21.09.2012 •

IMMER WIEDER IN DEN SCHLAGZEILEN: AFFENPOCKENVIREN

Again and Again in the News: Monkeypox Viruses



Aus dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München (Leiter. Oberstarzt: Prof. Dr. L. Zöller)



Hermann Meyer

Das Affenpockenvirus gehört zum Genus Orthopoxvirus und verursacht beim Menschen eine klinisch den echten Pocken sehr ähnliche Infektion. Infektionen werden regelmäßig aus dem tropischen Regenwald Afrikas berichtet; die Menschen stecken sich durch Kontakt mit infizierten Hörnchen an.

In den Jahren 2006 bis 2007 wurde ein intensives, aktives Überwachungsprogramm in der Demokratischen Republik Congo (DRC) durchgeführt. Hierbei ermittelte Daten wurden mit einer Untersuchung aus den Jahren 1981 bis 1986 verglichen. Im Vergleich der Beobachtungszeiträume fiel ein bis zu 20-facher Anstieg der Inzidenz auf. Neun von 10 Fällen wurden bei Personen beobachtet, die nach Einstellung der Pockenschutzimpfung geboren wurden. Heute ist ein Großteil der Weltbevölkerung gegenüber Pocken empfänglich. Das beweist der Ausbruch von humanen Affenpocken in den USA nach Kontakt mit infizierten Präriehunden. Diese hatten sich über mit Affenpockenviren infizierte Nager angesteckt, die aus Ghana importiert worden waren. Dies verdeutlicht, dass diese Viren sehr wohl das Potenzial haben, auch außerhalb des afrikanischen Endemiegebietes aufzutreten.

Summary

Monkeypox virus is an orthopoxvirus and the causative agent for human monkeypox, a viral disease with a clinical presentation in humans similar to that seen in smallpox patients in the past. Human monkeypox is recurrently reported in remote villages of Central Africa close to tropical rainforest areas where contact with infected animals is assumed. During 2006 and 2007, a monkeypox surveillance programme was conducted in the Democratic Republic of the Congo (DRC) and data were compared to findings of a similar study that ran from 1981 to 1986. The two most heavily surveyed zones from the 1980s study saw a 20-fold increase in monkeypox within the past 25 years. Nine out of 10 cases occurred in individuals born after 1980, when mass smallpox vaccinations were already terminated in DRC. Today, the world’s population is now largely unvaccinated against smallpox, and the 2003 US outbreak of human monkeypox transmitted from imported Ghanaian rodents to American groundhogs demonstrates that the virus can escape central Africa and spread globally through animal hosts.

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Die Entdeckung der Affenpockenviren

Das Auftreten pockenähnlicher Erkrankungen bei asiatischen Cynomolgusaffen (Macaca fascicularis) im Kopenhagener Zoo im Jahre 1958 führte zur Erstbeschreibung der Spezies Affenpockenvirus, die dem Genus Orthopox - virus (Familie Poxviridae) zugerechnet wird. In den 60iger Jahren kam es in Zoos und Tierhaltungen mehrfach zu Affenpockenausbrüchen; über Infektionen des Menschen wurde dabei nicht berichtet. Erst im Jahre 1970 identifizierte man Infektionen mit Affenpockenvirus als Ursache einer pockenähnlichen Erkrankung bei nicht gegen Pocken schutzgeimpften Kindern in West- und Zentralafrika (Abb 1). Aus Sorge, dass Affenpockenvirusinfektionen die Eradikation der Pocken gefährden könnten, führte die WHO in der Zeit von 1981 bis 1986 intensive Untersuchungen in der Demokratischen Republik Congo (DRC) durch. Insgesamt wurden 338 Fälle (33 Todesfälle) mittels Laboruntersuchungen dokumentiert. 86 % betrafen Kinder unter 10 Jahren und in 72 % der Fälle ließ sich die Infektion auf Tierkontakte zurückführen. Die Übertragbarkeit (secondary attack rate) der Affenpockenviren war mit 3,3 % deutlich niedriger als die der Menschenpocken (40-80 %). Heute weiß man, dass die Bezeichnung Affenpockenvirus nicht korrekt ist, da verschiedene Nagetierspezies das Virusreservoir im afrikanischen Regenwald bilden. Aufgrund der intensiven Untersuchungen war die WHO zu der Überzeugung gekommen, dass sich in Afrika kursierende Affenpockenviren nicht selbstständig in der menschlichen Population über Mensch-zu-Mensch- Kontakte ausbreiten können. Gefordert wurde jedoch eine Überwachung des Infektionsgeschehens, um eine mögliche „Evolution“ der Affenpockenviren zu erkennen. Denn eine Virulenzsteigerung eines Erregers, der eine pockenähnliche Erkrankung auslöst und zudem über ein Reservoir verfügt, wäre eine sehr beunruhigende Vorstellung (1).

