30.03.2014 •

MEDICAL BIODEFENCE CONFERENCE 2013: FORTSETZUNG EINER ERFOLGSGESCHICHTE

Dr. Holger C. Scholz



WMM, 58. Jahrgang (Ausgabe 2/2014; S. 51-53)

Fast 500 Experten aus dem militärischen Bereich, von Regierungsorganisationen, Universitäten, staatlichen Forschungseinrichtungen und der Industrie fanden sich vom 22.–25. Oktober 2013 an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München zur Medizinischen B-Schutztagung - „Medical Biodefense Conference 2013“ - ein.

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Die Internationalität der Tagung war einmal mehr beeindruckend, konnte doch der Tagungspräsident, Oberstarzt Prof. Dr. Lothar Zöller, Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr (InstMikroBioBw), Teilnehmer aus 39 Nationen begrüßen, deren Flaggen auf dem Podium des Auditorium Maximum „Hans Scholl“ aufgereiht waren. Mit Stolz verwies Prof. Dr. Zöller in seiner Eröffnungsrede auf einen neuen Teilnehmerrekord bei diesem „Weltforum der Medical-Biodefense-Forschung“. Für die gastgebende Sanitätsakademie begrüßte der neue Direktor Wehrmedizinische Wissenschaft /Fähigkeitsentwicklung, Generalarzt Dr. Norbert Weller, die Gäste aus aller Welt. Internationale Fachtagungen wie diese stünden fortan im Fokus des Interesses der „neuen Sanitätsakademie“, betonte Dr. Weller. Auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP), General­arzt  a. D. Dr. Christoph Veit, wandte sich mit einem Grußwort an das Publikum. Die DGWMP war bereits zum dritten Mal Partner des InstMikroBioBw bei dieser traditionellen, im Jahre 1994 begründeten Tagung und organisierte eine Industrieausstellung mit 27 Ausstellungsständen sowie ein wissenschaftliches Satellitensymposium.
Von den knapp 500 Registrierten waren etwas mehr als die Hälfte Teilnehmer aus Deutschland, die 225 ausländischen Gäste repräsentierten 38 Nationen. Ungefähr 30 % der Teilnehmer kamen aus dem militärischen Bereich, 20 % von Universitäten, 23 % von staatlichen Forschungseinrichtungen und Behörden und 17 % aus der Industrie. Das Tagungsprogramm umfasste 100 Vorträge und 109 Posterpräsentationen, verteilt über zweieinhalb Tage. Dabei wurden 21 Vorträge von Mitarbeitern des InstMikroBioBw entweder selbst gehalten oder sie waren ­Ko­autoren. Mit 40 Beiträgen (21 Vorträge, 19 Poster) war InstMikroBioBw somit an jedem fünften wissenschaftlichen Beitrag beteiligt. Dies verdeutlicht die hohe Leistungsfähigkeit und die sehr gute Vernetzung mit der Scientific Community im Rahmen bestehender Kooperationen.
Bereits am Vortag der offiziellen Eröffnung konnten sich die Teilnehmer bei einer „Special Lecture“ einstimmen. Dabei präsentierte einer der bekanntesten Biowaffenexperten, Prof. Dr. Leitenberg (Abb. 1) von der University of Maryland (USA), Details aus seinem neuesten Buch „The Soviet Biological ­Weapons Program: A history“ über das ehemalige sowjetische Biowaffenprogramm.

