Die Bedeutung des Rettungsdienstes und der Notfallaufnahme

für Ausbildung, Weiterentwicklung und Patientengewinnung

Die Verantwortung über den Rettungsdienst des Landes Berlin wird von der Berliner Feuerwehr wahrgenommen. Dazu befinden sich in der Bundeshauptstadt täglich für die insgesamt 3,4 Millionen Bürger und einer zu keiner Zeit genau bestimmbaren Anzahl an in der Stadt befindlichen Besuchern und Gästen 23 notarztbesetzte Einsatzmittel (21 Notarzteinsatzfahrzeuge, 1 Notarztwagen, 1 Rettungshubschrauber, 1 Intensivtransporthubschrauber) sowie 95 Rettungswagen (RTW) im Einsatz. Die Anzahl der besetzten RTW unterscheidet sich am Tag und in der Nacht. Tagsüber sind 87 RTW der Berliner Feuerwehr, 7 RTW der Hilfsorganisationen und ein RTW der Bundeswehr im Dienst. Aufgrund der geringeren Einsatzzahlen in der Nacht werden die einsatzbereiten RTW auf 74 (72 der Berliner Feuerwehr, 1 RTW des Roten Kreuz und ein RTW der Bundeswehr) reduziert. Durchschnittlich fallen täglich in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr 1000 Alarme an, wovon etwa 80 % den Rettungsdienst betreffen.

Aufgrund dieser hohen Anzahl an Einsätzen, die das gesamte rettungsmedizinische Spektrum abdecken, und einer -im Laufe der Jahre stetig gewachsenen- hervorragenden Kooperation zwischen dem Zentralen Sanitätsdienst, der Berliner Feuerwehr und den örtlichen Hilfsorganisationen, bietet Berlin beste Voraussetzungen für eine zivil-militärische Zusammenarbeit im Bereich der Rettungsmedizin (Abb. 1).

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Abb. 1: Täglicher Einsatz der Bundeswehrkräfte im Rettungsdienst in Zusammenarbeit mit der Berliner Feuerwehr.


Beginnend mit der zunächst nur tageweisen Indienstnahme des Notarztwagens 1305 im Jahre 1996 konnte in den letzten 12 Jahren die Beteiligung des Bundeswehrkrankenhauses Berlin an der klinischen und präklinischen Notfallmedizin kontinuierlich ausgebaut und auf den derzeitigen in Tab.1 dargestellten Stand gebracht werden.
 

Tab. 1: Darstellung der am Bundeswehrkrankenhaus Berlin eingesetzten notfallmedizinischen Kräfte, der zu versorgenden Patientenzahlen und der Anzahl an Patienten, die im Bundeswehrkrankenhaus im Zeitraum zwischen Februar und Juni 2008 behandelt bzw. stationär aufgenommen wurden.
Rettungsmittel Dienstzeit

Patientenzahl
(Monat)

Einweisung BwKrhs
(Feb. - Juni 2008)
Stationäre Aufnahmen
(Feb. - Juni 2008)
Präklinisch Notarztwagen (NAW) 1305 24 Stunden ca. 300 - 350 249 249
Rettungswagen (RTW) 1304 24 Stunden ca. 400 484 82
Klinisch Notfallaufnahme (NFA) 24 Stunden ca. 1100 5606 1192

 

Diese breite Beteiligung an der Notfallversorgung eröffnet für den zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr zahlreiche Vorteile:

  • Schaffen von Aus- und Weiterbildungskapazitäten, einschließlich Entwicklung neuer Konzepte in einem einsatzmedizinischen Kernfach.
  • Möglichkeit der Fort- und Weiterentwicklung der Notfallmedizin unter Berücksichtigung einsatzmedizinisch relevanter Fragestellungen.
  • Hohe Auslastung aller Behandlungskapazitäten.
  • Feste Verankerung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit.


