Was soll – was kann Allgemeinmedizin innerhalb der Bundeswehr leisten?
Eine kritische Betrachtung von Besonderheiten der klassischen ärztlichen versorgungsmedizinischen Fachdisziplin innerhalb der Streitkräfte am Beispiel des SanVersZ Bonn
Aus dem Sanitätsunterstützungszentrum Köln-Wahn (Leiter: Oberstarzt Dr. J. Grohmann)
H. Radtke
Laut der aktuellen Version der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer umfasst das Fachgebiet der Allgemeinmedizin „die lebensbegleitende hausärztliche Betreuung von Menschen jeden Alters bei jeder Art der Gesundheitsstörung, unter Berücksichtigung der biologischen, psychischen und sozialen Dimensionen ihrer gesundheitlichen Leiden, Probleme oder Gefährdungen und die medizinische Kompetenz zur Entscheidung über das Hinzuziehen anderer Ärzte und Angehöriger von Fachberufen im Gesundheitswesen.
Sie umfasst die patientenzentrierte Integration der medizinischen, psychischen und sozialen Hilfen im Krankheitsfall.Dazu gehören auch die Betreuung von akut oder chronisch Erkrankten, die Vorsorge und Gesundheitsberatung, die Früherkennung von Krankheiten, die Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen, die Zusammenarbeit mit allen Personen und Institutionen, die für die gesundheitliche Betreuung der Patienten Bedeutung haben, die Unterstützung gemeindenaher gesundheitsfördernder Aktivitäten, die Zusammenführung aller medizinisch wichtigen Daten des Patienten.“ (1).
In der Fachdefinition der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin beinhaltet der Arbeitsbereich der Allgemeinmedizin
„die Grundversorgung aller Patienten mit körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen in der Notfall-, Akut- und Langzeitversorgung sowie wesentliche Bereiche der Prävention und Rehabilitation. Allgemeinärztinnen und Allgemeinärzte sind darauf spezialisiert, als erste ärztliche Ansprechpartner bei allen Gesundheitsproblemen zu helfen.“Als Charakteristikum allgemeinmedizinischer Arbeitsweise wird die zwingende Berücksichtigung somatischer, psycho-sozialer, soziokultureller und ökologischer Aspekte herausgehoben. „Bei der Interpretation von Symptomen und Befunden ist es von besonderer Bedeutung, den Patienten, sein Krankheitskonzept, sein Umfeld und seine Geschichte zu würdigen (hermeneutisches Fallverständnis).“ (2)
Die Betrachtung der Frage nach dem angestrebten bzw. vorgegebenen Inhalt allgemeinmedizinischer Tätigkeit innerhalb der Bundeswehr macht eine Beschäftigung mit dem Wesen und dem Zweck der Unentgeltlichen Truppenärztlichen Versorgung im Sinne der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) unumgänglich.
Im Zuge der Ausgestaltung unentgeltlicher truppenärztlicher ambulanter (medizinischer) Versorgung von Soldatinnen und Soldaten innerhalb der
Bundeswehr kommt hierbei der Allgemeinmedizin als Fachgebiet gemäß ihrem Wesen und Umfang eine klare Führungsrolle zu. Nach aktueller Rechtsprechung „umfasst die truppenärztliche Versorgung alle notwendigen und angemessenen Maßnahmen zur Gesunderhaltung, Verhütung und frühzeitigen Erkennung von gesundheitlichen Schäden sowie die zur Behandlung einer Erkrankung spezifisch erforderlichen medizinischen Leistungen; sie erfasst damit alle regelwidrigen Körper- und Geisteszustände, die einer Behandlung bedürftig und einer Therapie zugänglich sind.“ (BVerwG 5 C 29.12 vom 10.10.2013, (3))Der Eindruck nahezu vollumfänglicher Übereinstimmungen der inhaltlichen Anforderung der ärztlichen Standesvertretung an die Allgemeinmedizin mit denen des Dienstherrn wird im medizinischen Alltag eines truppenärztlich tätigen Sanitätsoffiziers bestätigt. Die realen medizinischen Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten sowie die Erwartungen der politischen wie militärischen Führung stützen diese Bewertung.
Dennoch bestehen innerhalb der Standesvertretungen und der nichtmilitärischen Gesundheitslandschaft immer noch erhebliche Vorbehalte gegenüber der fachlichen Qualität von allgemeinmedizinischer Tätigkeit in den Streitkräften. Diese Vorbehalte äußern sich nicht zuletzt in einer vielfach nicht adäquaten Bewertung bzw. Zuerkennung allgemeinmedizinischer Weiterbildungskompetenz von Bundeswehrallgemeinärzten durch einige Ärztekammern.
