29.08.2012 •

QUANTIFIZIERUNG VON HÖHENBEDINGTEM OXIDATIVEN STRESS DURCH CARBONYLPROTEINE

Quantifying Altitude Related Oxidative Stress by Carbonyl Proteins

Aus der Klinik für Allgemein-, Visceral- und Thoraxchirurgie¹ (Leitender Arzt: Oberstarzt Priv.-Doz. Dr. R. Schmidt), der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin² (Leitender Arzt: Oberstarzt Prof. Dr. L. Lampl) und der Abteilung für Gefäßchirurgie³ (Ltd. Arzt: Oberstarzt Dr. M. Engelhardt) am Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Chefarzt: Generalarzt Prof. Dr. Dr. E. Grunwald)

Markus Tannheimer¹, Kerstin Bigge², Michael Engelhardt³, Stefan Benesch¹ und Roland Schmidt¹

Zur Quantifizierung von höhenbedingtem oxidativem Stress auf molekularer Ebene versprechen Carbonylproteine große Vorteile. Bislang wurden sie zur Beurteilung des oxidativen Stresses bei Neugeborenen eingesetzt. Im Gegensatz zu anderen Markern ist diese Substanzgruppe chemisch äußerst stabil und frühzeitig nachweisbar.

Daher erscheint ihr Einsatz in großer Höhe erfolgversprechend.

Methoden:

12 Probanden verbrachten eine Nacht in der Höhenklimasimulationskammer des Flugmedizinischen Instituts der Luftwaffe (FlMedInstLw) in Königsbrück entsprechend einer Höhe von 4 000 m. Eine Stunde vor der Höhenexposition und zwei Stunden nach Erreichen von 4 000 m wurden Blutproben genommen und mittels eines Carbonylproteine (CP)-spezifischen ELISA untersucht. Damit erzielte Ergebnisse wurden einer gemäß Lake Louise Scores (LLS) quantifizierten Ausprägung der nach 11 Stunden aufgetretenen akuten Bergkrankheit (acute mountain sickness: AMS) in 4 000 m Höhe gegenübergestellt.

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Abb 1: Verlauf der Carbonylproteine (CP) bei einer Höhenexposition von 4 000 m über 2 h. 3 Personen (dunkle Farben) hatten einen Abfall, 9 (helle Farben) einen Anstieg der CP. Die Balken (gleiche Personen haben gleiche Farben) zeigen den Lake Louise Score (LLS) nach 11 h auf 4 000 m; die dunkel gefärbten Personen (Abfall der CP) wiesen keinen beziehungsweise nur einen minimalen LLS-Score (0-3) auf; alle Personen mit CP-Anstieg (helle Farben) hatten einen deutlich höheren LLS (3-12).

 

 

 

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Abb 2: Regressionsanalyse der Carbonylproteine (CP) und Lake Louise Score (LLS) bei einem Aufenthalt in 4 000 m. 3 Personen (dunkel Farben; linke Seite) hatten einen Abfall, 9 Personen (helle Farben; rechte Seite) einen Anstieg der CP.

 

 

 

 

 

Ergebnisse:

Der schnelle Aufstieg auf 4 000 m führte zu einem messbaren, individuell unterschiedlich ausgeprägten, oxidativen Stress für den Organismus. Diese betrifft sowohl die CP, die sich signifikant verändern (p = 0,01), als auch den Ausprägungsgrad der AMS. Bei den einzigen drei Personen ohne beziehungsweise mit minimaler AMS fielen die CP ab. Alle anderen Personen zeigten einen Anstieg der CP und einen deutlich höheren LLS zwischen 3 und 12. Der Proband mit dem höchsten Anstieg der CP war am schwersten an der AMS erkrankt. Die lineare Regressionsanalyse ergab ein r2 = 0,43.

Schlussfolgerungen:

Dies ist die erste Studie, die eine Korrelation zwischen Carbonylproteinen und der Ausprägung einer AMS nachweisen konnte. Das Ergebnis dieser Pilotstudie macht weitere wehrmedizinische Forschung auf diesem Gebiet hoch interessant und erfolgversprechend.

Summary

Background:

In quantifying altitude related oxidative stress carbonylated proteins (CP) show great promise. They have been used to determine oxidative stress in newborns so far. In contrast to other markers CP are very stable and early detectable. Therefore, their use in a high altitude environment should be with good prospects.

