DIE SANITÄTSAUSSTATTUNGEN DER VERWUNDETENTRANSPORTMITTEL

- JETZT UND IN DER ZUKUNFT

Die suffiziente Versorgung von Verwundeten über die sich aufbauenden unterschiedlichen verschiedenen Ebenen der Verwundetenversorgung vom Einsatzland bis in das Inland erfordert ein in sich abgestimmtes System an Sanitätsausstattungen in den verschiedenen Verwundetentransportmitteln. Dieses Thema wurde anlässlich eines Kamingespräches im Mai 2011 mit der Industrie intensiv diskutiert und eingehend aus den verschiedenen Perspektiven betrachtet.

 Insbesondere der Anschlag auf die deutschen ISAF-Kräfte im OP North des Regional Command North (RC North) am 18.02.2011 hat gezeigt, von welch eminenter Bedeutung die aufeinander abgestimmte Ausstattung der Verwundetentransportmittel mit den entsprechenden Sanitätseinrichtungen der Rettungskette ist. Bekanntermaßen kann im RC North die hubschraubergestützte Primärrettung (FwdAirMedEvac) als essentieller Teil der Rettungskette nur durch die umfangreiche und umfassende Bereitstellung von US-Hubschraubern sichergestellt werden, da wir in dieser Rolle derzeit nicht über die entsprechenden Fähigkeiten in Afghanistan verfügen.

Auf Grund des hohen Anfalles an Verwundeten, denen jeweils die erforderlichen Sanitätsgeräte für den Flug mit US-Hubschraubern zur weiterbehandelten Sanitätseinrichtung mitgegeben werden mussten, war nach der Versorgung aller Verwundeten in der Rettungsstation am OP North keine weitere notfallmedizinische Geräteausstattung verfügbar. Wer jedoch die Taktik der Taliban im Norden Afghanistans kennt, weiß, dass gerade nach einem Anschlag versucht wird, in die Neuordnung der Kräfte hinein einen zweiten Anschlag zu platzieren. Auf eine solche Situation hätte vor Ort sanitätsdienstlich auf Grund der nunmehr unzureichenden Geräteausstattung nicht hinreichend reagiert werden können.

Um die Verwundetentransportmittel effektiv ausstatten zu können, muss ihr Auftrag, innerhalb der Rettungskette eingehend beleuchtet und ausgewertet werden. Dabei ist es zwingend, dass das Niveau der sanitätsdienstlichen Betreuung während der Transportphase nicht das Niveau der vorausgegangenen Behandlungseinrichtung unterschreitet (Continuum of Care gemäß MC 326/2 und AJP-4.10(A)). So ist es der übergreifende Auftrag der Behandlungsebene 1 mit ihren Verwundetentransportmitteln, den Verwundeten dem Chirurgen in einer Behandlungseinrichtung der Ebene 2 oder 3 rasch und lebend auf den Tisch zu legen. Hierauf ist die Ausstattung der Verwundetentransportmittel nach Qualität und Quantität abzustimmen, insbesondere der Zeitfaktor spielt hier eine absolut entscheidende Rolle. Neben der unmittelbaren Selbst- und Kameradenhilfe ist gerade das Tempo der Evakuierung und die daraus resultierende zeitnahe chirurgische Versorgung Voraussetzung, um die Mortalität im Falle einer Verwundung möglichst niedrig zu halten.

Im Anschluss führt als Sanitätseinrichtungen der Behandlungsebene 2 das Rettungszentrum Light Manoeuvre innerhalb 2 Stunden nach der Verwundung eine notfallchirurgische und das Rettungszentrum innerhalb 4 Stunden eine dringliche chirurgische Versorgung durch. Das Ziel, jeden Verwundeten innerhalb von 2 Std. eine erste chirurgische Versorgung zu kommen zu lassen, konnte im ISAF-Einsatz immerhin in 84% aller Fälle trotz schwieriger geographischer Bedingungen geleistet werden.

Der qualifizierte Transport bereits chirurgisch versorgter Verwundeter zu einer Sanitätseinrichtung der Behandlungsebene 3 erfordert eine weitergehende und auf das jeweilige Verwundungsmuster abgestimmte Ausstattung. Der Zeitfaktor spielt beim qualifizierten Verwundetentransport in eine Role 3-Einrichtung im Regelfall nicht mehr den entscheidenden Faktor, so dass hier der bereits suffizient versorgte Verwundete im Rahmen eines planbaren Transportes im Vordergrund steht. Im Rahmen der klinischen Akutversorgung in einer Sanitätseinrichtung der Behandlungsebene 3 wird der Verwundete so auf seinen Transport in das Heimatland vorbereitet, dass er den ggf. stundenlangen Transport zur abschließenden klinischen Versorgung und Rehabilitation im Heimatland ohne weitere Friktionen überstehen kann.