Aus- und Weiterbildung

Im Bereich der Notärzte sichert die Beteilung von Anästhesisten und Internisten mit Fachkunde im Rettungsdienst bzw. Zusatzbezeichnung Notfallmedizin / Rettungsmedizin am Notarztdienst eine kontinuierliche Aufrechterhaltung ihrer notfallmedizinischen Kenntnisse und Fähigkeiten. Diese Besetzung wird dem interdisziplinären Charakter des Faches gerecht und ermöglicht hohe Synergieeffekte.
Da alle Sanitätsoffiziere der Humanmedizin innerhalb des ersten klinischen Ausbildungsabschnittes die ATB Rettungsmedizin erwerben müssen, sollten die dazu erforderlichen Ausbildungsabschnitte auch in einem Bundeswehrkrankenhaus vollständig darstellbar sein. Am Bundeswehrkrankenhaus Berlin werden die jungen Sanitätsoffiziere im ersten klinischen Weiterbildungsabschnitt - im Rahmen Ihrer zuerkannten 6 Monate Weiterbildung im Bereich der Abt X - zunächst drei Monate im Bereich der Anästhesie eingesetzt, in denen die Atemwegssicherung und Punktionstechniken im Vordergrund stehen. Danach leisten diese für weitere drei Monate ihren Dienst als Aufnahmearzt in der Notfallaufnahme . Dabei liegt der Schwerpunkt darauf, Notfallpatienten strukturiert zu diagnostizieren, einzuschätzen und letztlich zu behandeln. Der wesentliche Prozess ist dabei, die anfängliche enge fachdienstliche Aufsicht schrittweise zu reduzieren und selbstständiges und selbstbewusstes Handeln zu fördern. Abschließend erfolgt die Beteiligung am Notarztdienst, um auch den besonderen Erfordernissen präklinischer Lagen gerecht zu werden. Wesentlicher Eckpfeiler dieses Konzeptes ist der in Stufen gegliederte Einsatz der jungen Sanitätsoffiziere während der gesamten 6 Monate unter Aufsicht einer überschaubaren Gruppe von Fachärzten, um eine individuell angepasste Förderung zu erreichen. Um einen guten Ausbildungserfolg zu erzielen, muss eine hohe Anzahl an Patientenversorgungen für den Einzelnen möglich sein, was nur bei entsprechender Auslastung gewährleistet ist.
Die notfallmedizinische Aus- und Weiterbildung muss sich aber neben dem ärztlichen Personal auch auf die zunehmende Anzahl an Rettungsassistenten innerhalb der gesamten Bundeswehr erstrecken. Durch die Implementierung eines Rettungswagens – zusätzlich zum bereits existierenden Notarztwagen - konnte ein neuer Weg in der immer wichtiger werdenden Weiterbildung der Rettungsassistenten eingeschlagen werden (Abb. 2). Anstelle der Kommandierung an zivile Rettungswachen erfolgt der gemeinsame Einsatz von jeweils zwei inübunghaltenden Rettungsassistenten aus dem Kommandobereich SanKdo III mit einem ortskundigen Kraftfahrer auf dem Rettungswagen. Dadurch sind die inübunghaltenden Rettungsassistenten in der Pflicht, entsprechend ihrer Qualifikation die volle Verantwortung für den Patienten zu übernehmen. Dies ist eine deutliche Verbesserung gegenüber der Situation im zivilen Umfeld, wo in der Regel die Bundeswehr-Rettungsassistenten nicht alleinverantwortlich eingesetzt werden. Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit von maximal 6 Wochen ist hier auch im Sinne eines maximalen Trainingseffektes eine hohe Einsatzzahl von großem Vorteil. Weitere wichtige Bestandteile dieser Weiterbildung sind die Durchführung eines Reanimations- und Traumatrainings am Patientensimulator sowie die ständige fachliche Betreuung durch einen Lehrrettungsassistenten des Bundeswehrkrankenhauses. Weiterhin ist die disziplinare Unterstellung eindeutig. Um eine Qualitätssicherung der Versorgung trotz des häufigen Personalswechsels sicherzustellen, ist darüber hinaus die Einhaltung strenger Standards (Standard Operating Procedures) erforderlich. Diese wurden in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik für Anästhesiologie, Campus-Virchow-Klinikum erarbeitet und im Bereich der Anästhesie/Notfallmedizin implementiert.
Insgesamt können mit diesem Ausbildungsmodell bis zu zehn Rettungsassistenten pro Monat und Rettungswagen in Übung gehalten werden.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass der Rettungsdienst an den Bundeswehrkrankenhäusern - insbesondere in Berlin - eine hervorragende Schnittstelle zwischen der theoretischen und praktischen Ausbildung im Bereich der Notfallmedizin darstellt und als ein wichtiger Baustein eines modernen praxisorientierten Aus- und Weiterbildungskonzeptes genutzt werden muss. Die regelmäßige Abstellung von Sanitätsoffizieren wie auch SanFwRettAss fördert die Zusammenarbeit der Sanitätstruppe und der Regionalen Sanitätseinrichtungen mit den Bundeswehrkrankenhäusern und trägt dazu bei, standardisierte notfallmedizinische Versorgungskonzepte einheitlich umzusetzen. Dies ist mit Blick auf die Auslandseinsätze im erweiterten Aufgabenspektrum der Bundeswehr von hoher Bedeutung. Die Nutzung eines Simulationstrainings hat sich bewährt und sollte zukünftig vermehrt zum Einsatz gebracht werden.

