BARRIER NURSING – PROFESSIONELLE HERAUSFORDERUNG AN DIE PFLEGENDEN
Barrier Nursing ist die Pflege und Versorgung von Patienten, die an einer hochkontagiösen, lebensbedrohlichen Infektionskrankheit erkrankt sind. In kaum einem medizinischen Bereich findet sich die Zuordnung zur Pflege schon so explizit im Namen. Zu den Erkrankungen zählen die viralen hämorrhagischen Fieber (VHF) Marburg-, Ebola-, Lassa-, Krim-Kongo-Fieber sowie Lungenpest und die als „ausgerottet“ geltenden Pocken.
Die Besonderheiten der Pflege dieser Patienten liegen in den aufwändigen Isolationsmaßnahmen sowie dem hohen Anspruch an die Kompetenz der Pflegenden. Das Errichten einer temporären Isolationseinheit sowie das dauerhafte Arbeiten in Schutzanzügen (Personal Protectiv Equipment – PPE) ist der Kern des Barrier Nursing. Nicht durch Zufall findet sich hier das Wort „Nursing“ und damit der Verweis auf den Ursprung und die Verantwortung der Pflegenden in diesem wichtigen Nischenbereich der Medizin.
Die Bedrohung durch Bioterroristische Anschläge zeigten dem Sanitätsdienst eine Fähigkeitslücke in der Versorgung von Patienten, die an einer hochkontagiösen lebensbedrohlichen Infektion erkrankten, auf. Die Umstrukturierung der Bundeswehr in eine Einsatzarmee, verbunden mit dem weltweiten Einsatz unserer Soldaten, machte ein gezieltes Handeln erforderlich. Nicht nur der Sanitätsdienst, sondern auch die nationalen Verantwortlichen erkannten, dass ein Szenario mit einem bioterroristischen Hintergrund nicht mehr unrealistisch erschien. Anstehende Großereignisse wie die Fußball Weltmeisterschaft 2006 waren bereits in der Vorbereitung.
Im Jahre 2003 wurde der erste Pilotlehrgang zum Thema „Barrier Nursing der Bundeswehr“ in der Sanitätsakademie in München durchgeführt. Dieser Lehrgang wurde durch Herrn Bernd Becker, leitender Pfleger der internistischen Intensivstation des BwZKrhs Koblenz, konzipiert.
Damals zeigte sich bereits, dass die Materialkunde und Umsetzung der Isolationsmaßnahmen zu den Kernkompetenzen der Pflegenden gehört.
Der Lehrgang ist in Deutschland einzigartig in seiner Gestaltung und Durchfühung. Ziel ist es, Teams (ein SanStOffz Arzt und ein SanFw Gesundheits- und Krankenpfleger) aus den fünf BwKrhs in theoretischen und praktischen Anteilen zu schulen. Besonderheit dieses Lehrgangs ist die regelmäßige Teilnahme von Mitarbeitern der Hamburger Berufsfeuerwehr als Durchführender des Infektionstransportes, so wie dem Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE) als Kompetenz- und Behandlungszentrum Norddeutschland mit seinem Kooperationspartner BwKrhs Hamburg und dessen geschultem Personal.
Diese Kooperation besteht nicht nur auf dem Papier, sondern konnte bereits 2008 seine Belastbarkeit bei einem Verdachtsfall unter Beweis stellen, als ein Patient über mehrere Tage im Behandlungszentrum für Hochrisiko Infektionen (BZHI) am UKE versorgt werden mußte. Das BwKrhs Hamburg konnte mit vier Pflegenden das Team des UKE verstärken und einen durchhaltefähigen Schichtbetrieb sicherstellen.
Das BZHI wird jährlich im Rahmen des Barrier Nursing Lehrgangs beübt. Dieser Lehrgang hat zu einer deutlichen Verbesserung der Abläufe geführt und ist zuverlässiges Forum für Experten. Darüber hinaus haben Gesundheitsaufseher und Hygieniker sowie Teile des Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst (Kdo SES) aus Leer diesen Lehrgang absolviert (Lehrgangskatalog: Management kontagiöser, lebensbedrohlicher Erkrankungen „Barrier Nursing“ LGNr. 805031).
Hierdurch ist es der Bundeswehr möglich, einen Pool an ausgebildeten Experten zu generieren, wie sie sonst nur den nationalen Kompetenz- und Behandlungszentren (Berlin, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Leipzig, Saarbrücken, Würzburg, München) zur Verfügung stehen.
Als hochbrisantes Fachgebiet ist das Barrier Nursing den versierten Pflegenden und Medizinern vorbehalten. Das banale Verbinden eines venösen Zugangs im PPE kann z. B. zu einem schweißtreibenden und komplizierten Unterfangen werden.
Barrier Nursing stellt einen hohen Anspruch sowohl an die fachliche Kompetenz und die körperliche Belastbarkeit als auch an die psychische Belastunggrenze der Pflegenden. Die tägliche Routine wird unter Vollschutz durchgeführt. Das Arbeiten unter maximalen Isolations- und Schutzmaßnahmen erfordert erfahrene und fachlich kompetente Kräfte! Die Enge in den Schutzanzügen, der hohe Flüssigkeitsverlust, die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten, die erhöhte Geräuschbelastung, und der lange Schichtbetrieb erfordern körperlich belastbare Mitarbeiter. Ist man im täglichen Handeln unsicher oder unerfahren wird sich dieses unter den erschwerten Bedingungen des Barrier Nursing nicht verbessern bzw. die allgegenwärtigen Stressoren erhöhen. Besonderes Augenmerk gilt hier den Pflegenden, die im Allgemeinen eine längere Stehzeit in ihren Arbeitsbereichen haben. Von ihnen wird jederzeit das ruhige und besonnene Arbeiten erwartet und sicher handeln kann nur, wer gut geschult und fachlich kompetent ist. Das Wissen über den Probenversand, die Materialkunde bis hin zum seriösen Umgang mir den Medien sind hier obligat.
