WIE VIEL FITNESS BRAUCHT DER MENSCH?
Hand auf’s Herz! Wie fit sind Sie? Fit genug, um den täglichen Stress in Familie, Arbeitsstätte, Freizeitentscheidungen zu meistern? Fit genug, um die gelegentliche – oder routinemäßige – Untersuchung bei Ihrem Hausarzt altersentsprechend erfolgreich abzuschließen. Fit genug, um sich wohl zu fühlen? Bei dem Gedanken an Fitness meldet sich bei vielen Menschen das Gewissen. Man denkt an Folterkammern („Schweißperlen sind die Tränen der Muskeln“), an atemloses Jogging, an den armen Rücken, die Gelenke – und ganz selten an Angenehmes.
Dabei ist es schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts den meisten klar: Ein gesunder Körper erfordert ein stetes Minimum an körperlicher Bewegung – Ertüchtigung nannte man das damals. Das war der Beginn der Freiluft- Körper-Kultur und der Wanderbewegung.
Fitness ist ein neudeutscher Begriff, der die Fähigkeit des Menschen beschreibt, die Anforderungen des täglichen Lebens an Körper und Geist ebenso wie erhöhte externe Belastungen ohne wesentliche Funktionsstörungen zu meistern. Er umschließt nicht nur Widerstandsfähigkeit sondern auch Wohlbefinden. Im militärischen Umfeld wird die Fitness des Soldaten allerdings überwiegend als dessen körperliche Durchhalte- und Belastungsfähigkeit verstanden. Schon immer war dieser Bereich der soldatischen Tugenden ein wesentlicher Faktor in der Ausbildung. Sportund Gefechtsausbildung hatten sich hierbei zu ergänzen. In den Anfängen der
Allmählich entwickelte sich jedoch die Ansicht, dass Sport auch Spaß machen darf. Der weit verbreitete – und von Sportexperten vielfach verhöhnte – Sport in Neigungsgruppen war zwar grundsätzlich sinnvoll in der häufig großzügigen Auslegung (sollen doch alle machen was sie wollen) jedoch wenig zielführend.
In den frühen 80er Jahren entwickelten Sportfachleute, Psychologen und Flugmediziner ein Konzept für die fit-Erhaltung der fliegenden Besatzungen der Bundeswehr. Die Übernahme des Flugmedizinischen Instituts der NVA durch die Luftwaffe nach der Wiedervereinigung gab diesem Plan noch einen extra Schub. In Königsbrück wurden zum Test und zur Förderung der Fitness interessante Geräte eingesetzt. Einige wurden für den Einsatz in den Geschwadern adaptiert. So entstand ein Netz von lokalen Fitness-Studios auf den Flugplätzen (Bild 2). Dort konnten wesentlicher volkswirtschaftlicher Faktor sein: Durch Vermeidung von entsprechenden Erkrankungen lassen sich im öffentlichen Gesundheitssektor erhebliche Summen einsparen.
Fitness macht Gesundheit: Dieser Entwicklung trägt die Internationale Leitmesse für Fitness, Wellness und Gesundheit (FIBO) bereits seit Jahren verstärkt Rechnung. Zum einen stellen sich immer mehr Fitnessstudios auf die Gesundheitsbedürfnisse ihrer Mitglieder ein. Zum anderen besuchen längst nicht nur Studiobetreiber, Fitnesstrainer und Instrukteuren die Messe – die FIBO wird auch für Ärzte – auch Militärärzte aus dem In- und Ausland -, für Physiotherapeuten, Reha-Kliniken und Versicherungsgesellschaften immer interessanter. Auf der FIBO präsentieren von den rund 560 Ausstellern allein rund 200 ein vielfältiges, auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen aus dem Gesundheitsbereich abgestimmtes Angebot. Dieses wird mit dem neuen Konzept FIBOmed kommuniziert: FIBOmed als Schnittstelle zwischen Fitnessbranche und Gesundheitsmarkt.
