Möglichkeiten und ­Herausforderungen multinationaler wehrmedizinischer ­Forschung

Aus der Abteilung A (Abteilungsleiter: Oberstarzt Dr. J. Backus) im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr: Generaloberstabsarzt Dr. U. Baumgärtner)

Erfolgreiche wehrmedizinische Forschung ist eine unabdingbare Grundlage für einen leistungsfähigen Sanitätsdienst der Zukunft. Der Dienst in den Streitkräften ist mit einer Vielfalt von Risiken für die Gesundheit verbunden, von außergewöhnlich hoher physischer und psychischer Belastung bis hin zur Gefahr der Verwundung durch Schuss- und Explosivwaffen oder – in Extrem­situationen – durch ABC-Kampfmittel oder vergleichbare Noxen. Zahlreiche dadurch hervorgerufene Verletzungsmuster bzw. Erkrankungen treten in der zivilen klinischen Praxis nicht, nur äußerst selten oder in nur eingeschränkt vergleichbarer Form auf.

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Forschungsplanung mit französischen SanOffz an der SanAkBw. (Foto: Julia Langer, SanAkBw)
Wehrmedizinische Forschung ist gefordert, um für diese Situationen geeignete Verfahren und Produkte zur Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation zur Verfügung zu stellen. Insbesondere Materialien, Fähigkeiten und Verfahren, die in den ersten Stunden nach Verletzung bzw. Verwundung entscheidenden Einfluss auf das Überleben und die Chance auf gesundheitliche Wiederherstellung haben, müssen zudem angepasst werden, um auch unter Einsatzbedingungen verlässlich verfügbar zu sein.

Internationale Kooperation in der wehrmedizinischen Forschung kann aus einer Vielfalt von Gründen angezeigt sein. Nur begrenzt verfügbare personelle und materielle Ressourcen können gezielt für die Beantwortung dringender wehrmedizinischer Fragestellungen und zur Entwicklung einsatzrelevanter Produkte und Verfahren eingesetzt werden. Eine kostenintensive Doppelforschung wird vermieden, im Bereich der tierexperimentellen Forschung zugleich ein Beitrag zur weitest möglichen Reduktion von Tierversuchen geleistet. Austausch mit weltweit führenden Experten des jeweiligen Fachgebiets stellt sicher, dass sich die eigene Forschung jeweils am aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik ausrichtet. Einige internationale Kooperationspartner können auf dem Gebiet z. B. der Tropenmedizin, aber auch des Medizinischen A- oder C-Schutzes den Zugang zu weltweit einmaligen Patientenkollektiven ermöglichen, ggf. mit der Perspektive, dass gewonnene Erkenntnisse den Patienten unmittelbar zu Gute kommen. Gemeinsam gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse und darauf aufbauende medizinische Verfahren, Arzneimittel oder Medizinprodukte können letztlich die Interoperabilität zwischen den Sanitätsdiensten befreundeter Nationen stärken.

Den vielfältigen Möglichkeiten internationaler Kooperation in der wehrmedizinischen Forschung stehen zahlreiche Herausforderungen gegenüber. Streitkräfte und Sanitätsdienste können sich unterschiedlichen Szenarien der Bedrohung gegenübersehen und somit auch Forschungsansätze unterschiedlich priorisieren. Gesetzliche und regulatorische Anforderungen können abweichen, ebenso wie Vergabeverfahren für Forschungsvorhaben und zeitliche Abläufe.

Im Folgenden werden eine Reihe von multi- und bilateralen Ansätzen zu einer Stärkung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wehrmedizinischen Forschung vorgestellt.

Das Committee of Chiefs of Military Medical Services in NATO (COMEDS) hatte als ranghöchstes sanitätsdienstliches Gremium das COMEDS Future Advisory Board mit der Erstellung einer sog. Prioritized Research List beauftragt. Ein entsprechender Entwurf wurde im Herbst 2018 entwickelt und durch die Vollversammlung von COMEDS gebilligt. Damit verfügt die NATO zum ersten Mal über abgestimmte Prioritäten auf dem Gebiet der wehrmedizinischen Forschung. Diese umfassen Forschungsaktivitäten zur Digitalisierung sanitätsdienstlicher Leistungen, zur Gewinnung, Bindung und Fortentwicklung der Fähigkeiten von militärischem und sanitätsdienstlichem Personal, zu Rehabilitation und Regenerativer Medizin, zur Untersuchung und den Grenzen physiologischer Leistungsfähigkeit, zu sich entwickelnden neuartigen Gesundheitsrisiken und zu einer verbesserten Versorgung physischer Traumata insbesondere in den ersten Stunden nach Verwundung und Verletzung. COMEDS strebt ergänzend dazu eine künftig intensivierte Zusammenarbeit mit der NATO Science and Technology Organization, insbesondere dem Human Factors and Medicine Panel an.

Auf bilateraler Ebene fokussiert der Sanitätsdienst der Bundeswehr auf eine Kooperation mit besonders leistungsfähigen Premium-­Partnern, bei denen eine intensive wissenschaftliche Zusammenarbeit und eine rasche Umsetzung von Forschungsergebnissen in sanitätsdienstliche Fähigkeiten als realistisch erscheint. Als herausragende Partner sind beispielhaft zu nennen:

  • Frankreich, hier wurden gezielt Partnerschaften zwischen französischen Militärkrankenhäusern und Bundeswehrkranken­häusern in Deutschland aufgebaut, gemeinsame Forschungsinteressen identifiziert und Vorhaben, u. a. auf dem Gebiet der Tropenmedizin begonnen. Die bereits seit Jahren etablierte und wissenschaftlich wertvolle Kooperation der Ressortforschungsinstitute des Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit dem französischen Pendant IRBA (Institut de Recherche Biomédicale des Armées) wurde aktuell ausgebaut und intensiviert.
  • die USA, die das weltweit führende wehrmedizinische Forschungsprogramm betreiben, Erkenntnisse über gemeinsame Forschungsansätze, die auf dem jährlich stattfindenden Military Health System Research Symposium (MHSRS) gewonnen wurden, sind bereits in konkrete Forschungsvorhaben, u. a. im Bereich des Medizinischen A-Schutzes umgesetzt worden. Die Forschungskooperation mit den USA wurde aktuell im Format „Structured Dialogue“ (strukturierter Dialog) intensiviert und institutionalisiert.
  • Israel, aufgrund seiner herausragenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der präklinischen Versorgung physischer Trauma und der Psychotraumatologie,
  • das Vereinigte Königreich, das ebenfalls führende Expertise auf dem Gebiet der Psychotraumatologie besitzt, hier befindet sich eine Kooperation zwischen dem King’s College London und dem Psychotraumazentrum der Bundeswehr am Bundeswehrkrankenhaus Berlin im Aufbau.


Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass internationale Kooperation auf dem Gebiet der wehrmedizinischen Forschung ein forderndes Tätigkeitsfeld darstellt, dessen Intensivierung und fokussierte Bearbeitung angesichts der Vielfalt an wehrmedizinischen Fragestellungen und nur begrenzt verfügbarer Ressourcen jedoch lohnend und langfristig zwingend erforderlich ist. 

Verf.:
Oberfeldapotheker
Dr. Frank Balszuweit
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Sachgebiet I 1.3
Von-Kuhl-Straße 50
56070 Koblenz
E-Mail: frankbalszuweit@bundeswehr.org 

Datum: 14.10.2019

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2019

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