Sanitätsdienstliche deutsch-französische Zusammenarbeit am Horn von Afrika
Aus dem Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (Leiter Oberstarzt Dr. A. Lison), der Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie (Abteilungsleiter Oberstarzt M. Johann) und der Abteilung Anästhesie (Abteilungsleiter Oberstarzt Dr. G. Hölldobler) des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg (Kommandeur Generalarzt Dr. J. Hoitz*)
Die Bundeswehr beteiligt sich an der EU-Mission ATALANTA. Sanitätsdienstlich wird die Mission von März bis Mai durch eine OP-Gruppe unterstützt, die in die französische Role 2 in der Base Arienne integriert ist und sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur deutschen Role 1-Einrichtung mit Druckkammer befindet. Die Aufgabe dieser OP-Gruppe ist die orthopädisch/unfallchirurgische Versorgung der stationierten Soldaten aller verbündeten Nationen, die sich auf dieses Element abstützen. Weiterhin werden auch in ausgewählten Fällen einheimische Patienten behandelt. Im Folgenden werden Aspekte der Kooperation und der Arbeitsalltag in dieser Einrichtung veranschaulicht.
Einleitung
Die Operation ATALANTA, am Horn von Afrika, wurde 2008 als multinationale Mission der Europäischen Union zum Schutz von humanitärer Hilfeleistung sowie Eindämmung der Piraterie an der Küste von Somalia begonnen. Bis 2016 erfolgte die medizinische Versorgung schiffsgebunden, gefolgt ab 2017 durch eine französisch-deutsche Kooperation der seit 2016 bestehenden französischen Role 2. Im Rahmen des 27./28. DEU EinsKtgt ATALANTA stellt der deutsche Einsatzverband zur Unterstützung der französischen Role 2 - Centre Medico-chirurgical Interarmées Dominique Mattei (CMCIA) - im Bereich der Base Arienne 188 Colonel Massart Djibouti eine orthopädisch-unfallchirurgische Facharztgruppe (ein Dienstposten (DP) Facharzt Orthopädie/Unfallchirurgie, ein DP Weiterbildungsassistent Orthopädie/Unfallchirurgie, ein DP Facharzt Anästhesie, zwei DP operationstechnische Assistenten, ein DP Fachpflege Anästhesie; Abb. 1+2 ). Gemäß Auftrag versorgt diese Einrichtung französische Militärangehörige und deren Familien, angestelltes Zivilpersonal, französische Staatsangehörige, Veteranen sowie nach Vereinbarung Militärangehörige befreundeter Nationen, Staatsangehörige der EU, lokales angestelltes Zivilpersonal und unter bestimmten Voraussetzungen auch lokale Bevölkerung.Die Einrichtung verfügt über zwei OP-Säle für Notfall- und elektive Eingriffe (Abb. 1). Hierbei wird ein Saal vorwiegend orthopädisch-unfallchirurgisch und ein Saal allgemein (visceral)-chirurgisch genutzt. Um den OP herum verfügt die Einrichtung über 6 Überwachungs- und Intensivbetten, eine 10-Betten-Normalstation und eine Role 1 mit Allgemeinmedizinern und Zahnarzt. Ebenso ermöglicht die vorhandene Notfallambulanz mit 4 Behandlungsplätzen (Abb. 3), einem Sonografie-, einem Verband- und einem Gipsraum ein strukturiertes Arbeiten.
