Evakuierung des Bundeswehrkrankenhauses Ulm nach einer Bombendrohung

Die politischen Veränderungen seit Beginn der 90er Jahre haben zu einem grundlegenden Wandel in der europäischen Sicherheit geführt. Anstelle eines klar erkennbaren militärisch dominierten Bedrohungsbildes sind neue komplexe Gefahren und Risiken getreten. Durch das Engagement in der Deutschen Außenpolitik und der damit verbundenen Beteiligung der Bundeswehr an Internationalen Einsätzen gegen den Terrorismus ist Deutschland zunehmend in das Blickfeld von Terroristen gerückt. Als mögliche Ziele kommen infolge der Auslandseinsätze auch Liegenschaften der Bundeswehr in Frage. Zu den besonders gefährdeten Zielen terroristischer Gewalt zählen Einrichtungen der kritischen Infrastruktur, die eine zentrale Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Lebens haben. Krankenhäuser sind zentraler Bestandteil dieser kritischen Infrastruktur und müssen deshalb als potentielles Ziel eines solchen Anschlages gesehen werden. Vor allem die nicht militärisch gesicherten Bundeswehrkrankenhäuser, die zu einem großen Anteil an der öffentlichen Patientenversorgung beteiligt sind, stellen offene und frei zugängliche Einrichtungen dar. Aus diesen Gründen müssen insbesondere Bundeswehrkrankenhäuser auf die veränderte Bedrohungslage vorbereitet sein und ihr Notfallmanagement den Erfordernissen anpassen. Die enge Einbindung in die zivile Struktur des Rettungsdienstes/Katastrophen schutzes und enge Kooperation mit benachbarten Kliniken sowie anderen zentralen Dienststellen der Bundeswehr sind wesentliche Voraussetzungen für ein funktionierendes Notfallmanagement. Im Folgenden möchten wir die notfallmäßige Evakuierung des Bundeswehrkrankenhauses Ulm nach einer Bombendrohung schildern und die individuell aufgetretenen Probleme aufzeigen.

Gefahr für die Innere Sicherheit Deutschlands durch internationalen Terrorismus

Mit zunehmendem Engagement der deutschen Außenpolitik im Kampf gegen den Internationalen Terrorismus und der Teilnahme insbesondere an der Operation Enduring Freedom (OEF) und der International Security Assistance Force for Afghanistan (ISAF) hat sich die Bedrohung für Deutschland gewandelt. Im Verfassungsschutzbericht 2006 wird der islamistische Terrorismus als eine der größten Gefahren für die innere Sicherheit gesehen.
Die Anschläge in Madrid mit 191 Toten und 2051 Verletzten, in London mit 56 Toten und mehr als 700 Verletzten, sowie mehrere vereitelte Terroranschläge innerhalb Europas zeigen, dass die Gefahr nicht mehr als abstrakt, sondern als konkret zu werten ist. Auch in Deutschland gab es konkrete Planungen und Vorbereitungen zu Sprengstoffanschlägen. Wegen eines technischen Fehlers in der Herstellung der Sprengsätze kam es 2006 nicht zu den beabsichtigten Detonationen in zwei Zügen der Deutschen Bahn.
Durch das Bundeskriminalamt wurden 2007 drei mutmaßliche Mitglieder einer terroristischen Vereinigung („Islamische Jihad Union“) festgenommen. Dabei wurde Material zur Herstellung von 550 kg Trinitrotoluol (TNT) sichergestellt. Es bestanden Verbindungen zu Islamistischen Gruppierungen aus dem Großraum Ulm.
Ziele dieser Art des Terrorismus sind bevorzugt „weiche Ziele“, also frei zugängliche, ungeschützte Plätze und Gebäude. Als Beispiele zu nennen sind öffentliche Verkehrsmittel und andere von Personen stark frequentierte Orte. Im Falle eines Anschlages ist die potentielle Opferzahl sehr hoch. Solche vornehmlich gewählten Ziele sind häufig Teil der kritischen Infrastruktur und führen so zur Störung der Funktion von Staat und öffentlichem Leben.
Krankenhäuser als zentrale Einrichtung der kritischen Infrastruktur erfüllen ebenfalls die Merkmale eines „weichen Zieles“.