Sind die Affenpockenviren gefährlicher geworden?

Lange Zeit blieb es ruhig um die Affenpockenviren, nur ein paar sporadische Fälle wurden berichtet. 1996/97 wurde jedoch die Weltöffentlichkeit durch Schlagzeilen über den bisher größten Affenpockenvirus-Ausbruch in der Demokratischen Republik Congo mit über 500 Fällen aufgeschreckt. Epidemiologische Untersuchungen durch die WHO und CDC (Centers of Disease Control and Prevention, USA) ergaben, dass zwar die Letalität mit 1,5 % deutlich niedriger, die Rate der Mensch-zu- Mensch-Übertragung mit bis zu 70 % jedoch gegenüber der WHO-Untersuchung von 1981-86 sehr deutlich erhöht war (2, 3, 4).

Dieser sprunghafte Anstieg löste eine Reihe von Diskussionen aus. Neben der sinkenden Immunitätslage nach Einstellung der Pockenschutzimpfung wurden auch genetische Veränderungen dieses re-emerging Erregers vermutet. Aus heutiger Sicht sind jedoch Unterschiede in der Erhebung virologischer und epidemiologischer Daten für diese Diskrepanz verantwortlich zu machen. In der Untersuchung von 1981- 86 wurden nur Fälle nach ärztlicher Begutachtung und Bestätigung im Labor aufgeführt. Im Gegensatz dazu wurde 1996/97 die Mehrzahl der Fälle retrospektiv nur aufgrund der Klinik (Fieber und vesikulo-pustulöser Ausschlag) erhoben, ohne dass hier Laborbestätigungen folgten. Damit wurde die Differenzialdiagnose „Windpocken“, eine Varicella-Zoster-Virusinfektion, nicht genügend abgegrenzt. Diese auch in Afrika sehr häufige Infektion ist durch eine hohe Übertragungsrate (> 85 %) und eine geringe Letalität (< 0,01 %) charakterisiert. Das Einbeziehen dieser falsch-positiven Windpockenfälle könnte somit die erhöhte Mensch-zu-Mensch-Übertragung erklären, in deren Folge es zum „falschen“ Alarm kam (5). Dies unterstreicht einmal mehr, wie wichtig es ist, korrekte Daten in einem Ausbruchsgeschehen zu erheben.

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Neue Situation: Affenpockenviren in den USA!

Im Frühjahr 2003 standen die Affenpockenviren erneut in den Schlagzeilen. In den USA wurden innerhalb von sieben Wochen 81 Verdachtsfälle von Affenpocken beim Menschen gemeldet, von denen zwei schwerwiegende Verläufe zeigten. Dies war insofern verwunderlich, da man als Endemiegebiet der Affenpockenviren ausschließlich den tropischen Regenwald Afrikas identifiziert hatte. Fälle von Affenpocken beim Menschen waren noch nie außerhalb Afrikas aufgetreten. Verständlich, dass umfangreiche epidemiologische Untersuchungen durchgeführt wurden. Hierbei zeigte es sich, dass sich die Patienten über Präriehunde infiziert hatten. Die über den Tierhandel bezogenen Präriehunde hatten sich offenbar über Kontakt mit aus Westafrika eingeführten Nagerspezies (Riesenhamsterratten und Flughörnchen) infiziert. In der Folge wurden massive Einfuhrbeschränkungen für die sogenannten pet animals angeordnet. Auch in Afrika selbst kam es im Jahre 2005 zu einem unerwarteten Ausbruch von Affenpocken beim Menschen im südlichen Sudan. Unerwartet deshalb, weil die Fälle in einem vom tropischen Regenwald deutlich abweichenden Habitat auftraten. Das Auftreten der Affenpockenviren in den USA und im Sudan unterstreicht eindrucksvoll, dass diese Viren in Zukunft wohl nicht auf das bekannte Endemiegebiet beschränkt bleiben werden (6, 7).

