27.05.2024 •

Sanitätsdienstliche Unterstützung im Einsatzspektrum von Spezialoperationen

S. Hawel

Spezialkräfte

Einsatzspektrum von Spezialkräften

Spezialkräfte stellen grundsätzlich eine Hochwertressource der Streitkräfte auf strategischer Ebene dar. Sie sind dazu geeignet strategisch besonders wichtige Ziele zu erreichen und kommen immer dann zum Einsatz, wenn es darum geht Operationen durchzuführen, die eine besondere Verschwiegenheit oder eine verdeckte Vorgehensweise erfordern – wie beispielsweise im Rahmen von Geiselbefreiungen, bei denen Geheimhaltung, Schnelligkeit und Präzision der Operationsführung entscheidend für den Operationserfolg sind.

Eine weitere Schlüsselbefähigung ist die Beschaffung von Informationen über mögliche Hochwertziele, die geeignet sind das bestehende Lagebild zu verdichten und weitrechende Entscheidungen auf politischer Ebene vorzubereiten.

Zum Einsatzspektrum zählt aber auch die militärische Ausbildungsunterstützung, wobei hier Missionen mit weitgehend autarker Vorgehensweise oder in Kleinstkontingenten im Vordergrund stehen. Die Fähigkeitsträger für Spezialoperationen in der Bundeswehr sind im Schwerpunkt im Kommando Spezialkräfte und im Kommando Spezialkräfte der Marine zu finden.

Besonderheiten von Spezialoperationen

Spezialoperationen sind durch folgende Charakteristika gekennzeichnet: verdeckter oder geheimer, abgesetzter und autarker Einsatz, Schnelligkeit und Flexibilität,Einsatz mit kleinem Kräfteansatz, weltweiter Einsatz in allen Klimazonen, dem gesamten Einsatzspektrum und allen Intensitätsarten, Nutzung aller verfügbarer Verbringungsarten (See, Luft, Land) und kurze Vorlaufzeiten.

Die dargestellten Einsatzcharakteristika stellen somit enorme Anforderungen an die Angehörigen der Spezialkräfte. Um die daraus resultierenden Einsatzbelastungen und Risiken zu meistern, werden diese Kräfte sorgfältig ausgewählt und speziell ausgebildet.

Forderungen an die Unterstützungskräfte

Wie alle anderen Kräftedispositive sind auch die eingesetzten Spezialkräfte auf eine Vielzahl von Unterstützern angewiesen und vor jedem Einsatz sind umfangreiche Vorbereitungen abzuschließen. Ohne diese Unterstützungsleistungen ist der erwünschte Effekt nur eingeschränkt oder gar nicht zu erzielen.

Um den notwendigen Support zielgerichtet und effektiv zu ­realisieren, müssen die Unterstützungskräfte ebenfalls in den Vorgehensweisen bei Spezialoperationen geschult werden. In Abhängigkeit der Dislozierung im Einsatz sind umfangreiche ­Ausbildungen und regelmäßige Trainings notwendig, um den Missionserfolg zu ermöglichen. Diese sogenannten „Kräfte direkter Unterstützung der Spezialkräfte“ werden vorab in erweiterten militärischen Fähigkeiten und taktischen Verfahren sowie funktionsspezifischen Qualifikationen befähigt.

Forderungen an die sanitätsdienstliche Rettungskette

Die sanitätsdienstliche Unterstützung richtet sich auch für Spezialoperationen grundsätzlich nach der geltenden Leitlinie mit dem Ziel eines dem deutschen Standard entsprechendem Behandlungsergebnisses. Es gelten unverändert die NATO-Vorgaben für die medizinischen Zeitlinien („10–1-2“-Regel). „Die 10–1-2“-Regel beschreibt die Ausrichtung der Rettungskette an den national wie international vorgegebenen Zeitlinien. Nach spätestens zehn Minuten sollen erste lebenserhaltende Maßnahmen durch Einsatzersthelfer, nach einer Stunde die erste notfallmedizinische Versorgung und nach zwei Stunden die erste notfallchirurgische Versorgung durchgeführt werden. Diese Vorgaben stellen den Rahmen für eine verantwortbare medizinische Versorgung dar und Erhöhen die Überlebenswahrscheinlichkeit im Falle von Verletzung oder Verwundung. Beim Einsatz von Spezialkräften werden sogar noch kürzere Zeiten angestrebt („10–30–60“-Regel). Auftragsbedingt (z. B. Special Reconnaissance) können die Zeiten erheblich verlängert sein, da eine Begleitung durch Sanitätskräfte aus einsatztaktischen Gründen nicht immer gewährleistet ist.