Besonderheit: Gefahrenpotential Krankenhaus

Krankenhäuser sind hochkomplexe Einrichtungen, die durch Gefahren von innen und außen äußerst vulnerabel sind.
Die Vielzahl der Patienten, die zu einem großen Anteil immobil sind, und deren physische und psychische Belastbarkeit deutlich eingeschränkt ist, ergibt im Falle einer Notlage ein besonderes Gefahrenpotential. Erschwerend kommt hinzu, dass die baulichen Voraussetzungen von Klinikgebäuden in erster Linie der Funktionalität dienen, mitunter unzureichend werden Vorsorgemassnahmen bzgl. des Brandschutzes und der Evakuierungsmassnahmen berücksichtigt.
Umso entscheidender ist es, dass schon im Vorfeld ständig aktualisierte und angepasste Präventivplanungen existieren, damit je nach Gefährdungseinschätzung flexibel reagiert werden kann. Abhängig von der Schadenslage kommt im Rahmen von Evakuierungsmaßnahmen ein mehrstufiges Konzept zur Anwendung. Situationsabhängig erfolgt zunächst die horizontale Rettung in einen ungefährdeten Abschnitt desselben Stockwerkes. Eine vertikale Rettung wird erst dann veranlasst, wenn die horizontale Rettung keine ausreichende Sicherheit mehr bietet. Bisher wurden bei den Planungen vor allem Gefahren von innen wie Brandentstehung, Gefahrgutunfälle u.ä. berücksichtigt. Wie im folgenden Fall deutlich wird, muss heute auch die Bedrohung durch mögliche terroristische Anschlagsszenarien in die Katastrophenplanungen von Krankenhäusern mit einfließen.

Profil des Bundeswehrkrankenhauses Ulm

Der Auftrag des Bundeswehrkrankenhauses Ulm als akademisches Krankenhaus der Universität Ulm beinhaltet neben der Versorgung von Soldaten der Bundeswehr zu einem großen Teil die Versorgung der Zivilbevölkerung im Südwesten Deutschlands und im Großraum Ulm. Mit 472 vornehmlich operativen Betten und insgesamt 15 Fachabteilungen ist es nach dem Landeskrankenhausplan ein Krankenhaus der Maximalversorgung und überregionales Traumazentrum. Die Klinik verfügt über zwei leistungsfähige Intensivstationen mit insgesamt 22 Betten, eine Wachstation und einen Zentral-OP mit zehn Operationssälen sowie einem Aufwachraum mit zehn Plätzen. Die Interdisziplinäre Notaufnahme stellt neben der Universitätsklinik eine der beiden leistungsstarken Anlaufstellen für Rettungsdienst und zivile Patienten dar. Eingebunden ist das Luftrettungszentrum „Christoph 22“, das in Kooperation mit der ADAC Luftrettung betrieben wird. Zudem stellt die Klinik das medizinische Personal für den im nahen Laupheim stationierten Großraumrettungshubschrauber. Die Leitende Not arztgruppe (LNA) Ulm/Alb-Donau wird vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm und der Universität Ulm gemeinsam getragen.
Das Bundeswehrkrankenhaus Ulm liegt eingebettet in einem weitläufigen Gelände außerhalb der Innenstadt, in direkter Nachbarschaft zu weiteren zivilen Kliniken. Das BwKrhs ist ein 7-stöckiges Gebäude, bei dem die vier Flügel kreuzförmig angeordnet sind. Um den Zentralbau gruppieren sich Nebengebäude, wie das Apothekengebäude, das technische Versorgungsgebäude und die Truppenunterkunft. Zurzeit findet eine Generalsanierung sämtlicher Gebäude des BwKrhs unter laufendem Betrieb statt, so dass ein erheblicher Teil des Krankenhauses für den regulären Klinikbetrieb gesperrt ist. Dies bringt eine Vielzahl an Unannehmlichkeiten mit sich, zum einen muss die Patientenversorgung auf eingeschränktem Raum auf unverändertem Niveau sichergestellt werden, zum anderen wird durch die Baustelle der Personalstrom unübersichtlicher.
In den existierenden Notfall- und Evakuierungsplänen sind detaillierte Handlungsanweisungen vorgegeben, auch bestehen Planungen über eine enge Kooperation mit den umliegenden Kliniken. Im Falle einer Schadenslage einer Klinik ist die gegenseitige Unterstützung durch die anderen Einrichtungen fest in den Notfallplänen vorgesehen. Explizit existieren auch Handlungsanweisungen im Falle einer eingehenden Bombendrohung.
Im Vorfeld erfolgten auch schon Evakuierungsübungen des besonders sensiblen Bereichs der Intensivstationen zusammen mit den örtlichen Einsatzkräften des Rettungsdienstes und der Feuerwehren. Auch wurde in Kooperation mit der in Arbeitsgemeinschaft in Bayern tätiger Notärzte (AGBN) ein Workshop „Klinikevakuierung“ durchgeführt.

