02.08.2021 •

Einsatzersthelfer B Bord: Hilfe und Unterstützung

L. Nolde

PIZ Marine

Deutsche Bucht, 54°28‘22“N 7°14‘42“. Wind Nord bis Nordost 4, strichweise Schauerböen, See 1 m. Die Fregatte „Sachsen“ läuft mit 18 Knoten nach Westen. Die Einheit befindet sich im Rahmen der Einzelausbildung seit drei Tagen in See.

„Besatzung auf Gefechtsstation“ ertönt es aus der Schiffslautsprecheranlage. Obermaat Meyer macht sich auf den Weg zum Schiffsverbandplatz in der Messe der Portepeeunteroffiziere. Sonst als Koch an Bord eingesetzt, unterstützt er im Gefechtsdienst den Bordsanitätsdienst. Hierzu hat der Obermaat die Ausbildung zum Einsatzersthelfer B (EH-B) Bord durchlaufen.

Grundsätzlich vertritt die Marine im Bereich der Ausbildung einen streitkräftegemeinsamen Ansatz, wo immer möglich und sinnvoll. Gleichzeitig müssen die sich aus dem maritimen Umfeld ergebenden Besonderheiten berücksichtigt werden. Dies erfordert sowohl eine enge Zusammenarbeit von Ausbildungseinrichtungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und des Heeres mit denen der Marine wie auch eine ergänzende Ausbildung mit maritimer Ausrichtung.

2017 wurde bei der Überarbeitung der Regelung zur Sanitätsausbildung von Nicht-Sanitätspersonal aus diesem Grund die Ausbildungen für diesen Personenkreis um den EH-B Bord ergänzt. Während der EH-B in Landoperationen Teil der eingesetzten Truppe ist, erfüllt der EH-B Bord über die erweiterte Selbst- und Kameradenhilfe hinaus wichtige Aufgaben in der Unterstützung des Bordsanitätsdienstes. Dieser setzt sich an Bord einer Fregatte in der Regel aus einem Schiffsarzt, zwei Notfallsanitätern und zwei Einsatzsanitätern zusammen. Mit diesem Personal müssen zwei Sanitätsgefechtsstationen für die Aufnahme und Versorgung von Patienten vorbereitet und betrieben werden. Die Patientenversorgung an Bord erfolgt nach den Grundsätzen der taktischen Verwundetenversorgung, angepasst an die Besonderheiten des maritimen Umfelds, nicht in der spezifischen sanitätsdienstlichen Infrastruktur (Schiffslazarett), sondern auf diesen gesondert eingerichteten Verbandsplätzen.

Operationen im maritimen Umfeld unterscheiden sich wesentlich von Land- oder Luftoperationen. Der bestimmende Unterschied ist die inhärente Mobilität der Schiffe und Boote im Operationsgebiet über weite Distanzen. Ein weiteres Charakteristikum maritimer Operationsgebiete sind große Seeräume, in denen nur wenige Einheiten stehen.

Beispiel eines maritimen Operationsgebiets mit Helikopterreichweite
Beispiel eines maritimen Operationsgebiets mit Helikopterreichweite
Quelle: Bundeswehr, Ergänzungen durch L. Nolde

Das bedingt große und sich kontinuierlich verändernde Entfernungen zwischen den einzelnen bordgestützten sanitätsdienst­lichen Behandlungseinrichtungen beziehungsweise zu rückwärtigen landgestützten sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtungen. Aus diesem Grunde sind alle militärisch besetzten seegehenden Einheiten mit Sanitätspersonal ausgestattet. Allerdings ist das Sanitätspersonal bei einer großen Anzahl definierter Szenarien (sogenannter Rollen) zwingend auf die Unterstützung von Nicht-Sanitätspersonal angewiesen. An Bord ist dies regelmäßig unter anderem das Verpflegungspersonal.

