07.10.2021 •

Einsätze des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

J. Backus, K. Stork

PIZ Sanitätsdienst

Der Auftrag des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist es, die sanitätsdienstliche Versorgung der Bundeswehr im Inland aber auch der Einsatzkontingente weltweit zu gewährleisten. Dieser Versorgungsauftrag wird tagtäglich sichergestellt. Darüber hinaus beteiligen sich Sanitätskräfte aber auch immer wieder an humanitären Missionen. Dabei ist die moralische Richtschnur des Sanitätsdienstes das Motto seines Selbstverständnisses: „Der Menschlichkeit verpflichtet“. Seit Aufstellung der Bundeswehr erfolgten immer wieder größere Beteiligungen von Angehörigen des Sanitätsdienstes an Missionen, Einsätzen und humanitären Hilfeleistungen. Der nachfolgende Artikel gibt hierzu einen kurzgefassten Überblick. 

Bereits 1960, fünf Jahre nach Aufstellung der Bundeswehr, erfolgte der Einsatz von Sanitätskräften im Rahmen der Erdbebenhilfe in Marokko. Am 01.03.1960 verwüstete ein Erdbeben die Küstenstadt Agadir. Noch am gleichen Tag wurde durch Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß entschieden, sich an der internationalen Hilfsaktion zu beteiligen. Das Sanitätsbataillon 5 in Koblenz wurde alarmiert, Gerät und Material in aller Eile aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengezogen, so dass bereits am folgenden Tag die erste Bundeswehrmaschine von Köln-Wahn aus starten konnte. Innerhalb von fünf Wochen wurden mehr als 80 Operationen durchgeführt und über 100 Patienten stationär behandelt. Weiterhin wurden insgesamt 179 Tonnen an Hilfs­güter in diesem Zeitraum nach Marokko transportiert.

Als es am 21.06.1990 zu einem schweren Erdbeben im Elburs-Gebirge im Iran kam, wurden erneut Sanitätseinheiten zur humanitären Hilfeleistung entsandt. Die ersten Hilfslieferungen begannen am 23.06., am darauffolgenden Tag wurde ein komplettes Feldlazarett nach Manjil verlegt. Insgesamt 64 Soldaten, die meisten davon aus dem in München stationierten Sanitätslehrbataillon 851, sorgten dort für eine medizinische Versorgung der Bevölkerung, da das örtliche Krankenhaus durch das Erdbeben völlig zerstört worden war.

Die erste sanitätsdienstliche Zusammenarbeit der Bundeswehr mit den Vereinten Nationen erfolgte von Mai 1992 bis November 1993 im Rahmen der Mission United Nations Transitional­ ­Authority in Cambodia (UNTAC). Etwa 150 Sanitätssoldaten betrieben damals in Phnom Penh ein Feldlazarett mit 60 Betten, um die Angehörigen der UNTAC, aber auch Teile der Zivilbevölkerung, medizinisch zu versorgen. Dabei wurden rund 3 500 stationäre Behandlungen durchgeführt.

In Somalia wurde bereits seit 1992 durch Hilfslieferungen humanitäre Hilfe geleistet, ab Mai 1993 gab es eine Beteiligung an der United Nations Operation in Somalia II (UNOSOM II) durch einen Unterstützungsverband Somalia. Teil dieses Unterstützungsverbandes war auch eine Sanitätskompanie mit 120 Sanitätssoldaten. Bis März 1994 wurden über 17 000 einheimische Patienten behandelt, sowie im Bereich um Beledweyne weitere humanitäre Hilfe geleistet.

