Große Lichtblicke

Das Ausbildungsmusikkorps der Bundeswehr zeigt ein großes Potpourri seines Könnens

Benefizkonzert
Simon Höpfl

Das Ausbildungsmusikkorps der Bundeswehr, 1960 in Siegburg aufgestellt und seit 1969 in Hilden stationiert, ist die musikalische und militärische Heimat aller Musikstudenten in Uniform.  Die Aufgabe des Ausbildungsmusikkorps besteht darin, jungen Musikern den Weg zu professionellen Orchestermusikern zu ebnen und sie auf die künftige Verwendung im Militärmusikdienst der Bundeswehr vorzubereiten. In einer 4-jährigen Ausbildung, verbunden mit einem Bachelor-Studium an der Robert Schumann Hochschule für Musik in benachbarten Düsseldorf, erhalten sie hierfür das notwendige Rüstzeug. Ein Kompetenzteam koordiniert und leitet den Ausbildungsbetrieb, der bis zu 150 Musikern Platz bietet. Das im April 2018 fertiggestellte neue Probe- und Übungsgebäudes verfügt neben 140 Unterkunftsräumen auch über 68 Übungsräume und 34 Unterrichtsräume für die zukünftigen Musiker des Ausbildungsmusikkorps und garantiert exzellente Ausbildungsbedingungen. Der gesamte Gebäudekomplex ist auf die besonderen Anforderungen der Militärmusik zugeschnitten. Geleitet wird das Ausbildungsmusikkorps seit 2008 von Oberstleutnant Michael Euler.  Mit dem bezeichnenden Titel „Klassik in Uniform“ hat Ralf Siepmann Anfang Juli einen interessanten Hintergrundbericht über das  Ausbildungsmusikkorps für O-Ton (https://o-ton.online/hintergruende/o-ton-hilden-ausbildungsmusikkorps-siepmann-220703/) verfasst.

Benefizkonzert der Sanitätsakademie der Bundeswehr

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Nun gab es Gelegenheit, die jungen Militärmusiker, die derzeit an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München den Feldwebel-Lehrgang im Sanitätsdienst durchlaufen, in einem Benefizkonzert zu erleben. Alle Militärmusiker sind in ihrer Zweitverwendung Sanitätssoldaten, daher besteht auch die enge Verbindung des Sanitätsdienstes zur Militärmusik. In den zurückliegenden zwei Jahren waren viele Militärmusiker, da sie Corona-bedingt nicht spielen bzw. auftreten konnten, im Sanitätsdienst der Bundeswehr oder auch in Einrichtungen des zivilen Gesundheitssystems, in Gesundheitsämtern, in Impfzentren oder bei der Kontaktnachverfolgung eingesetzt und haben damit einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie und damit einen Dienst an der Gesellschaft geleistet. Unter der Rubrik „Musikstudenten in Uniform“ präsentieren sie dieses Konzert. Es ist erste Mal seit 10 Jahren, dass es wieder ein Konzert von den Lehrgangsteilnehmern an der Akademie gibt. Mit dem Motto „Kameraden spielen für Kameraden“ wollen sie dabei an eine alte Tradition anknüpfen. Unterstützt werden die Lehrgangsteilnehmer durch Kameradinnen und Kameraden des Ausbildungsmusikkorps Hilden, die ihre militärische Ausbildung im vergangenen Jahr bereits absolviert hatten.

Seit vielen Jahren unterstützt die Sanitätsakademie die soziale Einrichtung „Lichtblick Hasenbergl“ im benachbarten Stadtteil Hasenbergl Nord. Hier wachsen noch immer viele Kinder unter benachteiligenden Bedingungen in einer großen Sozialwohnungssiedlung auf. Ihr Leben ist von finanziellen Sorgen, einem niedrigen Bildungsniveau, einem schwierigen Umfeld und der Abhängigkeit von finanziellen Hilfen geprägt. Das Ziel dieser Einrichtung ist es, den Kreislauf sozialer Benachteiligung zu durchbrechen und sicherzustellen, dass die Kinder gesund aufwachsen, eine Schulform besuchen können, die ihrer tatsächlichen Begabung entspricht und erfolgreich eine Ausbildung durchlaufen können. Wie der Kommandeur der Sanitätsakademie der Bundeswehr, Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm, in seinem Grußwort betont, ist es für die Angehörigen der Sanitätsakademie der Bundeswehr eine Herzensangelegenheit, dieses soziale Projekt zu unterstützen. Der Reinerlös durch Spenden im Anschluss des Konzertes kommt daher vollumfänglich dieser Einrichtung zugute.