Dabei finden sich bei tieferer Betrachtung allgemeinmedizinischer Versorgung von Soldatinnen und Soldaten tatsächlich einige bemerkenswerte Besonderheiten, die im Folgenden dargestellt werden:
Patientengut
Hier ist zunächst einmal die zu versorgende Patientenklientel zu nennen. Wird in beiden oben genannten Beschreibungen der Allgemeinmedizin von „allen Patienten“ bzw. Menschen „jeden Alters“ gesprochen, finden sich innerhalb der Versorgungsbereiche der (die überwiegend Allgemeinmedizin praktizierenden) Regionalen Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr (RegSanEinr) bzw. Behandlungseinrichtungen von Luftwaffe und Marine in der Regel unstrittig keine Kinder und Jugendliche unterhalb des 17. Lebensjahres. Auch Patienten ab dem 65. Lebensjahr gehören bislang nicht zum typischen Versorgungsalltag. Akut- und Notfälle innerhalb des Grundbetriebes (etwa bei Veranstaltungen, Hilfseinsätzen oder bei Besuchergruppen) sowie die allgemeinärztlichen Behandlungen im Zuge der Auslandseinsätze bilden regelmäßige wenn auch nicht repräsentative Ausnahmen. Innerhalb der Alters- und Geschlechterverteilung sind die Häufungen innerhalb des Patientenaltersbandes und des Anteils von Patientinnen variabel. In RegSanEinr mit überwiegender Versorgung von aktiven Truppenteilen wird man jüngere Patienten vorfinden als in Einrichtungen mit „Patientenklientel der Ämterebene“ (siehe Abb. 1).
Das „unausgelesene Patientengut“: Im Gegensatz zur zivilen Allgemeinpraxis befinden sich innerhalb der Bundeswehrallgemeinpraxis alle Patienten in einem Arbeits-, besser Dienstverhältnis. Schüler, Arbeitssuchende, Rentner/Pensionäre sowie nicht berufstätige Patientinnen und Patienten fehlen. Vor dem Hintergrund der im Status des Soldaten begründeten fehlenden freien Arztwahl erfüllt der allgemeinmedizinisch versorgende Arzt innerhalb der Bundeswehr tatsächlich den Anspruch eines Primärarztes (4). Soldatenpatienten mit Beschwerden jeglicher Art sind (außer im Notfall) verpflichtet, zuerst den Allgemeinmediziner in truppenärztlicher Tätigkeit aufzusuchen. Dieser zieht den Fachgebietsspezialisten nur dann zu Rate, wenn er es für geboten hält. Innerhalb des soldatentypischen Altersbandes besteht also in der Bundeswehrallgemeinpraxis“ (eher noch als im zivilen Gesundheitswesen, wo eine unmittelbare Spezialistenkonsultation immer noch häufig vorkommt) ein echtes unausgelesenes Patientengut. Das Symptom- und Erkrankungsspektrum der ärztlichen truppenärztlich allgemeinmedizinischen Primärkontakte ist somit sehr variabel und entsprechend vielfältig. Es fordert neben einer zeitgemäßen, bedarfsgerechten Praxisausstattung umso mehr eine breite und fundierte Kenntnis innerhalb des allgemeinmedizinischen Fachgebietes in Bezug auf Prävention, Diagnostik und Therapie.
Allgemeinmedizinische Ausbildung und „Praxisausstattung“
Die Bundeswehr fordert im Bereich der ambulanten truppenärztlichen Versorgung in allen behandlungsebenen allgemeinmedizinischen Facharztstandard (5). Die Möglichkeit, Bedarf und tatsächliche Qualität medizinischer Aus- und Weiterbildung gerade im Fachgebiet Allgemeinmedizin in eigener Zuständigkeit festlegen zu können, versetzt die Bundeswehr in eine konkurrenzlos komfortable Position. Bedarfsgerechte Planung und die Möglichkeiten zur konsequenten Ausgestaltung entsprechender Aus- und Weiterbildungsabschnitte schaffen ideale Voraussetzungen für das Erreichen und Erfüllen der selbst festgestellten Qualitätsstandards. Zunehmende Gradlinigkeit und Konsequenz in der Umsetzung der allgemeinmedizinischen Aus- und Weiterbildung hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass der allgemeinmedizinische Nachwuchs gerade in der querschnittlichen Fläche ein erfreulich hohes und bedarfsgerechtes fachliches Niveau erreicht hat und dauerhaft beibehält.