Deutlicher Anstieg von Infektionen mit Affenpockenviren bewiesen

Zusammen mit einer Arbeitsgruppe am National Institute of Health (NIH), am USAMRIID (US Army Medical Research Institute of Infectious Diseases) und in Institutionen in der Demokratischen Republik Congo (DRC) war das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr an der Untersuchung von Verdachtsfällen von Affenpocken beim Menschen im Zeitraum von November 2005 bis November 2007 in mehreren Provinzen beteiligt. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America im Jahr 2010 publiziert (8). Zahlreiche kongolesische Mitarbeiter identifizierten Verdachtsfälle vor Ort, erhoben epidemiologische Daten und entnahmen klinisches Material wie Krusten und Vesikeln. Über 1 000 Proben wurden in unserem Institut und parallel am USAMRIID molekularbiologisch und virologisch untersucht und insgesamt 760 Fälle von Affenpockenvirus-Infektionen bestätigt (siehe Abb 1).

Die Datenauswertung ergab, dass männliche Patienten mit 62 % eine signifikant höhere Infektionsrate aufwiesen als weibliche. Eine saisonale Häufung war nicht zu beobachten. Bezogen auf die in den untersuchten Provinzen lebende Bevölkerungszahl errechnete sich eine jährliche kumulative Inzidenz von 5,5 Fällen pro 10 000 Bewohner. Dabei traten in Bereichen mit Regenwald höhere Inzidenzen auf als in Regionen mit Savanne. Die meisten Patienten (92,7 %) mit nachgewiesener Affenpockenvirus- Infektion waren nach Einstellung der gesetzlichen Pflichtimpfung im Jahr 1980 geboren und somit unter 30 Jahre alt. Nur 3,8 % (29 von 760) der Infizierten wiesen eine Impfnarbe (als Nachweis einer Pockenschutzimpfung) auf (Tab 1). Da die damalige Immunisierungsrate der Gesamtbevölkerung aber deutlich höher lag (circa 25 %), ist dies ein deutlicher Hinweis, dass die Immunität gegen Pocken offenbar langandauernd ist und auch heute noch gegenüber einer Infektion mit Affenpockenvirus einen wirksamen Schutz verleiht.

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Im Rahmen der WHO-Untersuchung von 1981-86 war der Gesundheitsbezirk Kole ähnlich intensiv untersucht worden wie in der NIH-Untersuchung von 2005 bis 2007. Insofern konnten die beiden Datensätze verglichen werden, um Aussagen zum Vorkommen der Affenpockenviren zu treffen. Während damals Kinder unter 10 Jahre über 90 % der Infizierten stellten, ist es heute (20 Jahre später) die Altersklasse der bis zu 30-Jährigen mit 90 % der Infizierten (Tab 2). Dies erscheint plausibel, da sich ja das Alter der nicht mehr Geimpften gleichermaßen um 20 Jahre verschoben hat.

Bezieht man Daten zur Bevölkerungszahl in der Provinz Kole mit ein und vergleicht man die im Abstand von 20 Jahren erhobenen epidemiologischen Datensätze, so ist es zu einem deutlichen Anstieg (Faktor 20) der durchschnittlichen jährlichen Inzidenz (von 0,72 auf 14,42 pro 10 000 Einwohner) gekommen (Tab 2). Berücksichtigt man den Bevölkerungszuwachs in der Provinz, so hätte die Inzidenz nur um den Faktor 7 ansteigen dürfen. Gibt es daher andere Gründe, die diesen Anstieg erklären könnten?

Da Infektionen üblicherweise nur in entlegenen ländlichen Gegenden und in der Nähe zum Regenwald auftreten, könnte ein häufigerer Kontakt mit Nagern und Hörnchen, die im tropischen Regenwald als Reservoirwirte angesehen werden, eine Erklärung sein. Insbesondere hat die gestiegene Anzahl an Ölpalmen-Plantagen den Hörnchen mehr Lebensraum in der Nähe von Behausungen verschafft. Infolge von Bürgerkriegswirren und Verarmung ist die Bevölkerung vermehrt auf die Versorgung mit bush meat (darunter Affenfleisch) angewiesen. Das könnte die Infektionsraten gerade bei der männlichen Bevölkerung unter 20 erhöht haben und korreliert mit dem Jagdverhalten dieser Altersgruppe (9).