Eröffnet wird das Benefizkonzert schwungvoll unter der Leitung von Oberleutnant Paul Stöher, der auch charmant das Konzert moderiert, mit dem Mars der Medici.  Dieses im Jahr 1938 vom Niederländer Johan Wichers komponierte Musikstück gilt als eines der bedeutendsten Werke in der Karriere des „holländischen Marschkönigs“ und genießt einen hohen internationalen Bekanntheitsgrad. Im Jahre 1905 diente Wichers bei den niederländischen Streitkräften. Er gehörte dem „Korps Reitender Artillerie“ an und war in seiner Freizeit auch Trompeter im Orchester des Nordhorner Musikvereins in Niedersachsen. Seine Märsche entstanden oft aus persönlichen Erfahrungen heraus. So schrieb er den „Mars der Medici“ als Dank an die Ärzte, die nach einem langen Krankenhausaufenthalt für seine Genesung gesorgt hatten.

Mit Fate of the gods, einem monumentalen Stück symphonischer Blasmusik von Steven Reineke, zeigt das Ausbildungsmusikkorps eine ganz besondere Seite seines Könnens.  Der aus Ohio stammende Reineke, Jahrgang 1970, ist ein produktiver Komponist und Arrangeur sowie Dirigent des New York Pops Orchestra, was ihn zu einem der gefragtesten Pop-Dirigenten in den Vereinigten Staaten macht. Seine Musik für Blasorchester wird regelmäßig auf der ganzen Welt aufgeführt, ebenso wie seine zahlreichen Arrangements für Band und Orchester.      Reineke schrieb Fate of the Gods im Jahr 2001. Es ist inspiriert von der Geschichte in der nordischen Mythologie von „Ragnarök“. Das Stück zeigt einen großen Kampf zwischen Gut und Böse, der zur Zerstörung aller Dinge und zur Entstehung einer neuen, idyllischen Welt führt. Der erste Abschnitt des Stücks stellt die Erschaffung der Urwelt dar, in der sich Kräfte des Guten und des Bösen etablieren. Dunkles, tiefes Blech zum Intro, dann Schlagzeug und verstärktes Blech symbolisieren die gegensätzlichen Kräfte. 

Der zweite Abschnitt ist die Entwicklung des Dunkels mit hinterhältigen Themen, die den Gott Loki symbolisieren, die Personifikation des Bösen. Sein Thema weicht einer beruhigenden Musik, die den Gott Balder, den Sohn Odins, darstellt. Balder verkörpert alles Gute, Reine und Unschuldige. Wenn das Böse erneut folgt, dann ist es Heimdall, der Wächter der Götter, dessen Horn ertönt und den Anfang vom Ende ankündigt . Aus allen Ecken der Welt reiten Götter, Riesen, Zwerge, Dämonen und Elfen auf eine riesige Ebene zu, wo die letzte Schlacht geschlagen wird. Dieser gewaltige Kampf führt zu massivem Chaos und schließlich zur Zerstörung der Welt. Alles wird zerstört, bis auf einen Baum, den Baum des Lebens, bekannt als Yggdrasil. Der Baum bringt der Welt nach und nach das Dasein zurück. Diesmal sind es nur Kräfte der Güte, die geschaffen werden. Das Böse hat sich selbst zerstört und das Gute hat über alle gesiegt. Mit diesem Stück haben die jungen Militärmusiker gezeigt, dass sie schon jetzt über ein hohes musikalisches Verständnis verfügen. Auch die Horn- und Trompetensolisten beweisen sicheren Umgang mit ihren Instrumenten. 

