28.01.2019 •

Penicillinallergie ist in den meisten Fällen gar keine: Ausweichen auf andere Antibiotika hat Nachteile und ist oft unnötig

Köln, Februar 2019 – Penicilline zählen zu den am häufigsten verschriebenen und wirksamsten Medikamenten. Da jedoch viele Patienten vermeintlich allergisch auf sie reagieren, verzichten Ärzte mitunter vorsichtshalber darauf, sie einzusetzen. Dabei liegt nur bei den wenigsten Patienten tatsächlich eine Allergie vor. Die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) ruft zu einer verstärkten Überprüfung vermuteter Penicillinallergien auf. Denn anstelle der hochwirksamen und gut verträglichen Penicilline erhalten Patienten mit vermeintlicher Allergie oftmals Antibiotika, die weniger effektiv sind und die Entstehung von Resistenzen befeuern.  

In einer aktuellen Publikation im renommierten Fachblatt JAMA berichten amerikanische Forscher, dass in den USA rund jeder zehnte Patient angibt, schon einmal allergisch auf ein Penicillin reagiert zu haben. Meist sind Nebenwirkungen wie beispielsweise Magen-Darm-Beschwerden oder Juckreiz der Grund für die Vermutung. Allergologische Tests jedoch ergaben, dass bei rund 95 Prozent dieser Patienten keine Allergie vorliege, so die Autoren (1). Ähnliche Zahlen existieren für Deutschland: Hier zeigen Untersuchungen, dass etwa drei Viertel der Patienten, die glauben, an einer Penicillinallergie zu leiden, sogar alle Beta-Laktam-Antibiotika vertragen (2). Zu dieser wichtigen Wirkstoffklasse zählen neben den Penicillinen unter anderem auch die Cephalosporine. „Selbst wenn tatsächlich eine Allergie gegen ein bestimmtes Penicillin vorliegen sollte, ist meist trotzdem die Behandlung mit einem anderen Penicillin oder mit einem Cephalosporin aus dieser Gruppe möglich“, sagt Gerd Fätkenheuer, DGI-Präsident und Leiter der Infektiologie an der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln. Dennoch werde in Akutfällen oft auf die Gabe sämtlicher Beta-Laktame verzichtet, weil die Zeit für allergologische Tests nicht ausreiche. 

„Dass das Ausweichen auf andere Antibiotika auch handfeste Nachteile hat, ist leider nicht hinreichend im Bewusstsein von Ärzten und Patienten verankert“, so Fätkenheuer. Denn anstelle der hochwirksamen und gut verträglichen Beta-Laktam-Antibiotika erhalten diese Patienten dann Antibiotika anderer Substanzklassen, die teils weniger effektiv sind und mit stärkeren Nebenwirkungen einhergehen – etwa einer problematischen Besiedelung des Darms mit Clostridium difficile-Bakterien. Clostridien können Giftstoffe ausscheiden, die Darmentzündungen mit schweren Durchfällen verursachen können. Der vermehrte Einsatz von Breitband- und Reserveantibiotika trägt zudem zur Entstehung von Resistenzen bei. 

„Es ist sinnvoll, wenn Patienten, die vermuten, eine Penicillinallergie zu haben, dies von einem Allergologen einmal abklären lassen“, so Fätkenheuer. „Denn im Akutfall hat man unter Umständen zu wenig Zeit für einen Test, und der Arzt muss zwangsläufig auf andere Antibiotika ausweichen.“ Um die Problematik der Resistenzentstehung einzudämmen und Patienten effektiv und nebenwirkungsarm zu behandeln, müsse zudem seitens der Ärzte die Angabe „Penicillinallergie“ kritischer hinterfragt und das oft unnötige Ausweichen auf Breitband- und Reserveantibiotika deutlich reduziert werden, so die DGI. Die DGI bemüht sich seit vielen Jahren, über Angebote zur Intensivfortbildung im Bereich rationale Antibiotikaverschreibung („Antibiotic Stewardship“, kurz ABS) – vor allem im Krankenhausbereich – das Wissen über einen sinnvollen Antibiotikaeinsatz zu schärfen und Fehlentwicklungen, etwa dem unnötigen Verzicht auf Penicilline, entgegenzuwirken. „Neue Zahlen belegen, dass in deutschen Krankenhäusern durch das Engagement von Ärzten und Apothekern im Bereich ABS zuletzt wieder mehr Penicillin und Penicillinderivate, anstelle von Cephalosporinen und Fluorchinolonen verwendet werden – keineswegs zum Nachteil der Patienten“, sagt Professor Dr. med. Winfried Kern, Professor für Infektiologie am Freiburger Universitätsklinikum und Leiter der Akademie für Infektionsmedizin, die die ABS-Kurse für die DGI organisiert. 

Literatur:

  1. Shenoy E. et al.:
    Evaluation and Management of Penicillin Allergy / A Review
    JAMA.2019;321(2):188-199
    https://jamanetwork.com/journals/jama/article-abstract/2720732 
  2. - Trcka J. et al.:
    Penicillintherapie trotz Penicillinallergie? Plädoyer für eine allergologische Diagnostik bei Verdacht auf Penicillinallergie
    Dtsch Arztebl 2004; 101(43): A-2888 / B-2444 / C-2331
    https://www.aerzteblatt.de/archiv/43978/Penicillintherapie-trotz-Penicillinallergie-Plaedoyer-fuer-eine-allergologische-Diagnostik-bei-Verdacht-auf-Penicillinallergie 
  3. Sachs B. et al.:
    Penicillinallergie: Wenn die Vermutung nicht zutrifft
    Dtsch Arztebl 2018;115(24):20; doi:10.3238/PersPneumo.2018.06.15.005
    https://www.aerzteblatt.de/archiv/198620/Penicillinallergie-(1)-Wenn-die-Vermutung-nicht-zutrifft


Pressekontakt für Rückfragen:

Deutsche Gesellschaft für Infektiologie e.V.
Pressestelle
Juliane Pfeiffer
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel: 0711 89 31 693
Fax: 0711 89 31 167
E-Mail: pfeiffer@medizinkommunikation.org 
www.dgi-net.de 

Datum: 28.01.2019

Verwandte Artikel

Ihre Meinung ist gefragt: Umfrage zur Hepatits C-Testung!

Ihre Meinung ist gefragt: Umfrage zur Hepatits C-Testung!

Hepatitis C bedroht die öffentliche Gesundheit. Das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO)1 und der Bundesregierung2 ist es daher, die Erkrankung bis zum Jahr 2030 zu eliminieren.

Hepatitis C im Blick behalten: Diagnose ermöglicht schnelle Heilung

Hepatitis C im Blick behalten: Diagnose ermöglicht schnelle Heilung

In Deutschland ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer der chronisch mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infizierten Patienten hoch ist. Mit strukturierten Screenings können mehr Betroffene identifiziert und Neuinfektionen schnell erkannt werden.

Jetzt handeln – und ein Stück zur Elimination beitragen

Jetzt handeln – und ein Stück zur Elimination beitragen

Das Ziel der World Health Organization (WHO), Hepatitis C bis 2030 zu eliminieren¹, können wir in Deutschland nur gemeinsam erreichen. Mit Engagement, Zusammenarbeit und einfachen, kurzen Therapien.

Meist gelesene Artikel