Kohäsion

Ein Eckpfeiler in der Ausrichtung des Sanitätsdienstes auf ein Szenar der Landes- bzw. Bündnisverteidigung

M. Seyfarth

Unter Kohäsion werden der Zusammenhalt und der gemeinsame Zeichenvorrat von Manöverelementen verschiedener Teilstreitkräfte (TSK) bzw. Militärischer Organisationsbereiche (MilOrgBer) verstanden. Kohäsion wird nicht durch ein Unterstellungsverhältnis befohlen, sondern entwickelt sich aus gemeinsamen Vorhaben im Rahmen von Dienstverpflichtungen. Sie stellt einen essenziellen Baustein der Binnenoptimierung von Streitkräften zur effektiven Auftragserfüllung dar und ist bereits heute die Grundlage TSK/MilOrgBer übergreifender Zusammenarbeit.  

Klare Forderung der militärischen Führung vor dem Hintergrund einer (Neu-)Ausrichtung der Streitkräfte auf ein Szenar der Landes- bzw. Bündnisverteidigung  (LV/BV) ist daher eine Stärkung der Kohäsion insbesondere zwischen den „Enablern/Supportern“ – so auch dem Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) – und den Bedarfsträgern von Heer, Luftwaffe und Marine. Nur so kann eine „Kaltstartfähigkeit“ der Streitkräfte glaubhaft realisiert werden. 

Verbesserung der Kohäsion
Verbesserung der Kohäsion
Quelle: Bundeswehr/Kdo SanDstBw

Gelebte Beispiele der Kohäsion des SanDstBw mit dem Bedarfsträger Heer zeigen sich im Rahmen der NATO Response Force (NRF) 2022–2024 (Sanitätsregiment 1 und Panzergrenadierbrigade 37) und der Ausbildungs- und Lehrübung Landoperationen 2021 (Sanitätslehrregiment und Panzerlehrbrigade 9). Gleichwohl hat sich mit der „Zeitenwende“ auch für den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZSanDstBw) und den bisherigen Ansatz, Kohäsion im Vorfeld eines Auslandseinsatzes im Rahmen des internationalen Krisenmanagements (IKM) durch einen kurzen gemeinsamen Ausbildungsabschnitt des kontingentierten Sanitätskräftedispositivs mit der zu unterstützenden Truppe zu generieren, vieles geändert.

Ein Blick zurück

Um die aktuellen Herausforderungen nachzuvollziehen, muss ein kurzer Blick in die Vergangenheit erfolgen.  

Die Herausforderungen für den Sanitätsdienst von heute und morgen beginnen mit den Ausplanungen des SanDstBw im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr in den Jahren 2009 bis 2011. Entlang der seinerzeit durch Bundesministerium der Verteidigung aufgestellten Planungsvorgaben hat der SanDstBw seine Ausrichtung konsequent verfolgt, wobei der ehemals hohe Spardruck seine Spuren über alle Führungsebenen hinweg vor allem im Bereich „Führung und Management“ (inklusive Führungsunterstützung) hinterließ. 

Die Ausrichtung der vergangenen 25 Jahre lag auf internationaler Krisenintervention. Hierfür hatte der SanDstBw hochqualifiziertes Personal und ausreichendes Material zur Verfügung. Erst seit dem Überfall auf die Krim im Jahr 2014 hat sich der Fokus wieder auf die LV/BV gerichtet. Dieser Prozess wurde durch die Zeitenwende beschleunigt und verstärkt, wodurch die Bundeswehr wieder stärker im Fokus der gesellschaftlichen und politischen Diskussion stand.  

Grundsätzlich verfügt der SanDstBw über das gesamte fachliche Portfolio, um das zukünftige Aufgabenspektrum im Rahmen von LV/BV bewältigen zu können. Dieses Portfolio ist jedoch strukturell und organisatorisch auf IKM ausgerichtet. Um ein „kriegstüchtiges militärisches Gesundheitssystem“ wirkungsvoll gestalten zu können, bedarf es deshalb deutlicher Anpassungen. 

Aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze

Die Gesundheitsversorgung der Bundeswehr (GesVersBw) muss sich derzeit einem breiten Spektrum an Herausforderungen stellen: LV/BV an den Außengrenzen von NATO und EU mit z. T. sehr kurzer Vorlaufzeit, Fortführung der Versorgung im IKM, Bewältigung und Unterstützung bei besonderen Gesundheitslagen im Frieden bzw. im Krisenfall in Europa, sanitätsdienstliche Versorgung von Partnern in der Rolle als „Drehscheibe Deutschland“, parallel dazu die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung sicherstellen sowie Beiträge zur zivilen Gesundheitsversorgung mit den Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs) rund um die Uhr. 

