SURGISTIK
ERWEITERTES EINSATZCHIRURGISCHES DENKEN
Vorgeschobene chirurgische Einheiten der Bundeswehr müssen sowohl taktisch als auch strategisch gut ausgebildet sein, um in temporär autarken militärischen Systemen auch unter widrigen Rahmenbedingungen und mit eingeschränkten Ressourcen ihren medizinischen Auftrag bestmöglich erfüllen zu können.
Mit den Herausforderungen des strategisch orientierten chirurgischen Denkens beschäftigt sich die „Surgistik“.
Einleitung
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist international hochangesehen. Dazu gehört, dass qualitativ hochwertige medizinische Versorgung im Einsatz auch unter widrigen Bedingungen vorgehalten wird. Die deutsche Militärmedizin hat sich in Anpassung an die Erfordernisse der gegenwärtigen Einsatzwirklichkeit innerhalb nur einer Dekade rasant weiterentwickelt und verbessert. In den letzten Jahren konnten deutsche Einsatzmediziner reichhaltige Erfahrungen sammeln. Im eigenen Fachgebieten und interdisziplinär schlossen sich daher auch konzeptionelle Überlegungen an, weil man bereits frühzeitig erkannte, dass die Einsatzerfordernisse eine in Deutschland nicht etablierte besondere Ausbildung notwendig machen. Eine wichtige Kernkompetenz der Einsatzmedizin ist die Chirurgie. Das erforderliche Profil eines kompetenten Einsatzchirurgen stellt sich trotz der bereits erreichten Erfolge weiterhin verbesserungsfähig dar. Die damit verbundenen Herausforderungen sind längst erkannt und die konzeptionell Verantwortlichen streben unermüdlich optimierte Ausbildungskonzepte an, um der Ausbildung von Einsatzchirurgen der nächsten Generation Rechnung zu tragen.
Taktik und Strategie
Das Militär unterscheidet zwischen Taktik und Strategie. Nach General von Clausewitz ist Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht. Strategie hingegen ist die Lehre vom Gebrauch der einzelnen Gefechte zum Zweck des Krieges. Diese Unterscheidung ist auch auf chirurgisches Denken und Handeln übertragbar. Durch eine gute Militärtaktik wird ein Gefecht gewonnen. Durch eine gute chirurgische Taktik wird einem Patienten das Leben gerettet. Der gute Militärstratege entwickelt einen zielorientierten Handlungsrahmen, um sein militärisches Gesamtziel zu erreichen. Gutes strategisches Denken im „einsatzchirurgischen Team“ hilft der Erfüllung der kompletten militärischen und medizinischen Mission.
Chirurgische Taktik
Aus Sicht der gegenwärtigen Weiterbildungskonzeption der Einsatzchirurgie erfolgte zunächst die Etablierung einer konzentrierten Ausbildung in taktischer Chirurgie, welche sich auf fachübergreifende operative Maßnahmen am Individuum fokussierte. Hierzu zählt insbesondere die Ausbildung in der sogenannten Damage Control Surgery (DCS) mit definierten notfallchirurgischen Kompetenzen in allen operativen Fächern. Die Folgen scharfer Gewalt nach Stich-, Schuss- und Splitterverletzungen erfordern detailliertes Wissen auch in komplementären operativen Fächern, da diese Art der Verletzungen und deren Auswirkungen sich nicht auf die uns bekannten anatomischen und physiologischen Grenzen beschränken. Individualmedizinisch motivierte Damage Control Surgery ist die letzte Instanz vor dem Tod eines Patienten in extremis.
