Der Lehrgang „Medizinischer ABC-Schutz“ hat über mehrere Jahrzehnte jungen Sanitätsoffizieren das notwendige Wissen in diesem speziellen Gebiet vermittelt. Oft war es für die Teilnehmer der erste Kontakt mit dem Medizinischen ABC-Schutz (MedABCSch). In der allgemeinen Risikowahrnehmung fiel er hinter traumatologischen Einsatzverletzungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen zurück. Erst in den letzten Jahren rückte er aufgrund terroristischer Aktivitäten und dem Einsatz chemischer Waffen in Syrien und Irak wieder mehr in den Fokus. Darüber hinaus haben sich Einsatztaktiken verändert; spezialisierte Kräfte mit kleinen Kommandos stellen andere Anforderungen an die Fähigkeiten des MedABCSch als große Truppenkörper.
In der Folge hat der MedABCSch in den letzten drei Jahren neue Verfahren und Handlungsempfehlungen im Bereich der Patientendekontamination entwickelt und die materiellen Forderungen in Rüstungsprozesse eingesteuert. Parallel wurden die Dokumente zur landgestützten Patientendekontamination überarbeitet und mit dem neuen Konzept MedABCSch harmonisiert. Diese Neuerungen gilt es nun in die Ausbildung von Sanitätspersonal einzubringen. Da der o.g. Lehrgang MedABCSch anlässlich der bundeswehrübergreifenden Umstellung auf kompetenzorientierte Ausbildung (KOA) ohnehin überarbeitet werden musste, wurde unter fachlicher Federführung durch SanAkBw Abt F gleich eine komplett neue Ausbildung für eine „Spezialisten im Medizinischen ABC-Schutz“ geschaffen. Dem wird – speziell für angehende Sanitätsoffiziere – ein neues Modul vorgeschaltet.
Das ehemals einwöchige PumA-Modul (postuniversitäre modulare Ausbildung) „Med ABCSch für SanStOffz“ wurde auf zwei Tage „Einführung MedABCSch für SanStoffz“ gekürzt und der erste Lehrgang bereits im Dezember 2019 durchgeführt. Als praxisorientierte Erweiterung der Ausbildung sollte nun der intensivere, zweiwöchige Lehrgang folgen: „Spezialist / Spezialistin des Medizinischen ABC- Schutzes der Bundeswehr für Behandlung und Dekontamination“ (Spez MedABCSchBw). Konzipiert im Sinne eines Teamtrainings für SanStOffz Arzt RettMed und SanFw NotfallSan, sollten in der ersten Woche an der SanAkBw (München) die Grundlagen für ein anschließendes praktisches Training in Patientendekontaminationseinrichtungen (PatDekonEinr) im SanLehrRgt (Feldkirchen) geschaffen werden.
Der Pilotlehrgang
Am Pilotlehrgang im Zeitraum 09.-20. März 2020 nahmen insgesamt sieben Personen teil, wobei neben SanStOffz Arzt auch SanFw NotfallSan sowie Einsatzsanitäter vertreten waren. Eine relativ kleine Gruppengröße mit hoher Ausbilderdichte ist für diese Art der Ausbildung im Sinne von KOA erwünscht und oftmals notwendig. Dass die Thematik nicht nur für Bundeswehrangehörige von erheblichem Interesse ist, wurde bereits im ersten Durchlauf durch die Teilnahme zweier Angehöriger der Bundespolizei untermauert.
Dem Lehrgang vorgeschaltet war ein E-Learning-Modul, in welchem ein gemeinsamer Abholpunkt für die Themen „Grundlagen ABC-Abwehr“, „Medizinischer A-/B-/C-Schutz“ und „Patientendekontamination“ geschaffen wurde.
Nachdem die Lehrgangsteilnehmenden bis Montagabend angereist waren, konnte die Ausbildung am Dienstag mit dem Thema „Grundlagen ABC-Abwehr“ beginnen. Zunächst erfolgte ein Lehrgespräch unter Einbeziehung zweier Experten auf dem Gebiet der ABC-Abwehr. Anschließend wurde die erste praktische Ausbildung durchgeführt. Hierbei wurden die verschiedenen bedrohungs- und auftragsangepassten Schutzzustände (BAS) 0 - 3 hergestellt und es fand eine umfangreiche Einweisung in die für PatDekonEinr relevanten Kleingeräte (SVG2, LCD 3.3, CoMo, Identifinder) statt. Im Anschluss war in Kleingruppen ein kleines radiologisch-/ chemisches Mischszenar zu bewältigen.
