Die Digitalisierung verändert nahezu alle Lebens- und Arbeitsbereiche – auch die Lebensmittelüberwachung in der Bundeswehr bleibt davon nicht unberührt. In einer Zeit, in der Effizienz, Transparenz und Rückverfolgbarkeit zunehmend an Bedeutung gewinnen, bietet der Einsatz digitaler Technologien eine Vielzahl von Chancen. Von mobilen Inspektions-Apps über automatisierte Datenerfassung bis hin zu modernen vernetzten Analyseverfahren unterstützen digitale Lösungen einen schnellen Informationsaustausch hinsichtlich der Überwachung und Untersuchung der Sicherheit und Qualität von Lebensmitteln.
Doch wie genau gestaltet sich der Wandel, welche Technologien kommen zum Einsatz, welche Vorteile bieten sie den Kontrollbehörden und wie gelingt die Implementierung innerhalb der Bundeswehr ohne den Fokus auf die speziellen Herausforderungen unseres Kernauftrages zu verlieren?
Am Beispiel des derzeit genutzten Softwareprogramms sollen diese Aspekte im Folgenden näher beleuchtet werden.
Bereits in den frühen 2000er Jahren wurde erkannt, dass das Datenmanagement im Bereich der Lebensmittelüberwachung Fähigkeitslücken aufwies und Vorgaben der DIN EN ISO 17020 [1] diesbezüglich nur mit viel Aufwand erfüllt werden konnten. Zum damaligen Zeitpunkt waren die Sanitätskommandos (SanKdo) mit den Dezernaten 5 Veterinärwesen und 6 Lebensmittelchemie/Pharmazie, u. a. zuständige Stellen für die Lebensmittelüberwachung, akkreditiert oder strebten die Akkreditierung nach der DIN EN ISO 17020 an.
Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zu Berichterstattungen, Meldeverpflichtungen oder Auskunftspflichten nach dem Verbraucherinformationsgesetz führten unausweichlich zu einer Digitalisierung der Dokumentation und Datenbereitstellung, da nur so eine zeitnahe Datenübermittlung und eine Vernetzung der zuständigen Stellen auf allen Überwachungsebenen sowie mit den zuständigen zivilen Überwachungsbehörden zu erreichen war. So wurde im März 2007 vom Sanitätsamt der Bundeswehr, der damals fachlich vorgesetzten Stelle der Dezernate 5 und 6, um die Beschaffung eines geeigneten Datenmanagementsystems gebeten, das eine qualitätsgesicherte Aufgabenerfüllung unter anderem im Bereich der Lebensmittelüberwachung zukunftsweisend unterstützt. Im Fokus standen:
die Steuerung der Überwachungstätigkeiten bei amtlichen Kontrollaufgaben unter dem Aspekt des Ressourcenmanagements,
die qualitätsgesicherte Dokumentation aller überwachungsrelevanter Daten,
die Leistungserfassung im Controlling/Reporting,
das einheitliche Verwaltungshandeln in allen Wehrbereichen
und nicht zuletzt das Erfüllen von Meldepflichten nach bundeswehrinternen und zivilen Vorgaben.
