23.11.2018 •

Valide Erfassung und Dokumentation der körperlichen Fitness – Voraussetzung zur Neukonzeption von Grundausbildung und Einsatzvorbereitung

Dieter Leyk¹, ², Ulrich Rohde¹
¹ Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach
² Deutsche Sporthochschule Köln, Köln

Mangelnde körperliche Fitness und Übergewicht erhöhen massiv das Risiko für einen Hitzezwischenfall [1, 2, 14]. Bei übergewichtigen untrainierten Rekruten lagen die „Odd Ratios“ für das Auftreten einer Hitzeerkrankung bei fast 8 [1]. Unabhängig von Hitzezwischenfällen gehören die körperliche Leistungsfähigkeit und der Gewichtsstatus zu den wichtigsten Prädiktoren für Verletzungen und Erkrankungen im Rahmen der militärischen Ausbildung [5, 6, 13, 16, 23].

Fitness und Belastbarkeit von Rekruten

Neben diesen gesundheitlichen Aspekten entwickelt sich die unzureichende Fitness und Belastbarkeit vieler junger Erwachsener für die Streitkräfte zu einem wachsenden Ausbildungsproblem, da mittlerweile Rekrutinnen und Rekruten den Anforderungen in der Grundausbildung häufig nicht mehr genügen [7, 15, 17]. Durch die in allen Lebensbereichen zunehmende Technisierung und die veränderten Alltagsgewohnheiten ist es zu einer enormen Reduktion von körperlichen Aktivitäten in der Bevölkerung gekommen, was sich besonders negativ auf die körperliche Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen auswirkt [10, 15, 22]. Daher ist es kaum erstaunlich, wenn der Anteil von übergewichtigen und untrainierten Rekruten weiterhin steigen wird. Die Einsatzrealität (mit den höheren Belastungen und Anforderungen) hat dem gegenüber aber dazu geführt, dass die Höhe der Ausbildungsziele zugenommen hat. Gleichzeitig ist es durch diverse Auflagen und Bestimmungen zu einer Reduzierung der Ausbildungsstunden gekommen [17].

Notwendigkeit einer individualisierten Ausbildung

Angesichts der hohen Ausbildungsziele, der abnehmenden Fitness von jungen Erwachsenen und dem erheblichen Zeitdruck in der Ausbildung liegt es auf der Hand, dass neue individualisierte Trainingskonzepte notwendig sind, die hinsichtlich des vorhandenen Leistungsstandes differenzieren und ein effizienteres militärisches Training ermöglichen. Voraussetzung für individualisierte Ausbildungskonzepte ist aber eine zuverlässige Erfassung der körperlichen Leistungsfähigkeit (KLF). Hierzu wurden von der zuständigen Ressortforschungseinrichtung, dem Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw), im Verbund mit anderen Kooperationspartnern valide leistungsdiagnostische Verfahren entwickelt, die für den zeit- und ressourcenoptimierten Einsatz in der Bundeswehr konzipiert wurden [3, 4, 11, 12, 18, 21].

Streitkräftegemeinsame Überprüfung der KLF

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Abb. 1: Stufenmodell des Trainings der KLF in der Bw (Zentralvorschrift A1 - 224/0 - 1 Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit); die ersten beiden Stufen Basisfitness und Soldatengrundfitness sind streitkräftegemeinsam von allen Soldatinnen und Soldaten zu erreichen.
Für militärische Einsätze sind das Herstellen und Aufrechterhalten einer angepassten körperlichen Leistungsfähigkeit (KLF) unerlässlich. Selbstverständlich ist es deshalb erforderlich, das Erreichen der Ausbildungsziele mit validen Verfahren zu überprüfen und belastbare Daten zur Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten zu gewinnen [18]. Grundlage für die streitkräftegemeinsame Überprüfung der KLF ist die Zentralvorschrift A1 - 224/0 - 1 der Bundeswehr. Hier werden modellartig drei aufeinander aufbauende Fitnessstufen „Basisfitness“, „Soldatengrundfitness“ und „Funktionsfitness“ definiert (Abbildung 1). Zur Leistungsüberprüfung der ersten beiden streitkräftegemeinsamen Stufen muss jeder Soldat und jede Soldatin einmal jährlich verpflichtend den Basis-Fitness-Test sowie den 6-Kilometer-Marschtest und das 100-m-Kleiderschwimmen oder das 200-m-Schwimmen erfüllen. Die tätigkeitsbezogene „Funktionsfitness“ orientiert sich an den besonderen körperlichen Anforderungen des entsprechenden Dienstpostens bzw. der Verwendung und wird nicht streitkräftegemeinsam erfasst.