Die ebenso querschnittlich ausgebrachte Praxisausstattung (Abb. 2) ist diesem Umstand absolut angemessen. Moderne diagnostische und therapeutische Möglichkeiten versetzen den allgemeinmedizinisch tätigen Bundeswehrarzt in die Lage, die in der stationären Weiterbildungsphase erlernten Grundfähig- und fertigkeiten anzuwenden und unterfachärztlicher kollegialer Betreuung am Patienten auf Facharztniveau weiter zu entwickeln.
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die vom zivilen medizinischen Versorgungsalltag abweichende Besonderheit, dass Rentabilität von Anschaffungen und rein oder wenigstens teilweise von ökonomischen Überlegungen beeinflusste medizinische Entscheidungen zur Anwendung oder Vermeidung diagnostischer oder therapeutischer Schritte keine Rolle spielen. Da der Behandler selbst zunächst keine persönlichen wirtschaftlichen (Unternehmer-)Risiken trägt, kann er medizinische Entscheidungen unabhängig von persönlich motivierten ökonomischen Zwängen rein indikationsbezogen treffen. Die Einbeziehung von Kosten- und Nutzenaspekten (angemessener Einsatz öffentlicher Mittel) im Zuge sach- und fachgerechter ärztlicher Tätigkeit sowie ist hierbei selbstverständlich.
Auf einen wesentlichen zusätzlichen Aspekt sei hingewiesen. In den Bereichen der Bundeswehr, in den (häufig im gleichen Haus) spezielle Gebietsärzte ambulant tätig sind (Facharztzentren), wird nicht zuletzt auch durch die zusätzlich verfügbare zahnärztliche Behandlungseinrichtung eine versorgungsmedizinische Ganzheitlichkeit erreicht, die gerade im Zuge allgemeinmedizinischer „Rundumbetreuung“ beeindruckende Möglichkeiten bietet und in dieser Form im zivilen Gesundheitswesen längst nicht regelhaft anzutreffen sind.
Lebensbegleitende hausärztliche Betreuung von akut und chronisch Erkrankten
Der Anteil chronisch erkrankter Soldatinnen und Soldaten innerhalb des allgemeinmedizinischen truppenärztlichen Sprechstundenalltags ist ebenfalls von der Altersverteilung der zugeordneten Betreuungsklientel abhängig. In Anwendung der üblichen Definition (6) liegt der Anteil chronisch Erkrankter und schwerwiegend chronisch Erkrankter innerhalb der allgemeinmedizinischen truppenärztlichen Routinesprechstunde im Sanitätsversorgungszentrum Bonn (zur Altersverteilung des Patientenguts siehe Abb.1) etwa im Häufigkeitsbereich ziviler Allgemeinarztpraxen. Der nicht zuletzt von ziviler Seite immer wieder zu hörenden Einschätzung, ambulant tätige Bundeswehrallgemeinmediziner würden überwiegend „junge und gesunde Patienten“ behandeln, muss angesichts der tatsächlichen Krankheitsverteilung in vielen allgemeinmedizinischen „Bundeswehrpraxen“ deutlich widersprochen werden. Ähnlich differenziert muss die Möglichkeit lebensbegleitender Betreuung von Patientinnen und Patienten bewertet werden: Gerade in Ballungsgebieten mit räumlich enger Anordnung von Bundeswehrkommandobehörden, Ämtern und Dienststellen mit ähnlich hohem Anteil lebensälterer Soldatinnen und Soldaten führen lange Stehzeiten (Phasen ohne Versetzung) von Arzt und Patienten nicht selten zu kontinuierlichen allgemeinmedizinischen truppenärztlichen Betreuungszeiten von deutlich über 15 Jahren. Nicht selten führen die so entwickelten Beziehungen zwischen Truppenarzt und Patient zu teilweise intensiven Kenntnissen über die familiären Verhältnisse der Soldatinnen und Soldaten, wie sie insbesondere in städtischen Allgemeinpraxen längst nicht mehr die Regel sind.