Bombendrohung gegen das Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Am 16. Juli 2007 geht gegen 12.48 Uhr bei der Neu-Ulmer Zeitung ein Anruf ein, bei dem ein mit arabischem Akzent sprechender männlicher Anrufer erklärt, im Bundeswehrkrankenhaus Ulm seien insgesamt sieben Sprengvorrichtungen deponiert worden, die etwa um 15.00 Uhr explodieren würden. Nach Eingang des Telefonates bei der Zeitung wird die Polizei Neu-Ulm in Bayern verständigt. Zunächst wird ein länderübergreifender Polizeieinsatz erforderlich, da sich das BwKrhs Ulm im Zuständigkeitsbereich der Polizei Baden-Württemberg befindet.
Um 13.15 Uhr trifft der zuständige Einsatzleiter der Polizei Ulm am Bundeswehrkrankenhaus ein. Nach kurzer Lagebewertung vor Ort erfolgt um 13.25 Uhr die Informationsweitergabe an die Rettungsleitstelle Ulm. Unverzüglich erfolgt die Alarmierung umfangreicher Einsatzkräfte inklusive der LNA-Gruppe Ulm, des Organisatorischen Einsatzleiters Rettungsdienst (OrgL) und sämtlicher Schnell einsatzgruppen der lokalen Hilfsorganisationen sowie aller frei verfügbaren Rettungsdienstmittel des Rettungsdienstbereiches Ulm. Alle angrenzenden Rettungsleitstellen werden über die Bombendrohung informiert und der GRH der Heeresflieger Laupheim wird in Voralarm versetzt.
Im Rahmen einer ersten orientierenden Lageerkundung durch Polizeikräfte werden mehrere nicht zuzuordnende Objekte identifiziert, Kampfmittelspürhunde der Polizei schlagen an mehreren Stellen an. Aufgrund dieser Tatsache wird die Eingangshalle und der Bereich der Fachuntersuchungsstellen durch die Polizei geräumt. In die Lagebeurteilung der Spezialkräfte der Polizei fließen die Ermittlungen gegen mutmaßliche islamistische Terroristen aus der Region Ulm / Neu-Ulm ein, sodass die Bedrohung als konkret bewertet wird. Um 13:30 Uhr wird, zusammen mit der Klinik-Einsatzleitung sowie dem Leitenden Notarzt, die notfallmäßige Evakuierung des Bundeswehrkrankenhauses beschlossen. Durch die Medizinische Einsatzleitung werden wie in den Alarmplänen vorgesehen unverzüglich fünf Einsatzabschnitte eingerichtet, denen je ein verantwortlicher Abschnittsleiter (LNA bzw. OrgL) zugeteilt wird. (Abb. 1)

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Abb. 1: Einsatzabschnitte

 