Militärische Fitness – „Soldaten-Grundfitness-Tool“ (SGT)

Auf der Ebene Soldatengrundfitness steht außerdem das Ausbildungssteuerungsinstrument „Soldaten-Grundfitness-Tool“ (SGT) zur Verfügung (Link zum Downloadbereich der Sportschule Warendorf: https://bit.ly/2vtDyWz[1]) . Es wurde auf Basis umfassender Tätigkeitsanalysen entwickelt und – wie der BFT – erfolgreich hinsichtlich der Testgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität evaluiert [3, 4, 18 - 21]. Es wird auf einem Parcours (55 m x 10 m) im Freien mit Feldanzug, Helm und ballistischer Weste Schutzklasse IV (Gesamtgewicht 20 kg) durchgeführt und kombiniert einsatztypische Aufgaben (Bewegen im Gelände mit persönlicher Schutzausrüstung, Personenrettung, Heben und Tragen von Lasten).

Neukonzeption der Grundausbildung

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Abb. 2: Rekrutinnen und Rekruten in der Grundausbildung bei der Ausbildung auf der Hindernisbahn; die nachlassende körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerberinnen und Bewerber macht neue individualisierte Trainingskonzepte notwendig. (Bild: InstPrävMedBw)
Mit BFT und SGT verfügt die Bundeswehr über aufeinander abgestimmte Diagnostikverfahren, deren großer Wert sich aktuell bei der Neukonzeption der Grundausbildung zeigt. Diese wird vom Heer im Rahmen der Pilotstudie „Steigerung der KLF vom ersten Tag an – Neustrukturierung der Grundausbildung im Heer“ verfolgt, die vom Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw) wissenschaftlich begleitet wird (Abbildung 2). Ähnlich wie in Skischulen, die ihre Schüler nach einer kurzen Testabfahrt häufig in drei Kategorien (Anfänger, Fortgeschrittene und Könner) differenzieren, wurden in der Pilotstudie die Rekruten anhand der BFT-Ergebnisse in drei Leistungsgruppen eingeteilt, um ein effizienteres und adressatengerechteres Training zu ermöglichen.

Die vorgenommene Gruppeneinteilung kann allerdings nur ein erster Schritt sein. Um nachhaltig und in der Fläche eine Verbesserung der individuellen Fitness in der Grundausbildung zu erreichen, ist u. a. die Anpassung und Erprobung trainingsmethodischer Konzepte erforderlich, die auf die unterschiedlichen Leistungsgruppen ausgerichtet sind. Genauso wichtig ist es, die Qualifikation der Ausbilder zu verbessern und hauptamtliche Sportausbilder einzusetzen, die über solide leistungs- und trainingsphysiologische Kenntnisse verfügen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Trainierbarkeit und Belastbarkeit von militärisch Auszubildenden, die als Nichtsportler ihren Dienst in der Bundeswehr antreten.

Belastbare Daten für Ausbildung und Einsatz

Ebenso selbstverständlich muss es werden, Leistungstests zur Trainingssteuerung zu nutzen, das Erreichen der Ausbildungsziele zu überprüfen und auf diese Weise belastbare Daten zur Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten zu gewinnen [9]. Die in der Bundeswehr regelmäßig durchgeführten Leistungsüberprüfungen werden bislang jedoch nicht zu einer Lagebilderstellung genutzt, obwohl damit eine qualifizierte Beratung militärischer und ziviler Entscheidungsträger möglich wäre. Daher wird der zeitnahe Aufbau eines „Fitness-Registers für Ausbildung und Einsatz“ empfohlen [9]. Aus präventivmedizinischer Sicht sollten in dem „Fitness-Register“ mit dem BMI und dem Taillenumfang unbedingt noch zwei von der WHO empfohlene Gesundheitsparameter aufgenommen werden. Ein entsprechend aufgebautes „Fitness-Register“ könnte damit auch zur Gesundheitsförderung von Soldatinnen und Soldaten genutzt werden und das betriebliche Gesundheitsmanagement in der Bundeswehr unterstützen [7, 8].