Die Unterrichtsanteile der Institute für Radiobiologie (InstRadBioBw), Mikrobiologie (InstMikroBioBw) und Pharmakologie und Toxikologie (InstPharmToxBw) der Bundeswehr wurden durch Experten der jeweiligen Fachgebiete begleitet, sodass höchstes fachliches Niveau bei der Ausbildung gewährleistet werden konnte.
Am Mittwoch erhielten die Teilnehmenden zunächst eine Einweisung in wesentliche Aspekte zum Medizinischem B-Schutz mit einer Vielzahl an praktischen und historischen Beispielen. In den vielen interessierten Fragen, die gestellt wurden, kam das gute Vorwissen der Teilnehmenden zum Ausdruck und auch aktuelle Themen konnten hinreichend diskutiert werden.
Für den Nachmittag wurde der Unterricht zum InstRadBioBw verlegt, wo ein Lehrgespräch Grundlagen, auch im Hinblick auf den ersten praktischen Anteil zum Medizinischen A-Schutz, schaffen konnte. Im Strahlen-Messpraktikum wurden dann schwache Prüfstrahlenquellen verwendet und die Teilnehmenden dosimetrisch gemäß arbeitsmedizinischen Vorgaben überwacht. Die Lehrgangsteilnehmer mussten selbst auswählen, welches Gerät für welche Problemstellung das geeignetste sei und das Gelernte im Abschlussszenar des Tages, einer Puppe mit versteckter Strahlenquelle, anwenden.
Der Donnerstag begann mit szenarbasierter Ausbildung zum Medizinischen C-Schutz. Hierbei wurden Fälle unter Zuhilfenahme von Postern zu verschiedenen chemischen Kampfstoffgruppen erarbeitet. Im Rahmen der darauffolgenden praktischen Einweisung in das Diagnostikgerät AChE-Check mobil und den Hautdetektor-Wischtest konnten die Teilnehmenden die Tests selbst anwenden.
Am Nachmittag wurde zunächst die sanitätsdienstliche Rettungskette unter Berücksichtigung von PatDekonEinr unterrichtet. Im Anschluss hieran wurde das durch die UniBw München entwickelte Serious Game „SanTrain“ vorgestellt, welches zukünftig auf MedABC-Szenarien erweitert werden soll. Hierzu wurde zunächst der bereits entwickelte Demonstrator zur Sarinvergiftung eingespielt, danach das bisher bestehende SanTrain erläutert.
Um die Lehrgangsteilnehmenden auf die praktischen Szenare der kommenden Woche einzustimmen, war der erste Freitag von szenarbasierter Gruppenarbeit geprägt. Anhand verschiedener spezifischer Aspekte wie Sichtung, Behandlung, Dekontamination und Ressourcen sollten die Teilnehmenden mehrere Fälle selbstständig in Kleingruppen erarbeiten und diskutieren. Zum Ende der ersten Woche fühlten sie sich sicher im Thema und waren gut auf die kommenden praktischen Aufgaben vorbereitet.
Zu Beginn der zweiten Lehrgangswoche erfolgte zunächst eine Einweisung mit Demonstration der Abläufe in der landgestützten PatDekonEinr (landg PatDekonEinr, ehemals LVwuDekonEinr) durch Soldaten des VwuDekonZg des SanLehrRgt in Feldkirchen. Später erhielten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich mit jeder Station separat vertraut zu machen und dem Fachpersonal Fragen zu stellen. Der Tag endete mit einer Einweisung in Sichtung und Patientensteuerung und Vorbereitung der Overgarments für den folgenden Tag.
Für die praktischen Szenare der drei Tage in Feldkirchen wurden Caesar-Simulationspuppen mit Bedienern angemietet. So konnten eine traumatologische Darstellung mit physiologischem Modell sowie die Dekontaminationsfähigkeit der Übungspatienten sichergestellt werden. Zudem wurden dadurch die „Patienten“ ständig begleitet. Die aufwändige Vor- und Nachbereitung sowie Bedienung während der Szenare wären durch das bundeswehreigene Ausbildungspersonal allein nicht leistbar gewesen.
Die Lehrgangsteilnehmenden wurden zunächst in einem Skilltraining in BAS 3 (Herausschneiden, Intubation/ i.v.-Zugang, „Expose-to-treat“/ FAST1) mit der Schutzausrüstung und den Arbeitsabläufen vertraut gemacht.