Dazu bedarf der SanDstBw reaktionsfähiger Kräfte und eigener Möglichkeiten zur umfassenden kurativen und rehabilitativen Versorgung in Deutschland. Der SanDstBw des Jahres 2023 ist mit Blick auf das Jahr 2030 und das zukünftig geforderte Fähigkeitsprofil noch nicht am Ziel. Es besteht also die Notwendigkeit, in einigen Bereichen gezielt neu zu justieren. Dies wurde mit dem Zielbild „SanDstBw 2031“ in Angriff genommen. 

Das Zielbild entwickelt die bisherigen Strukturen der GesVersBw weiter und trägt den Erfordernissen des NATO Force Modells (NFM), den geforderten klaren Couleurverhältnissen für einsatzvorbereitende Übungen und den „kaltstartfähigen“ Einsatz in den Dimensionen ebenso Rechnung, wie der notwendigen Vernetzung des SanDstBw mit dem zivilen Gesundheitswesen. Handlungsleitend ist ein auf eindeutige Zusammenarbeitsbeziehungen, militärische Reaktionsfähigkeit und fachlich-militärmedizinische Kompetenzentwicklung ausgerichteter Fähigkeitsverbund für die GesVersBw im Inland und Einsatz. 

Dazu werden die BwKrhs, die Regionalen Sanitätseinrichtungen (RegSanEinr) sowie die Sanitätstruppe (SanTr) zu einem Wirkverbund zusammengeführt, um so gleichzeitig folgenden Aspekten entsprechen zu können (Kohäsionslinien): eindeutige Zuordnung und tragfähige Zusammenarbeitsbeziehungen der Einheiten und Verbände der Sanitätstruppe zu den (Groß)Verbänden der Dimensionen bzw. der drei TSK; definierte Ausbildungsverbünde zwischen BwKrhs und Verbänden der SanTr zur Kompetenzentwicklung und reaktionsfähigen Gestellung von einsatzbereiten sanitätsdienstlichen Einsatzeinrichtungen; Weiterentwicklung der Versorgungsbereiche zwischen BwKrhs und RegSanEinr zur sektorenübergreifenden Patientenversorgung in ambulanten und stationären Behandlungsclustern; Ausbau der bereits bestehenden Kooperationen zwischen dem SanDstBw und dem zivilen Gesundheitswesen mit Bildung eines Clusterverbundes BwKrhs und Berufsgenossenschaftlichen Kliniken, um im gesamtstaatlichen Ansatz eine flächendeckende klinische Versorgung und familienwohnortnahe Rehabilitation bei LV/BV zu etablieren. 

Der dargestellte kohäsive Ansatz ist geeignet, die Patientenversorgung im Einsatz sowie im Inland zu einem tragfähigen, ressourcensparenden Netz zu verweben. Er ist Voraussetzung für eine stringente Fachausbildung und klare Behandlungsregimes im zivil-militärischen Verbund. 

NFM und Division 2025 – Auswirkungen auf den SanDstBw

Vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine sollte entsprechend der nationalen Ambition im Jahre 2027 neben den anderen TSK/MilOrgBer eine Division des Heeres sanitätsdienstlich unterstützt werden können, wofür ein Mehrbedarf von 3 000 Dienstposten zum Ausgleich des strukturellen Fehls in der sanitätsdienstlichen Unterstützung eingebracht wurde. Beim NATO-Gipfel in Madrid, der vom 29.–30.06.2022 stattfand, wurden mit der Verabschiedung eines neuen Strategic Concepts sowie der Einigung über die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO zwei wichtige Ergebnisse erreicht.  

Mit der Verabschiedung des NFM erfolgt eine Erhöhung der NRF-Eingreifkräfte von 40 000 auf nun bis zu 300 000 aus stehenden Dispositiven heraus, sowie eine neue Definition von Bereitschaftsstufen der Kräfte („Tier 1“ bis „Tier 3“ mit einer abgestuften Bereitschaftszeit von 10–180 Tagen). Deutschland hat eine mechanisierte Division mit zwei Kampftruppenbrigaden (ca. 15 000 Soldatinnen und Soldaten) – aufwachsend auf drei Kampfbrigaden – sowie 65 Luftfahrzeuge und 20 Marineeinheiten initial für das Jahr 2025 angemeldet. Zusätzlich soll eine multinationale Ergänzung mit einer niederländischen Brigade erfolgen. 

