SIGMA-BLASEN-FISTEL – INTERDISZIPLINÄRES DIAGNOSTIK- UND THERAPIEREGIME IM BUNDESWEHRKRANKENHAUS HAMBURG
Colovesical Fistula – Interdisciplinary Diagnostics and Therapy Schemes at Bundeswehr Hospital Hamburg
Aus der Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. F. Gatzka) und der Abteilung Urologie (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. W. Wagner) am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg (Chefarzt: Oberstarzt Dr. J. Hoitz)
Franziska Felske, Friedrich Gatzka, Walter Wagner, Christian Moritz und Wilm Rost
Hintergrund: Die Sigmadivertikulitis ist eine immer häufiger auftretende Krankheit mit Zunahme der Prävalenz im Alter. Sigma-Blasen-Fisteln sind eine seltene Komplikation dieser Erkrankung. Hauptsymptome sind Pneumaturie, Fäkalurie und rezidivierende Harnweginfekte.
Methoden: Literaturrecherche, Darstellung des eigenen interdisziplinären Diagnostik- und Therapieschemas an drei Fallbeispielen.
Ergebnisse: Unsere Erfahrungen zeigen, dass die offene Sigmaresektion mit primärer Anastomose und zeitgleicher Versorgung des Harnblasendefektes favorisiert werden sollte. Als Diagnostikverfahren der Wahl steht die Computertomographie des Abdomens mit Kontrastmittel und rektaler Kontrastierung an erster Stelle. Im Hinblick auf die Diagnostik und das Therapieregime ist eine chirurgisch-urologische Kooperation wichtig.
Schlussfolgerungen: Durch die operative Versorgung – zumeist durch ein chirurgisch-urologisches Team – kann gewährleistet werden, dass die notwendige und wichtige Expertise des auszubildenden Einsatzchirurgen im Hinblick auf urologische Problematiken sichergestellt wird. In Zukunft sollten weitere Untersuchungen mit der Fragestellung folgen, ob das laparoskopische Vorgehen das Outcome, in Abwägung der Risiken und Komplikationen, noch weiter verbessern kann.
Summary
Background: Sigmoid diverticulitis is a more and more common disease with an increasing prevalence in the elder. Colovesical fistulas are a very rare complication of this illness. The three main symptoms are pneumaturia, faecal urine and recurrent infections of the urinary tract.
Methods: Literature research, presentation of our interdisciplinary diagnostic and therapy scheme using three case reports.
Results: Our gained experiences, briefly represented in three case reports, and resent studies show that an open sigmoidectomy with primary anastomosis and simultaneously performed partial cystectomy are the more favored approaches. The abdominal computer tomography with contrast medium and contrasting of the rectum is the method of choice in view to diagnose a fistula. In regard to diagnostics and therapy schemes a surgical-urological cooperation is very important.
Conclusions: In domo a surgical-urological team performs surgery. Thereby it can be warranted that the military surgeon on deployment has acquired the necessary and important expertise in regard to urological clinical patterns demanded for in his working field. As a foresight it can be expected that more surveys will answer the question, if a laparoscopic approach can further advance the outcome in comparison to the risks and possible complications.
1.Einleitung
1.1 Krankheitsbild Sigmadivertikulitis und kolovesikale Fisteln
Eine Sigmadivertikulose besteht bei circa 30 % der über 60-Jährigen und bei mehr als 60 % der über 80-Jährigen [1]. Es handelt sich hierbei um eine zunächst symptomlose Anomalie des Kolons. Jedoch kommt es bei einer zunehmenden Zahl der Betroffenen zum Bild der Sigmadivertikulitis. Tabelle 1 zeigt die aktuell gängigste Klassifikation der Sigmadivertikulose nach Hansen und Stock [2]. Entsprechend der Einteilung wird bei Grad 2 und 3 eine OP-Indikation gestellt.
Demgegenüber gibt es auch die Einteilung nach Hinchey [3]. Hier liegt das Hauptaugenmerk auf der Frage nach bestehenden Abszessen und dem Vorliegen einer Peritonitis (Tab 2). Diese Klassifikation orientiert sich am intraoperativen Befund und ist daher zur OP-Indikationsstellung weniger geeignet.
Im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg erfolgt die Klassifikation und Orientierung an der bereits oben angeführten Klassifikation nach Hansen und Stock [2].
