30.01.2019 •

Resuscitative Endovascular Balloon ­Occlusion of the Aorta (REBOA) – Unerlässlich für die Einsatzmedizin?

Aus der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie (Klinischer Direktor: Oberstarzt Dr. M. ­Engelhardt) des Bundeswehrkrankenhauses Ulm (Kommandeur: Generalarzt Dr. R. ­Hoffmann)

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Abbildung 1: Schematische Darstellung REBOA (Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta). Einführung über A. femoralis communis und supradiaphragmale (Zone I) Platzierung des Ballons bei intraabdomineller Blutung. (Mit freundlicher Genehmigung von Prytime Medical Devices, Inc. The REBOA Company™)
Schwere Blutungen sind nach wie vor die häufigste vermeidbare Todesursache verwundeter Soldaten. Eine Analyse von 4596 Gefallenen der Operationen Iraqi Freedom und Enduring Freedom zeigt, dass 24 % der präklinischen Todesopfer potentiell überlebbare Verwundungen ­aufwiesen. Über 90 % dieser Verwundeten verbluteten, hauptsächlich an Blutungen im Bereich des Körperstamms (67 %), gefolgt von stammnahen Verletzungen, sog. junctional injuries (19 %) und Extremitätenverletzungen (14 %). Während Extremitätenverletzungen und junctional injuries oftmals durch frühzeitige, konsequente Anwendung von Druckverbänden, Tourniquets und Hämostyptika kontrolliert werden können, stellen massiv blutende Gefäß- und Parenchymverletzungen des Körperstamms nach wie vor eine große Herausforderung dar. Bislang galt die Notfallthorakotomie im Schockraum mit supradiaphragmalem Ausklemmen der Aorta als letzte Möglichkeit der Kreislaufstabilisierung dieser Verwundeten. Die in den letzten Jahren zunehmend verbreitete endovaskuläre Ballonokklusion der Aorta (Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta, REBOA) bietet inzwischen eine vielversprechende, weniger invasive Alternative zur Notfallthorakotomie. Der Beitrag stellt das Verfahren dar und diskutiert den Nutzen von REBOA für die Klinik und die Einsatzmedizin.

Colonel C.W. Hughes stellte 1954 erstmals zwei Fälle mit aortaler Ballonokklusion aus dem Korea Krieg vor. Wegen des fehlenden Erfolgs setzte sich die Idee jedoch zunächst nicht durch. Mit Weiterentwicklung der endovaskulären Techniken in der Gefäßchirurgie erlebte das Verfahren jedoch eine Renaissance auch in der Traumatologie und ist inzwischen vor allem im nordamerikanischen Raum und in Japan weit verbreitet.

Über eine perkutane Punktion oder einen Cut down werden über die Arteria femoralis communis ein Führungsdraht und eine Schleuse (12 - 14Fr) nach zentral vorgeschoben. Anschließend wird ein Ballonkatheter über den Führungsdraht eingebracht und unter Durchleuchtungskontrolle in der Aorta platziert.

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Abbildung 2: ER-REBOA™ Katheter (Fa. Prytime Medical Devices, Boerne, TX, USA). Eine weiche Spitze, eine kurze Schleuse und die Marker auf dem Katheter ermöglichen ein Einführen ohne Führungsdraht und Durchleuchtung. Über die arterial line kann auch bei okkludierendem Ballon ein zentrales arterielles Druckmonitoring erfolgen. (Mit freundlicher Genehmigung von Prytime Medical Devices, Inc. The REBOA Company™)
Bei intraabdominellen Blutungen okkludiert der Ballon die Aorta supradiaphragmal (Zone I), bei pelviner oder inguinaler Blutung kann er auch selektiver, unter Schonung der viszero-renalen Perfusion, in der infrarenalen Aorta platziert ­werden (Zone III). Neuere Ballonkatheter, wie beispielsweise der ganz wesentlich von den Gefäßchirurgen des US-Militärs mitentwickelte ER-REBOA™ Katheter, kommen mit wesentlich kleineren Schleusen (7Fr) aus und können teilweise ohne Führungsdraht und Durchleuchtung positioniert werden. Diese Entwicklungen verringern die Komplikationsrate und erleichtern die Anwendung, insbesondere für nicht endovaskulär versierte Chirurgen. Außerdem ermöglichen sie die präklinische Anwendung von REBOA noch am Ort der Verwundung.