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Natürlich durfte am ersten Abend der obligate „Ice Breaker“ nicht fehlen, der von der DGWMP ausgerichtet wurde. Bei Buffet, Saft und bayrischem Bier hatten die Teilnehmer Gelegenheit, sich kennenzulernen oder alte Freundschaften aufzufrischen. Nach über 3 Stunden geselligem Beisammensein war das „Eis“ dann auch tatsächlich gebrochen; die Tagung konnte beginnen.
In der Eröffnungssitzung „Genomics Meets Emerging Pathogens“ wurden die heutigen Möglichkeiten aber auch die Herausforderungen und die derzeitigen Limitierungen genomischer Forschung beleuchtet. Welches Wissen besitzen wir über komplexe, ökologische Interaktionen zwischen Wirt und Erreger? Können genomische Daten uns hier überhaupt weiterhelfen oder benötigen wir ein besseres Verständnis über die Erregerökologie, um diese Daten im Kontext richtig interpretieren zu können? Zu dieser anspruchsvollen Thematik referierten gleich zwei Spitzenforscher. Prof. Dr. Maiden (University Oxford, UK) zeigte auf, dass heute nicht mehr die technische Herausforderung, sondern die intellektuelle Leistung bei der Interpretation genomischer Daten im Vordergrund steht. Für sich isoliert böten diese nur wenig Erklärungspotential für ein besseres Verständnis von Erreger-Wirt-Zusammenhängen und der Entstehung neuer Krankheitserreger. Die Erreger müssten in ihrer Gesamtheit, also auch in ihrer Lebensweise im natürlichen Umfeld, betrachtet werden. Eine Analyse muss deshalb neben genomischen Daten auch sogenannte Metadaten zur Phänotypie und Erreger-Ökologie beinhalten. Programme, die dieses leisten, müssten Forschern über das Internet zugänglich gemacht werden. Prof. Dr. Drosten (Universität Bonn, Deutschland), Mitentdecker des SARS-Coronavirus, faszinierte das Publikum mit einem Vortrag über die unerschöpfliche Virenvielfalt in natürlichen Reservoirwirten, aus denen heraus immer wieder neue Infektionserreger die Speziesbarriere zum Menschen überwinden. Eindrucksvoll belegte er damit die Rolle der Natur als „größtem Bioterroristen“, wie es einmal der niederländische Virologe Osterhaus treffend formulierte.
Nach einem so vielversprechenden und optimistischen Auftakt hatten die Tagungsteilnehmer das schwere Los, sich zwischen weiteren, hochkarätigen Vorträgen zu Themenkomplexen wie „Antibiotic Resistance Challenges“, „Identification and Det­ec­tion“, „Molecular Typing and Epidemiology“, „Emerging Infections“, „Bioforensic Approaches“, „Metagenomics: Finding the Unknown“, „Outbreak Investigations“,“ Vector- and Food-Borne Pathogens“ oder „Mobile Bio-Reconnaissance“ zu entscheiden, die in Parallelsessions dargeboten wurden. Bei diesem hochinteressanten Angebot hätte sich so mancher gewünscht, an zwei Orten gleichzeitig sein zu können.
Besondere Aufmerksamkeit fand die Sitzung „Strategies and Policies“, die schwerpunktmäßig der Bedrohung durch Biologische Kampfstoffe und der Dual-Use-Problematik gewidmet war. Soll man wissenschaftliche Projekte, die eine Dual-Use-Problematik in sich bergen, reglementieren? Soll eine wissenschaftliche Kontrollinstanz dahingehend installiert werden, solche Projekte vorab zu evaluieren? Oder hat die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes als Grundrecht Priorität? Ist eine Reglementierung möglicherweise sogar kontraproduktiv, in dem sie die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse verhindert? Auf alle diese Fragen ging Prof. Dr. Schaade, Vizepräsident des Robert-Koch-­Instituts, in seinem Vortrag ein. Welche Brisanz der Themenkomplex „Biologische Kampfstoffe“ in sich birgt, zeigte sich in einem nicht unumstrittenen Vortrag der international ausgewiesenen Biowaffenexpertin Jill Bellamy van Aalst. Sie referierte über ein mögliches syrisches Biowaffenprogramm, für dessen Existenz sie starke Verdachtsmomente sieht. Ein entsprechender Artikel mit dem Titel „Bioterror aus Schurkenstaaten; Expertin: Nordkorea und Syrien züchten Pockenviren“ wurde am 27.10.2013 auf „Focus-online“ veröffentlicht.