Abschnitt: Bundeswehrkrankenhaus

Im Bundeswehrkrankenhaus wird umgehend die Klinikeinsatzleitung (KlinEL) gebildet. Der sogenannte Koordinierende Arzt (Ko-Arzt) nimmt die Funktion innerhalb der Klinikeinsatzleitung ein, vervollständigt wird die Klinikeinsatzleitung durch eine Koordinierende Pflegedienstleitung sowie einen Koordinierenden Technischen Leiter. Die Funktion des Koordinierenden Arztes wird im Bundeswehrkrankenhaus Ulm von einem Oberarzt der Abteilung X für Anästhesiologie und Intensivmedizin wahrgenommen, der auch Mitglied in der regionalen LNA-Gruppe ist.
Unverzüglich werden die Leitenden Ärzte aller Abteilungen des BwKrhs über den Sachstand in Kenntnis gesetzt, da sie für die Weitergabe an das ihnen unterstellte Personal verantwortlich sind. Der zu dieser Zeit stattfindende Schichtwechsel wird unverzüglich unterbrochen und parallel erfolgt die Alarmierung von dienstfreiem Personal.
Die Vorplanungen für den Fall einer notfallmäßigen Evakuierung der Klinik sehen vor, dass die nicht-gehfähigen sowie bettpflichtigen Patienten in das in unmittelbarer Nachbarschaft befindliche Rehabilitationsklinikum Ulm verbracht werden. Aufgrund der kurzen Distanz (ca. 250m) und der günstigen Wetterlage werden die Patienten hierzu vom eigenen Pflegepersonal auf geteerten Wegen - ohne Inanspruchnahme von zusätzlicher Transportkapazität des Rettungsdienstes - dorthin verbracht. Die notfallmäßige – aber dennoch geordnete - Evakuierung der Bettenstationen erfolgt ohne zentrale Steuerung, von den oberen Stockwerken aus beginnend, durch das ärztliche und pflegerische Personal der jeweiligen medizinischen Abteilung. Da kein Brandfall vorliegt, können sämtliche Personen- und Transportaufzüge (insgesamt 8 Stück) genutzt werden; diese werden durch Mitarbeiter des krankenhauseigenen Brandschutzes und technischen Betriebsdienstes besetzt. Die gehfähigen Patienten werden in Begleitung des Pflegepersonals weitgehend über die (Flucht-)Treppenhäuser (insgesamt 8 Stück) nach unten gebracht. Die Planungen sehen vor, dass die gehfähigen Patienten in eine ca. 1,5 km vom Bundeswehrkrankenhaus entfernt gelegene Turnhalle evakuiert werden. Da hierzu Transportkapazität des Rettungsdienstes notwendig ist, werden in der sehr frühen Phase der notfallmäßigen Evakuierung auch gehfähige Patienten in das benachbarte Rehabilitationsklinikum verbracht. Im weiteren Verlauf werden für den Transport der gehfähigen Patienten in die Turnhalle entsprechend den Vorplanungen u.a. auch ein Großraum-RTW der Feuerwehr Ulm sowie zwei Niederflurbusse der Ulmer Verkehrsbetriebe eingesetzt. So kann eine große Anzahl an Patienten in kurzer Zeit transportiert werden, ohne wertvolle Transportkapazität des Rettungsdienstes in Anspruch nehmen zu müssen. Der Bereich der Fachambulanzen, welcher sich im Erdgeschoss befindet und zum Zeitpunkt der notfallmäßigen Evakuierung mit einer großen Anzahl an Personal und stationärer sowie ambulanter Patienten belegt ist, kann zügig über die vorgesehenen Fluchtwege evakuiert werden. Außerhalb des Gebäudes sammeln sich die Betroffenen an den vorgesehenen Sammelstellen, von wo aus sie weitergeleitet werden.
Beide Intensivstationen des Bundeswehrkrankenhauses, die sich im 2. Stock des Klinikgebäudes befinden, sind zum Zeitpunkt der notfallmäßigen Evakuierung zu 100% belegt – d.h. mit insgesamt 22 Patienten, davon 10 Beatmungspatienten. Innerhalb kurzer Zeit ergibt die Abklärung der Rettungsleitstelle Ulm, dass sämtliche Patienten auf Intensivstationen in Kliniken innerhalb von Ulm (Universitätsklinikum Ulm, Rehabilitationsklinikum Ulm) sowie in umliegende Kreiskrankenhäuser (max. Entfernung 25 km) verlegt werden können. Die Evakuierung dieser Patienten wird mit absoluter Priorität durchgeführt – der Transport erfolgt ausschließlich bodengebunden mittels RTW, wobei jeder Patient zusätzlich von einer Intensivpflegekraft sowie einem ärztlichen Mitarbeiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin (Patienten der operativen Intensivstation) bzw. der Abteilung für Innere Medizin (Patienten der konservativen Intensivstation) begleitet wird. Die medizinische Ausstattung (Monitoring, Perfusoren und falls notwendig auch die Intensivrespiratoren) verbleibt an den Patienten, sodass eine zügige Verlegung und Übergabe an den Rettungsdienst möglich ist. Die Evakuierung der Intensivstationen kann innerhalb von 25 Minuten abgeschlossen werden. Diese schnelle Reaktionszeit ist – neben den günstigen Begleitumständen (u.a. doppelte Personalstärke bei Personalwechsel, Möglichkeit der Verwendung der Aufzüge) - ganz wesentlich auf umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen (insbesondere: praktische Evakuierungsübung in der Vergangenheit, ebenso wie Mitarbeiterschulung und Materialoptimierung, z.B. mobile Intensivrespiratoren etc. im Vorfeld des Ereignisses) zurückzuführen.
Zum Zeitpunkt des Evakuierungsbeschlusses sind bereits etwa 2/3 des operativen Regelprogramms beendet. Der für die OP-Koordination im Zentral-OP verantwortliche Oberarzt der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin veranlasst unmittelbar die Unterbrechung des operativen Regelprogramms und die zügige Beendigung der laufenden Operationen. Der Zentral-OP befindet sich räumlich etwas abgesetzt vom Hauptgebäude im 1. Untergeschoss (welches aber ebenerdig anfahrbar ist) und verfügt über einen erhöhten baulichen Schutz gegenüber Fremdeinwirkungen; zudem besteht gegenüber anderen Klinikbereichen eine deutlich erhöhte Zugangsbeschränkung. Die Gefährdung von Patienten und Personal in diesem Bereich durch Explosionswirkungen von außerhalb wird deshalb - ebenso wie die Möglichkeit der unbemerkten Deponierung eines Sprengsatzes in diesem Bereich - als gering( er) eingeschätzt. Im Sinne der Vermeidung einer zusätzlichen Patientengefährdung wird deshalb einerseits auf die notfallmäßige (provisorische) Beendigung der Eingriffe verzichtet und zum anderen wird der Evakuierung der Patienten der Intensivstationen mit ihrer baulich sehr kritischen Struktur im 2. Stockwerk gegenüber den Patienten aus dem Zentral-OP Vorrang gegeben. Sämtliche Patienten aus dem OP-Trakt werden schließlich arztbegleitet bodengebunden in die Aufwachräume des Universitätsklinikums verlegt. Die Evakuierung des Zentral-OP`s kann gegen 14.45 Uhr abgeschlossen werden; davon ausgenommen sind drei bereits laufende, länger dauernde viszeral- bzw. unfallchirurgisch und neurochirurgische Eingriffe, die gegen 15.15 Uhr beendet werden können. (Abb. 2)