Fort- und Weiterentwicklung

Die Teilnahme am Rettungsdienst eröffnet auch die Möglichkeit, neue Verfahren und Techniken auf ihre Tauglichkeit für die Einsatzmedizin zu überprüfen und zu bewerten. Stellvertretend soll hier erwähnt werden, dass derzeit der Larynxtubus als Instrument der supraglottischen Sicherung der Atemwege durch Rettungsassistenten auf dem Rettungswagen eingesetzt wird.
Die enge Zusammenarbeit mit der Berliner Feuerwehr und dem Berliner Senat eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, zahlreiche auch für die Einsatzmedizin relevante Aufgaben weiter zu entwickeln. Als Beispiele seien hier das „Retten Eingeklemmter und Verschütteter“ oder Versorgungskonzepte bei medizinischen ABC-Lagen genannt.

Behandlungskapazitäten

Da in letzter Zeit auch die Bundeswehrkrankenhäuser vermehrt nach ihrer Wirtschaftlichkeit beurteilt werden, gewinnt die hohe Auslastung möglichst aller Einrichtungen eine immer größer werdende Bedeutung. Es kann am Beispiel Berlins deutlich gezeigt werden, dass gerade durch den Ausbau der Notfallmedizin ein Anstieg der Patientenzahlen erreicht werden konnte. Neben der direkten Einweisung durch RTW und NAW kommen infolge der zivil-militärischen Kooperationen immer mehr Patienten durch den zivilen Rettungsdienst zur Aufnahme. Durch die akzentuierte präklinische Präsenz des Bundeswehr Rettungsdienstes im Zentrum Berlins erfährt das Bundeswehrkrankenhaus Berlin auch indirekt durch die ständig wachsende Anzahl von Selbsteinweisern (walking emergencies) zunehmende Akzeptanz. In Abbildung 2 ist die Entwicklung der Patientenzahlen graphisch dargestellt.

 

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Abb. 2: Die Entwicklung der Patientenbehandlungen in der Notfallaufnahme des Bundeswehrkrankenhauses Berlin von 1996 bis 2008. Die rot markierten Balken stehen für Jahre mit besonderer Bedeutung: 1996 Implementierung NAW 5 Tage je 12 h; 2005 Erweiterung NAW 7 Tage je 24 h; 2008 Implementierung RTW 7 Tage je 24 h.

 

Feste Verankerung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit

Abschließend sei erwähnt, dass die Bundeswehr durch den Einsatz im zivilen Rettungsdienst überwiegend eine positive Bewertung erhält und dadurch den Soldaten als Staatsbürger in Uniform für die Öffentlichkeit besonders transparent macht.

Datum: 01.10.2008

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/3

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