Ich habe mir das Angebot der diesjährigen FIBO unter diesem Aspekt angeschaut.
Beginnen wir mit einem klassischen Anbieter von Fitnessgeräten, der seine Wurzeln in den Bereichen Physiotherapie und Rehabilitation hat, PROXOMED. Zunächst sehen die Geräte bekannt aus – vielleicht etwas eleganter als in den Sporthallen üblich. Dann fällt aber auf, dass die Gerätezusammenstellung jeweils einem gut vermittelten Konzept unterliegt. Je nach Zielgruppe und unterschieden nach Diagnostik und Therapie gibt es diverse und auf einander abgestimmte Gruppen – jeweils durch Computer-Kontrolle unterstützt, die dem individuellen Anwender ebenso wie dem Trainingsleiter jede Möglichkeit der Übungseinrichtung, des feedbacks und der Korrektur erlaubt. Besondere Rückenschulen, Training für Herzpatienten und selbst das altbekannte Circuit-Training lassen sich so in individuell angepasster Anforderung, in ansprechender Form und mit gut dokumentierbarer Qualitätskontrolle einrichten und durchführen.
Auch die Firma ERGO-FIT hat sich auf Computer- gestützte Test- und Trainingsführung konzentriert. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Ärzten wurde ein System entwickelt, das eine Abstimmung des Trainings auf individuelle Voraussetzungen und Bedürfnisse ermöglicht. Dabei werden alle Daten auf einer Chipkarte gespeichert.
Das Vitality System eröffnet neue Perspektiven und Möglichkeiten im Bereich der Trainingssteuerung und -dokumentation. Das Angebot dieses Systems reicht von schneller Kundenerfassung und Datenpflege, über detaillierte und individuelle Trainings- und Testpläne, bis hin zur ansprechenden visuellen Aufbereitung des Trainingsfortschritts.
Auch die Firma MILON arbeitet mit PC-gestützten Trainingsplänen und Chipkarten. Zur Steuerung seiner komplexen Geräteelektronik hatte milon in der Vergangenheit eine eigene Software entwickelt, die unter anderem für die Memory-Funktion („elektronisches Gedächtnis“) der Trainingsgeräte verantwortlich war. Auf der FIBO 2010 präsentierte man erstmalig ein neues Softwarekonzept milon OS (Operating Systems). Die Softwarelösung vernetzt die Trainings-Geräte untereinander und übernimmt zusätzlich administrative Aufgaben innerhalb des Studios. Das System unterstützt Trainer und Angestellte in ihren Aufgaben und sorgt so für eine optimale Betreuung der Kunden. Im Bereich der Sportausbildung von Soldaten ließe sich hiermit eine optimale Trainingskontrolle erreichen.
Mit dieser Neuerung hat milon industries übrigens den FIBO Innovation Award 2010 in der Kategorie Konzepte gewonnen.
Die Firma STAR TRAC präsentierte eine Weiterentwicklung des Krafttrainings am Kabel zug. Neben den vielfältigen Geräten für das Training von Kraft, Ausdauer, Koordination hat der klassische Kabelzug erkennbare Vorteile. Ohne die – meist unerwünschte – elastische Qualität von Federn und Bändern erlauben die Geräte nahezu alle Bewegungsmuster. Sie sind leicht einzustellen und zu bedienen. Für Kunden und Patienten jeden Alters erlauben Sie eine Vielfalt von Trainingsanwendungen – von der Kraft einzelner Muskeln/Muskelgruppen über Rumpfstabilität und Gleichgewicht bis hin zur komplexen Ganzkörperkraft. Tatsächlich gibt es sogar ein Trainingsprogramm für Ski-Asse – pistenfit in zwölf Wochen. Solche Systeme eignen sich zweifellos auch für Fitness-Räume in Kasernen und im Einsatz, wenn Soldaten ohne Aufsicht individuelle Trainingsprogramme durchführen wollen.