Vor diesem Hintergrund ist es selbstredend unentbehrlich erforderlich, die sanitätsdienstliche Versorgung und damit eingeschlossen auch den qualifizierten Verwundetentransport 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche sicherzustellen. Die unmittelbare Einsetzbarkeit der Verwundetentransportmittel muss hierbei jederzeit gegeben sein.

Im Weiteren sind die Fähigkeitsanforderungen an die Verwundetentransportmittel und damit auch an ihre Sanitätsausstattung vor dem Hintergrund der folgenden Rahmenbedingungen zu sehen:

  • Schutz: die Verwundetentransportmittel, die gemeinsam mit der Truppe eingesetzt werden, müssen über das gleiche Schutzniveau gegen Waffen, Minen und sonstige Sprengmittel verfügen wie die Truppe, die sanitätsdienstlich unterstützt wird. Dies ist unabdingbare Voraussetzung, für den gemeinsamen Einsatz. Das Schutzzeichen des Roten Kreuzes hat zumindest in den derzeitigen Einsätzen seine ursächliche Bedeutung verloren und da Sanitätskräfte durch den Gegner in gleicher Weise angegeriffen werden, wie die Kampftruppe selbst. Eine für deutsche Einsätze durchaus neue Erfahrung. Mit den derzeitigen Schutz- und Gerätetechnologien ist es lediglich möglich, im Falle eines Ansprengens die Insassen möglichst vor lebensbedrohlichen Verletzungen zu schützen. Ein Ausfall der Geräteausstattung – hierbei handelt es sich im Regelfall um handelsübliches Gerät – kann nach einem Ansprengen nicht ausgeschlossen werden, so dass die weitere sanitätsdienstliche Auftragserfüllung gefährdet wird.

 

  • Durchhaltefähigkeit/Mobilität: Wie auch beim Schutz ist es zwingende Voraussetzung für die suffiziente Begleitung von militärischen Operation, dass der Sanitätsdienst über ein vergleichbares Mobilitäts- und Durchhalteprofil zu den sanitätsdienstlich zu unterstützenden Elementen verfügt. Ergänzend sind natürlich die sanitätsdienstlichen Fähigkeiten diesen Anforderungen – wo immer möglich – anzupassen. So sind derzeit – wie auch bei anderen Nationen - durchaus erste Überlegungen relevant, in Verwundetentransportmitteln Geräte zur Sauerstofferzeugung/- anreicherung zu nutzen.
  • Ergonomie/Sicherheit: Im Hinblick auf die sanitätsdienstlichen Zusatzfähigkeiten sind die entsprech-enden Geräteausstattungen unter Berücksichtigung der Ergonomie und der Sicherheit (z.B. Verhalten der Sanitätsausstattung im Falle eines Ansprengens) in das jeweilige Fahrzeugsystem einzubringen. Hier sind normative Vorgaben z.B. im Rahmen der Fahrzeug- bzw. Luftfahrzeugzulassung einzuhalten, um die Fahrzeuginsassen in kritischen Situationen bei hohen Beschleunigungswerten nicht zu gefährden Dies bezieht sich derzeit lediglich auf den Schutz der Fahrzeuginsassen, die weitere Nutzbarkeit der Geräte ist in diesem Zusammenhang noch nachrangig.
  • Fachliches Fähigkeitsprofil: Das sanitätsdienstlich fachliche Fähigkeitsprofil hat sich stringent und in erster Linie am festgelegten Einsatzauftrag auszurichten. Hierzu sind die entsprechende Verwundetentransportmittel so auszustatten, dass die vorgesehenen sanitätsdienstlichen Rollen im Einsatzspektrum ohne zeitlichen Verzug wahrgenommen werden können, trotzdem aber der militärische Auftrag des jeweiligen Einsatzelementes ohne Abstriche erfüllt bzw. unterstützt werden kann.