Für den Dirigenten Paul Stöher ist das folgende Stück Concerto d'Amore des niederländischen Komponisten Jacob de Haan, Jahrgang 1959, ein Dankeschön an die Kameradschaft, die er als Betroffener bei der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr im Ahrtal selbst erfahren durfte. Concerto d'Amore verbindet mit Barock, Pop und Jazz drei verschiedene Epochen bzw. Stilrichtungen. Die würdevolle Einleitung klingt wie eine barocke Ouvertüre. Es folgt ein energischer Abschnitt im Pop-Stil, der in einem charaktervollen Adagio ausläuft. Ein Motiv daraus wandelt sich zu einer Swing-Passage, worauf das Werk mit der Wiederkehr des Adagio-Teils in abgewandelter Form endet. 

Einer der beliebtesten Militärmärsche ist der Marche des soldats de Robert Bruce von Jean Brouqières. König Robert I., im modernen Englisch besser bekannt als Robert Bruce, auch Robert the Bruce, war von 1306 bis zu seinem Tode 1329 König von Schottland. Während der Schottischen Unabhängigkeitskriege gegen England war er Anführer der aufständischen Schotten. Robert war ein direkter Nachfahre König Davids I. und begründete damit seinen Anspruch auf den schottischen Thron. Er gilt als einer der bedeutendsten Herrscher Schottlands. Bei dem ihm zu Ehren komponierte Marsch handelt es sich um einen langsamen, festlichen Marsch. Das Arrangement dieses Marsches stammt von Guido Rennert, einem der bekanntesten Militärmusiker der Bundeswehr. Das Ausbildungsmusikkorps spielt diesen Marsch getragen und feierlich, und durch die Soli von Piccoloflöte, Querflöte und Trommel überträgt sich die Emotion dieses Marsches auf den Zuhörer, das ist Gänsehautfeeling pur.

Vom feierlichen Marsch aus Schottland geht es thematisch über den großen Teich zu George Gershwin und einem Medley aus seiner 1935 uraufgeführten Oper Porgy and Bess. Die Oper schildert das Leben von Afroamerikanern in der Schwarzensiedlung Catfish Row in Charleston um 1870. Die New York Times bezeichnete das Stück als „American Folk Opera“, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Gershwin viele Elemente amerikanischer Musik eingebracht hat, jedoch ohne Originalmusik der afroamerikanischen Bewohner zu verwenden. George Gershwin selbst legte besonderen Wert darauf, mit Porgy and Bess kein Musical, sondern eine Oper komponiert zu haben, und in der Tat steht das Stück sowohl durch die Verwendung der durchkomponierten Großform als auch wegen der realistischen Milieuzeichnung den Opern des Verismo sehr nahe. Viele Melodien aus Porgy and Bess wie etwa I loves you, Porgy, I got plenty o’ nuttin’,  It ain't necessarily oder Summertime sind zu Jazzstandards geworden. Letzteres zählt zu den populärsten und am häufigsten gespielten Liedern überhaupt und ist von zahlreichen Musikern aufgenommen worden. Es sind genau diese Melodien, die das Ausbildungsmusikkorps mit viel Drive und Spielfreude interpretiert und zeigt, dass Blues, Swing und Jazz selbstverständlich zum Repertoire von Militärmusikern gehört. Unter den verschiedenen Musikern ist Stabsunteroffizier Katja Fechtner für ihr temperamentvolles Solo am Saxophon hervorzuheben.