Methods:

12 subjects spent a night in the altitude and climate chamber of the Air Force Institute of Aviation Medicine in Königsbrueck at a simulated altitude of 4000 m. One hour before altitude exposure and two hours after arrival at 4000 m a blood sample was taken and CP was analyzed by a special ELISA. Results were compared with severity of acute mountain sickness (AMS) after spending 11 hours at 4000 m quantified by the Lake Louise Score (LLS).

Results:

The fast ascent to 4000 m generates a measurable oxidative stress with a wide range in individual susceptibility. This appears at altitude expressed by a significant change of CP (p = 0.01) as well as for the severity of AMS. Three of the subjects having no or least AMS showed a decrease in CP. All other subjects had an increase in CP and an even higher LLS-Score of 3 to 12. The participant with the highest increase in CP was the most severely ill person. Regression analysis showed a linear regression: r2 = 0.43.

Conclusions:

This is the first time a correlation between CP and AMS has been detected, making these results highly interesting for further investigations at high altitude.

1. Einleitung

Bekannterweise führt Höhenexposition zu einem relevanten oxidativen Stress für den Organismus (5) auch ohne zusätzliche fordernde körperliche Betätigung. Diese Belastung nimmt mit zunehmender Aufenthaltsdauer in der Höhe zu und kann sogar nach Rückkehr auf Meereshöhe noch anhalten. Bislang sind die physiologischen und medizinischen Auswirkungen der höhenbedingten Zunahme des oxidativen Stresses nicht geklärt. Allerdings wird allgemein davon ausgegangen, dass die Hypoxie der Auslöser einer ganzen Kaskade von Übermittlungsprozessen im Organismus in Gang setzt, welche letztendlich zur Adaptation an die Höhe führen. Diese Übermittlungsprozesse beinhalten die Bildung von hochreaktiven Oxidationsprodukten (reactive oxygen species: ROS), die wesentliche Anpassungsreaktionen hervorrufen (2). Treten diese ROS aber im Übermaß auf, so führen sie zu einer Verschlechterung der Muskelfunktion und verringerten kapillären Durchblutung in der Höhe oder triggern sogar schwerwiegende neurologische oder pulmonale Funktionsstörungen. Höhenassoziierte Erkrankungen wie die akute Bergkrankheit (acute mountain sickness: AMS), das Höhenlungenödem (high pulmonary edema: HAPE) und das Höhenhirnödem (high altitude cerebral edema: HACE) sind wahrscheinlich durch freie Radikale hervorgerufen, welche Membranen schädigen und auch die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke stören. (1)

Bei der Quantifizierung dieses höhenbedingten oxidativen Stresses auf molekularer Ebene versprechen Carbonylproteine (CP) große Vorteile. Bislang wurden sie als biologischer Marker zur Beurteilung des oxidativen Stresses bei Neugeborenen eingesetzt (15, 17). Im Gegensatz zu anderen entsprechenden Markern ist diese Substanzgruppe chemisch äußerst stabil und frühzeitig nachweisbar (10). Daher erscheint ihr Einsatz in großer Höhe erfolgsversprechend.

2. Methoden

Es handelt sich um eine prospektive, vergleichende Studie. Darin soll die These, dass ein Zusammenhang zwischen der Ausprägung des oxidativen Stresses, quantifiziert durch CP, und dem Schweregrad der Höhenkrankheit besteht, nachgewiesen werden.