Diese Fähigkeitsforderung stehen in unterschiedlicher Intensität in Konkurrenz zueinander und bedürfen des Interessenausgleiches. Letztendlich besteht der Zwang zur Kompromissfähigkeit und die Notwendigkeit zur Priorisierung bestimmter Forderungen. In der Konsequenz dürfen der sanitätsdienstliche Einsatzzweck und der militärische Einsatzauftrag nicht aus dem Fokus genommen werden. Deshalb haben sich in letzter Zeit die Elemente ballistischer Schutz und Mobilität immer mehr in den Vordergrund geschoben. Bisher war es immer möglich, die erforderliche sanitätsdienstliche Funktion (Abb. 1) in vorhandene Fahrzeugsysteme einzubringen. Gleichwohl gilt es den Aufwand für die sanitätsdienstliche Funktionalität abzuwägen. Der ISAF-Einsatz führt erneut deutlich vor Augen, dass bei Anschlägen in der Regel mit mehreren Verwundeten zu rechnen ist. Insofern ist für Verwundetentransportmittel, wo immer sich dies realisieren lässt, die Mitnahme von mindestens 2 Verwundeten (mindestens 1 x Intensive Care (beatmungspflichtiger Verwundeter) und 1 x Low Care (überwachungspflichtiger Verwundeter)) zu fordern.

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Abb. 1: Gerätekonfiguration für Verwundetentransportmittel

Dementsprechend wurde eine Systematik bei den bodengebundenen Verwundetentransportmitteln festgelegt, die dem Grunde nach das leichte geschützte (lgSanKfz), das mittlere geschützte (mgSanKfz) und das schwere geschützte Sanitätskraftfahrzeug (sgSanKfz) umfasst. Daneben existieren mit dem Transportpanzer Fuchs San (TPz Fuchs San), dem BV S 10 Hägglunds, dem Wiesel 2 San und zukünftig dem geschützten Verwundetentransportcontainer (gVTC) Sonderfahrzeuge in (bis auf TPz Fuchs San) geringer Stückzahl. Für das lgSanKfz wurde der EAGLE IV BAT eingeführt, während für das sgSanKfz derzeit ein Fahrzeug auf der Basis des GTK Boxer in Nutzung genommen wird. Für das mgSanKfz wurde eine AF/ReG beauftragt, so dass eine Beschaffung ab 2014 bei einem friktionslosen Rüstungsprozess und Bereitstellung der erforderlichen Haushaltsmittel zu erwarten ist. Bis dahin muss in diesem Einsatzspektrum der TPz Fuchs San eingesetzt werden.

Der Lufttransport von Verwundeten (Aero Medical Evacuation (AE)) wird dem Grunde nach in 3 Kategorien differenziert:

  • FwdAirMedEvac: Verwundetenlufttransport vom Ort der Verwundung zur ersten sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtung.
  • TacAirMedEvac: Verwundetenlufttransport zwischen Behandlungseinrichtungen im Einsatzraum.
  • StratAirMedEvac: Verwundetenlufttransport vom Einsatzgebiet in Einrichtungen der Sanitätsbasis Inland oder in ein Transitland/ Drittland.

Grundsätzlich sind für Drehflügler, die ausschließlich im Rahmen des qualifizierten Verwundetentransportes eingesetzt werden sollen, eine 20 Minuten Stand-by-Bereitschaft vorzusehen, um so möglichst innerhalb von 60 Minuten nach der Verwundung beim Soldaten einzutreffen.

Im Bereich der Drehflügler werden derzeit zusätzlich für die MTH CH53 sowie den LTH NH90 Medevac-Austattungen (Abb. 2) entwickelt. Sie werden die bisher nur im Bereich ISAF eingesetzte Einrüstung einer Patiententransporteinheit (PTE) ablösen.

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Abb. 2: Studie zur Sanitätsausstattung für NH90 FwdAirMedEvac.

Darüber hinaus ist vorgesehen, in nächster Zeit die vorab entwickelte Fähigkeit „FwdAirMedEvac IOC+“ (Abb. 3) in dem Luftfahrzeugmuster LTH NH90 als Anfangsbefähigung (Initial Operating Capability) zum Einsatz zu bringen, um so im Bereich FwdAirMedEvac mit eigenen Kräften und Mitteln präsent zu sein.

 

 

 

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Abb. 3: Derzeitige Sanitätsausstattung NH90 FwdAirMedEvac IOC+

Weiterhin wird der allseits bekannte Grossraumrettungshubschrauber (GRH) seine Rolle als Mittel des entlastenden Transportraumes für Verletzte im Rahmen der Katastrophenreaktion im Inland erfüllen.