Die Firma LMT bringt mit dem CYBEX ARC einen weiter entwickelten Cross-/Elypsentrainer, der deutlich bessere Steigerungswerte der aeroben Kapazität bei gleichzeitiger Reduzierung von Stress für Knie und Rücken bietet. Daneben wurde für das Krafttraining an einer Brustpresse ein Gerät entwickelt, dessen einzigartige Dual Axis Technologie nachweislich in höherer Aktivität der Zielmuskulatur resultiert. Schließlich findet man bei LMT ein besonderes „Functional-Training- Tool“: Zwei in Höhe und Breite variable Kabelzüge mit einem patentierten Stabilisationspad ermöglichen es, die Eigenstabilisation des Patienten / Trainierenden progressiv zu gestalten. Auch diese Gerätevarianten dürften in bestimmten Ausbildungs- und Trainingsbereichen der Bundeswehr Interesse finden.
Zum Schluss komme ich zu einem mir bis dahin völlig unbekannten Gerätesystem, das den Technik-freak ebenso wie den Reizstrom- Fanatiker in seinen Bann schlagen wird: MIHA BODYTEC bietet ein System aus der Reihe EMS (Elektrische-Muskel-Stimulation), das deutlich mehr kann als nur einzelne Muskelpartien reizen. Über eine mit großflächigen Elektroden versehene Weste (plus eine Art Radfahrerhose) können sämtliche Muskeln im Bereich des Oberkörpers sowie der Gesäß und Beinmuskulatur nacheinander oder zeitgleich aktiviert werden. Selbst die tiefliegende – autochthone – Rückenmuskulatur wird angesprochen und funktional beeinflusst.
Durch gleichzeitigen Reiz der Agonisten und Antagonisten resultiert ein nahezu bewegungsloses Anspannen und Entspannen – für den Betrachter fast nur an der angestrengten Mimik des Probanden erkennbar, das aber ein Mehrfaches des Trainingseffekts einzelner Übungen erreicht. Dieses System könnte man sich gut dort vorstellen, wo eingeschränkte Platzverhältnisse und/oder zeitliche Verfügbarkeit das sportliche Training unmöglich erscheinen lassen: Auf Schiffen, in bestimmten Einsatzkategorien, in den Führungsetagen der Bundeswehr. Letzteres ein besonders interessanter Aspekt!
Zusammenfassend lässt sich berichten, dass die diesjährige FIBO mit ihrem Spezialbereich FIBOmed Zeichen setzt in Richtung einer immer deutlicheren Gesamtbetrachtung der körperlichen Fitness und der Gesundheit. Neben den klassischen Bereichen der Wellness, des persönlichen Kraft- und Ausdauertrainings und der klinischen und ambulanten medizinischen Rehabilitation lassen sich Tendenzen erkennen, in herkömmlichen Fitness-Centern ebenso wie in physiotherapeutischen Praxen auf Individualität und Variabilität, medizinisch/ wissenschaftlich untermauerte Bewegungsabläufe, Dokumentation und Qualitätskontrolle sowie nicht zuletzt auf interessantes und ansprechendes Design zu setzen.
Für die Planer der Gesundheitsvorsorge der Bundeswehr ebenso wie für die Verantwortlichen für die körperliche Belastungsfähigkeit der Soldaten ergibt sich hier ein interessantes Betätigungsfeld. Zwar ist nicht immer alles gut, was neu und teuer ist. Doch gilt es, die wertvolle Ressource Zeit angesichts der immensen Ausbildungserfordernisse, die sich dem heutigen Einsatz-Soldaten stellen, möglichst sinnvoll und effektiv zu nutzen. Das gilt besonders auch für die Situation in den Einsätzen. Interessante, abwechslungsreiche und wirksame Trainingsmethoden und –geräte sind hier sicherlich ein wesentlicher Faktor.
Für den Soldaten stellt sich also die Frage „Wie viel Fitness braucht der Mensch“ weniger als die Frage „Wie erreiche ich in kürzester Zeit maximale Fitness und wie erhalte ich sie“.
Datum: 18.10.2010
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/3