Es ist klar, dass die in der Damage Control Surgery gelehrten Notfallkompetenzen nie auf ein exakt zu definierendes Niveau standardisiert werden können. Ein gefäßchirurgisch ausgebildeter und geübter Chirurg wird eine andere Operationstaktik an einem Patienten anwenden, als ein im Umgang mit Gefäßen weniger versierter Chirurg. Die definitive Reparation eines verletzten Gefäßes wird sicher und souverän unter Umständen auch im Damage Control-Modus durch einen Gefäßchirurgen beherrscht, während die Option einer Definitivversorgung für einen weniger Geübten nicht in Frage kommt. Dieser muss sich mit provisorischen Lösungen zu behelfen wissen. Dieses Beispiel kann auf unterschiedliche Organsysteme und unterschiedlichen Fertigkeiten des Individuums „Chirurg“ in den verschiedensten Szenarien in der Behandlung eines Patienten übertragen werden. Fundierte Kenntnisse chirurgischer Taktiken sind unerlässlich, um auch in unübersichtlichen und unvorhersehbaren Situationen individualmedizinisch souverän agieren zu können. Dies bedeutet neben der Kenntnis klassischer Schlüsselmanöver auch improvisierend die dem Augenblick und der Situation angepassten speziellen Kniffe ideenreich anwenden zu können. Angloamerikanisch heißt hier die Devise: Find the balance between performance and perfection. Diese Fähig- und Fertigkeiten der Notfallchirurgie am Individuum werden in speziellen internationalen und nationalen Damage Control Surgery-Kursen ausgebildet und geübt. In der Realität werden diese Kenntnisse auch in der individualchirurgischen Versorgung polytraumatisierter Patienten in Deutschland angewendet.
Die Arbeit in einem Schockraum eines deutschen Traumazentrums sowie die anschließend erste operative Phase sind allerdings nicht geeignet, Fähigkeiten außerhalb der bereits oben beschriebenen individualmedizinischen Taktiken zu erlernen oder zu vertiefen. Der Chirurg wird dort seine gesamten Kenntnisse, Energie und Zeit ohne wesentliche Ressourcenbegrenzung auf ein Individuum anwenden und nicht in die Verlegenheit kommen, strategisch denken zu müssen. Dynamische Lageänderungen werden ihn nur sehr selten zwingen, seine getroffenen Entscheidungen zu überdenken. Davon unberührt bleiben selbstverständlich Umstände, die aufgrund der fachspezifischen interdisziplinären Einschätzung und des Wissens um die Dynamik vieler Prozesse auch in Deutschland immer wieder enge Absprachen erforderlich machen.
Selbst bei einem potentiellen ereignisbezogenen Massenaufkommen von Verletzten in Deutschland werden chirurgische Personalund Materialressourcen allenfalls in der unmittelbar ersten Phase limitierend sein. Rein organisatorische Aufgaben werden zudem häufig durch Kollegen der Anästhesie übernommen.
Das Verhältnis Retter zu Verletzten ist in einem deutschen Schockraum zumindest sechs zu eins. Allerdings stellt sich bei militärischen Massenanfall-Situationen im Einsatz (MASCAL = mass casualty situations) das Retter- Verletzten-Verhältnis umgekehrt dar. Kleine und weitgehend autark operierende chirurgische Einheiten können sich schon bei einem Anfall von mehr als zwei Patienten mit einer MASCAL-Situation konfrontiert sehen.
Chirurgische Strategie
Nicht nur asymmetrische Kriegsführung und terroristische Aktivitäten in den Einsatzgebieten der Bundeswehr, sondern auch künftige Konfrontationsszenarien aller alliierten Streitkräfte erfordern auch für den deutschen Einsatzchirurgen eine weitere ergänzende Schüsselkompetenz. Analog zum Leitenden Notarzt müssen auch Chirurgen vorbereitet sein, die Individualmedizin zu verlassen, um auf chirurgischem Gebiet bei Vorliegen einer Vielzahl von Patienten bestehen zu können.
Temporär autarke Systeme sind Einsatzmedizinern der Bundeswehr gut bekannt. Auch für Einsatzchirurgen sind strategische Überlegungen unabdingbare Realität geworden. Beispiele hierfür gibt es reichlich.
Exemplarisch für ein auf sich gestelltes chirurgisches Versorgungselement kann das Marineeinsatzrettungszentrum (MERZ) an Bord des Einsatzgruppenversorgers, z. B. im Rahmen einer maritimen Spezialkräfteoperation, angeführt werden (Abb. 1).
Mehrfach wurden auch landgestützte hochmobile Sanitätseinrichtungen in den Einsatzgebieten der Bundeswehr in die Fläche verlegt, um eine zeitnahe Erstversorgung der auf dem Gefechtsfeld verwundeten Soldaten zu gewährleisten. Diese Einheiten müssen auch die Fähigkeiten besitzen, temporär mit minimalem Personal- und Materialdispositiv qualitativ hochwertige Damage Control Recusitation (DCR) und Damage Control Surgery (DCS) durchführen zu können (Abb. 2).