Ziel der aortalen Ballonokklusion ist weniger die Blutungskontrolle als vielmehr die Anhebung des zentralen Perfusionsdrucks und Verbesserung der kardialen und zerebralen Durchblutung. Dieser zentralisierende Effekt konnte in zahlreichen Tierexperimenten überzeugend belegt werden. REBOA erwies sich hierbei zudem als schonender für den Gesamtorganismus als das supraaortale Cross-clamping über eine Thorakotomie. Die aktuelle Forschung zielt vor allem auf eine Verlängerung der Okklusionszeit ab. Bislang wird diese durch die Ischämie der intra- und retroperitonealen Organe nach Blockade limitiert. Durch eine nur kurzzeitige komplette Aorten­okklusion mit anschließender Freigabe einer gewissen Teilperfusion am nur noch partiell okkludierenden Ballon vorbei, könnte die Okklusionszeit verlängert werden ohne gleich den kreislaufstabilisierenden Effekt preiszugeben. Dieses sogenannte partial-REBOA (pREBOA) könnte die derzeit empfohlenen maximalen ­Ischämiezeiten von 60 Minuten für Zone I und 120 Minuten für Zone III entscheidend verlängern.

Anerkannte Indikationen für REBOA sind intraabdominelle, pelvine und inguinale Blutungen sowie akuter Herzstillstand mit anderweitig nicht zu stabilisierendem Schock. REBOA ist jedoch noch keine Therapie, sondern allenfalls eine temporäre Überbrückung einer lebensbedrohlichen Situation mit kurzem Zeitgewinn bis zur chirurgischen Blutungskontrolle. Der temporären Ballonokklusion muss sich auf jeden Fall umgehend eine definitive Blutungskontrolle durch endovaskuläre Intervention (z. B. Embolisation, Stentgraft) oder Operation (z. B. Gefäßrekonstruktion, Packing etc.) anschließen. Der Zeitgewinn durch REBOA ermöglicht jedoch oftmals erst ein geordnetes Vorgehen im Operationssaal und eine gezielte Diagnostik (z. B. Schockraum-CT), wie die positiven Erfahrungen aus großen Traumazentren belegen. Von klinischer Bedeutung ist ferner das präemptive Platzieren des Katheters ohne Okklusion bei potentiellen REBOA-Patienten. Der liegende Katheter kann zum arteriellen Druckmonitoring und zur Applikation von Medikamenten genutzt werden und der Ballon bei Bedarf jederzeit gefüllt werden.

Als Kontraindikationen für REBOA gelten schwere intrathorakale und zervikale Blutungen sowie ein begleitendes Schädel-Hirn-Trauma. Letzterer Punkt ist derzeit noch umstritten, da einige Autoren die zerebrale Perfusionssteigerung wegen des Hirnödemrisikos fürchten, andere hingegen dieses Risiko als klinisch weniger relevant einstufen.

Ungeachtet der theoretischen und experimentellen Überlegenheit von REBOA gegenüber der Notfallthorakotomie ist der tatsächliche klinische Nutzen im Sinne einer verbesserten Überlebensrate von Schwerverletzten noch unbewiesen. Es mehren sich positive Berichte aus großen Kliniken in denen REBOA bei traumatischen und nicht-traumatischen Blutungen unterschiedlicher Fachgebiete und bei akutem Herzstillstand eingesetzt wird. Aber selbst bei Multicenter-Studien kommen die Fälle mehrheitlich aus wenigen Zentren, während die meisten Kliniken nur vereinzelt Fälle beitragen. Basierend auf den Daten des TraumaRegisters DGU® (Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie) aus 2009 - 2014 wäre bei Anlegen der REBOA-Kriterien des Bundeswehrkrankenhauses Ulm mit jährlich gerade einmal einem REBOA-Patienten pro überregionalem Traumazentrum (durchschnittlich 85 Schwerverletzte pro Jahr) zu rechnen. Eine ähnliche Analyse des Trauma Audit and Research Network (TARN) aus England und Wales errechnete bei etwas anderen Indikationskriterien 0,7 potentielle REBOA-Patienten pro Jahr für Trauma Units und 7,7 für Major Trauma Centers. Aussagekräftige Studien sind daher nur anhand großer Register möglich. Das AORTA- (Aortic Occlusion for ­Resuscitation in Trauma and Acute Care Surgery) Registry sammelt seit 2013 Daten zu REBOA und zu aortalem Cross-clamping aus US-amerikanischen Kliniken. Die letzte Veröffentlichung der Daten umfasst 285 Patienten mit REBOA in 29 % und Notfallthorakotomie in 71 % der Fälle. Bei vergleichbarer Schwere der Verletzungen zeichnet sich ein Vorteil hinsichtlich Überleben für die REBOA-Gruppe ab, insbesondere bei Patienten die keiner kardio-pulmonalen Reanimation bedürfen. Die Komplikationsrate war mit 10 % in der REBOA-Gruppe höher als in der Clamping-­Gruppe mit nur 1,5 %. Letztere mussten vor allem wegen persistierendem Hämatothorax operiert werden. Nach REBOA wurden hauptsächlich Zugangskomplikationen in der Leiste, z. B. Infektion, Gefäßverletzung und Thrombembolie der Becken-Bein-Arterien beobachtet. Diese Gefäßkomplikationen dürften jedoch mit Einführung der schmaleren Schleusen merklich abnehmen.