Bis an die Grenze des heute technisch Machbaren ging die Sitzung „Genomics, Metagenomics and Beyond“. Das Sequenzieren einzelner Genome „war gestern“. Heute untersucht man mittels „Metagenomics“ ganze Bakterienpopulationen in ihrer natürlichen Umgebung oder in erkrankten Wirten und kann so auf völlig neuartige Erreger stoßen. In seinem Vortrag „Metagenomics for Detection and Characterization of Biothreat Agents“ erläuterte Dr. Höper vom Friedrich Löffler-Institut, Greifswald, die gegenwärtigen Möglichkeiten aber auch die Limitierungen des Metagenom-Ansatzes bei diagnostischen Fragestellungen. „Es ist ein faszinierender Ansatz, der eine Vielzahl neuer Möglichkeiten bietet, aber wir sind heute noch weit davon entfernt, diese Möglichkeiten voll auszuschöpfen“, resümierte Höper. Immer mehr in den Vordergrund rücken auch Fragestellungen zur Mikroevolution eines Erregers während eines Infektionsgeschehens; also wie verändert sich der Erreger auf molekularer und phänotypischer Ebene während eines einzelnen Ausbruchsgeschehens? Diese natürlich entstehende Diversität innerhalb einer kurzen Zeitspanne im Wirt ist auch relevant für bioforensische Rückverfolgungsanalysen. Genau dieser Thematik widmete sich ein Vortrag von Dr. Agren (National Veterinary Institute, Uppsala, Schweden) über die Veränderung von Bacillus anthracis während eines natürlichen Anthrax-Ausbruchs in Rindern. Dazu gehörte auch die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne.
“Finding the Poison” so lautete der klangvolle Titel der Sitzung, in der sich alles um die Detektion hochtoxischer Substanzen wie Botulinum-Neurotoxin oder Rizin drehte. Über die Möglichkeiten, Rizin auch in komplexen Matrices zu detektieren, informierte Dr. Martin Dorner vom Robert Koch-Institut, Berlin. Besonders beindruckend war die Darstellung der Möglichkeiten modernster massenspektroskopischer Analyseverfahren gekoppelt mit nano-HPLC-Technologie zur Differenzierung der einzelnen Botulinum-Toxin-Subtypen, dargeboten in einem Vortrag von Dr. Dresler, Military Health Institute, Prag.
Auch der Workshop des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) „MERS and More“ fand großen Zulauf. Neben der Darstellung der DZIF Aktivitäten im Bereich „Emerging Infections“ beschäftigte sich der Workshop mit dem Auftreten des Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV).
„Black Death is still Alive” so lautete der Titel der diesjährigen Pest-Sitzung – und das nicht ohne Grund. Bereits zum dritten Mal wurden auf der Tagung die neuesten Erkenntnisse zu Yersinia pestis, dem Erreger der Pest, präsentiert. Wieder konnten mit Prof. Dr. Carniel (Institut Pasteur, Frankreich) und Prof. Wagner (Arizona Northern University, USA) ausgewiesene Pest-Spezialisten für die Sitzung gewonnen werden. Prof. Dr. Carniel stellte in ihrem Vortrag einen neuen vielversprechenden Impfstoff auf der Basis des nahe verwandten Bakteriums Y. pseudotuberculosis vor, ein Meilenstein in der Pest-Impfstoffentwicklung. Prof. Wagner berichtete über die genetische Diversität mongolischer Y. pestis-Stämme basierend auf Genomanalysen, einem gemeinsamen Projekt zwischen dem InstMikroBioBw, dem mongolischen Kooperationspartner des National Center for Zoonotic Diseases in Ulan Bator und dem MGEN, Arizona. Mit Dr. V. Andrianaivoarimanana und Dr. M. Rajerison (beide Institut Pasteur, Madagaskar) konnten gleich zwei Vortragende aus dem Hochendemiegebiet Madagaskar gewonnen werden. Frau Dr. M. Rajerison berichtete über 2 Lungenpest-Ausbrüche. 100 % Letalität bei nicht behandelten Patienten und das Auslöschen von fast 2 Familien innerhalb weniger Tage machen mehr als deutlich, dass der „Schwarze Tod“ nichts an Virulenz eingebüßt hat. Das Auftreten multiresistenter Peststämme unterstreicht, dass die Behauptung “Black Death is still Alive”, realistischer denn je ist. Aus dem InstMikroBioBw präsentierte Frau OSV Dr. Riehm erstmalig Typisierungsdaten zu Y. pestis, die direkt aus klinischem Material von Beulenpestpatienten aus Madagaskar gewonnen wurden. Herr PD Dr. Scholz stellte die sensationellen Ergebnisse zur Detektion und Typisierung von Y. pestis aus 1 500 Jahre alten Skeletten aus der Zeit Kaiser Justinians vor, ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München realisiert wurde.
Viel Aufmerksamkeit fand auch der interaktive Fall- und Szenario-Workshop, bei dem die Zuhörer per Knopfdruck Gelegenheit hatten, mit Hilfe des TED-Abstimmungssystems der Sanitätsakademie ihre Meinung zu klinischen Fällen sowie zu dem Szenario eines fiktiven Anschlags auf das Münchner Oktoberfest einzubringen. Der Zuspruch seitens der Teilnehmer war so groß, dass diese Form der Präsentation eine feste Säule bei zukünftigen Veranstaltungen werden wird.