Surgistik
Um als guter Einsatzchirurg wirken zu können, muss die rein taktische Individualmedizin durch weitere Fähigkeiten und Kenntnisse ergänzt werden, die in der Realausbildung zurzeit noch einen geringen, nicht fest etablierten Stellenwert einnehmen. Neben der operativen Taktik spielen in der Gesamtversorgung von Patienten in einem nahezu geschlossenen System auch strategische Fähigkeiten eine entscheidende Rolle. Die Individualmedizin muss auf eine besondere Art auf eine Systemmedizin erweitert werden. Dieser zu vermittelnden Fähigkeit widmet sich die Surgistik.
Surgistik ist die chirurgische Lehre der ganzheitlichen Organisation, Steuerung und Optimierung der zeitlichen Personenströme in einem medizinischen System unter dynamischer Berücksichtigung der verfügbaren materiellen und personellen Mittel. Die einfache Kernfrage hierbei lautet: „Wer macht was mit wem, warum und womit, wann und wo?“
Jeder erfahrene Einsatzchirurg sollte diese strategische Frage beantworten können, weil er sich zwangsläufig im Laufe seines beruflichen Daseins mit diesen Herausforderungen intensiv auseinandersetzen muss. Er wird sie auf der Grundlage seiner Erfahrungen für sich selbst möglicherweise als banal empfinden, aber eingestehen müssen, sich diesen Schatz des Wissens erst im Laufe seines realen Chirurgenlebens angeeignet zu haben.
Das Ziel der Surgistik besteht darin, bereits dem in Ausbildung befindlichen Einsatzchirurgen ein Werkzeug und Grundstock im Denken an die Hand zu geben. Dieses Vermitteln von Kenntnissen erspart dem Schüler zwar eigene bittere Erfahrungen nicht, aber er wird angehalten, bereits früh ein Bewusstsein der Demut zu entwickeln, dass „Einsatzchirurg sein“ nicht einfach bedeutet, heroisch individualmedizinisch lebensrettende Notfalloperation durchzuführen. Er plant und koordiniert zunächst in erster Linie gemeinsam mit seinem Team Diagnostik- und Behandlungsprozesse. Auch nicht-chirurgisch denkendem Führungspersonal und unabhängigen Dritten sollte bewusst sein, dass der Platz eines Einsatzchirurgen nicht primär das Operationszelt ist. Chirurgisches Denken und Handeln im Einsatz ist komplex.
Spezialisierter medizinischer Teamaufbau
Ein Einsatzchirurg alleine ist in der Regel handlungsunfähig. Er wirkt immer in einem Team. Die kleinste personelle Einheit eines chirurgischen Teams besteht mindestens aus einer Handvoll Spezialisten mit unterschiedlicher Expertise des Einzelnen und ist nicht mehr teilbar. Es beinhaltet im klinischen Kern eine anästhesiologische und eine chirurgische Komponente. Die Gruppe wird obligat durch eine logistische und militärische Komponente ergänzt. Jedes Einzelindividuum dieses Personalkerns ist für sich alleine wirkungslos. Das gesamte Kernteam ist wiederum nur ein Element eines übergeordneten medizinischen Verbandes. Ohne Evakuierungsmittel und zeitnah erreichbare höherwertige Behandlungseinrichtungen wird die beste Strategie und Taktik scheitern.
Dieses Team sollte speziell ausgebildet sein und über eine entsprechende Geisteseinstellung unter dem Prinzip der absoluten Freiwilligkeit und Einsatzbereitschaft verfügen. Es muss aus innerer Überzeugung heraus seinem Auftrag gerecht werden wollen. Unter misslichen Rahmenbedingungen optimale Ergebnisse zu erzielen ist nicht befehlbar. Die exakte Definition und das Zusammenführen des Kerns eines derartigen Teams bleibt eine logistische und menschliche Herausforderung.
Nicht jeder erfahrene, über zwanzig Jahre hinweg ausgebildete Chirurg der Bundeswehr in leitender Funktion sieht seine Uraufgabe in der Bereitstellung seines Könnens unter widrigsten Bedingungen. Diese Gruppe unserer Einsatzmediziner ist davon unabhängig in der Ausbildung ein wertvolleres Gut. Man darf außerdem nicht vergessen, dass wir in Deutschland nahezu unabkömmliche, vernetzte und hochkarätige Kliniker brauchen. Der Sanitätsdienst ist integraler Bestandteil des deutschen Gesundheitssystems. Er muss sich auch der Weiterentwicklung der zivilen Versorgungsstrukturen und den steigenden Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit im zivilen Gesundheitswesen stellen.