Im Bereich der Flächenflugzeuge wird der Generationenwechsel von der C160 zum A400M auch für die in diesem Bereich eingesetzten Rüst- und Einbausätze einen Technologiesprung bedeuten. Hier gilt es, für die seit über 15 Jahren erfolgreich eingesetzten PTE (Abb. 4) ein Nachfolgemodell zu entwickeln und die zugehörige Sanitätsausstattung an die heutigen Gerätegenerationen anzupassen. Dabei sind gesammelte Erfahrungen und neue Rahmenbedingungen in diese Weiterentwicklung einzubeziehen. Auch bei diesen Sanitätsausstattungen wird es entscheidend darauf ankommen, die derzeitigen Ausstattungen der Role 3-Einrichtungen in den Einsatzgebieten sowie die aktuellen Ausstattungen der Bundeswehrkrankenhäuser in Einklang mit den Sanitätsgeräten der MedevacAustattungen zu bringen.

 

 

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Abb 4: Patiententransporteinheit in Transall C-160.

Welche Verwundetentransportmittel gilt es nun im Einzelnen zu betrachten?

Derzeit werden genutzt:

- ungeschützte Fahrzeuge:

  • LKW 2to gl KrKw bzw. BAT
  • Notarzteinsatzfahrzeug (NEF), Rettungstransportwagen (RTW) und Intensivtransportwagen (ITW) im Rettungsdienst der Bundeswehrkrankenhäuser für die Ausbildung/Inübungshaltung

- geschützte Fahrzeuge (mit differierenden Schutzfaktoren):

  • Duro/YAK (für 1 liegend Verwundeten)
  • TPz Fuchs San (für 1 liegend Verwundeten)
  • BV 206S Hägglunds (für 1 liegend Verwundeten)
  • lgSanKfz EAGLE IV BAT (für 1 liegend Verwundeten) 
  • Wiesel 2 San (für 1 liegend Verwundeten)

- Luftfahrzeuge:

  • leichter Transporthubschrauber (LTH) Bell UH1D (nicht in AFG)
  • mittlerer Transporthubschrauber (MTH) Sikorsky CH53 (grundsätzlich für Sekundärtransport)
  • Transall C-160 (TacAirMedEvac)
  • Airbus A320 (StratAirMedEvac)

Zukünftige Nutzung ist vorgesehen:

- geschützte Fahrzeuge:

  • sgSanKfz BOXER (für M113 KrKw)
  • mgSanKfz (für Duro/YAK und TPz Fuchs San)
  • gLLSanKfz (für Wiesel 2 San)
  • gVTC auf MULTI FSA (für bodengebundenen Sekundärtransport zwischen San- Einrichtungen bzw. zum Airport of Embarkation (APOE)

- Luftfahrzeuge:

  • LTH Eurocopter NH90 IOC
  • (für 2 liegend Verwundete)
  • LTH Eurocopter NH90 FOC (für 2 liegend Verwundete)
  • Airbus A319
  • Airbus A400M (Nachfolge C160)

Aus dieser Aufstellung ist ersichtlich, dass zum einen auf Grund ständigen Weiterentwicklung und Neuein-führung von Plattformen die zugehörige Fähigkeit Verwundetentransportmittel ebenso weiterzuentwickeln ist. Zum anderen muss die vorhandene Sanitätsausstattung an den Stand der medizinischen Technik und den neu entwickelten Therapieschemata permanent angepasst werden. Dies erfordert eine hohe sanitätsdienstliche Kompetenz aber auch einen enormen Koordinierungsbedarf mit den zuständigen Rüstungsbereichen der verschiedenen Rüstsatzträger.

Die eingangsbeschriebene Situation in Afghanistan macht sehr deutlich, dass es nun in erster Linie gilt die Fähigkeit FwdAirMedEvac intensiv voran zu bringen und für unsere Soldaten im Einsatz verfügbar zu machen. Darüber hinaus sind die derzeit neu entwickelten Schutztechnologien daraufhin zu prüfen und zu bewerten, ob sie in der Lage sind, auch die uns anvertrauten Verwundeten und unsere Geräteausstattungen durch Entkoppeln von den Beschleunigungsbelastungen effektiv zu schützen, oder Bedrohungen frühzeitig zu minimieren (Stichwort: abstandsaktive Schutzsysteme). Hier gilt es, die Beschleunigungsbelastungen für Mensch und Material drastisch zu senken. Des Weiteren sind die medizinischen Ausstattungen für den StratAirMedEvac im Rahmen des Wechsels der Luftfahrzeugmuster an die neuen Rahmenbedingungen und die weiter entwickelte handelsübliche Gerätetechnologie anzupassen.

Datum: 07.11.2011

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/3

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