Dies macht vorab eine sorgfältige Planung der Rettungskette mit den verfügbaren und einzusetzenden Ressourcen notwendig. Dabei sollen neben den fachlichen Zielen auch die taktischen Einsatzbedingungen Berücksichtigung finden, die wiederum die einsetzbaren Kräfte und Mittel maßgeblich beeinflussen und zusätzliche Herausforderungen an Mensch und Material stellen.

Im Ziel bedeutet dies: Gewährleisten eines dem deutschen Standard entsprechenden Behandlungsergebnisses; Sicherstellen einer zeitgerechten notfallmedizinischen und notfallchirurgischen Behandlung (ressourcelimited Damage Control Resuscitation/Surgery [rDCR/rDCS]); Sicherstellen einer begrenzten Durchhaltefähigkeit im Rahmen von abgesetzten, autarken Einsätzen sowie Sicherstellen einer hohen Mobilität im gesamten Einsatzspektrum der Spezialkräfte.

Schnell kommen hier konventionelle materielle und personelle Ressourcen an die Grenzen und Weiterentwicklungen und neue Lösungen werden erforderlich.

Sanitätsdienstliche Mittel bei Spezialoperationen

Nach der Feststellung, dass die bisherigen konventionellen Mittel den Ansprüchen von Spezialoperationen auch bei optimaler Anpassung nicht gerecht werden konnten, sind entsprechende Entwicklungen entlang der gesamten Rettungskette angestoßen worden.

So wurden u. a. die sanitätsdienstliche Ausbildung und Ausstattung der Spezialkräfte deutlich erweitert (z. B. Combat First Responder), um die ersten lebensrettenden Maßnahmen bis zum Eintreffen des qualifizierten Sanitätspersonals suffizient durchführen zu können. Durch den Einsatz von speziell ausgebildeten Sanitätskräften der Behandlungsebene 1 wird die Versorgung innerhalb der engen Zeitlinien gewährleistet.

Diese Fähigkeiten werden durch Angehörige der Spezialkräfte und des organischen Sanitätsdienstes des Heeres bzw. der Marine abgebildet.

LLRZ SpezEins
LLRZ SpezEins
Quelle: alle Abb.: Bundeswehr/Kdo SanDstBw

Die sanitätsdienstliche Unterstützung oberhalb der Behandlungsebene 1 wird durch den ZSanDstBw sichergestellt. Hier liegt der Schwerpunkt in der Bereitstellung der Role 2 – Fähigkeiten rDCR und rDCS, um die erste notfallchirurgische Versorgung der Patienten sicherzustellen. Die genannten Fähigkeiten umfassen lebensrettende notfallmedizinische Maßnahmen und Eingriffe zur präklinischen Behandlung von schwerverletzten Patienten sowie insbesondere lebensrettende chirurgische Maßnahmen und Eingriffe zur Blutstillung. Die anschließende Phase der intensivmedizinischen Behandlung verfolgt das Ziel, den Kreislauf, die Gerinnung und den Stoffwechsel der Patienten zu stabilisieren, sowie darüber hinaus die Körpertemperatur und die Beatmung aufrechtzuerhalten oder weiter zu optimieren. Die definitive chirurgische Versorgung erfolgt in höheren Behandlungseinrichtungen, abhängig vom Einsatzszenar, teilweise erst im Heimatland.

