GASTROENTERITIS IM EINSATZLAND

Ein Erfahrungsbericht aus Kabul, Afghanistan

Hintergrund



Gerade so die banal anmutende Reisediarrhoe im Sinne einer infektiösen Gastroenteritis stellt im Auslandseinsatz nicht nur die Soldaten sondern auch die sie versorgenden Sanitätskräfte immer wiederkehrend vor in der Breite der Wahrnehmung der Truppe vernachlässigte Herausforderungen. Umdas Augenmerk der versorgenden Truppenärzte auch auf diesen Themenkomplex zu lenken soll den Lesern dieser Erfahrungsbericht aus den bisherigen Einsätzen des Autors dienen. Ein Anspruch auf wissenschaftliche Verarbeitung soll bewußt nicht abgeleitet werden. In zweimaliger Verwendung als Arzt auf einembeweglichen Arzttrupp (BAT) in zwischenzeitlicher Personalunion mit der Verwendung als Truppenarzt in der Sanitätskompanie vor Ort hielt sich der Autor sowohl über die Sommermonate des 14., als auch in gleicher Funktion im Winter des 18. deutschen ISAF-Kontingentes im Camp Warehouse Kabul, Afghanistan auf. Aufgabe war dementsprechend nicht nur die notfallmedizinische Versorgung verwundeter sowie verletzter Soldaten im Einsatzgebiet, sondern auch Prävention, hygienische Betreuung, Therapie und Wiederherstellung von Gesundheit und Dienstfähigkeit der deutschen Soldaten am Standort. Im Rahmen des 14. Kontingentes umfaßte dies auch die Begleitung auf- und abgesessener Patrouillen im zugewiesenen Einsatzraum der deutschen Kräfte.

Diagnostik

Im Schwerpunkt in den Sommermonaten des 14. Kontingentes, jedoch auch im Winter vier Kontingente später, fiel eine gehäufte Inzidenz von unspezifischen Gastroenteritiden auf, die meist hochakut und fulminant auftraten und insbesondere zwischen erstem und zweitem Tag nach Beginn der Symptomatik durch einen Anstieg der Körpertemperatur auf subfebrile bis niedrig fieberhafte Temperaturen in axillärer und rektaler Messung begleitet wurden. Zu beobachten waren nahrungsaufnahmeunabhängiges, meist unblutiges Erbrechen sowie Stuhlfrequenzen von bis zu 20 wässrigen Defäkationen pro 24 Stunden. Abdominelle Schmerzen wurden dagegen eher selten und nur in Korrelation zum Defäkationsvorgang geschildert.

In der Anamnese ließ sich nicht sicher ein gemeinsamer Ort der Nahrungsaufnahme bzw. der Nahrungsquelle ausmachen, so wie auch Soldaten in reiner Innendienstverwendung, aber auch Soldaten im Patrouillendienst betroffen waren. Ebenso wenig ließ sich ein Nachlassen der Inzidenz mit zunehmender Verweildauer der Soldaten im Einsatzland im Sinne eines Gewöhnungseffektes der individuellen Magen-Darm- Flora an die infektiologischen Gegebenheiten Afghanistans feststellen. Die jeweilige Dauer der Beschwerden variierte im Einzelfall stark, unabhängig von zum Einsatz gekommenen Therapeutika, sei es durch Besuch der Truppenarztsprechstunde oder durch den Patienten selbst, bevor eine ärztliche Konsultation angestrebt wurde.

Dienstausfallszeiten zwischen einem und 10 Tagen waren die Regel. Somit konnte auch der typische Krankheitsverlauf einer viralen Infektionskrankheit durch z.B. Noroviren in der Dokumentation weder sicher beobachtet noch komplett ausgeschlossen werden. Auffallend war jedoch, daß Kameraden in der gleichen Stube wie die Erkrankten nur selten ebenfalls symptomatisch wurden, was eine virale Genese eher unwahrscheinlich erscheinen ließ. Die gemeinsame Benutzung von sanitären Einrichtungen konnte nicht sicher ausgeschlossen werden. Diese Beobachtungen wurden dem Umstand geschuldet, daß die Isolierung erkrankter Soldaten im Lagerbetrieb kaum möglich war und die Belegungskapazitäten der Betten des Role 2 schwereren Kasuistiken vorbehalten waren.

Die zusätzlichen diagnostischen Möglichkeiten waren aufgrund der spezifischen Einsatzbedingungen stark eingeschränkt, insbesondere in Hinsicht auf eine mikrobiologische oder parasitologische Nachweisdiagnostik. Mehrfach wurde der Versuch gestartet, Stuhlproben in die zuständige Laboreinrichtung inMazar-e-Sharif zu verschicken, was in den meisten Fällen an Ausfällen der zeit- und probengerechten, rein lufttransportgebundenen Transportmöglichkeiten aus wetterbedingten, lageabhängigen oder durch die Patientencompliance bedingten Umständen resultierte. So konnte lediglich in einem einzigen Fall der sichere Nachweis einer Yersinieninfektion durch Yersinia enterocolica erfolgen, alle anderen Fälle mußten aus oben genannten Gründen ohne sicheren Erregernachweis therapiert werden.