Neben Abszedierung, Perforation und Stenose ist eine weitere Komplikation der Sigmadivertikulitis das Auftreten von Fisteln. Studien zeigen ein Risiko von 1 bis 4 % bei Vorliegen einer Divertikulose [4]. Zwei Drittel aller divertikulären Fisteln manifestieren sich kolovesikal. Nierenhohlsystem und Ureter sind in jeweils 7 % der Fälle betroffen. Des Weiteren treten 26 % der urointestinalen Fisteln an der Harnröhre auf [5]. Dabei sind Männer doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Als Grund hierfür wird die Protektion durch den Uterus diskutiert. Als zugrunde liegender Mechanismus der Fistelung wird angenommen, dass durch die Ruptur eines Divertikels oder durch die Erosion eines peridivertikulären Abszesses die Kommunikation zwischen Dickdarm und Blase zustande kommt [6].
Obgleich die Ursache intestinalen Ursprungs ist, entwickelt sich hauptsächlich eine urologische Symptomatik. Die drei Hauptsymptome sind Pneumaturie (45 %), Fäkalurie (30 %) und rezidivierende Harnweginfekte (45 bis 80 %) [7].
1.2 Diagnostik
Der mittlere Zeitraum vom Auftreten erster Symptome bis zur Diagnosestellung beträgt zwei bis vier Monate. Zur Diagnosesicherung kann man sich am folgenden Stufenschema (Abb 1) orientieren, welches das eigene Vorgehen im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg aufzeigt.
Auf Untersuchungen mit Mohn, Methylenblau oder Barium wird verzichtet. Beweisführend sind bereits Symptome wie Pneumaturie und Fäkalurie.
1.3 Therapie
Die Therapie dieses Krankheitsbildes stellt große Anforderungen an die betreuende Abteilung. Aus unserer Sicht ist die enge chirurgisch-urologische Kooperation eine wichtige Voraussetzung, um das für den Patienten optimale Ergebnis zu erlangen.
Eine Operation ist die einzig mögliche therapeutische Option bei Vorliegen einer Blasen-Darm-Fistel. Aktuelle Studien zeigen, dass Sigmaresektion und primäre Anastomose das Vorgehen der Wahl darstellen sollten [8]. Bahadursingh et al. konnten in ihrem Review aufzeigen, dass die Zahlen hinsichtlich Mortalität und Morbidität bei akuter komplizierter Divertikulitis mit Resektion und primärer Anastomose akzeptabel sind [9]. Es empfiehlt sich, eine mögliche Verletzung der Ureteren durch die präoperative Einlage von Ureterschienen so gering wie möglich zu halten [10].
Die aktuellen Veröffentlichungen und eigenen Erfahrungen zeigen, dass die Zeit der früher durchgeführten dreizeitigen Eingriffe vorbei ist. Im entzündungsfreien Intervall halten wir es nicht mehr für notwendig, das zweizeitige Verfahren (mit Hartmann-Situation) zu favorisieren. Dem einzeitigen Eingriff mit Anastomose und zumeist Resektion des betroffenen Harnblasenabschnittes sollte der Vorzug gegeben werden. Zurzeit wird diskutiert, ob nicht möglicherweise ein laparoskopischer Eingriff die schnelle Rekonvaleszenz des Patienten noch weiter verbessern kann [11].
Wie in allen Bereichen der Medizin, so befindet sich auch das empfohlene Vorgehen bei Blasen-Darm-Fisteln in ständigem Fluss. Aktuell wird das einzeitige laparoskopische Vorgehen immer häufiger favorisiert. Selbst eine Abszedierung wird nicht länger als Kontraindikation angesehen. Aktuelle Studien versuchen aufzuzeigen, ob gegebenenfalls auch bei Vorliegen einer Blasen-Darm-Fistel primär dem laparoskopischen Vorgehen der Vorrang gegeben werden sollte [12]. Untersuchungen von Bartus et al. [13] ergaben, dass bei längeren Operationszeiten (220 min versus 176 min) und höherer Konversionsrate (25 % versus 5 %, P < 0,001) nicht zu vergessen sei, dass 75 % der laparoskopischen Eingriffe erfolgreich durchgeführt werden konnten.
