenfeldbruck“ zu treffen.

In Folge führte die Luftwaffe die bisherigen Dienststellen GenArztLw und FlMedInstLw sowie die Aufgaben der Beratungselemente (Aufgaben der Leitenden Sanitätsoffiziere und Divisionsärzte der Luftwaffe) zum ZentrLuRMedLw. Der notwendige Dienstpostenbedarf für das ZentrLuRMedLw konnte mit dem Haushalt verhandelt und der Bedarf für die Spezialinfrastruktur im Rahmen von Ressortverhandlungen durch das BMF geprüft und anerkannt werden.

Nach Vorlage einer umfassenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, der Einplanung der notwendigen Mittel für die Infrastruktur sowie den Umzug und Billigung durch den Staatssekretär wurde ein Kooperationsvertrag zwischen dem ZentrLuRMedLw und dem DLR zur Zusammenarbeit vorbereitet. Für ein möglichst verwaltungsarmes Miteinander sind weitere vertragliche Vereinbarungen über den gegenseitigen Austausch von wissenschaftlichem Gerät, gemeinsame Forschungsvorhaben und die gegenseitige Anerkennung und Verrechnung von erbrachten Leistungen vereinbart worden.

Der Bedeutung dieser Kooperation angemessen, erfolgte am 21. Mai 2014 auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin die Zeichnung des Kooperationsvertrages durch die Bundesministerin der Verteidigung, Frau Dr. von der Leyen und den damaligen Vorsitzenden des Vorstandes des DLR, Herrn Prof. Dr. Wörner. Am selben Tag wurde auch der Infrastrukturvertrag für die Errichtung des gemeinsamen Gebäudes auf dem DLR-Campus gezeichnet.

Mit der Neuausrichtung der Luft- und Raumfahrtmedizin in der Bundeswehr und der Kooperation mit dem DLR sind die Grundlagen für ein „Nationales Kompetenzzentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin“ mit europäischer Ausrichtung und weltweiter Ausstrahlung geschaffen. Wie jede Kooperation mit Anspruch auf Exzellenz, bedarf auch diese des Engagements und der Kreativität seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wir alle sind aufgefordert, hierzu unseren Beitrag zu leisten. 

Abbildungen: bei Verfasser

Verfasser:
Oberstarzt Dr. med. Dipl. oec. med. Jörg Siegfried Ruff
Unterabteilungsleiter II
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Falckensteinkaserne
Von Kuhl Str. 50
56070 Koblenz
E-Mail: JoergRuff@bundeswehr.org 

Datum: 08.08.2019

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2019

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