Wehrmedizinische Begutachtung, Prävention sowie Leistungen im Rahmen der Rehabilitation
Einen wesentlichen, im Vergleich zu einer zivilen Praxistätigkeit zweifelsfrei bemerkenswert großen Anteil allgemeinmedizinischer ambulanter Tätigkeit in
der Bundeswehr nimmt – als Aufgabe und Verpflichtung des Arztes – die Begutachtung ein (4). Hierbei entspricht der Rechtsbereich, in dem der allein verantwortliche Truppenarzt als Gutachter fungiert, am ehesten dem Verwaltungsrecht. Auftraggeber ist in den allermeisten Fällen der Dienstherr. Durch Bewertung erhobener Befunde und unter Berücksichtigung der sonstigen ihm zugänglich gemachten Informationen auf der Basis medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis sowie seines ärztlichen Erfahrungswissens ermöglicht er dem Auftraggeber die Entscheidung rechtserheblicher Fragestellungen.Die Anforderungen hinsichtlich Vorbeugung, Gesundheitsberatung und Gesundheitserziehung im truppenärztlich allgemeinmedizinischen Arbeitsalltag sind hoch. Die sich aus dem Auftrag der Streitkräfte ergebende Notwendigkeit zu umfassendem (weltweit wirksamen) Impfschutz macht nahezu jeden kurativ tätigen Allgemeinmediziner in der Bundeswehr zu einem erfahrenen Impfarzt. Allein im Sanitätsversorgungszentrum Bonn werden jährlich mehr als 3 500 Soldatinnen und Soldaten durch die truppenärztlich dargestellte Allgemeinmedizin präexpositionell immunisiert (im SanVersZ Bonn 2015: ca. 6 200 Einzelimpfdosen). Des Weiteren sind Umfang und Häufigkeit von Gesundheitsuntersuchungen (Vorsorge) mit den üblichen Leistungen im Bereich der GKV nicht vergleichbar. Ausbildung, Ausstattung der „Praxis“, fehlende budgetäre Zwänge sowie der Auftrag der Streitkräfte mit dem daraus resultierenden Auftrag des SanDstBw ermöglichen bzw. erfordern allgemeinmedizinische Untersuchungsumfänge in der allgemeinmedizinischen Bundeswehrpraxis, die im zivilen Praxisalltag für den gesetzlich Krankenversicherten so nicht vorgesehen- und die wirtschaftlichen Zwängen mehr unterliegen als dies fachlich geboten wäre.
Mit Ausnahme stationärer Anschlussheilbehandlung liegen sämtliche Heilmaßnahmen des Bereiches ambulante und stationäre Rehabilitation originär in der indizierenden, beantragenden sowie überwachenden Zuständigkeit des primärärztlich tätigen truppenärztlichen Allgemeinmediziners. Insofern ist die hausärztliche Überwachung und Lenkung derartiger medizinischer Leistungen direkt und nicht delegierbar an den Hausarzt gebunden.
Leistungsumfang allgemeinmedizinisch ambulanter Versorgung von Soldatinnen und Soldaten
Die Möglichkeiten für den allgemeinmedizinisch tätigen Truppenarzt, hausärztliche Betreuung auf höchstem Niveau sicherzustellen, sind umfassend. Der
sichergestellte Facharztstandard bietet für Patienten und den in Weiterbildung befindlichen Behandler qualitativ einen Grad an Sicherheit, der in Verbindung mit dem nicht budgetär reglementierten Umfang an diagnostischen und therapeutischen Optionen im eigenen Zuständigkeitsbereich keinen Vergleich mit zivilem Standard scheuen muss. Die nicht zu leugnenden Besonderheiten im Bereich der Altersverteilung bei Kindern und im geriatrischen Patientengut lassen die diesen Altersgruppen typischerweise zuzuordnenden Diagnosen zur Seltenheit werden. Bewertungen, die in dieser Tatsache eine wesentliche qualitative Einschränkung allgemeinmedizinischer Tätigkeit in der Bundeswehr sehen, muss folgendes entgegengehalten werden: Die (im Gegensatz zum zivilen Gesundheitswesen) zwingend einzuhaltende Primärarztstruktur schafft in überwiegenden Anteil allgemeinmedizinischer Betreuung eine unmittelbare, nicht umgehbare Konsultation des Allgemeinarztes in den Streitkräften, die in vielen zivilen Praxen zumindest in dieser Häufung nicht erfolgt. Gerade in Ballungsgebieten ist (gleichwohl häufig nach patientenseitig bestellter Überweisung) im zivilen allgemeinmedizinischen Praxisalltag eine mehr oder weniger unmittelbare Inanspruchnahme von „Fachspezialisten“ nicht zu verhindern.Die Notwendigkeit zur unmittelbaren Vorstellung beim Bundeswehrallgemeinarzt schafft in den Behandlungseinrichtungen des Sanitätsdienstes eine bemerkenswerte Breite und Häufung von Krankheitsbildern, die den Patienten nur nach Erstuntersuchung und ausdrücklicher Entscheidung des Allgemeinarztes zum Spezialisten führt. Die bestehende ordinäre truppenärztliche allgemeinmedizinische Zuständigkeit für Verordnung, Administration und Durchführung von Heil- und Hilfsmitteln sowie Heilmaßnahmen schafft eine vorgegebene unmittelbare Nähe zum Kranken, die im Vergleich zum zivilen Bereich insbesondere im städtischen Umfeld sicher zumindest gleichwertig ist. Die Ausrichtung der allgemeinmedizinischen Aus- und Weiterbildung sowie die Ausstattung der „Bundeswehrpraxis“ trägt diesen hohen Anforderungen Rechnung. Sie fordert hohes persönliches Engagement, Empathie sowie fachlichen Standards gerecht werdende allgemeinmedizinische Fähigkeiten und Fertigkeiten. Hierbei muss besonderes Augenmerk auf den richtigen Zeitpunkt zur Beteiligung (Überweisung) an den Fachspezialisten gelegt werden. Primärärztliche Allgemeinmedizin darf nicht in eine „reine Überweisungsmedizin“ münden.