2. Darstellung des eigenen Vorgehens
2.1 Fallbeispiel 1
Im Oktober 2011 präsentierte sich in unserer zentralen Notaufnahme eine 88-jährige Patientin. Sie wurde vom Hausarzt mit seit 4 Wochen bestehendem Harnweginfekt, dessen antibiotische Therapie bisher frustran verlief, und seit 2 Wochen neu auftretenden festen Anteilen im Urin bei Verdacht auf Blasen-Darm-Fistel eingewiesen. Schon bei der Aufnahme zeigte sich ein auffälliger Urinbefund bei liegendem Dauerkatheter. Schübe einer Sigmadivertikulitis bei bestehender Sigmadivertikulose waren der Patientin bekannt. Im August 2009 erfolgte bereits eine externe computertomographisch gesteuerte Punktion eines Douglas-Abszesses. Die letzte Koloskopie 2011 zeigte eine reizlose Dickdarmschleimhaut.
Es lagen in diesem Fall die 3 Hauptsymptome Pneumaturie, Fäkalurie und rezidivierende Harnweginfekte vor. Des Weiteren erscheint es erwähnenswert, dass bei unserer Patientin ein hoch differenziertes papilläres Urothelkarzinom (TaG1) in der Eigenanamnese bestand. Dieses konnte 09/2008 mittels transurethraler Resektion der Blase (TURB) therapiert werden. Alle Kontrolluntersuchungen waren unauffällig.
In unserem Fall konnte die Diagnose bereits am Aufnahmetag mittels Computertomographie (CT) bestätigt werden, die als sensitivste Methode zum Beweis einer kolovesikalen Fistel gilt [4]. In der CT zeigte sich neben der Blasen-Darm-Fistel auch eine ausgedehnte, aber aktuell reizlose Sigmadivertikulose (Abb 2 und Abb 3).
Da der klinische und radiologische Befund eindeutig waren, konnte auf weitere diagnostische Verfahren verzichtet werden.
Aufgrund des Urothelkarzinoms in der Eigenanamnese erfolgten präoperativ eine Zystoskopie und TURB mit Probenentnahme zum Ausschluss eines malignen Prozesses oder eines Blasentumorrezidivs. Hier zeigten sich tumorfreie Harnblasenschleimhautfragmente mit reaktiv bedingten Atypien. Entsprechend der Saint’s-Trias lag bei der Patientin des Weiteren eine Choledocho- und Cholezystolithiasis vor, eine Hiatushernie zeigte sich nicht. Bei der Saint’s-Trias handelt es sich um das gleichzeitige Vorliegen einer Divertikulose, einer Cholelithiasis und einer Hiatushernie, benannt nach Charles Saint, einem südafrikanischen Chirurgen.
Aufgrund der ausgedehnten Sigmadivertikulose, der Blasen-Darm-Fistel und der simultan vorliegenden Choledocho- und Cholezystolithiasis mit intra- und extrahepatischer Cholestase entschlossen wir uns zur offenchirurgischen Sigmaresektion mit primärer Anastomose. Intraoperativ zeigte sich ventral des Uterus eine Abszesshöhle mit Anschluss zur Harnblase. Der Defekt an der Harnblase wurde exzidiert und übernäht. Zudem erfolgte simultan die Cholezytektomie und Choledochusrevision mit Einlage einer T-Drainage.
Die histopathologische Untersuchung bestätigte eine akute phlegmonös-eitrige Divertikulitis mit Perforation und fibrinös-eitriger Peritonitis. Der Harnblasenanteil zeigte eine chronisch fibrosierende, teils ulzerierende Urozystitis mit tumorfreien Harnblasenwandanteilen. Der postoperative Verlauf gestaltete sich, vor allem aufgrund der Komorbiditäten und des Alters der Patientin, prolongiert, jedoch komplikationslos. Die Patientin konnte im Anschluss in die geriatrische Rehabilitation verlegt werden.
2.2 Fallbeispiel 2
Bereits 2010 wurden in unserem Hause zwei weitere Patienten mit Blasen-Darm-Fisteln operativ versorgt. Ein 66-jähriger Patient stellte sich mit seit zwei Monaten bestehender Pneumaturie vor. In der daraufhin durchgeführten Diagnostik ergab sich der Verdacht auf ein in die Blase infiltrierendes Sigmakarzinom (Abb 4), der sich in der histopathologischen Aufarbeitung bestätigte (pT4a, N0 (0/23), M0, L0, V0, G3). Hiermit war die Ursache ein malignes Geschehen, das für die Mehrheit von enterovesikalen Fisteln verantwortlich ist. Die Divertikulose/Divertikulitis rangiert erst auf Platz zwei [5]. In diesem Fall erfolgte eine tiefe anteriore Rektumresektion unter Sphinktererhaltung mit Anlage eines Enterostomas sowie Anlage eines Ileum-Conduits aufgrund der erforderlichen Blasenresektion.
