Das „Verwendungsspezifische Programm“ als Motor der Einsatzbereitschaft im Heer

S. Krüger

Hintergrund

Die außergewöhnlich herausfordernde und komplexe taktisch und operative Einsatzrealität sowie -intensität der Spezialkräfte und Teile der fliegenden Verbände des Heeres kann nur mithilfe einer ausgezeichneten psychischen und physischen Verfassung der einzelnen SoldatInnen bewältigt werden. Darüber hinaus müssen sie ihre besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu jeder Zeit verlässlich abrufen können.

In enger Zusammenarbeit zwischen dem Generalarzt des Heeres, dem Leitenden Sanitätsoffizier des Ausbildungskommandos und dem Kommando Spezialkräfte (KSK) ergänzte das Verwendungsspezifische Programm (VSP) das „Zehn Wochen Qualifizierungsprogrammes“ am Ausbildungsstützpunkt KSK des Heeres an der Infanterieschule des Heeres. Ziel war es, die SoldatInnen in einem ganzheitlichen Ansatz besser auf das Potentialfeststellungsverfahren für Kommandosoldaten vorzubereiten, die Ausfallquoten zu reduzieren und eine erhöhte Durchhaltefähigkeit im Programm zu erreichen.

Durch die kontinuierliche begleitende Erhebung von sportwissenschaftlichen Leistungsparametern, einer psychologischen Betreuung und einer physiotherapeutischen Versorgung konnte erst­malig eine gezielte Trainingsteuerung und Adaptation der Ausbildungsinhalte erfolgen. Voraussetzung war die enge Zusammenarbeit von Leitung, Ausbildern, Sportwissenschaftlern, Psychologen und Physiotherapeuten. Unter Umsetzung des VSP konnte die bisherige Quote der erfolgreichen Anwärter mit einem Rate of Change von + 109 % erhöht werden. Damit hat sich die Zahl der erfolgreichen Absolventen mehr als verdoppelt. Zudem brach erstmalig seit 2012 keiner der Teilnehmer das Vorbereitungsprogramm auf eigenen Wunsch ab.

Das „Verwendungsspezifische Programm“ als Motor der Einsatzbereitschaft im...

Was ist VSP?

VSP ist ein Maßnahmenkomplex, welcher die physische und psychische Leistungsfähigkeit eines Menschen bis zum maximalen individuellen biologischen Potenzial, unter Berücksichtigung der Anforderungen der spezifischen Tätigkeit, entwickelt, erhält und in Kombination mit weiteren rehabilitativen Maßnahmen wiederherstellt. VSP ist damit Teil des streitkräftegemeinsamen Konzeptes Human Performance Optimization (HPO).

In einem ersten Schritt erfolgte die Erarbeitung des Konzepts K1-9000/1007 „Verwendungsspezifisches Programm im Fliegerischen Dienst des Heeres und des Kommando Spezialkräfte“. Dadurch konnte der konzeptionelle Rahmen gesetzt und die Schnittstellen zu weiteren Programmen im Bereich HPO definiert werden. Mit der Weisung zur Umsetzung und der Ausgestaltung der Einzelmaßnahmen konnte ein Programm geschaffen werden, dass nicht nur die individuelle Einsatzbereitschaft des Einzelnen unter kontinuierlich hohen und zunehmend komplexen Belastungen überhaupt gewährleistet, sondern diese über die gesamte Verwendungsdauer auf einem höchstmöglichen Niveau hält. Dabei ist der Qualitätsanspruch des Betreuungsumfanges vergleichbar mit dem eines Olympiastützpunktes. Darüber hinaus konnte das Programm nahtlos an die im Kommando Spezialkräfte bereits bestehenden Handlungslinien anknüpfen und diese strukturiert ergänzen.

Für die Umsetzung des Programms bedarf es antizipativen Handelns, Professionalität, Realismus und Ausdauer. Im Schwerpunkt steht der Präventivgedanke. Dies kann nur durch einen ganzheitlichen interdisziplinären Ansatz unter Nutzung von Synergieeffekten gelingen. Grundlagen sind konkrete und fundierte Ziel- und Anforderungsvorgaben an die Leistungsfähigkeit, basierend auf den im Dienstalltag tatsächlich relevanten und geforderten Leistungsparametern. Diese Leistungsdaten werden vor Ort erfasst und stehen den SoldatInnen sowie den Betreuern jederzeit zur Verfügung. Dazu wurde im Rahmen einer Pilotphase erste Erfahrungen mit einer Cloud-basierten Leistungsdatenerfassung gesammelt. Unter einer kontinuierlichen Weiterentwicklung können diese Leistungsdaten in der Zukunft anonymisiert und pseudonymisiert zusammengefasst werden und dabei einen wesentlichen Beitrag zur Evaluierung und Verbesserung des VSP leisten, ohne dabei notwendige Auflagen des Datenschutzes als auch der Geheimhaltung zu verletzen. Durch die Bereitstellung zusätz­licher personeller Ressourcen (Physiotherapeuten und Sport­wissenschaftler) konnten bei den Spezialkräften und im Fliegerischen Dienst des Heeres wesentliche Grundlagen für die Umsetzung des Programmes geschaffen werden.

Fazit

Die Verfügbarkeit von personellen Hochwertressourcen wie Kommandosoldaten und Piloten ist auch im Heer endlich. Das VSP leistet dabei einen entscheidenden Beitrag zur Nachwuchsgewinnung und die Erreichung sowie Erhalt der Einsatzfähigkeit. Der vergleichsweise hohe Ressourcenaufwand zahlt sich bereits jetzt aus und ermöglicht nicht nur eine Steigerung der Resilienz der einzelnen SoldatInnen, sondern verkürzt auch die Zeit bis zur Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft nach einer Verletzung oder Erkrankung. Zukünftig wird das VSP diese Spezialisten von der Einstellung bis zum Weggang von ihrem Einsatzdienstposten begleiten und damit Prävention und Einsatzbereitschaft nachhaltig fördern. 


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