Die einhergehende streitkräftegemeinsame Anpassung von bisher ressourceneinsparenden IKM-optimierten Strukturen zu LV/BV optimierten Strukturen stellt insbesondere für die Enabler in der TSK-übergreifenden Unterstützung im In- und Ausland über Krise, Konflikt und Krieg eine große Herausforderung dar. 

Der Bundeskanzler hat im Kontext des Ukrainekrieges auf dem NATO-Gipfel Ende Juni 2022 in Madrid als deutschen Beitrag eine einsatzbereite, schnell einsatzfähige Heeresdivision für das Jahr 2025 („Division 2025“) angezeigt. Diese Division ist personell deutlich umfangreicher als die bisher für 2027 ausgeplante. Aus NATO-Doktrinen und fachlichen Vorgaben abgeleitet ist daher eine Stärkung der sanitätsdienstlichen Unterstützung nötig, um die eingegangenen NATO-Verpflichtungen glaubwürdig mit sanitätsdienstlicher Leistungserbringung alimentieren zu können. Das strukturelle Fehl in der sanitätsdienstlichen Unterstützung der Division 2025 beläuft sich auf insgesamt 3 771 Dienstposten.

Zur Mitigation wurden dem ZSanDstBw in einem ersten Schritt 500 Dienstposten zur Besetzung zugewiesen und 1 500 weitere Dienstposten in Aussicht gestellt. Diese werden an den Standorten der zu unterstützenden Truppenteile (TrTle) die Unterstützungsmöglichkeit des Sanitätsdienstes so weit erhöhen, dass die Entwicklung einer durchhaltefähigen Kohäsion möglich wird. Dazu werden vor Ort den TrTlen verantwortliche Ansprechpartner des ZSanDstBw zugeordnet, um die tiefe Kohäsion schon in Ausbildung und Übung so weit als möglich zu leben und die zeitkritische Aufstellung und Verlegung einsatz- und gefechtsbereiter Großverbände zu ermöglichen. In einem zweiten Schritt müsste der aufgezeigte verbleibende Mehrbedarf von 1 771 Dienstposten gedeckt werden, um die angezeigten Kräfte des Heeres für die Division 2025 voll unterstützen zu können.  

Deutschland ist im Bereich Sanitätsdienst eine Lead-Nation, bildet also demzufolge eine sogenannte Anlehnnation für kleinere Sanitätsdienste. Auch im Rahmen der LV/BV wollen wir diesem Anspruch gerecht werden und gemeinsam mit anderen NATO-Staaten die Aufgabe „Patientenversorgung“ im Krieg angehen. Die Integration multinationaler Anteile in unseren Sanitätsdienst haben wir in den internationalen Einsätzen im Rahmen IKM erfolgreich praktiziert. Auch im Bereich der Zusammenarbeit mit multinationalen Partnern und zivilen Organisationen konnten wir viele Erfahrungen sammeln. Diese beruhen jedoch auf einem ganz anderen Szenar. Im Rahmen einer resilienten Planung zur LV/BV gilt es, kaltstartfähige Großverbände mit multinationalen Anteilen aufzustellen. Dieser Aufgabe stellen wir uns im Sanitätsdienst und arbeiten mit Hochdruck an unserer Weiterentwicklung. Ohne zusätzliche Ressourcen, sowohl personell als auch materiell, und angepasste Strukturen wird dies aber nicht zu schaffen sein. 

Bedarf an personellen Ressourcen
Bedarf an personellen Ressourcen
Quelle: Bundeswehr/Kdo SanDstBw

Fazit

Der ZSanDstBw stellt derzeit die sanitätsdienstliche Unterstützung zur medizinischen Versorgung der Bundeswehr im In- und Ausland, einschließlich der Verpflichtungen im Bereich NRF, Strategischer Patientenlufttransport und Nationales Risikomanagement uneingeschränkt sicher. 

Weitere Dispositive (beispielsweise NFM und Division 2025) mit dem berechtigten Anspruch auf eine verantwortbare medizinische Unterstützung sind nicht ohne einen Ressourcenaufwuchs des Sanitätsdienstes oder aber die Inkaufnahme von Verdrängungseffekten auf bestehende Aufträge zu realisieren.  

Mit dem Sanitätsdienst verfügt die Bundeswehr schon heute über ein Mittel, dessen Wert sich aus der Entwicklung, Steuerung, Führung und dem Einsatz dieser Spezialressource auf Basis des fachlichen und militärischen Sachverstands und aus einer Hand ergibt.  

Die künftige Bereitstellung einsatzbereiter und unterstützbarer/versorgbarer Kräftedispositive im Rahmen der Neuausrichtung der NATO ist nur durch eine konsequente balancierte Streitkräfteentwicklung zu Gunsten der Enabler/Supporter zu erreichen. 



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