Die Ausstattung an Medizintechnik (radiologische Einrichtung mit CT, digitalem Röntgen sowie Mobilette, Sonografiegeräten in der Notfallambulanz sowie im OP, Durchleuchtungseinrichtung im OP, Narkosegeräten und Labor mit einer Blutbank, mikrobiologischen Kulturverfahren, serologische Testung auf Infektionskrankheiten) ist mit heimischen Standards vergleichbar.In Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen gewährleistet die deutsche OP-Gruppe die Versorgung unfallchirurgisch-orthopädischer Krankheitsbilder in einer Arbeitswoche mit 5 Präsenstagen von Sonntag bis Donnerstag. Hiervon sind 2 Tage mit einer orthopädischen Sprechstunde vorgesehen, die der Planung von Operationen und auch der Kontrolle des Therapieverlaufes dienten. Weiterhin besteht eine durchgehende Rufbereitschaft für die französisch geführte Notfallambulanz der ROLE 2. In den ersten 6 Wochen des 28. Deutschen Einsatzkontingents konnten so 120 Patienten ambulant und konsiliarisch behandelt sowie 22 Patienten operativ versorgt werden. Die Spannbreite der chirurgischen Interventionen erstreckte sich hierbei von Weichteileingriffen bei Infekt, über Sehnenpathologien bis hin zu komplexen Frakturgeschehen bei Primärversorgung oder auch kompliziertem Verlauf mit Osteosyntheseversagen bzw. Pseudarthrosebehandlung als Revisionseingriffe. Die hierfür vorhandenen Implantat- und Materialoptionen stellten hierbei eine der Hauptanforderungen an die chirurgische Tätigkeit vor Ort dar, da sich neben einem modernen Fixateursystem zur Versorgung frischer Traumata mit anschließender Repatriierung, für die Versorgung der vor Ort verbleibenden Patienten im Wesentlichen auf Material aus dem geschlossenen Bouffart-Krankenhaus abgestützt wurde, welches doch einen erheblichen Verschleißprozess durchlief, was nicht zuletzt auch auf die eingeschränkten Möglichkeiten zur Aufbereitung zurückgeführt werden kann. Zudem wird verbrauchtes Osteosynthesematerial nur eingeschränkt ersetzt. Aufgrund der Mitversorgung der Angehörigen der stationierten Soldaten war der Kinderanteil am Patientengut nicht unerheblich. Im Folgenden soll an kurzen Beispielen ein Einblick in die chirurgische und anästhesiologische Tätigkeit sowie das Ausmaß der deutsch-französischen Kooperation gegeben werden.
Chirurgie
Hauptaufgabe unserer OP-Gruppe war die chirurgische Versorgung der französischen Soldaten und deren Angehöriger. Zusätzlich wurden uns durch einen einheimischen Kooperationspartner zivile Patienten vorgestellt, die einer chirurgischen Intervention bedurften. Beispielhaft für diverse Eingriffe bei Kindern soll die Arthrolyse bei einem 7-jährigen Jungen gezeigt werden. Dieser wurde uns mit einer Beugekontraktur nach Verkehrsunfall und Tibiakopffraktur vor einem Jahr vorgestellt. Das Bewegungsausmaß betrug 0 - 95 - 105° (Abb. 4).Die Fortbewegung war nur krabbelnd und hüpfend möglich. Im Röntgenbild sah man Residuen der Tibiakopffraktur sowie eine Verkalkung im Bereich der dorsalen Kapsel. Es erfolgte eine Arthrolyse des Kniegelenkes ventral und dorsal, gefolgt von einer redressierenden Gipsanlage (Abb. 4), wodurch die Beugekontraktur auf eine ROM von 0 - 20 - 110° erweitert werden konnte. Die verkürzte Muskulatur wird jetzt physiotherapeutisch behandelt und der Patient war zum Abschluss der Behandlung gehfähig. Ein zweiter wesentlicher Part der chirurgischen Tätigkeit stellte die Revision unzureichender Heilungsergebnisse dar. Die Ursachen hierfür waren heterogen. Fehlende Verfügbarkeit geeigneten Materials und unzureichende Nachbehandlung standen hierbei im Vordergrund. So auch bei unserem 2. Fallbeispiel, einer 51-jährigen Dame, die vor einem Jahr eine Oberschenkelfraktur erlitten hatte und mittels Nagelosteosynthese versorgt wurde. Dieser wanderte proximal aus und bei bestehender Pseudarthrose erfolgte eine Plattenosteosynthese. Leider wurde zur postoperativen Immobilisation eine Mecron-Schiene in Kombination mit einem Rollstuhl gewählt, bei dem leider keine Abstützung des Beines möglich war. So hebelte die Schiene direkt am Ende der Platte und es kam zu einer Anschlussfraktur (Abb. 5) oberhalb der Platte. Diese wurde durch uns revidiert und mit einer DHS mit 16 Löchern ersetzt (Abb. 6). Hierunter konnte letzten Endes eine ausreichende Stabilisierung erreicht werden.