Für die Militärmedizin ist REBOA sowohl präklinisch als auch im Hospital von besonderem Interesse. Schwere trunkale und junctionale Blutungen nehmen in den aktuellen Verwundetenstatistiken zu. Und nicht immer kann der Verwundete sofort in den nächsten OP verlegt werden, z. B. bei einem Massenanfall von Verwundeten. REBOA stellt eine elegante, wenig invasive Blutungskontrolle als Bridging bis zur Damage control-Operation dar. Der US-amerikanische und britische Sanitätsdienst bilden bereits erste Nicht-Chirurgen und sogar Nicht-Mediziner in REBOA aus um das Verfahren in der präklinischen Versorgung noch am Ort der Verwundung einsetzen zu können. Die zivile Ambulanz in London hat mit dem präklinischen Einsatz bereits gute Erfahrungen gemacht. Die jüngste Generation an schmalen, drahtlosen Kathetern wird den präklinischen Einsatz von REBOA zusätzlich unterstützen.

REBOA wurde 2014 in die Joint Theater Trauma System Clinical Practice Guidelines als Verfahren für die Kontrolle von unkontrollierbaren Stamm- und Extremitätenblutungen aufgenommen. Und insbesondere bei den anglo-amerikanischen NATO-Partnern ist die endovaskuläre Ballon­okklusion als Maßnahme im Schockraum etabliert. Deutsche Einsatzchirurgen sollten daher mit REBOA vertraut sein um in Kooperation mit den verbündeten Streitkräften kompetent und sicher auch auf diesem Gebiet agieren zu können. Hierzu zählt auch der Umgang mit Verwundeten, die mit liegendem aortalen Ballon ins Feldhospital eingeliefert werden.

Um diese Sicherheit im Umgang mit REBOA zu gewährleisten, sollte das Verfahren an den Bundeswehrkrankenhäusern etabliert sein. Darüber hinaus wurde der für alle Einsatzchirurgen obligate Kurs „Gefäßchirurgische Notfallkompetenz für Nicht-Gefäßchirurgen“ am Zentrum für Gefäßmedizin der Bundeswehr im Bundeswehrkrankenhaus Ulm vor zwei Jahren um den Lerninhalt REBOA erweitert. Im Fortgeschrittenenkurs werden Theorie und Technik am endovaskulären Trainer mit dem im Einsatz weit verbreiteten ER-REBOA™ und alternativen Ballon-Kathetern gelehrt. Gerade REBOA hat das Interesse an diesem Kurs bei Militärchirurgen anderer Nationen und zivilen Unfallchirurgen nochmals merklich erhöht.

REBOA ist ein vielversprechendes Verfahren zur temporären Kontrolle schwerer Stamm- und stammnaher Blutungen und ermöglicht ein ­Bridging bis zur definitiven operativen Blutungskontrolle. Das Beherrschen der Technik und die Kenntnis von Möglichkeiten aber auch Grenzen und Risiken der Methode sollten zum gefäß­chirurgischen skill set eines jeden Einsatzchirurgen gehören. Hierzu sind Training in entsprechenden Kursen und klinische Erfahrungen in den Heimatkrankenhäusern unerlässlich. 

Abbildungen bei Verfasser

Korrespondierender Autor
Oberstarzt Dr. Michael Engelhardt
Klinischer Direktor
Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie
Zentrum für Gefäßmedizin der Bundeswehr
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Oberer Eselsberg 40
89081 Ulm
E-Mail: gefchir_bwkulm@yahoo.de 


Datum: 30.01.2019

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018

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