Die Studie wurde in der Höhenklimasimulationskammer (HKSK) des Flugmedizinischen Instituts der Luftwaffe (FlMedInstLw), Abteilung II Flugphysiologie in Königsbrück durchgeführt. Die HKSK bietet Platz für 6 Personen zum Übernachten. Da 12 Probanden (jeweils Median (Min-Max): Alter: 23 Jahre (18 - 33 Jahre); Körpergröße: 182,5 cm (169 - 194 cm), Gewicht: 76 kg (55 - 100 kg), Body mass Index 22,5 kg/m2 (19 - 29 kg/m2)) an der Studie teilnahmen, wurden zwei identische Durchgänge durchgeführt. Jeder Durchgang bestand aus einer Übernachtung in der Kammer. Die Probanden wurden innerhalb von 53 min auf 4 000 m dekomprimiert und verbrachten dann 12 Stunden auf dieser Höhe. Vor dem Durchgang wurden bei jedem Probanden ein 10-Kanal-EKG und ein Routinelabor- Bluttest durchgeführt. Alle Testergebnisse waren unauffällig. Während der Studie erfolgten eine Stunde vor Betreten der Kammer und zwei Stunden nach Erreichen von 4 000 m die Blutabnahmen am nicht gestauten linken Unterarm über eine zuvor applizierte Venenverweilkanüle (13/4 Charr). Das entnommene Blut wurde zentrifugiert, das Serum abpipettiert und bei -20 °C eingefroren (Transport zur Auswertung auf Trockeneis bei - 40°C). Die Auswertung erfolgte mittels ELISATests der Firma Immundiagnostik (Bensheim). Nach 11 Stunden auf 4 000 m wurde die jeweilige Höhensymptomatik mit einem Fragebogentest, dem Lake Louise Score (LLS) (3), bestimmt. Entsprechend den Empfehlungen von Maggiorini et al. galten Probanden mit einem LLS von = 5 als höhenkrank (7).

Zu jedem Zeitpunkt war eine rasche Rekompression und Verlassen der Kammer über eine Schleuse möglich. Ein höhenmedizinisch erfahrender Notarzt war ständig anwesend. Alle Probanden nahmen freiwillig an dieser Studie teil und hatten schriftlich eingewilligt. Diese Untersuchung war Teil einer größeren Studie, die von der Ethikkommission der Landesärztekammer Baden Württemberg genehmigt wurde.

Während der Testphase inklusive des Tages davor erhielten alle Probanden die gleiche Nahrung über die Truppenküche des FlugMedInstLw.

Statistische Auswertung

Die Ergebnisse der ersten und zweiten Blutuntersuchung wurden mithilfe des gepaarten t- Tests verglichen. Wir akzeptierten ein p < 0,05 als Indikator statistischer Signifikanz. Die lineare Regressionsanalyse wurde zur Beschreibung des Zusammenhangs zwischen dem LLS und der hypoxiebedingten Veränderung der CP benutzt.

3. Ergebnisse

Der schnelle Aufstieg auf 4 000 m führte zu einem messbaren, individuell unterschiedlich ausgeprägten, oxidativen Stress für den Organismus. Dieser betraf sowohl die CP, welche sich signifikant verändern (p = 0,01), als auch den Ausprägungsgrad der AMS. Die einzigen drei Personen, die gar keine oder nur eine minimale AMS aufwiesen, zeigten einen Abfall der CP. Bei allen anderen Personen lag ein Anstieg der CP und ein deutlich höherer LLS zwischen 3 und 12 (Abb 1) vor. Der Proband mit dem höchsten Anstieg der CP war die am schwersten an AMS erkrankte Person. Die lineare Regressionsanalyse ergab ein r2 = 0,43 (Abb 2).

Dies ist die erste Studie, die eine Korrelation zwischen höhenbedingten Veränderungen der Carbonylproteine und der Ausprägung der Höhensymptomatik nachweisen konnte.

4. Diskussion

Unsere Studie bestätigt die Ergebnisse anderer Autoren, dass höhenbedingter oxidativer Stress eine bedeutende Rolle sowohl bei der Akklimatisation an die Höhe (4, 6, 9) als auch bei der Entwicklung höhenbedingter Erkrankungen (13, 14) spielt.

Die lineare Regressionsanalyse zeigte zwar keine besonders eindrucksvolle Korrelation. Dennoch fällt auf, dass sich die CP nach zwei Stunden in einer Höhe entsprechend 4 000 m in Personen, ohne oder mit nur gering ausgeprägter Höhensymptomatik (Abfall der CP) verglichen zu Personen mit manifester AMS (Anstieg der CP) komplett gegensätzlich verhielten. Trotz des sehr schnellen Aufstiegs scheint das Verhalten/ der Verlauf der CP eine prognostische Relevanz für die Entwicklung von AMS-Symptomen in der nahen Zukunft zu haben. Bei schnellen Aufstiegen (Kraftfahrzeuge, Hubschrauber etc.) wäre diese Vorhersagemöglichkeit äußerst hilfreich, wenn entschieden werden muss, ob Personen diesen Aufstieg durchführen dürfen oder weitere Akklimatisationszeit benötigen. Diese Situationen finden sich zum Beispiel im Rahmen von Rettungseinsätzen, aber vor allem bei militärischen Einsätzen in der Höhe (16). Gerade wegen der häufig erforderlichen schnellen Aufstiegsgeschwindigkeit sind Soldaten besonders anfällig, höhenkrank zu werden (8, 11, 12).