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Abb. 2: Rettung über Treppenhaus

 

Abschnitt: Rehabilitationsklinik Ulm

m Falle einer Evakuierung des Bundeswehrkrankenhauses kommt dem in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Rehabilitationsklinikum (RKU) eine zentrale Rolle zu. Zwischen beiden Kliniken bestehen Vereinbarungen zur gegenseitigen Hilfeleistung im Falle von entsprechenden Schadensereignissen. Beim RKU handelt es sich um eine Klinik mit den Schwerpunkten Orthopädie (mit Querschnittgelähmtenzentrum) sowie Neurologie, was die Akutversorgung sowie die anschließende medizinische und berufliche Rehabilitation unter einem gemeinsamen Dach vereint. Als Einsatzabschnitt II hat das RKU bei einer derartigen Evakuierung des BwKrhs sowohl quantitativ als auch qualitativ die Hauptpatientenlast zu tragen. Zudem ist aufgrund der räumlichen Nähe und der Dynamik des Geschehens die Reaktionszeit für das dortige Klinikpersonal außerordentlich kurz: So fallen die Information der Klinikleitung des RKU`s über die Evakuierung und das Eintreffen der ersten Patienten am RKU zeitlich nahezu zusammen.
Entsprechend den Vorplanungen wird die Leitung dieses Einsatzabschnitts ebenso einem Mitglied der regionalen LNA-Gruppe übertragen. Dabei organisiert er in enger Abstimmung mit dem Führungspersonal des Rehabilitationsklinikums diesen Einsatzabschnitt. Die Planungen sehen die Einrichtung eines Behandlungsplatzes in dem großen Physiotherapiebereich der Klinik vor, welcher mit Betten ebenerdig vom Bundeswehrkrankenhaus „anfahrbar“ ist und ausreichend Fläche bietet, um eine große Anzahl von Patienten unterzubringen. Aufgrund der hohen Dynamik des Geschehens sammeln sich (vornehmlich selbstständig gehfähige) Patienten aber nicht nur in dem vorgesehenen Physiotherapiebereich, sondern unkoordiniert auch im Eingangsbereich der Klinik, wo sie von dem dortigen Personal in den unmittelbar angrenzenden Speisesaal der Klinik verbracht werden, sodass ungewollt zunächst auch ein zweiter Behandlungsplatz entsteht. Aufgrund der erheblichen räumlichen Trennung und der damit verbundenen organisatorisch-einsatztaktischen Probleme entschließt man sich sehr bald, diesen spontan entstandenen Behandlungsplatz aufzulösen und die Patienten aus dem Speisesaal in den Physiotherapiebereich zu verlegen. Die Betreuung der Patienten erfolgt durch die zuständigen Pflegekräfte und Ärzte des Bundeswehrkrankenhauses sowie durch Personal des RKU - zudem unterstützen zwei Einsatzeinheiten des Rettungsdienstes. Es kann auf die komplette Infrastruktur einer leistungsfähigen Klinik zurückgegriffen werden. Die Klinik stellt zudem unverzüglich den operativen Routinebetrieb ein und schafft Kapazitäten sowohl im Aufwachraum als auch auf der operativen Intensivstation. Ein Operationssaal wird für etwaige Notfalloperationen freigehalten. So verdoppelt sich in weniger als 2 Stunden die Patientenzahl der Klinik - insgesamt werden etwa 330 der über 600 aus dem Bundeswehrkrankenhaus evakuierten Patienten vorübergehend im RKU betreut.