2.3 Fallbeispiel 3
Demgegenüber wurde uns im November 2010 ein 73-jähriger Patient mit Pneumaturie und Stuhlbeimengung im Urin nach Entfernung eines Cystofixes zur weiteren Diagnostik und Therapie vorgestellt. Er wurde zunächst von der urologischen Abteilung in domo betreut. Auch hier erfolgte als Diagnostikum der Wahl die Abdomen-CT mit rektaler Füllung, wo sich der hochgradige Verdacht auf eine Blasen-Darm-Fistel stellte (Abb 5).
Die im Verlauf durchgeführte Zystoskopie mit Resektion von entzündetem Gewebe zeigte einen ausgeprägten Harnblasenwanddefekt. Eine Zystographie bestätigte letzten Endes einen Kontrastmittelablauf über das Kolon nach rektal (Abb 6). Eine Neoplasie als Ursache wurde mittels Ileokoloskopie ausgeschlossen. Das Verfahren der Wahl war die hohe anteriore Rektumresektion unter Sphinktererhaltung und die offene Harnblasendachexzision. Da kein Hinweis auf eine maligne Ursache bestand, wurde eine End-zu-End-Anastomose angelegt.
3. Interdisziplinäres Vorgehen in domo
Besteht der Verdacht auf das Vorliegen einer Blasen-Darm-Fistel, so ist stets ein interdisziplinäres Vorgehen von Viszeralchirurgie und Urologie wünschenswert. Der Symptomkomplex der Patienten führt häufig zunächst zur Vorstellung beim Urologen. Somit ist er der wichtigste Schnittpunkt zur Chirurgie, da er den Weg zum weiteren Prozedere bahnen muss. Im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg funktioniert die konsiliarische Mitbeurteilung reibungslos. Sollte sich der Verdacht bestätigen, wird der Patient zur weiteren operativen Versorgung auf die allgemeinchirurgische Station verlegt beziehungsweise dort aufgenommen. Als Diagnostikum der Wahl sehen wir die CT-Abdomenuntersuchung mit Kontrastmittel und rektaler Füllung an. Hierbei können die meisten Fragen hinsichtlich Abszedierung und Ursache geklärt werden. Zum Ausschluss einer malignen Ursache der Blasen-Darm-Fistel wird gegebenenfalls eine Zystoskopie mit Probenentnahme durchgeführt. Bei der weiteren präoperativen Planung steht die ausführliche Aufklärung und Vorbereitung des Patienten im Mittelpunkt.
4. Schlussfolgerungen
Aktuell wird in unserem Hause die offene Sigmaresektion favorisiert. Der Harnblasendefekt wird zumeist dem diensthabenden Urologen in situ intraoperativ demonstriert, sodass die endgültige Entscheidung hinsichtlich Resektion und Defektdeckung immer erst hier zu diesem Zeitpunkt fällt. Bei Befunden, die eine Zystektomie notwendig machen, wie zum Beispiel die Tumorinfiltration der Blase, erfolgt auch die Operation interdisziplinär. Chirurg und Urologe operieren als Team. Nur so lässt sich das optimale Ergebnis für den Patienten erreichen. Durch dieses Vorgehen lässt sich die für den Einsatzchirurgen sinnvolle und notwendige Expertise bei Blasenoperationen erlangen. Ein interdisziplinäres Vorgehen stellt somit eine Möglichkeit der gegenseitigen Fähigkeitsschulung dar.
Literatur
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- Hansen O, Stock W (1999): Langenbecks Arch Surg suppl II: 1257.
- Hinchey EJ, Schaal PG, Richards GK: Treatment of perforated diverticular disease of the colon. Adv Surg. 1978, 12: 85-109.
- Scozzari G, Arezzo A , Morin M: Enterovesical fistula: diagnosis and managment. Tech Coloproctol (2012) 14: 293-300.
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- Bahadursingh AM, Virgo KS, Kaminski DL, Longo WE. Spectrum of disease and outcome of complicated diverticular disease. Am J Surg 2003; 186(6): 696-701.
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- Bartus CM, Lipof T, Sarwar CM et al. : Colovesical fistula: not a contraindication to elective laparoscopic colectomy. Dis colon Rectum 2005; 48:233-236.
Weitere Literaturhinweise bei den Verfassern.
Bildnachweis: Die Bildmaterialien wurden freundlicherweise von der Abt. VIII Radiologie des Bundeswehrkrankenhaus Hamburg zur Verfügung gestellt.
Datum: 06.12.2012
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/10