Um die Fähigkeiten zeitgerecht bereitstellen zu können, waren umfangreiche Anpassungen und Weiterentwicklungen der bereits vorhandenen fachlichen und materiellen Fähigkeiten notwendig. Ziel war und ist es, diese ohne signifikante Leistungseinschränkungen so klein, flexibel und plattformunabhängig wie möglich zu gestalten, um den Spezialkräften in jedem Einsatzszenar folgen zu können. Die größte Herausforderung stellt hier die militärische Befähigung des einzusetzenden Fachpersonals dar, welches neben der hohen fachlichen Qualifikation auch taktisch umfangreich ausgebildet werden muss. Kohäsion mit den zu unterstützenden Kräften steht im Vordergrund, damit die stehenden Verfahrensweisen von allen verinnerlicht und beherrscht werden. Dies bedingt u. a. auch immer wiederkehrende gemeinsame Übungen.

Aus diesen Rahmenbedingungen heraus entstand die Fähigkeit des Special Operations Surgical Team (SOST).

Das eingesetzte Personal ist gezielt für den Einsatz mit Spezialkräften ausgewählt, ausgebildet und befähigt sowie mit dem entsprechenden Material ausgestattet. Damit ist auch das SOST wie seine Bedarfsträger jederzeit weltweit unverzüglich einsetzbar sein.

Der geringe Umfang und die hohe Mobilität des SOST führen allerdings zu einer stark limitierten Haltekapazität für behandelte Patienten und macht deshalb bei Spezialoperationen die zusätzliche Ausplanung einer größeren Behandlungseinrichtung für die Folgeversorgung notwendig. Dazu hält der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZSanDstBw) mit dem Luftlanderettungszentrum Spezialeinsatz (LLRZ SpezEins) eine weitere Role 2-Behandlungseinrichtung vor, um die initial behandelten Patienten aufnehmen und weiter versorgen zu können.

Beide beschriebenen Fähigkeiten sind Teil des Operationsverbundes Spezialkräfte der Bundeswehr. Sowohl das SOST als auch das LLRZ SpezEins werden im ZSanDstBw durch das Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst am Standort Leer vorgehalten und für Einsatz und Übungen bereitgestellt.

Ausblick

Wie die Spezialkräfte unterliegen auch die Kräfte des ZSanDstBw einem kontinuierlichen Weiterentwicklungsprozess. Dabei sind die Ausbildungsinhalte, Verfahrensweisen aber auch die materielle Ausstattung kontinuierlich am Anforderungsprofil der Spezialkräfte auszurichten. Insbesondere die materielle Ausstattung muss den Anforderungen an die Flexibilität, Mobilität und Verbringungsarten der Spezialkräfte unter beizubehaltender medizinischer Funktionalität und Qualität genügen. Hierbei gilt es, die Miniaturisierung der Medizingeräte voran zu treiben, um den erforderlichen Transportraum und das Transportgewicht zu minimieren. Gleichzeitig muss die Fähigkeit zum abgesetzten Betrieb mit einem möglichst hohen Grad an Autarkie weiter ausgebaut werden. Dies alles auf einem digitalisierten Gefechtsfeld mit der Fähigkeit zur verschlüsselten Datenübertragung für den Fall einer ggf. notwendigen telemedizinischen Beratung.

Ähnlich wie die Spezialkräfte ihre Einsatzoptionen im Schwerpunkt auf Landes- und Bündnisverteidigung ausrichten, wird auch der ZSanDstBw seine Unterstützungsleistung an dieses Szenar anpassen müssen. Dabei kann die Fähigkeit SOST mit ihrer hochmobilen, flexiblen und plattformunabhängigen Einsatzmöglichkeit ein Wegbereiter für die Weiterentwicklung auch der konventionellen mobilen Sanitätseinrichtungen der Behandlungsebene 2 sein, um so den aktuellen Bedrohungen durch hybride Kriegsführung, weitreichende Steilfeuerwaffen, irreguläre Kräfte und Missachtung der Genfer Konvention begegnen zu können.



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