Abhängig von der äußeren Lage müssen im Falle eines Schadensereignisses (zum Beispiel Treffer) auf einem Kriegs- oder Hilfsschiff alle verfügbaren personellen und materiellen Ressourcen zum Erhalt beziehungsweise zur Wiederherstellung der Kampf- und/oder Standkraft des Schiffes und damit zur Erfüllung des militärischen Auftrages, zur Stabilisierung des Schiffes als sichere Plattform oder zur Rettung der Besatzung (Verlassen der Plattform) eingesetzt werden.

An Bord schwimmender Plattformen eingesetzte Soldaten sind spezifischen Gefährdungen und Risiken ausgesetzt, die sich aus den Besonderheiten des maritimen Umfeldes und der Wirkung der eingesetzten Waffen ergeben:

  • Verwundungen durch Minen- oder Torpedotreffer (Impuls),
  • Verwundungen durch Treffer von Flugkörpern (Druck und Hitze),
  • Unterkühlung und Ertrinken (Schiffbrüchige und Überbordgegangene) und
  • besondere Risiken durch den Arbeitsplatz Schiff/Boot (beispielsweise Überdruck und Schiffsbewegungen).

Das Sanitätspersonal und das Unterstützungspersonal ist diesen Gefährdungen genau wie jeder andere Soldat oder Soldatin der Besatzung ausgesetzt. Aus den speziellen, an das maritime Umfeld angepassten Verfahren, ergeben sich im Vergleich zu der Ausbildung der EH-B für Landoperationen diverse marinespezifische Ergänzungen.

Obermaat Meyer hatte gemeinsam mit weiteren EH-B Bord und der Schiffsarztgruppe der „Sachsen“ wenige Wochen vor dem Auslaufen ein Teamtraining am Schifffahrtmedizinischen Institut der Marine (SchiffMedInstM) absolviert. Dabei wurde die Versorgung von Notfällen in einer einem Schiffslazarett nachempfundenen Umgebung genutzt, um die Zusammenarbeit und Kommunikation im Team zu lernen und zu üben. Dieses war sein dritter Lehrgang am Institut gewesen. Im Jahr zuvor hatte er dort die Ausbildung für Kriseninterventionspersonal erhalten. Das Lehrpersonal hatte die Beispiele für die Anwendung der erlernten Methoden aus der Seefahrt gewählt. In einem zweiten Lehrgang wurden auch die medizinisch-fachlichen Grundlagen für die Unterstützung des Sanitätspersonals vermittelt.

EH-B Bord müssen die streitkräftegemeinsamen fachlichen Grundlagen beherrschen. Hier sind grundsätzlich keine Änderungen erforderlich. Im Lehrgang am SchiffMedInstM werden in kompetenzorientierter Ausbildung die fachlichen Inhalte vermittelt. Dabei werden aufbauend auf der Ausbildung zum Einsatzersthelfer A (EH-A) Fähigkeiten in den Lernfeldern „Lebensrettende Sofortmaßnahmen“, „Spezielle Erste Hilfe“ und „Notfallmedizinische Hilfeleistungen unter besonderen Umständen“ vermittelt. Diese Lernfelder mit den zu vermittelnden Inhalten entsprechen den Vorgaben für die Ausbildung der EH-B an den Ausbildungs- und Simulationszentren des Sanitätsdienstes der Bundeswehr.

Ergänzend ist für die EH-B an Bord ein zusätzlicher Ausbildungsbedarf gegeben. Dies betrifft sowohl die taktische Einbindung der erworbenen Kompetenzen in die maritime Umgebung wie darüber hinaus gehende Unterstützungsaufgaben für das Sanitätspersonal. Die Ausbildung orientiert sich an den Rahmenbedingungen und Aufgaben an Bord, die sich deutlich von den taktisch-­operativen Anteilen der Ausbildung zum EH-B unterscheiden. Themen sind hier das Einrichten, Betreiben und Verlegen eines Behandlungsplatzes, der Einsatz des spezialisierten Trupps Verwundetenversorgung, die erweiterte Selbst- und Kameradenhilfe unter Bordbedingungen und der Patiententransport auf seegehenden Einheiten.