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Besonders erwähnenswert ist auch die Poster-Ausstellung mit 109 Beiträgen. Evaluiert durch das Scientific Advisory Board, durften sich die 3 ausgewählten Posterpreis-Gewinner über eine Urkunde und eine finanzielle Zuwendung freuen (Abb. 2). 26 Firmen fungierten bei der durch die DGWMP organisierten Industrieausstellung als Aussteller. Auch das InstMikroBioBw trat als Aussteller auf und zeigte das im Rahmen eines EU-Projektes geförderte mobile B-Labor, das auf großes Interesse stieß.
Im Rahmen des bilateralen Jahresprogramms wurden ausländische Militärdelegationen aus Aserbaidschan, Jordanien, Pakistan, Tunesien und der Mongolei durch Wissenschaftsoffiziere des InstMikroBioBw betreut. Delegationen aus Kasachstan und Georgien waren angereist, um die Projektaktivitäten im Rahmen des deutschen Beitrages zum „G8 Global Partnership“-Programms zur Stärkung der Biosicherheit mit dem Institut für Mikrobiologie abzustimmen. Noch nie haben am Rande dieser Konferenz so viele kleinere Netzwerk- und Arbeitsgruppentreffen stattgefunden wie dieses Mal. So hatte das Biomedical Advisory Commitee der NATO (BioMedAC) sein Herbsttreffen auf den Tagungstermin abgestimmt, ebenso zwei weitere NATO-Arbeitsgruppen und das internationale Qualitätssicherungsnetzwerk für hochpathogene Erreger QUANDHIP.
Neben dem umfangreichen wissenschaftlichen Programm kamen der ungezwungene Austausch zwischen Kollegen und langjährigen Kooperationspartnern und das gesellige Beisammensein nicht zu kurz. Ein Sprichwort besagt: „Durch das miteinander reden kommen Leute zusammen“. Die Tagung bot dafür genügend Raum. Am geselligen Abend im Augustinerkeller bei bayerischer Blasmusik, Braten und Bier, Lederhose und Dirndl, hatte man das Gefühl, es würde eine große Familie bei bester Laune beisammen sitzen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die Tagung in den letzten Jahren zunehmend zu einer wissenschaftlich hochkarätigen internationalen Konferenz auf dem Gebiet des medizinischen B-Schutzes entwickelt hat. Die traditionell familiäre Atmosphäre war trotz der hohen Teilnehmerzahl auch bei dieser Tagung wieder spürbar und gehörte mit der wissenschaftlichen Qualität der Beiträge zu den Alleinstellungsmerkmalen, die diese Konferenz auszeichnen. Zudem leistet die Konferenz einen wichtigen Beitrag zur Vertrauensbildung und Transparenz im Sinne des internationalen B-Waffen-Übereinkommens. Der Sanitätsdienst kann stolz darauf sein, dass er auf einem derart wichtigen Gebiet eine international führende Rolle übernommen hat. Die nächste internationale Medical Biodefense Conference ist für Oktober 2015 geplant.

Bildquellen: Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München

 

Datum: 30.03.2014

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2014/2

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