Eine sonographische Diagnostikmöglichkeit stand im Bereich des Truppenarztes ebenfalls nicht zur Verfügung, die laborchemische Untersuchung der Infektionsparameter im Serum der Patienten, welche freundlicherweise im französischen Role 2 vor Ort vorgenommen wurden, ermöglichten in ihrer Varianzbreite keine statistisch relevante oder diagnostisch wegweisende Aussage hinsichtlich Veränderungen des Blutbildes oder Erhöhung des C-reaktiven Proteins. Die durchgeführten Malarianachweise waren durch die Bank negativ. Natürlich machte die Erkrankung auch vor dem sanitätsdienstlichen Personal nicht halt, was zu weiteren therapeutischen Problemen führte. In einem Fall mußte eine Patrouille abgebrochen werden, da die Rettungsassistentin des BATs aufgrund hochakut und kreislaufrelevant aufgetretener Beschwerden ausfiel und ein zeitnaher Rücktransport in das Lager notwendig wurde. Meist waren die betroffenen Soldaten gar nicht oder nur stark physisch eingeschränkt dienstfähig.

Von den Soldaten vor Ort wurde das Auftreten oben genannter Symptome scherzhaft, aber auch respektvoll nur als "Kabuleritis" bezeichnet und sogar in der Erhebung einzelner Anamnesen als solche vorgetragen.

Therapie

Die Therapie der oben geschilderten Symptomenkomplexe erfolgt meist gemäß Weisung durch den Truppenarzt, jedoch in Einzelfällen auch in Eigenregie vor Aufsuchen der Sprechstunde. Im Schwerpunkt kamen hier initial die Antiemetika Metoclopramid und Dimenhydrinat, je nach ärztlicher Indikation oral, rektal oder intravenös appliziert, zum Einsatz, um in der Folge die orale Aufnahme von Saccharomyces boulardii-Präparaten möglich zu machen. Insbesondere bei im Patrouillendienst eingesetzten Soldaten erfreute sich die orale Therapie mit Loperamid in Eigenregie trotz Abratens durch den Truppenarzt einer großen Beliebtheit. Bei stark exsikkierten Patienten kam die intravenöse Gabe von kristalloiden, vereinzelt auch kolloidalen Infusionslösungen durch den Truppenarzt zum Einsatz.

Der Hauptteil der antipyretischen Therapie erfolgte mittels oraler Gabe von Paracetamol in Einzeldosen à 500 mg. Den meisten Patienten wurde darüber hinaus die Einnahme von glucose- und elekrolythaltigen Trinklösungen empfohlen bzw. ermöglicht. Mittels dieser symptomatischen Therapie konnte jedoch nur in Einzelfällen ein suffizienter Therapieerfolg erzielt werden, die (isolierte) Einnahme von Loperamid führte in der Wahrnehmung des Autors in drei Fällen sogar zu einer deutlichen Aggravierung der Beschwerden. In der Regel erfolgte eine zeitnahe Einzelfallentscheidung (z.B. bei Beschwerden länger als 48 Stunden oder besonderer Symptomschwere) zur oralen Antibiose, welche zumeist durch orale Ciprofloxacingabe in Dosen zu 500 mg zwei Mal täglich erfolgte. Hiermit erfolgte generell eine komplette Remission innerhalb von zwei bis drei Tagen.

Konklusion

Aufgrund der Variabilität der Beschwerden sowie der Unterschiede in der Anamnese der Patienten konnte zusätzlich zur Erschwernis durch Einsatzbedingungen keine sichere Diagnosestellung im Sinne eines Erregernachweises erfolgen, so daß in den meisten Fällen eine Blindantibiose erfolgen mußte, ohne sichere Perspektive einer hierdurch suffizienten Therapie. Da zeitgleich sämtliche Risiken und Nebenwirkungen dieser Applikation hinsichtlich Schädigung der Patienten aber auch Entwicklung von Resistenzen im Erregerspektrum in Kauf genommen werden mußten, kann dies medizinisch nicht zufrieden stellen. Bei Einhaltung aller im Auslandseinsatz umsetzbaren Hygienemaßnahmen stand keinerlei brauchbare Maßnahme im Sinne einer echten Prophylaxe bei diesem Krankheitsbild zur Verfügung. Insbesondere in den Sommermonaten wurde die Relevanz der Symptome zusätzlich dadurch erschwert, daß den Soldaten krankheitsbedingt die Möglichkeit genommen wurde, den durch die klimatischen Bedingungen notwendigen erhöhten Flüssigkeitsbedarf zu decken.

Bei auch durch die militärischen Führer vor Ort als einschränkend empfundenen Ausfallstagen der ihnen unterstellten Soldaten insbesondere im Patrouillenbetrieb bei gleichzeitig nur eingeschränkt vorhandenen Ersatzgestellungsmöglichkeiten vor Ort, stellte diese Art der Erkrankung auch taktisch ein Problemdar und kann auch aus truppendienstlicher Sicht im Sinne der Minimierung von Ausfallszeiten des verfügbaren Personals nicht ignoriert oder toleriertwerden. Da aufgrund desmittlerweile globalmöglichen Einsatzspektrums deutscher Soldaten mit weiteren Episoden wie der oben geschilderten zu rechnen ist, sollte über eine nebenwirkungsarme, kostensensible Form der Therapie, gegebenenfalls auch der Prophylaxe diskutiert werden.

Datum: 10.01.2010

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/1

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