Für die Vorbereitung der Behandlungsplätze muss zunächst das Mobiliar in den als Verbandplätze vorgesehenen Messen, den Speise- und Aufenthaltsräumen, abgebaut sowie seefest und gefechtsklar gelagert werden. Das Sanitätsmaterial muss schnell erreichbar sein, um bei einem möglichen Treffer keine zusätzliche Gefahr zu bilden. Alle Kommunikationsverbindungen müssen sicher hergestellt und überprüft werden. Bei Schadenseintritt werden im unmittelbar angrenzenden Bereich Raum- und Bilgenkontrollen durchgeführt. Die eintreffenden Verwundeten werden durch Sanitätspersonal gesichtet. Je nach medizinischer Notwendigkeit werden entsprechende Maßnahmen zur Stabilisierung, Schmerzbekämpfung und Überwachung angeordnet und überwiegend durch die EH-B Bord durchgeführt.

Im eingangs erwähnten Beispiel ist Obermaat Meyer heute als Führer des spezialisierten Trupps Verwundetenversorgung eingeteilt. Als die Meldung über einen Verwundeten in der E-Werkstatt ein Deck tiefer eintrifft, macht er sich mit einem Kameraden auf den Weg, nachdem die Wegfreigabe durch den Schiffstechnischen Leitstand eingetroffen ist. Der vorgeschriebene Weg stellt sicher, dass die zu benutzenden Gänge und Treppen nicht versperrt oder verraucht sind. Beim Verwundeten eingetroffen, stellt Obermaat Meyer das Ausmaß der Verwundung fest und überprüft die durch den EH-A getroffenen Maßnahmen. Der Patient erscheint stabil, der Druckverband sitzt.

Verwundetenversorgung am nächsten sicheren Ort
Verwundetenversorgung am nächsten sicheren Ort
Quelle: PIZ Marine

Obermaat Meyer meldet seine Beobachtungen und erhält die Anweisung, den Patienten zu überwachen, den in etwa zehn Minuten eintreffenden Trägertrupp anzuleiten und den Patienten zum Schiffsverbandplatz bringen zu lassen. Der sichere Weg für den Transport wird durch die zuständige Stelle festgelegt. Ohne Wegfreigabe ist ein Transport, außer zur unmittelbaren Rettung aus einem Gefahrenbereich, nicht zulässig, da die Gefahr für Verwundete und Unterstützungspersonal unterwegs zu hoch ist. Aufgrund der Schadenslage sind gegebenenfalls erhebliche Umwege in Kauf zu nehmen. Die beziehungsweise der Verwundete ist für alle Eventualitäten vorzubereiten (Vertikaltransport, Transport über Niedergänge oder Oberdeck). Aufgrund der beengten Verhältnisse an Bord eines Kriegsschiffes kann der Transport von Patienten sehr schwierig sein und bedarf auch für einen einzelnen Patienten immer mehrerer Personen.

Durch eingetretene Schäden, Feuer, Rauch und Seegang können auch vermeintlich kurze Strecken oft nur mit erheblichem Kraft- und Zeitaufwand überwunden werden. EH-B Bord werden in den anzuwendenden Transportsystemen und -methoden einschließlich der Anwendung behelfsmäßiger Methoden gründlich ausgebildet.

Kaum auf dem Schiffsverbandplatz eingetroffen, wird der Patient durch den II. Sanitätsmeister, einen erfahrenen Notfallsanitäter, versorgt, während der Schiffsarzt mit dem Libero – in der Regel ein Offizier, dessen Aufgabe es ist, kontinuierlich Informationen von den in die Schadensabwehr eingebundenen Gefechtsstationen aufzunehmen und an diese zu verteilen – einen Lagebildabgleich durchführt. Obermaat Meyer erhält den Auftrag, zunächst diesen und einen weiteren Patienten zu überwachen. In diesem Moment wird die Übung für beendet erklärt. Obermaat Meyer unterstützt bei der Rückrüstung der Sanitätsgefechtsstation und beeilt sich, seine persönliche Ausrüstung zu verstauen, denn er weiß, dass jetzt Eile geboten ist. Schließlich gilt auch in der Deutschen Marine, dass Herz und Seele eines Schiffes die Kombüse ist. 


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