Es galt die Insellösungen der verschiedenen Stellen innerhalb der Bundeswehr zu harmonisieren und zum Informations- und Datenaustausch mit der zivilen Überwachung im Sinne einer einheitlichen Datenstruktur nach gültigen Verwaltungsvorschriften (AVV DÜb) [2] zu befähigen. Zu diesem Zeitpunkt verfügten bereits alle Bundesländer in dem Bereich der Lebensmittelüberwachung über das modular aufgebaute Datenverarbeitungssystem BALVI iP [3] oder ein darauf basierendes System der BALVI GmbH. Es erfolgte eine erste Präsentation der Software unter Teilnahme aller für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Stellen. Die Reaktionen spiegelten ein breites Spektrum zwischen Begeisterung und Ablehnung wider. Besonders in den Dezernaten 5 und 6 der SanKdo fielen die Stellungnahmen eher zurückhaltend aus. So wurde festgestellt, dass das akkreditierte Qualitätsmanagementsystem offensichtlich nicht kompatibel sei und „für die Bundeswehr grundlegende Veränderung [...] bedeuten“ würde. Es wurde eher zu einer Ablehnung der vorgestellten Software tendiert. Dies veranschaulicht sehr gut den zentralen Aspekt bei Veränderungsprozessen: es bedarf einer gewissen Aktivierungsenergie, die mit Neuerungen einhergehenden Unsicherheiten und Hemmnisse zu überwinden. Ohne die notwendige Unterstützung der Arbeitsebene geriet das Projekt in eine Stagnation. Es vergingen drei Jahre von der Feststellung der Fähigkeitslücke bis zur Erstellung der qualifizierten Initiative und weitere sechs Jahre bis der nutzerseitigen Initiative stattgegeben wurde.
Auch wenn der Zeitstrahl eine weitere Stagnation erkennen lässt, ist dies auf nicht beeinflussbare äußere Faktoren zurückzuführen. Mit Verfügbarkeit der Haushaltsmittel und Abschluss der Verträge konnte BALVI iP und BALVI mobil innerhalb von nur 14 Monaten inklusive der bundeswehrspezifischen Anpassungen in den Produktivbetrieb übernommen werden. Diese herausragende Leistung konnte nur dadurch erreicht werden, indem die ehemals eher zur Skepsis neigenden Stellen eng in den Prozess eingebunden wurden. Damit wurde die Voraussetzung für eine papierlose Lebensmittelüberwachung geschaffen.
Mit der eingeführten Software können auf mobilen Endgeräten Kontrollen und Probeentnahmen vor Ort erfasst werden. Über die Synchronisation mit dem entsprechenden Fachmodul der Lebensmittelüberwachung werden die Daten zum Austausch mit dem Laborinformationssystem zur Verfügung gestellt. Mit der künftigen Ausstattung mobiler Hardware erreichen die Probenahmedaten noch vor der Probe das Untersuchungslabor. Dies ermöglicht eine nahtlose digitale Dokumentation behördlicher Überwachung nach den Vorschriften des Lebensmittelrechts. Risikobasierte Planung und Steuerung der Überwachungstätigkeiten, qualitätsgesicherte Datenhaltung sowie die Datenweitergabe bundeswehrintern werden ermöglicht und zum Teil automatisiert. BALVI bietet damit ein deutliches Potenzial zur Effizienzsteigerung.
War nun die Lebensmittelüberwachung der Bundeswehr mit Aufnahme des Produktivbetriebs von BALVI iP 2021 in der Zukunft angekommen? Die Antwort ist ein klares JEIN. Weder standen die notwendigen mobilen Endgeräte direkt zur Verfügung noch ist die Softwareentwicklung in diesem Bereich seit der Beantragung stehen geblieben. Bereits in den 2010er Jahren waren im zivilen Bereich der Überwachung weitere Entwicklungen zu beobachten. Studien hatten gezeigt, dass zwar die Digitalisierung vorangeschritten war, der Austausch von Informationen sich jedoch weiterhin schwierig gestaltete. Dies wurde im Wesentlichen auf eine redundante Datenhaltung der verschiedenen Ebenen zuständiger Überwachungsbehörden und inhomogene Datenstrukturen zurückgeführt. Als Grundlage für die umfassende Neugestaltung einheitlicher Datenstrukturen wurde 2010 die AVV DatA [4] verabschiedet. Es zeichnete sich ab, dass damit die Struktur von BALVI iP veraltet sein würde, weshalb die Konzeption und Entwicklung von BALVI iP2 