Im Kosovo ist die Bundeswehr seit 1999 präsent. Ab Juni 1999 war zunächst ein Feldlazarett im Feldlager Prizren als Zelt- und Containeraufbau in Betrieb, welches im Mai 2007 durch ein in fester Infrastruktur neu gebautes Einsatzlazarett ersetzt wurde und bis Ende 2017, unmittelbar vor Übergabe des Standortes in nationale Verantwortung, in Betrieb war. Zusätzlich war die präklinische Versorgung eigener und verbündeter Kräfte durch mobile Rettungskräfte sichergestellt. Die Einrichtung eines Einsatzlazaretts in fester Infrastruktur wurde hier zum ersten Mal erprobt und erfolgreich umgesetzt. Die dabei gesetzten qualitativen Standards und die gemachten Erfahrungen sollten sich in darauffolgenden Einsätzen bewähren.

Im Januar 2002 verlegten Vorauskräfte der Division Spezielle Operationen, inklusive eines sanitätsdienstlichen Anteils aus dem Bereich des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (SanDstBw), nach Kabul, Afghanistan. Dort wurde im Camp Warehouse ein erstes Luftlanderettungszentrum errichtet, das später durch ein Einsatzlazarett auf Basis einer Modularen Sanitätseinrichtung (MSE) in Container- und Zeltbauweise ersetzt wurde. Im Jahr 2006 verlegten die deutschen Hauptkräfte nach Masar-e Sharif in den Norden des Landes, wo das im weiteren Verlauf in fester Infrastruktur errichtete Einsatzlazarett modernen westlichen Standards entsprach. Weiterhin verfügte das deutsche Einsatzkontingent ISAF über das Rettungszentrum (RZ) Kunduz sowie das RZ Feysabad, ebenfalls in fester Infrastruktur. Ein wesentlicher Teil der ISAF-Operation war außerdem der Lufttransportstützpunkt in Termez/Usbekistan. Hier wurde bereits 2002 eine Casualty Staging Unit als MSE errichtet. Maßgebliche Anteile der Sanitätsversorgung leisteten mobile Sanitätskräfte, welche die Truppe im Schwerpunkt durch Kfz aber auch erstmals durch eigene Forward Aeromedical Evacuation-Kräfte unterstütze. Die Afghanistanmission war der erste Einsatz, welcher nach Aufstellung des SanDstBw begann.

Nach dem verheerenden Tsunami vom 26.12.2004 im Indischen Ozean verlegten Anfang Januar 2005 mehrere hundert Sanitätskräfte in die Region Aceh. Bereits am 05.01.2005 trafen die ­ersten 50 Soldaten der Hauptkräfte ein. Sie errichteten umgehend ein RZ MSE, welches die Akutversorgung der Überlebenden übernahm. Weiterhin verlegte der Einsatzgruppenversorger Berlin vom Horn von Afrika vor die Küste Sumatras. Somit erfolgte ­dieser Einsatz erstmals „Joint und Combined“. Insgesamt wurden 854 stationäre Behandlungen, 196 Operationen sowie 89 ­MedEvac-Flüge durchgeführt.

Als weiteres Beispiel für die sanitätsdienstliche Unterstützung vieler andere Einsätze und Missionen, in denen die Bundeswehr ihren Beitrag zur Sicherheit und Stabilität leistet, sei hier der Einsatz im Rahmen der Operation Active Fence (AFTUR) in der Türkei erwähnt. Zwischen Januar 2013 und November 2015 versorgten Sanitätskräfte in Kahramanmaras bis zu 400 Soldaten.

Der Einsatz der EU in Mali (EUTM Mali), welcher Anfang 2013 begann, wurde ebenfalls von Anfang an sanitätsdienstlich begleitet und durch den Aufbau einer durchhaltefähigen Rettungskette unterstützt. Zunächst war eine luftverlegbare Sanitätseinrichtung im Einsatz, die bereits 2014 durch eine MSE ersetzt worden war. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr stellte die truppenärztliche und truppenzahnärztliche Versorgung sowie die notfall­chirurgische und erste klinische Versorgung bis zum Ende des Versorgungsauftrages im März 2020 auf der Ebene Role 2 für die Kräfte EUTM, aber auch die malischen Soldaten, durchgängig sicher. Die Multinationalität des EU-Einsatzes zeigte sich auch dadurch, dass ein serbischer und ein spanischer beweglicher Arzttrupp (BAT) in die präklinische Notfallversorgung integriert wurden.