An der landg PatDekonEinr wurden sie dann in insgesamt drei Szenaren zu chemischen Kampfstoffen mit S-Lost, Sarin und VX konfrontiert und zunehmend gefordert. Das medizinische Arbeiten unter ABC-Bedingungen war hierbei eine neue ständige Herausforderung. Neben den beiden Caesar-Simulationspuppen kamen auch Übungsverwundete zum Einsatz. Hierbei musste nicht nur mit Vergiftungen, sondern auch mit traumatologischen Bildern umgegangen und eine fachgerechte Dekontamination eingeleitet werden, bevor die Patienten übergeben werden konnten. Organisatorische Aspekte wie beispielsweise die Bedrohungslage, Meldewege und die Rettungskette mussten ständig im Blick behalten werden.
Durch den Einsatz von Simulationssubstanzen für chemische Kampfstoffe wurde eine realitätsnahe Detektion mit dem Kampfstoffspürgerät LCD 3.3 ermöglicht. Zudem wurde ein UV-(Fluoreszenz-)Tracer eingesetzt, mit welchem im Nachgang der Dekontaminationserfolg und eine mögliche Kontaminationsverschleppung mit Hilfe einer UV-Lampe dargelegt werden konnten. Hierdurch wurden die Lehrgangsteilnehmenden auf eventuelle Fallstricke, insbesondere bei der Eigendekontamination, sensibilisiert.
Der Mittwochnachmittag stand im Zeichen des Medizinischen A-Schutzes. Mit der Unterstützung durch Experten des InstRadBioBw wurden zwei Stationen parallel im Wechsel ausgebildet. An der landg PatDekonEinr wurde ein Dirty Bomb Szenar mit einem simulierten Alphastrahler eingespielt und Sichtung und Nachsorge mit dem Experten diskutiert. Parallel hierzu wurde ein Szenar „Terrorlabor“ nachgestellt, in welchem ein Patient zu behandeln war, eine Strahlenquelle aufgespürt und eine feldmäßige Dekontamination durchgeführt werden sollten. Zudem wurden das klinische Sichtungstool „H-Modul“ sowie das tabletgestützte Patienten-Dokumentationstool beübt.
Am Donnerstagmorgen wurde der VLEP San (vorgeschobener leichter Entstrahlungs- Entseuchungs- und Entgiftungsplatz für Patienten, Bericht s. WM 3/2019) gemeinsam aufgebaut, bevor es mit dem ersten Szenar losgehen konnte. Dieses beinhaltete eine schwere Opioid- Intoxikation und die parallele Dekontamination eines leichtverletzten Übungspatienten. Für das zweite VLEP San- Szenar, welches gleichzeitig die Abschlussübung des Lehrgangs darstellte, wurden die Teilnehmenden mit dem VLEP San gedanklich in den Einsatz vor einer ROLE 1 Behandlungseinrichtung versetzt. Eine Patrouille sei unter Saringranatenbeschuss gekommen. Der VLEP San wurde hierbei ausschließlich durch die Lehrgangsteilnehmenden betrieben, wobei zwei Patienten mit Nervenkampfstoffvergiftung und Trauma gleichzeitig behandelt werden mussten. Dieses herausfordernde Szenar wurde durch die Lehrgangsteilnehmenden als funktionierendes Team sehr gut bewältigt.
Insgesamt baut der Inhalt des Lehrgangs stufenweise aufeinander auf, sodass das Gelernte immer wieder angewandt werden kann. Die Praxisanteile fanden bei den Teilnehmenden des Pilotlehrgangs besonders großen Anklang. Eine Inübunghaltung für eingesetzte Spez MedABCSchBw ist jährlich in den nahegelegenen VwuDekonZg der SanReg vorgesehen. Da die Lage aufgrund von COVID-19 in Zeitraum des Pilotlehrgangs bereits angespannt war, musste der Zeitplan der zweiten Lehrgangswoche häufig kurzfristig angepasst und auf personelle Ressourcen teilweise verzichtet werden. Zukünftig werden die Praxisanteile jedoch noch weiter ausgebaut, beispielsweise mit erweitertem Skilltraining und im Sinne eines MASCAL-Szenarios.
Die im Pilotlehrgang gewonnenen Erkenntnisse zu Abläufen und einzelnen Trainingsinhalten wurden umfangreich evaluiert und für die nächsten Lehrgänge umgesetzt. In aufwändiger Teamarbeit konnte so der Grundstein für eine breitere Ausbringung von Spezialisten im Medizinischen ABC-Schutz der Bundeswehr geschaffen werden.
1 Aus der Sanitätsakademie der Bundeswehr (Kommandeurin: Generalstabsarzt Dr. G. Krüger)
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2020
Oberstabsarzt Dr. Marie-Theres Pfalzgraf
Sanitätsakademie der Bundeswehr
Abteilung F Medizinischer ABC-Schutz
Ingolstädter Str. 240
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MarieTheresPfalzgraf@bundeswehr.org