Allgemeinmediziner untersuchen und behandeln. Sie sollen den möglichen gefährlichen Verlauf für den Patienten erkennen. In einem solchen Fall muss es das Ziel sein, nach angemessener Vordiagnostik (im eigenen Bereich) den Bedürftigen (und nur diesen!) möglichst zeitnah an den aus truppenärztlich allgemeinmedizinischer Sicht wahrscheinlichsten Endbehandler zu übermitteln, den weiteren Verlauf zu koordinieren und wenn möglich wieder zu übernehmen, um den Fachspezialisten zu entlasten.
In Abwesenheit jeglicher ökonomischer Störfaktoren kann gerade der Hausarzt in den Streitkräften diesem Anspruch gerecht werden und den Soldatinnen und Soldaten die Maßnahmen verordnen, die er für medizinisch erforderlich und wirtschaftlich vertretbar hält.
Allgemeinmedizin in der Bundeswehr füllt die wesentlichen inhaltlichen Bereiche der auch in den zivilen ärztlichen Kammerbereichen geforderten Leistungsinhalte vollumfänglich aus. Umfang und Häufung von Teilaspekten werden durch die vorgegebenen Versorgungsbereiche (Betreuungsdienststellen) beeinflusst und müssen sicher genau betrachtet werden. Grundsätzlich kann es keinen Zweifel geben: Allgemeinmedizin in der Bundeswehr versorgt vollumfänglich und verglichen mit zivilen Anforderungen und Standards auf wenigstens gleichwertigem Niveau. Im Einzelfall gehen Leistungsumfang und damit auch die Qualität allgemeinmedizinischer Betreuung in den Streitkräften sogar über zivile Standards hinaus. Die immer noch gerne vollzogenen querschnittliche Einschätzung, Soldatinnen und Soldaten seien jung und gesund, beschreibt das Wesen und die allgemeinmedizinische Komplexität der Patientenklientel in der Bundeswehr nicht näherungsweisend zutreffend. Die hieraus von ziviler Seite entwickelte Wahrnehmung eingeschränkter Versorgungsqualität spiegelt sich der häufig vorzufindenden, beklagenswerten Minderbewertung allgemeinmedizinischer Weiterbildungskompetenz innerhalb der Bundeswehr, die in vielen Fällen nicht gerechtfertigt ist.
Folglich sind Lobbyarbeit und Information des Fachbereiches Allgemeinmedizin innerhalb und außerhalb der Streitkräfte notwendig, um dieser Fehleinschätzung entgegenzutreten. Notwendig ist insbesondere aber eine ehrliche, beharrliche und angemessen gute medizinische Leistungserbringung des Bundeswehrallgemeinarztes, die über die nichtmilitärischen allgemeinmedizinischen ambulanten Bedürfnisse hinausgehend die zusätzlich bestehenden Belange von Soldatinnen und Soldaten vollumfänglich berücksichtigt. Allgemeinmedizinische Tätigkeit in unmittelbarem Patientenkontakt ist eine Königsdisziplin. Allgemeinmedizinische Versorgungsmedizin in diesem Verständnis ist nicht zuletzt auch innerhalb der Streitkräfte anspruchsvoll und erfüllend. Eine Entscheidung für dieses Fachgebiet muss daher auch für den jungen Sanitätsoffizier berufspolitisch attraktiv sein und bleiben. Auch in dieser Erkenntnis liegt der Schlüssel zur Verbesserung der Wahrnehmung von Bundeswehrallgemeinmedizin innerhalb und nicht zuletzt außerhalb der Streitkräfte.
Literatur beim Verfasser.
Anschrift des Verfassers:
Oberstarzt Dr. Helge Radtke
Sanitätsversorgungszentrum Bonn
Leiter
Fontainengraben 150
53125 Bonn
E-Mail: helgeradtke@bundeswehr.org
Datum: 24.10.2016
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/3