Konzept zur Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten

Flugplätze stellen ein besonderes Gefährdungspotential für Massenanfälle von Verletzten dar. Das Starten und Landen von Luftfahrzeugen mit oftmals vielen Passagieren an Bord sowie der Ausbildungsflugbetrieb mit der Durchführung von Notverfahren bergen Risiken, die es gilt in einer notfallmedizinischen Planung einzubeziehen und entsprechende Organisationsstrukturen für jede Eventualität vorzuhalten. Darüber hinaus sind Heeresflugplätze der Bundeswehr oftmals auch Ausweichflugplätze (Alternates) für zivile Flughäfen der Region und können somit auch bei Luftnotlagen von zivilen Luftfahrzeugen angeflogen werden.

Für die notfallmedizinische Versorgung am Heeresflugplatz Celle ist der Fliegerarzt mit der Sanitätsunterstützungsgruppe Flugbetrieb verantwortlich. Bei der Einführung des Qualitätsmanagements im fliegerärztlichen Dienst des Flugplatzes wurde in einer Risikoanalyse im Jahr 2003 sehr schnell deutlich, dass die zur Verfügung stehenden militärischen, notfallmedizinischen Kräfte in einem Großschadensfall auf zivile Unterstützung angewiesen sind. Es erfolgte eine Verbindungsaufnahme zu den entsprechenden Behörden im Landkreis Celle. Bis zu diesem Zeitpunkt existierte in dem Landkreis, in dem das Eisenbahnunglück von Eschede 1998 stattgefunden hatte, kein durchgehendes MANV Konzept. So wurde die fliegerärztliche Initiative mit viel Engagement aufgenommen und in akribischer Detailarbeit innerhalb von 2 Jahren zu einem Gesamtkonzept geführt. Groß angelegte aber auch kleinere Übungen führen seit dem dazu das Konzept als „living document“ permanent zu verbessern und Details weitergehend anzupassen.

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Abb. 1: MANV Übung Bergen

Definitionsgemäß liegt ein „Massenanfall“ von Verletzten und Erkrankten vor, wenn bei einem Schadensereignis auf Grund der Anzahl Betroffener, der Schwere der Verletzungs-/Erkrankungsfolgen, der besonderen Umstände und/oder eines besonderen Koordinierungsbedarfs die persönliche und materielle Leistungsfähigkeit des eingesetzten rettungsdienstlichen Personals (Notarzt, Rettungsassistent, -sanitäter, -helfer) vermutlich oder tatsächlich nicht ausreicht, um jeden Betroffenen im weitest möglichen Umfang individualmedizinisch zu versorgen. Im Gegensatz zu einer Katastrophe kann ein MANV Fall mit der vorhandenen und einsetzbaren Vorhaltung des Rettungsdienstes aus dem Rettungsdienstbereich versorgt werden.