unter Berücksichtigung der neuen Datenstrukturen angestoßen wurde. Die Idee von einer zentralen, ebenenunabhängigen Datenhaltung in einem Datawarehouse, einem zentralem Informationsmanagement, das direkte Schnittstellen zu den vielen verschieden Datenquellen, wie den Laborinformationssystemen aber auch externen EU-Systemen und sonstigen Datenquellen Wirtschaftsbeteiligter zur Verfügung stellt, verfestigte sich. Schließlich wurde 2019 die Etablierung einer zentralen IT-Architektur (ZITA gV) [5] durch die Verbraucherschutzministerkonferenz beschlossen und die Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz bekam den Auftrag zur Erstellung eines Gesamtkonzeptes. Es soll eine bundesweite Integrität von Daten der amtlichen Überwachung, eine Reduktion von Mehrfacherfassungen sowie die verbesserte Steuerungs- und Handlungsfähigkeit im Ereignis- und Krisenfall erzielt werden. Gerade dieser Aspekt trifft einen neuralgischen Punkt der bundeswehrinternen Lebensmittelüberwachung. Als Teil der Force Health Protection, dem Vorbeugenden Gesundheitsschutz im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, und eines One-Health-Ansatzes setzt sich auch der Bereich der Lebensmittelüberwachung mit der aktuellen sicherheitspolitischen Lage und der damit verbundenen Zeitenwende auseinander. Es ist folglich nicht nur die Pflicht zur öffentlich-rechtlichen Aufgabenwahrnehmung, die es erfordert Teil dieses Netzwerkes zu sein, sondern auch das Erfordernis der Wehrhaftigkeit. Die Gesunderhaltung jedes einzelnen Soldaten bestimmt unseren Kernauftrag. Wenn agil Entscheidungen über alternative Verpflegungsmöglichkeiten getroffen werden müssen, können Auditberichte bei Lebensmittelunternehmen direkt vor Ort digital erfasst, innerhalb kurzer Zeitlinien versandt und in den Entscheidungsfindungsprozess eingebunden werden. Die Vernetzung mit ZITA gV bietet die Möglichkeit Daten für ein verdichtetes Lagebild in beide Richtungen sowohl im zivilen als auch im militärischen Sektor zur Verfügung zu stellen. Lebensmittelunternehmer, die bereits nach bestimmten Branchenstandards zertifiziert sind, die Food Defence berücksichtigen und damit dem NATO Standard AMedP 4.12 „Food and water defence“ genügen, können schneller identifiziert werden.
Es bleibt festzuhalten, auch wenn zu Beginn eines unaufhaltsamen Digitalisierungsprozesses das Nutzen-Aufwandsverhältnis nicht akzeptabel erscheint, so bietet dieser Chancen. Chancen, die durch frühzeitiges Einbinden der Stakeholder und durch Auswertung der Lessons Learned erst ermöglicht werden. Chancen auf eine aktive Mitgestaltung darüber, wie sich die Lebensmittelüberwachung, als essentieller Bestandteil des Unterstützungsbereichs, auch in Zukunft den besonderen Herausforderungen stellen wird.
Nachweise
1. DIN EN ISO/IEC 17020 „Konformitätsbewertung – Anforderungen an den Betrieb verschiedener Typen von Stellen, die Inspektionen durchführen“
2. AVV Düb - Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Übermittlung von Daten aus der amtlichen Überwachung nach lebensmittelrechtlichen und weinrechtlichen Vorschriften sowie aus dem Lebensmittel-Monitoring vom 04.10.2005
3. BALVI iP (Bundeseinheitliche Anwendung für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen – integriertes Programm) ist ein Softwaresystem u. a. zur behördlichen Überwachung im Lebensmittelbereich. Das Programm integriert die gesetzlich definierten Überwachungsbereiche der Lebensmittelüberwachung in Form einzelner Programmmodule, die auf denselben standardisierten Daten arbeiten.
4. AVV DatA – Allgemeine Verwaltungsvorschrift über den Austausch von Daten im Bereich der Lebensmittelsicherheit und des Verbraucherschutzes vom 15.12.2010
5. Zentrale IT-Architektur gesundheitlicher Verbraucherschutz
Wehrmedizin und Wehrpharmazie Ausgabe 4/2024
Oberstabsapotheker J. Weber
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
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