Es könnte sich allerdings auch die Mensch-zu-Mensch-Übertragungsrate erhöht haben. Dafür spricht, dass in den traditionellen Behausungen heute ein höherer Anteil an Personen lebt, der immunologisch gegenüber einer Pockeninfektion naiv ist. Früher war die Familie geschützt, nur die unter 10-Jährigen besaßen keine Impfung. Begründete Aussagen über eine veränderte Übertragungsrate kann man jedoch nur nach detaillierten Kontaktstudien mit Anwendung mathematischer Modelle bekommen.

Ob sich gegebenenfalls das Virus selbst verändert hat, können nur molekularbiologische Untersuchungen zeigen. Es bleibt spekulativ, ob höhere Prävalenzraten zu Mutationen führen, die Auswirkungen auf die Fitness des Erregers haben und eine höhere Übertragungsrate und/oder Virulenz bewirken.

Andererseits könnten wir auch insgesamt zu wenig Fälle ermittelt haben, da manche Siedlungen sehr abgelegen sind und von dort keine Fälle berichtet wurden. Da mit den von uns verwendeten Labormethoden auch nur akute Fälle erfasst wurden, sind die oben angegebenen Schätzungen eher als konservativ anzusehen.

Natürlich war die Studie teilweise limitiert. So war an ein flächendeckendes Monitoring nicht zu denken, da nur wenig Geld zur Verfügung stand. Wir haben uns daher auf den Distrikt Sankuru beschränkt. Hier wurde seit 1996 regelmäßig über Fälle berichtet und durch die WHO wurden ebenfalls vor 20 Jahren Untersuchungen durchgeführt. Außerdem sollte sich eine aktive Überwachung gerade auf die Regionen konzentrieren, in denen das Virus zirkuliert. Leider konnten wir nicht das Ausmaß der Tier-zu-Mensch-Übertragung im Vergleich zur Mensch-zu- Mensch-Übertragung bestimmen und ob letztere für die erhöhte Inzidenz verantwortlich ist. Auch wissen wir nicht, ob und wie hoch die Schwelle der Inzidenz sein muss, damit sich das Virus in der Bevölkerung festsetzen kann.

Schlussfolgerungen

In jedem Fall sind Affenpockenviren immer wieder für eine Überraschung gut und wann es der Erreger wieder schafft, in die Schlagzeilen zu kommen, ist sicher nur eine Frage der Zeit.

Literatur

  1. Henderson DA, Inglesby TV, Bartlett JG, et al.: Smallpox as a biological weapon: medical and public health management. Working Group on Civilian Biodefense. JAMA 1999; 281: 2127-2137.
  2. Cohen J: Is an Old Virus Up to New Tricks? Science 1997; 277 (5324): 312-313.
  3. Jezek Z, Fenner F: Human Monkeypox (Karger, Basel). From the Centers for Disease Control and Prevention. Human monkeypox– Kasai Oriental, Democratic Republic of Congo, February 1996-October 1997. MMWR 1997;46: 11168-11171.
  4. Hutin YJ, Williams RJ, Malfait P, et al.: Outbreak of human monkeypox, Democratic Republic of Congo, 1996 to 1997. Emerg Infect Dis 2001; 7: 434-438.
  5. Di Giulio DB, Eckburg, PB: Human monkeypox: an emerging zoonosis. The Lancet Infect Dis 2004; 4: 15-25. 
  6. Damon IK, Roth CE, Chowdhary V: Discovery of monkeypox in Sudan. N Engl J Med 2006; 355: 962–963.
  7. Meyer H, Perrichot M, Stemmler M, et al.: Outbreaks of disease suspected of being due to human monkeypox virus infection in the Democratic Republic of Congo in 2001. J Clin Microbiol 2002; 40: 2919-2921.
  8. Rimoin AW, Mulembakanic PM, Johnston SC, et al.: Major increase in human monkeypox incidence 30 years after smallpox vaccination campaigns cease in the Democratic Republic of Congo. Proceedings of the National Academy of Sciences USA 2010; 107(37): 16262-1627. Epub 2010 Aug 30. 
  9. Fuller T, Thomassen HA, Mulembakani PM, et al.: Using Remote Sensing to Map the Risk of Human Monkeypox Virus in the Congo Basin. Ecohealth 2010; DOI: 10.1007/s10393-010-0355-5.

 

Datum: 21.09.2012

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/8-9

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