Abschnitt: Turnhalle Ulm-Nord

Die in ca. 1,5 km Entfernung vom Bundeswehrkrankenhaus gelegene Turnhalle ist in den Evakuierungsplanungen für die vorübergehende Aufnahme von gehfähigen, nichtmonitorpflichtigen Patienten vorgesehen. Wie der Einsatzabschnitt II wird auch die Leitung dieses Einsatzabschnitts von einem Mitglied der regionalen LNA-Gruppe wahrgenommen. Im Gegensatz zum Einsatzabschnitt II, wo auf die Infrastruktur einer leistungsfähigen Klinik zurückgegriffen werden kann, muss hier die komplette Infrastruktur einer Notklinik durch Kräfte des Rettungsdienstes zunächst geschaffen werden. Diese Aufgabe übernehmen zwei weitere Einsatzeinheiten des Rettungsdienstes. Die medizinische Betreuung der Patienten erfolgt, wie im Einsatzabschnitt II, auch hier weitgehend durch die für die Patienten zuständigen Pflegekräfte und Ärzte des Bundeswehrkrankenhauses, während das Personal der Einsatzeinheiten sich weitgehend für Infrastruktur, Logistik und Verpflegung verantwortlich zeichnet. Insgesamt werden etwa 150 Patienten der über 600 aus dem Bundeswehrkrankenhaus evakuierten Patienten vorübergehend in diesem Einsatzabschnitt betreut. Im weiteren Verlauf werden drei Patienten, deren Zustand sich zu verschlechtern droht, in umliegende Kliniken weiterverlegt.

Abschnitt: Bereitstellungsraum

In unmittelbarer räumlicher Nähe zum Einsatzabschnitt III (Turnhalle) und in einer Entfernung von lediglich etwa 1,5 km zum Bundeswehrkrankenhaus, wird ein Bereitstellungsraum für Rettungs- und sanitätsdienstliche Fahrzeuge eingerichtet. Es handelt sich hierbei um eine Verbindungsstraße zwischen zwei Ortschaften, die von der Polizei kurzerhand vom öffentlichen Verkehr abgetrennt wird. Mit der Leitung dieses Einsatzabschnittes wird ein nichtärztlicher Rettungsdienstmitarbeiter, welcher über die Qualifikation Organisatorischer Leiter Rettungsdienst (OrgL) verfügt, betraut.