Durch die vermehrte Anzahl der Auslandseinsätze kann die Bundeswehr auf eine nachweislich (BA90/5) große Zahl an geimpftem und körperlich belastbarem Personal zurück greifen. Ein klarer Vorteil gegenüber den zivilen Einrichtungen.
Der Sanitätsdienst verfügt über einzigartige Kompetenzen, die beispielgebend sind. Im KSES in Leer werden zwei mobile Isolationseinheiten Typ IsoArc vorgehalten. Diese Isolationseinheiten können, verpackt in zwei Transportboxen, in Einsätze in Endemiegebiete mitgeführt werden und wurden bereits 2006 im EUFOR RD CONGO Einsatz unter tropischen Einsatzbedingungen getestet.
Alle Rettungszentren der Stufe ROLE2+ sind mit Schutzanzügen (PPE) ausgestattet und auf ein entsprechendes Szenario an Hand von speziellen Hygieneplänen vorbereitet, um im Auslandseinsatz das temporäre Barrier Nursing durchzuführen. Hier sind besonders die Gesundheitsaufseher und Pflegenden gefragt, mit „Manpower“ und Sachverstand. Die ROLE2+ in Prizren/Kosovo wurde mehrfach mit dem realistischem Erkrankungsfall eines Crim-Congo-Hämorrhagischen-Fiebers (CCHF) beübt.
In naher Zukunft wird die Infektionsstation der Bioschutz Stufe 3+ im BwKrhs Berlin eröffnet. Das Personal ist bereits durch Barrier Nursing Lehrgänge, durchgeführt von Kameraden des Fachbereichs Tropenmedizin, vor Ort geschult und ausgebildet worden und kann sich somit in die Liste der Kompetenz- und Behandlungszentren einreihen.
2011 wurde ein internationales Expertensymposium am Fachbereich Tropenmedizin in Hamburg durchgeführt. 2013 nahm ein großer Anteil der Verantwortlichen aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst des norddeutschen Raumes an einem offenen Barrier Nursing Lehrgang teil.
Die besondere Rolle des Fachbereichs Tropenmedizin besteht darin, dass eine kleine Task Force vorgehalten wird, welche aus Tropenmedizinern, Labormedizinern und Pflegenden besteht. Diese verfügen über ein hohes Maß an Erfahrungen aus Auslandseinsätzen und jeder Pflegende hat ein dreimonatiges „Internship“ in einem Kreiskrankenhaus in Ghana absolviert. Somit wird hier über soziokulturelle und medizinische Erfahrungen in Afrika verfügt.
Afrika zählt unbestritten zu dem wahrscheinlichsten Einsatzgebiet der Zukunft, wie die aktuellen Einsätze bereits zeigen (ATALANTA/Horn von Afrika, MINUSMA/Mali-Senegal, EUTM Mali/Mali, UNAMID/Sudan, UNMISS/Süd Sudan, ESEC RD Congo/DR Congo, EUCapNestor/Horn von Afrika, EUTMSOM/ Uganda).
Alle Mitarbeiter des Fachbereichs sind auslandsdienstverwendungsfähig und würden beratend an internationalen Ausbruchszenarien teilnehmen. Die tropenmedizinische Erfahrung in Afrika ist daher unabdingbar.
Die gute zivil-militärische Kooperation zeichnet sich durch die Arbeit der „Ständigen Arbeitsgemeinschaft der Kompetenz- und Behandlungszentren“ (StaKoB) aus. Die eigenständige Arbeitsgruppe StaKoB Pflege hat sich zur Aufgabe gemacht, die Leistungen der nationalen Zentren zu standardisieren und Handlungsanweisungen zu erarbeiten. Diese Arbeitsgemeinschaft qualifiziert sich durch ein hohes Maß an Kontinuität in ihrer Arbeit und der personell verlässlichen Konstellation. Zweimal im Jahr treffen sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe zum Erfahrungsaustausch und Review aktueller Ereignisse. Bei der Entwicklung von Arbeitsanweisungen wird eng mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) zusammengearbeitet. Die Bundeswehr wird als ständiges Mitglied durch den Autor und Frau Hauptfeldwebel Nielebock, als Vertreterin des künftigen Kompetenz- und Behandlungszentrums des BwKrhs Berlin, vertreten. Durch die effektive Zusammenarbeit der StaKoB Pflege sind die Zentren auf der Arbeitsebene sehr gut vernetzt, um sich im Ernstfall gegenseitig personell zu unterstützen. Die Mitglieder kennen die Besonderheiten der nationalen Zentren und können in kurzer Zeit eingesetzt werden. Personelle Unterstützung ist unabdingbar, da ein Erkankungsfall mit einer hochkontagiösen, lebendsbedrohlichen Erkrankung jede Klinik schnell an ihre Leistungsgrenze bringen würde.
Die Pflegenden sind in diesem Nischenbereich der Medizin gleichberechtigter Partner, sie schaffen auf der Arbeitsebene die Grundlage für die komplexe und kompetente Versorgung hochkontagiöser Patienten durch das Barrier Nursing.
Datum: 14.04.2014
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2014/1