5. Schlussfolgerungen

Im Rahmen dieser Studie konnte zum ersten Mal bei einem Höhenaufenthalt ein Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Carbonylproteine und der Ausprägung der Höhenkrankheit nachgewiesen werden. Die besonderen Eigenschaften dieser Carbonylproteine (rasches Auftreten, hohe chemische Stabilität) machen sie hochinteressant für weitere höhenmedizinische Studien besonders unter wehrmedizinischen Gesichtspunkten.

Literatur

  1. Askew EW: Work at high altitude and oxidative stress: antioxidant nutrients. Toxicol-ogy 2002; 180(2): 107-119.
  2. Bailey DM, Dehnert C, Luks AM et al.: High-altitude pulmonary hypertension is asso-ciated with a free radical-mediated reduction in pulmonary nitric oxide bioavailability. J Physiol 2010; 588(Pt 23): 4837-1847.
  3. Hackett P, Oelz O: The Lake Louise consensus on the definition and quantification of altitude illness. In Sutton, J.; Coates, G.; Houston, C. (eds): Hypoxia and Mountain Medicine. Burlington: Queen City Printers 1992; 327-330.
  4. Hornbein TF: The high-altitude brain. J Exp Biol 2001; 204(Pt 18): 3129-3132.
  5. Jefferson JA, Simoni J, Escudero E et al.: Increased oxidative stress following acute and chronic high altitude exposure. High Alt Med Biol 2004; 5(1): 61-69.
  6. Joanny P, Steinberg J, Robach P et al.: Operation Everest III (Comex'97): the effect of simulated sever hypobaric hypoxia on lipid peroxidation and antioxidant defence systems in human blood at rest and after maximal exercise. Resuscitation 2001; 49(3): 307-314.
  7. Maggiorini M, Muller A, Hofstetter D et al.: Assessment of acute mountain sickness by different score protocols in the Swiss Alps. Aviat Space Environ Med 1998; 69(12): 1186-1192.
  8. Muza SR: Military applications of hypoxic training for high-altitude operations. Med Sci Sports Exerc 2007; 39(9): 1625-1631.
  9. Neubauer JA: Invited review: Physiological and pathophysiological responses to in-termittent hypoxia. J Appl Physiol 2001; 90(4): 1593-1599.
  10. Pantke U, Volk T, Schmutzler M et al.: Oxidized proteins as a marker of oxidative stress during coronary heart surgery. Free Radic Biol Med 1999; 27(9-10): 1080-1086.
  11. Peoples GE, Gerlinger T, Craig R et al.: The 274th Forward Surgical Team experience during Operation Enduring Freedom. Mil Med 2005; 170(6): 451-459.
  12. Pigman EC, Karakla DW: Acute mountain sickness at intermediate altitude: military mountainous training. Am J Emerg Med 1990; 8(1): 7-10.
  13. Roach RC, Hackett PH: Frontiers of hypoxia research: acute mountain sickness. J Exp Biol 2001; 204 (Pt 18): 3161-3170.
  14. Roach RC, Maes D, Sandoval D et al.: Exercise exacerbates acute mountain sickness at simulated high altitude. J Appl Physiol 2000; 88(2): 581-585.
  15. Saker M, Soulimane Mokhtari N, Merzouk SA et al.: Oxidant and antioxidant status in mothers and their newborns according to birth weight. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2008; 141(2): 95-99.
  16. Tannheimer M, Albertini N, Ulmer HV et al.: Testing individual risk of acute mountain sickness at greater altitudes. Mil Med 2009; 174(4): 363-369.
  17. Zitnanova I, Sumegova K, Simko M et al.: Protein carbonyls as a biomarker of foetal-neonatal hypoxic stress. Clin Biochem 2007; 40(8): 567-570.

Datum: 29.08.2012

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/5-6

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