Grundvoraussetzung für ein zuverlässiges Konzept ist eine enge Kooperation und gemeinsame Koordination der medizinischen Dienste (Sanitätsstaffel und Fliegerarzt mit Sanitätsunterstützungsgruppe Flugbetrieb) und der Flugplatzfeuerwehr am Heeresflugplatz.
Hierzu wurde eine Notrufzentrale im Bereich der Flugplatzfeuerwehr eingerichtet, die zentraler Koordinationspunkt sämtlicher rettungstechnischer Maßnahmen am Flugplatz darstellt. Alle Notfallmeldungen, sowohl Flugunfälle wie auch akute Erkrankungen oder Verkehrsunfälle im Bereich des Flugplatzes, treffen beim Disponenten der Notrufzentrale ein. Dieser legt daraufhin den Einsatz feuerwehrtechnischer und notfallmedizinischer Mittel aus dem militärischen Bereich fest. Sollten die militärischen Mittel nicht ausreichen, erfolgt eine Nachforderung von zivilen Rettungsmitteln nach Anforderung durch den Arzt oder dem Einsatzleiter der Feuerwehr vor Ort durch die Notrufzentrale. Die Notrufzentrale ist Ansprechpartner der zivilen Rettungsleitstelle und koordiniert gemeinsam mit dieser die weiteren Maßnahmen. Bei einem Massenanfall von Verletzten ist diese Notrufzentrale entscheidender Kristallisationspunkt für die Örtliche Gesamteinsatzleitung Rettungsdienst und als dessen Standort im Konzept definiert. Wichtige Kommunikationsmittel sind ebenso vorhanden wie geeignete Infrastruktur.
Nach einem festgelegten Alarmierungsschema mit unterschiedlichen Alarmierungsstufen (Voralarm, MANV 1 bis 3) werden vom Einsatzleiter vor Ort über die Notrufzentrale bei der Rettungsleitstelle des Landkreises gestaffelt, definierte Leistungsträger der Rettungsdienste abgerufen. Dieses betrifft u.a. die Anzahl der zu alarmierenden Notarzteinsatzfahrzeuge und Rettungswagen, das Hinzuziehen von Sonder Einsatz Gruppen (SEG) der Feuerwehren und technischem Gerät von zivilen Hilfsorganisation (THW), die Alarmierung von Notfallseelsorgern und -psychologen sowie ggf. von überregionalen Einsatzkräften.
Am Heeresflugplatz wurde in Sichtweite zur Notrufzentrale / Standort der Gesamteinsatzleitung eine ausreichend große, geteerte Fläche als Aufstellungsraum / Bereitstellungsraum für eintreffende zivile Rettungsfahrzeuge festgelegt. Alle zivilen Rettungsfahrzeuge gelangen auf einer festgelegten, ausgeschilderten und der Rettungsleitstelle bekannten Route durch die Kasernenanlage zu diesem Aufstellungsraum. Eintreffende Fahrzeuge werden von dem „Leiter Aufstellungsraum“ , erkenntlich an einer lemongrünen Weste, registriert. Die Einsatzleitung am Unfallort wird über die zur Verfügung stehenden Kräfte informiert und ruft diese in geeigneter Reihenfolge zum Unfallort ab. Durch diese konzeptionellen Festlegungen wird ein koordinierter und dokumentierter Einsatz von Rettungskräften sichergestellt und Behinderungen im Fahrzeugfluss vermieden.

Um auch ungünstigen Witterungsbedingungen (Regen, Schnee, Nacht, Hitze) Rechnung tragen zu können, legt das MANV Konzept weitergehend die Feuerwehrfahrzeughalle als geeigneten Behandlungsplatz fest. Hier bestehen gute Behandlungsbedingungen, die Kommunikationsverbindungen sind geregelt, Anfahrts- und Abfahrtswege festgelegt.
Als vorbereitende Maßnahme werden Krankentragen und medizinisches Verbrauchsmaterial in geeigneter Weise in dem Gebäude bevorratet. Die Entscheidung über die Etablierung dieses Behandlungsplatzes trägt im MANV Fall der Leitende Notarzt. Als „Einsatzabschnittsleiter Behandlung“ ist im Konzept der Rettungsassistent des ersteintreffenden Notarzt Einsatz Fahrzeugs (NEF) festgelegt. Für den dokumentierten Abtransport der Patienten von dem Behandlungsplatz ist auf Weisung des Leitenden Notarztes der „Einsatzabschnittsleiter Transport“ verantwortlich.

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Abb. 2: MAV Übung Übergabe Leitender Notarzt - Technischer Leiter


Von großer Bedeutung ist die Festlegung der Kompetenzen und Verantwortungsbereiche im Konzept. Nach dem Eintreffen am Unfallort ist der Einsatzleiter der Feuerwehr Gesamtverantwortlicher. Ihm arbeitet der ersteintreffende Arzt (Bundeswehr) in der Funktion Leitender Notarzt solange zu, bis der amtlich bestellte Leitende Notarzt an der Unfallstelle eintrifft. Die Kennzeichnung ist festgelegt: blaue Weste mit der Aufschrift LNA. Der ersteintreffende Rettungsassistent (Bundeswehr) übernimmt in Konkordanz dazu die Aufgaben des Technischen Leiters Rettungsdienst (TLR, OrgL) bis auch hier der amtlich bestellte TLR an der Unfallstelle eintrifft. Nach Ablösung arbeiten Arzt und Rettungsassistent im Bereich Behand-lungsplatz.
Alle beteiligten Parteien haben sich in dem Konzept auf die Verwendung der aktuellen Verletztenanhängekarte des Deutschen Roten Kreuzes verständigt, um eine einheitliche, durchgehende Dokumentation sicherzustellen. Die Dokumentation des Eintreffens der Rettungsfahrzeuge und des Abtransports der einzelnen Patienten in die weiterführenden Behandlungseinrichtungen erfolgt auf vorgefertigten Formblättern.
Weitergehend beinhaltet das MANV Konzept als Anhang: eine detaillierte Aufstellung der zur Verfügung stehenden Rettungsmittel im Landkreis Celle (organisationsübergreifend) mit den entsprechenden Fernmeldeverbindungen (Telefon, Fax, Funk), Kartenmaterial bezüglich des Anfahrtsweges zum Aufstellungsraum und vom Aufstellungsraum selbst, eine Übersicht der festgelegten Kennzeichnungen der Funktionsträger, eine Auflistung der weiterbehandelnden medizinischen Versorgungseinrichtungen im Umkreis und einen Kommunikationsplan mit Funkverbindungen und Frequenzen.