Dann wird es wieder militärisch. Der Kaiserjägermarsch von Karl Mühlberger ist der Traditionsmarsch der Tiroler Kaiserjäger und der österreichischen und deutschen Gebirgsjäger. 1898 übernahm Karl Mühlberger die Leitung der Regimentsmusik des 1. Tiroler Jägerregiments in Innsbruck und komponierte diesen Marsch im Jahre 1914. Mit dem Kaiserjägermarsch, op. 42, schuf er einen der berühmtesten altösterreichischen Militärmärsche. Der Text für das Trio dazu wurde bereits 1911 vom Leutnant des Regiments Max Depolo verfasst. Paul Stöher dirigiert den Marsch mit viel Schwung und Elan. Gewidmet ist er an diesem Abend dem Leutnant Paul Hoffmann, Musikdienstoffizier beim Ausbildungsmusikkorps. Hoffmann hat sich für den diesjährigen „Ironman-Triathlon“ auf Hawaii qualifiziert, und dieser Marsch soll ihn dabei motivieren und begleiten. 

Das große Finale dieses in dieser Form einzigartigen Konzertes ist ein Medley mit den großen Schlagerhits von Udo Jürgens. Von 17 Jahr, blondes Haar bis zum Griechischen Wein sind viele seiner Erfolge in diesem Medley, das von Kurt Gäble arrangiert wurde, zu hören. Auch Pop und Schlager sind für die Militärmusiker keine böhmischen Dörfer. Die etwa 120 Zuschauer im Audimax der Sanitätsakademie sind jedenfalls restlos begeistert und feiern die jungen Musiker, die in dieser Formation ihren ersten Konzertauftritt bravourös absolviert haben, mit stehenden Ovationen.  

Natürlich werden die Musiker an diesem Abend ohne Zugabe nicht entlassen. Zunächst erklingt der Mussinan-Marsch von Carl Carl, der Truppenmarsch der Sanitätsakademie der Bundeswehr. Ludwig Ritter von Mussinan war Generalleutnant der Kgl. Bayerischen Armee. Aufgrund seiner Tapferkeit in der Schlacht von Sedan während des Deutsch-Französischen Krieges wurde er mit dem Militär-Max-Joseph-Orden ausgezeichnet, mit dem die Erhebung in den Adelsstand verbunden war. Er erhielt dadurch den persönlichen, nicht vererbbaren Titel „Ritter von“. Während seiner Zeit als Oberst und Kommandeur des 4. Königlich Bayerischen Feldartillerie-Regiments “König” in Augsburg widmete ihm sein Stabstrompeter Carl Carl den Mussinan-Marsch. Musikdirigent Carl Carl formte seine Musiker zu einem Trompeterkorps „wie es bisher in Bayern ohne Beispiel war“ und im Nachruf der Augsburger Abendzeitung vom August 1898 heißt es, Carl sei einer „der begabtesten, tüchtigsten und vielleicht der volkstümlichste Militärkapellmeister der bayerischen Armee“ gewesen. Die frische und spritzige Darbietung des Mussinan-Marsch durch das Ausbildungsmusikkorps hätte sich auch Carl Carl gefallen. 

Als zweite Zugabe erklang  der Marsch Blauer Enzian von Ernst Hoffmann. Dieser Marsch wurde für die Europa-Eislaufmeisterschaften in Inzell in Oberbayern im Januar 1969 komponiert. Das Musikkorps I der Gebirgsdivision Garmisch-Partenkirchen unter der Leitung seines Dirigenten Major Werner Zimmermann brachte ihn dort zur Uraufführung. Auch diesen relativ modernen Marsch spielt das Ausbildungsmusikkorps souverän und mit immer noch großer Spielfreude. Mit der Bayernhymne und der Deutschen Nationalhymne endet dieses etwa 75 minütige Konzert. Dabei war schon erstaunlich, auf welch hohem Niveau die jungen Militärmusiker, die ja alles noch Studenten sind, jetzt schon spielen und welche unterschiedlichen Facetten sie zeigen können. Dabei sollte jedem, der es noch nicht wusste, klar geworden sein, ein Musikkorps der Bundeswehr kann deutlich mehr als „nur“ Marschmusik spielen. Und im kommenden Jahr wird es wieder ein Benefizkonzert in München an der Sanitätsakademie der Bundeswehr geben, dann mit den neuen Lehrgangsteilnehmern. 


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