Komponenten der Surgistik
Surgistik beinhaltet an sich keine grundlegend neuen medizinischen Erkenntnisse. Surgistik soll vielmehr Fähig- und Fertigkeiten bündeln und das Bewusstsein des Systems, des Teams und des Individuums erweitern. Ein Lernzielkatalog könnte das, was Denken im Sinne der Surgistik ausmacht, nicht abbilden. Wichtige Einzelkomponenten, die ihre Bedeutung und Wichtigkeit erst durch ihre Verzahnung ineinander erhalten, sind im Folgenden dargestellt:
Medizinische und nicht medizinische Lagebeurteilungen/ Sicherheitslage
Eine vorgeschobene chirurgische Einheit sollte medizinisch relevante Vorgänge vor und während einer Mission verstehen können, um seine Entscheidungen sowohl taktisch als auch strategisch danach ausrichten zu können. Die Kenntnis über die aktuelle und zu erwartende Sicherheitslage schützen Patienten und Team.
Militärische Auftragserfüllung
Einem medizinischen Team muss bewusst sein, dass aufgrund einer medizinischen Maßnahme zur Rettung eines Verwundeten das militärische Operationsziel verfehlt werden kann. Eine erzwungene medizinische Maßnahme kann gegenüber dem Unterlassen derselben im ungünstigen Fall dazu geeignet sein, den Verlust von Menschenleben zu erhöhen.
Kommunikationskonzepte
Ein in die Militäroperation integriertes chirurgisches Team sollte über die Art des Informationsflusses zwischen internen und übergeordneten Strukturen Bescheid wissen. Es muss Kommunikationslinien verstehen und sich in ihnen bewegen können. Es sollte auch fachfremde Informationen beurteilen können. Eigene Informationen müssen sinnvoll weitergegeben werden können.
Zeitmanagement/Timelines
Nicht nur klassische Damage Control-Zeitvorgaben, sondern auch übergeordnete Systemzeitvorgaben, wie zum Beispiel die Zeit der medizinischen Autarkie oder die Zeitspannen für Rettungsmittel, müssen bekannt sein. Das Team muss sich auf bestimmte Zeitfenster einrichten können, um sein gesamtes Behandlungskonzept danach ausrichten zu können.
Personalbeurteilung/Teamaufbau
Ohne exakte Kenntnisse über die Fähigkeiten jedes einzelnen Individuums des behandelnden medizinischen Teams können diese nicht situationsoptimiert eingesetzt werden.
Komplementäres Wissen in einem Behandlungssystem
Situativ kann es durchaus erforderlich werden, dass Teammitglieder gezwungen sind, fachfremde Aufgaben zu übernehmen und diese zumindest behelfsmäßig auch zu lösen.
Synchrone und metachrone medizinische Maßnahmen
In einem geschlossenen System müssen in der zeitlichen Abfolge von operativen und repetitiv diagnostischen Maßnahmen sowohl an einem Individuum als auch an mehreren Patienten besondere situative Prioritäten gesetzt werden können.
Unterscheidung zwischen statischen und dynamischen chirurgischen Prozessen
Sowohl das Individuum als auch das System unterliegen einer nicht vorhersehbaren Dynamik und nicht planbaren chaotischen Prozessen. Provisorische strategische Maßnahmen können die Fähigkeit besitzen, einen chaotisch dynamischen Zustand zu unterbrechen und ihn in einen weitgehend stabilen, fast statischen Zustand zurückzuführen.
Angepasste Sichtung
Eine Sichtung muss sich immer zumindest an der vorhandenen Personal- und Materialkonstellation sowie der Infrastruktur orientieren. Die Einstufung von Behandlungsprioritäten ist in keiner Dimension objektivierbar und unterliegt stets einem diffizilen dynamischen Prozess.
Materialkunde/Medizinprodukte
Exakte Kenntnisse des zur Verfügung stehenden Materials, dessen Anwendungsgebiete, Voraussetzungen und Einschränkungen sowie alternative Verwendungsoptionen sind unabdingbare Voraussetzungen, um auch ressourcenoptimiert arbeiten zu können. Aufarbeitungszeiten und Redundanzen müssen bekannt sein. Die unterschiedlichsten Transportmodi besonderen Materials müssen in medizinische Überlegungen einfließen. Nachschubwege müssen vor der Mission ausgearbeitet sein.