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Abb. 3: MANV Übung am Verletzten

 

Ein derartiges rettungsmedizinisches Gesamtkonzept ist von vielen Variablen abhängig, die sich im Verlauf der Zeit ändern, seien es die Fahrzeuge der Feuerwehren oder des Rettungsdienstes oder auch die Personalstärken der einzelnen Hilfsorganisationen. Hier ist eine stetige Weiterentwicklung des Konzeptes von Nöten. Die Ergebnisse von Übungen bringen weitergehenden Änderungsbedarf, so dass dieses MANV Konzept als „living document“ betrachtet werden muss. Regelmäßige Arbeitssitzungen der beteiligten Organisationen unter Federführung des Landkreises sind hierzu dringend notwendig. Ein großer Vorteil besteht hierbei auch im persönlichen Kennenlernen der Verantwortlichen. Dieses führt zu einer „Teambildung“ bereits weit im Vorfeld eines Einsatzes, welches dann in der akuten Situation die Kommunikation und die Kooperation nach hiesiger Auffassung entscheidend verbessert. Aus diesem Grund wird die Inübunghaltung der Rettungsassistenten der Bundeswehr im lokalen Rettungsdienst und an den Krankenhäusern vor Ort für wichtig gehalten. Die Disponenten der Notrufzentrale am Heeresflugplatz werden in der Rettungsleitstelle des Landkreises ausgebildet und führen regelmäßige Arbeitstreffen durch. Unter der Federführung des Flugsicherheitsstabsoffiziers kommen Sanitätskräfte und Feuerwehrangehörige am Heeresflugplatz einmal pro Quartal zu einer Fortbildungsveranstaltung zusammen, in der organisationsübergreifend über relevante Themengebiete referiert wird. Dieses fördert das gegenseitige Verständnis über Verhalten und Abläufe an der Unfallstelle und trägt zur Teambildung bei. Gemäß der aktuellen militärischen Vorschriftenlage werden monatliche Alarmierungsübungen durch den Flugsicherheitsstabsoffizier durchgeführt, die zur Weiterentwicklung von Flugunfallbereitschaft und MANV Konzept beitragen.
Zur Erleichterung der Einweisung von zuversetzten Soldaten und Feuerwehrangehörigen wurde vom Fachmedienzentrum der Heeresfliegerwaffenschule unter Federführung des Fliegerarztes ein Ausbildungsvideo zum MANV Konzept gedreht, dessen Zielgruppe im Bereich der Kraftfahrer, Feuerwehrangehörigen und Rettungssanitätern anzusiedeln ist.

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Abb. 4: Darstellung Verletztenablage

 

Für den Landkreis Celle hat das vorgelegte Konzept Allgemeingültigkeit und wird situations- und lageadaptiert angewandt. So dient es als Grundlage für die Erstellung von Rettungs- und Alarmplänen für weitere risikobehaftete Liegenschaften und Einrichtungen im Verantwortungsbereich. Die Konzepterstellung hat viel Detailarbeit und Engagement von allen Beteiligten gefordert. Jede Übung zeigt die qualitative Verbesserung der Patientenversorgung durch die kooperative und konzeptionelle Festlegung der Rahmenbedingungen sehr deutlich. So kommt der Rettungsdienst auch bei Großschadensereignissen der Individualversorgung ein Stück näher.

Datum: 30.06.2008

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/2

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