Abschnitt: Wagenhalteplatz

Dieser Einsatzabschnitt V wird in unmittelbar räumlicher Nähe zum Einsatzabschnitt I aufgebaut, nämlich im Zufahrtsbereich für Rettungsdienstfahrzeuge am Bundeswehrkrankenhaus. Er wird nur mit den unmittelbar benötigten Rettungsfahrzeugen belegt und dient quasi als Puffer bei rasch benötigter Transportkapazität am Einsatzabschnitt I. Die Leitung auch dieses Einsatzabschnitts unterliegt einem nichtärztlichen Rettungsdienstmitarbeiter, welcher über die Qualifikation Organisatorischer Leiter Rettungsdienst (OrgL) verfügt.
Etwa 600 ambulante sowie stationäre Patienten des Bundeswehrkrankenhauses, inklusive der rund 800 Mitarbeiter sind um 14.45 Uhr evakuiert und außerhalb des vermeintlichen Gefahrenbereichs. Gegen 15.15 Uhr kann, nach Verlegung der letzten drei Patienten aus dem Zentral- OP die gesamte Klinik als evakuiert gemeldet werden. Im weiteren Verlauf wird die von den polizeilichen Einsatzkräften bereits parallel zur Evakuierung begonnene Durchsuchung des Gebäudes nach Sprengsätzen fortgesetzt. Sie werden dabei durch Kräfte der Feldjäger sowie von in Ulm stationierten Soldaten unterstützt. Um die etwa 1500 Räume der Klinik in einem vertretbaren Zeitrahmen zu durchsuchen und zu sichern, ist neben einer großen Anzahl an Einsatzkräften auch eine große Anzahl an Sprengstoffspürhunden notwendig. Insgesamt kommen 50 Kampfmittelspürhunde der Polizei und der Feldjäger zum Einsatz. Letztendlich werden keine Sprengsätze im Gebäude ausfindig gemacht. Gegenstände, die zunächst als verdächtig eingestuft wurden, erweisen sich als abgestellte Kartons, Müllsäcke und Koffer. Das mehrfache Anschlagen der Sprengstoffspürhunde im Verlauf der Durchsuchungsaktion kann auf in der Klinik vorgehaltenen Nitropräparate zurückgeführt werden. Gegen 19.30 Uhr wird das Gebäude von den Sicherheitsbehörden als geklärt wieder freigegeben. Direkt im Anschluss wird mit der schon vorbereiteten Rückführung der Patienten begonnen. Zunächst werden die Bereiche mit einem Teil des pflegerischen und ärztlichen Personals besetzt. Die Pflegebetten wurden von Soldaten gereinigt, desinfiziert, frisch bezogen und im Bereich der Notaufnahme bereitgestellt.
Die Rückführung der Patienten erfolgte über die Notaufnahme, nach Registrierung werden die Patienten auf die jeweiligen Stationen verteilt. Die Rückführung ist nach 3,5 Stunden abgeschlossen. Nur zwei Intensivpatienten werden erst am nächsten Tag durch einen ITW Transport am Folgetag zurückverlegt. Um 23.30 Uhr werden zwei Schwerverletzte nach Verkehrsunfall im Schockraum versorgt und zur weiteren Therapie stationär aufgenommen. (Abb. 3)

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Abb. 3: Rückführung von Patienten ans BwKrhs Ulm

 