Schnittstelleninterferenzen
Ein räumlich abgesetztes chirurgisches Teamsollte genau über die Fähigkeiten-, Organisations-, und Übergabebesonderheiten des Anund Weitertransportes seiner Patienten Bescheid wissen.Voraussetzungen für die Transportfähigkeit müssen eingehalten oder herbeigeführt werden können.
Multinationale Kooperationssysteme
Ein in einem multinationalen Verband eingesetztes Team sollte sprachlich und handwerklich mit international gültigen medizinischen Algorithmen vertraut sein und Kenntnisse auch über nationale Besonderheiten im Einsatzgebiet haben.
Beurteilung umgebender Behandlungsstrukturen
Ein in der Fläche eingesetztes Team muss sowohl eigene als auch fremde flankierende Behandlungsstrukturen kennen und beurteilen können, um für alle Eventualitäten Ausweichmöglichkeiten definieren zu können. Dies schließt auch lokal bestehende Behandlungsoptionen ein.
Militärtaktische Grundfertigkeiten
Eine vorgeschobene operative Kleinsteinheit muss sich in streng militärischem Umfeld bewegen können, ohne andere oder sich selbst zu gefährden.
Fremd- und Eigenschutz
Ein in militärisch unsicherem Umfeld eingesetztes medizinisches Team sollte im Sinne der Nothilfe für Patienten und Kameraden handeln und gegebenenfalls auch Gefahr für sein eigenes Leben abwenden können.
Einsatzpsychologische Besonderheiten
Ein in die auftragserfüllende militärische Formation integriertes medizinisches Team sollte in der Lage sein, sich in einsatzspezifische mentale Besonderheiten der Truppe und der Retter einfühlen zu können. Es sollte Strategien an der Hand haben, um mit einer zumindest milden fremden und eigenen Belastung umgehen zu können.
Einschlägige Gesetze/Mandatsbestimmungen
Zur rechtlichen Handlungssicherheit des Teams ist die Kenntnis grundlegender Bestimmungen, die den Auftrag definieren, nicht nur zum Eigenschutz notwendig. Auch etwaig zu Behandelnden und der zu unterstützenden Truppe müssen Entscheidungshintergründe transparent gemacht werden.
Eigene Beurteilung
Ausbildungsinhalte und Forderungen sowohl in chirurgischer Taktik als auch in chirurgischer Strategie müssen immer auf ein in der Realität umsetzbares, gesundes Niveau unter Inkaufnahme von Fähigkeitslücken definiert werden, um tatsächlich im Sinne einer Kompromisslösung handlungsfähige Teams zu erhalten. Komplementäre Ausbildungen müssen zeitlich höchst konzentriert stattfinden, um nicht die kontinuierliche Aufrechterhaltung der ureigenen Expertise zu gefährden. Überzogene Forderungen sowohl in medizinischer als auch in militärischer Ausbildung werden scheitern, da eine Umsetzung faktisch nicht realistisch ist.
Dieser Umstand des „Nicht-alles-Könnens“ muss innerer und äußerer Führung - nicht der zu unterstützenden Truppe - jederzeit bewusst sein. Die handelnden Akteure der chirurgischen Teams vor Ort erwarten einen Schutz durch die übergeordnete Führung.
Die wichtigste Aufgabe der Retter in unseren Einsatzgebieten bleibt, den Soldaten das gute Gefühl zu vermitteln, dass sie sich im Falle einer Verwundung oder Verletzung auf höchst professionelle Hilfe verlassen können.
Konzeptionisten der Einsatzmedizin sollten künftig in der Ausbildung von Einsatzchirurgen vermehrt Augenmerk auf die Inhalte der Surgistik haben. Wichtig sind sicherlich auch optimierte Rahmenbedingungen. Es sollte jedoch jedem klar sein, dass personelle Überlegungen im Konzept künftiger sanitätsdienstlicher Elemente mit einer höheren Priorität anzusiedeln sind, als materielle und infrastrukturelle. Ein gegenseitig vertrautes, gemeinsam komplementär gut ausgebildetes Team wird auch unter widrigen Bedingungen in einem undichten kalten Operationszelt bessere Ergebnisse erzielen, als ein weniger eingeschworenes in einer perfekt eingerichteten medizinischen Burg.
Datum: 06.01.2014
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2013/4