Literatur

  1. Bedno SA, Urban N, Boivin MR, Cowan DN: Fitness, obesity and risk of heat illness among army trainees. Occup Med 2014; 64 (6): 461 - 467.
  2. Gaffin SL, Hubbard RW: Pathophysiology of heatstroke. In: Pandolf KB and Burr RE (eds.): Textbooks of Military Medicine Volume 1: Medical Aspects of Harsh Environments. Falls Church: Office of the Surgeon General 2001; 161 - 208.
  3. Hackfort D, Leyk D, Hahmann P, et al.: Psychophysische Leistungsfähigkeit und militärische Fitness vor dem Hintergrund der Einsatzerfordernisse und des Leistungszustandes der Soldatinnen und Soldaten (Abschlussbericht zum Verbundforschungsprojekt M/GSP0/BA014/BA914). „Psychophysische Anforderungen Military Fitness“. Bonn.
  4. Hackfort D, Leyk D, Scherer H-G: Psychophysische Leistungsfähigkeit und militärische Fitness vor dem Hintergrund der Einsatzerfordernisse und des Leistungszustandes der Soldatinnen und Soldaten (Abschlussbericht zum Verbundforschungsprojekt – Psychophysische Anforderungen Military Fitness II). Bonn.
  5. Kaufman KR, Brodine S, Shaffer R: Military Training-Related Injuries: Surveillance, Research, and Prevention. Am J Prev Med 2000; 18 (Supplement 3): S54–S63.
  6. Knapik JJ: Influence of an injury reduction program on injury and fitness outcomes among soldiers. Inj Prev 2004; 10 (1): 37 - 42.
  7. Leyk D, Franke E, Hofmann M, et al.: Gesundheits- und Fitnessförderung in der Bundeswehr. Von ressourcenorientierter Präventionsforschung zur Umsetzung in die Fläche. Wehrmed Mschr 2013; 57 (7): 162 - 166.
  8. Leyk D, Harbaum T, Schoeps S: Warum bleiben Menschen gesund und leistungsfähig. Ein wichtiger Forschungsbereich des künftigen Institutes für Präventivmedizin der Bundeswehr. Wehrmed Wehrpharm 2016; 16 (4): 93 - 94.
  9. Leyk D, Rohde U, Harbaum T, Schoeps S: Körperliche Anforderungen in militärischen Verwendungen: Votum für ein „Fitness-Register Ausbildung und Einsatz“. Wehrmed Mschr 2018; 62 (1 - 2): 2 - 6.
  10. Leyk D, Rüther T, Witzki A, et al.: Physical fitness, weight, smoking and exercise patterns in young adults. Dtsch Ärztebl Int 2012; 109 (44): 737 - 745.
  11. Leyk D, Witzki A, Gorges W, et al.: Körperliche Leistungsfähigkeit, Körpermaße und Risikofaktoren von 18 - 35-jährigen Soldaten: Ergebnisse der Evaluierungsstudie zum Basis-Fitness-Test (BFT). Wehrmed Mschr 2010; 54 (11 - 12): 278 - 282.
  12. Leyk D, Witzki A, Gorges W, et al.: The Basis-Fitness-Test (BFT) and it’s data-management system: A new tool to monitor physical fitness and to analyse performance predictors. In: Häkkinen K, Kyröläinen H, Taipale R (eds.): Proceedings of the 2nd International Congress on Soldiers’ Physical Performance. Jyväskylä: University of Jyväskylä, Finnish Defence Forces 2011; 221.
  13. Mikkola I, Jokelainen JJ, Timonen MJ, et al.: Physical activity and body composition changes during military service. Med Sci Sports Exerc 2009; 41 (9): 1735 - 1742.
  14. Moore AC, Stacey MJ, Bailey KGH, et al.: Risk factors for heat illness among British soldiers in the hot Collective Training Environment. J R Army Med Corps 2016; 162 (6): 434 - 439.
  15. NATO: TR-HFM-178: Impact of lifestyle and health status on military fitness. Final report of task group HFM-178. https://bit.ly/2MTuKmO (last accessed on 28 August 2018).
  16. Packnett ER, Niebuhr DW, Bedno SA, Cowan DN: Body mass index, medical qualification status, and discharge during the first year of US Army service. Am J Clin Nutr 2011; 93 (3): 608 - 614.
  17. Persikowski L: Zielsetzung und Rahmenbedingungen militärischer Ausbildung am Beispiel der Offiziersausbildung im Heer. Wehrmed Mschr 2018; 62 (10): 356 - 357.
  18. Rohde U, Rüther T, Leyk D: Überprüfung körperlicher Leistungsfähigkeit in der Bundeswehr. Verfahren und Perspektiven. Wehrmed Wehrpharm 2016; 16 (4): 101 - 104.
  19. Rohde U, Rüther T, Leyk D: Basic Military Fitness Tool (BMFT): A reliable field uniform-test for performance prediction of strength-related common military tasks. J Sci Med Sport 2017; 20 (Supplement 2): S170.
  20. Rohde U, Rüther T, Leyk D: Basic military fitness: Validation of a pre-de-ploy-ment assessment tool. J Sci Med Sport 2017; 20 (Supplement 2): S78-S79.
  21. Rohde U, Sievert A, Rüther T, Witzki A, Leyk D: Concept for a predeployment assessment of basic military fitness in the German armed forces. J Strength Condit Res 2015; 29 (11 (Supplement to November 2015)): S211-S215.
  22. Santtila M, Kyröläinen H, Vasankari T, et al.: Physical fitness profiles in young Finnish men during the years 1975 - 2004. Med Sci Sports Exerc 2006; 38 (11): 1990 - 1994.
  23. Zambraski EJ, Yancosek KE: Prevention and rehabilitation of musculoskeletal injuries during military operations and training. J Strength Condit Res 2012; 26 (2 Supplement): S101–S106.


Oberstarzt Prof. Dr. Dieter Leyk
E-Mail: dieterleyk@bundeswehr.org



[1] Der Link ist nur im Intranet der Bundeswehr nutzbar.



Datum: 23.11.2018

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