Fazit

Wie der geschilderte Fall verdeutlicht, muss bei der Planung des Notfallmanagements eines Krankenhauses auch einer Bedrohung durch terroristische Anschläge Rechnung getragen werden.
Durch die hohe Komplexität und Vulnerabilität müssen individuell abgestimmte Notfall-und Katastrophenplanungen eng auf die jeweilige Einrichtung abgestimmt sein, nicht zuletzt „über das jeweilige Klinikgelände hinaus“.
Im besonderen Fall des Bundeswehrkrankenhauses als militärische Einrichtung ist diesbezüglich von einem vergleichbar höheren Gefährdungspotential auszugehen. Notfallplanungen müssen konkretisiert und der Risikobewertung angepasst werden. Von zentraler Bedeutung eines mehrstufigen Konzeptes ist die Klinikeinsatzleitung, bestehend aus einem koordinierenden Arzt (Ko- Arzt), einer koordinierenden Pflegedienstleitung und einem koordinierenden technischen Leiter. Der verantwortliche Arzt sollte über die Qualifikation eines Leitenden Notarztes verfügen und idealerweise im lokalen Rettungsdienst eingebunden sein. Profunde Kenntnis bezüglich der Struktur des Rettungsdienstbereiches und umliegender Klinikeinrichtungen erleichtern die Kommunikation und Koordination mit den Einsatzkräften, die von außen hinzugezogen werden. Im Falle einer Schadens- bzw. Bedrohungslage fällt der Klinikeinsatzleitung die Führungsaufgabe für die gesamte Klinik zu.
Evakuierungsziele, Evakuierungs- und Transportwege müssen im Vorfeld festgelegt werden. Zu Optimierung des Patientenflusses bewährt sich die Trennung von „nicht– gehfähigen“ und „gefähigen“ Patienten. Pragmatischerweise sollten, den lokalen Gegebenheiten angepasst, Einsatzabschnitte eingerichtet werden. Jeder Abschnitt soll durch einen verantwortlichen Abschnittsleiter koordiniert werden, der wiederum der Klinikeinsatzleitung unterstellt und unterstützend tätig ist. Für die besonders sensiblen Bereiche wie Intensivstation und Operationsbereich müssen detaillierte Evakuierungsplanungen der Patienten mit dem erforderlichen medizinischen Equipment ausgearbeitet werden.
In Falle der Evakuierung des Bundeswehrkrankenhauses Ulm haben die Vorplanungen und Übungen im Vorfeld dazu beigetragen, dass die Intensivstationen reibungslos evakuiert werden konnten. Die bei derartigen Ereignissen gefürchtete „Schnittstellenproblematik“ durch das Zusammenwirken der unterschiedlichsten Einsatzkräfte war im vorliegenden Fall sehr gering ausgeprägt. Wir führen dies zum einen ganz wesentlich darauf zurück, dass das Bundeswehrkrankenhaus als leistungsfähige Akutklinik und überregionales Traumazentrum in die Notfallversorgung der Bevölkerung einbezogen ist und zum anderen das BwKrhs sich aktiv an der präklinischen Notfallmedizin der Region beteiligt, sodass die Mitarbeiter der einzelnen Hilfsdienste, die nun in der Evakuierungssituation aufeinandertreffen, sich und die jeweiligen Strukturen sowie Leistungsdaten der Gegenseite bereits kennen.
Zwar bilden die Notfallplanungen die entscheidende Grundlage für eine bessere Beherrschung derartiger Szenarien, doch wird der konkrete Ablauf im Realfall durch zahlreiche, mehr oder weniger planbare Faktoren - positiv wie negativ - beeinflusst werden. Im vorliegenden Fall wurde die Evakuierungsaktion durch eine Reihe von Faktoren ganz maßgeblich positiv beeinflusst: So fiel die Evakuierungsaktion auf einen Wochentag zur Zeit des Schichtwechsels, dadurch war die Personalstärke sehr hoch. Ein weiterer Faktor, der die Evakuierungsaktion maßgeblich positiv beeinflusst hat, war der Umstand, dass sämtliche Aufzüge zum Patiententransport genutzt werden konnten. Weiterhin konnte die Evakuierungsaktion bei Tageslicht und bei sehr guten Wetterbedingungen (sonniger Tag mit Temperaturen um 20-25 °C) durchgeführt werden.
So positiv das Gesamtergebnis im vorliegenden Fall war, offenbarte es aber auch deutliche Schwächen- beispielhaft seien einige wenige herausgestellt: So wiesen die Vorplanungen selbstverständlich einen Krisenraum und einen Ausweichkrisenraum in einem anderen Gebäudekomplex aus – aufgrund der aktuellen Umbaumaßnahmen an unserer Klinik war aber letzterer nicht nutzbar und eine mobile, raumunabhängige Lösung war nicht eingeplant. In dem aktuellen Fall musste deshalb auf die Unterstützung der Feuerwehr in Form des Abrollbehälters „Einsatzleitung“ zurückgegriffen werden. Ein weiteres zentrales Problem stellte die Kommunikation dar. Von den Evakuierungsmaßnahmen war ebenfalls die Telefonzentrale betroffen, auch Funkgeräte waren nicht vorhanden, so dass die Kommunikation innerhalb des Einsatzabschnittes Klinik weitgehend über Mobiltelefone und „Melder“ erfolgte.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass trotz einiger aufgetretener Probleme die Evakuierung des Bundeswehrkrankenhauses erfolgreich verlief. Die vorbestehenden Planungen haben sich als pragmatisch erwiesen und konnten in praxi umgesetzt werden. Das eingesetzte Personal handelte umsichtig und zielorientiert. Das medizinische Equipment, hier speziell im Bereich der Intensivmedizin, erwies sich als zweckmäßig und mobil einsetzbar (Patientenüberwachung, Perfusoren, Intensivrespiratoren). Nur diesen Umständen ist es zu verdanken, dass innerhalb von knapp 80 Minuten die komplette Klinik mit 600 Patienten und etwa 800 Mitarbeitern evakuiert werden konnte.

Louis Pasteur: Der Zufall bevorzugt den vorbereiteten Geist.

Datum: 01.10.2008

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/3

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