Seit dem 03.02.2016 befinden sich deutsche Kräfte als Teil der United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission (MINUSMA) im Camp Castor in Gao, darunter von Beginn an Sanitätssoldaten. Die Sanitätseinsatzstaffel stellt dort die truppenärztliche und notfallmedizinische Versorgung inklusive mobiler Kräfte sowie Laborfähigkeiten sicher. Derzeit erfolgen die medizinischen Maßnahmen noch in einer MSE, ab Ende 2022 wird voraussichtlich eine feste Infrastruktur zur Verfügung stehen.

Die Covid-19-Pandemie stellte uns alle vor neue ungeahnte Herausforderung. Der Sanitätsdienst leistet hier einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung des deutschen Gesundheitssystems und der europäischen Verbündeten. Im Januar 2021 stieg die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Portugal exponentiell an und drohte das dortige Gesundheitssystem völlig zu überlasten. Die portugiesische Regierung wandte sich mit der Bitte in dieser Krise zu unterstützen unter anderem an Deutschland, woraufhin die „Portugal-Hilfe“ auch hier im besten Sinne einer Kaltstart­fähigkeit begann. Innerhalb von 14 Tagen erkundete, plante und verlegte der Sanitätsdienst der Bundeswehr mit Unterstützung der Luftwaffe ein Kräftedispositiv inklusive Material zur Hilfeleistung nach Lissabon, verstärkte vom 08.02. bis 24.03.2021 die Intensivstation eines lokalen Krankenhauses mit bis zu acht Betten und trug so zur Bewältigung des Patientenaufkommens in der Hauptstadt bei.

Auf Bitte des Auswärtigen Amtes unterstützte die Bundeswehr im Zeitraum vom 01. bis 18.05.2021 auch Indien, welches sich einer Corona-Welle katastrophalen Ausmaßes gegenübersah. Dazu wurde in kürzester Zeit ein Team aus 13 einsatzerfahrenen Soldat*innen nach Neu-Delhi entsandt. Diese bauten und betrieben vor Ort eine Sauerstofferzeugungsanlage, die sie anschließend an das Indische Rote Kreuz übergaben. Die Anlage kann täglich 400 000 Liter medizinischen Sauerstoff produzieren und leistet somit einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen Covid-19. Die rasche Unterstützung der notleidenden Bevölkerung ­Indiens durch die Bundeswehr war ein wichtiges Signal der Solidarität und gleichzeitig Beweis für die Schnelligkeit, Schlagkraft und fachlich-militärische Kompetenz des Sanitätsdienstes.

Im Lauf der letzten 64 Jahre hat der Sanitätsdienst der Bundeswehr nicht nur die ihm anvertrauten Soldat*innen und Zivilist*innen im Einsatz und bei Mission weltweit sowie im Grundbetrieb entsprechend der fachlichen Entwicklung nach höchstem Standard versorgt. Er unterstützte auch bei humanitären Hilfeleistungen und sorgte so international für höchstes Renommee und ­Verlässlichkeit. Obgleich von Beginn an mit hoher fachlicher Kompetenz ausgestattet, kam es seit der Einführung des SanDstBw zu einer spürbaren Steigerung der fachlichen und materiellen Versorgungsqualität, welche die Grundlage für die erfolgreiche Erfüllung des Kernauftrages, die Gesundheit der Soldat*innen zu schützen, zu erhalten und wiederherzustellen, darstellt. Diesen hohen Qualitätsstandard sowie die hohe internationale Reputation und Anerkennung gilt es bruchfrei in eine neue Zeit und veränderte Strukturen trotz verschiedener Herausforderungen überzuleiten. Ungeachtet aller kommenden Aufgaben gilt es auch für die Zukunft „Der Menschlichkeit verpflichtet“, die unsichtbare Fahne der Humanitas weiter hochzuhalten. 


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