Anästhesie
Für die Versorgung unfallchirurgisch-orthopädischer Krankeitsbilder stellt die OP-Gruppe des deutschen Einsatzkontingents einen DP Facharzt Anästhesie und einen DP Fachpflege Anästhesie. Die materielle wie medikamentöse Ausstattung der Anästhesiegruppe im CMCIA entspricht einem gewohnten europäischen Standard, so dass einsatzbezogen die gesamte Bandbreite des anästhesiologischen Fachgebietes abgedeckt werden kann. Die Anwendung allgemein- und regionalanästhesiologischer Verfahren, die postoperative Schmerztherapie, die Patientenüberwachung und zeitweise intensiv-medizinische Behandlungsverfahren inklusive Vorbereitung für einen eventuellen Lufttransport (StratAirMedEvac) sowie Unterstützung in der Notaufnahme und bei Ausbildungsvorhaben stehen hierbei im Vordergrund.An den orthopädisch-chirurgischen Konsultationstagen sieht auch der Anästhesist seine Patienten zum Prämedikationsgespräch; Notfallpatienten werden über die Notaufnahme vorgestellt. Im Falle sprachlicher Hürden, vor allem bei den einheimischen Sprachen „Afar“, „Somali“ und „Arabisch“ steht ein Dolmetscher zur Verfügung, so dass für alle Patienten nach Erhebung einer allgemeinen Anamnese, eines körperlichen Untersuchungsstatus und spezieller anästhesiologischer Untersuchung (Befundung des Atemweges, der Vitalfunktionen und möglicher Punktionsorte) ein dem operativen Eingriff und den individuellen Bedürfnissen des Patienten angepasstes anästhesiologisches Verfahren durchgeführt werden kann. Hierbei kommen vor allem balancierte Anästhesien als Intubationsnarkose oder Larynxmaske, aber auch Regionalanästhesien (hier: Brachialisblock, Femoralisblock) als Mono- oder Kombinationsnarkose zur Anwendung.
Ein breites Patientenspektrum – vom Säugling über physisch gesunde Militärangehörige bis zum multimorbiden kachektischen Greis – kennzeichnen die tägliche Praxisarbeit. Die Grunderkrankungen der einheimischen Bevölkerung bedürfen täglich der besonderen Bewertung. Internistische Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertension, deren Folgen, häufig nur bedingt behandelt und eingestellt sind, stellen neben Infektionserkrankungen wie Malaria, Denguefieber, Tuberkukose und HIV zusätzliche besondere Herausforderung in der Prämedikationsvisite dar.
Im Rahmen der Akutmedizin hat sich die Anästhesie der OP-Gruppe des deutschen Einsatzkontingents im Rahmen von Notfallbehandlungen und Sicherung der Vitalfunktionen in der Notaufnahme des CMCIA eingebracht. So konnten beispielsweise im Rahmen eines Mini-Mascal mit N=5 Soldaten mit dem Krankheitsbild eines exertional Heatstroke (EHS) - Hitzschlag bzw. Hitzeerschöpfung nach exzessiver körperlicher Belastung – die Behandlungs- und Überwachungsmaßnahmen in enger Kooperation mit dem französischen Notaufnahmeteam für alle Patienten erfolgreich durchgeführt werden.
Auch bei der Ausbildung und im gemeinsamen Training von Notfallprocedures der Notaufnahme und im OP hat sich das deutsche Team immer wieder einbringen können. Training in der Anwendung von Notfallsonographie (FAST, FEEL) sowie die praktische Ausbildung in der Anwendung orotrachealer Intubation wurden dankbar angenommen und haben den Zusammenhalt der „Equipe franco-allemand“ täglich gefestigt.
Diskussion
Die Kooperation mit den französischen Kollegen konnte sehr gut vollzogen werden. In allen Bereichen konnte nach einer kurzen Phase des Kennenlernens vertrauensvoll zusammengearbeitet werden. Insbesondere in der postoperativen Nachbetreuung war die Schnittmenge im Rahmen der Kooperation mit Betreuung der Patienten auf Station und bei ambulanten Verbandswechseln sehr groß. Aber auch bei Operationen im Dienst sowie bei Bewältigung von Problemlagen in der Notfallaufnahme wurde nationenübergreifend gut und problemlos zusammengearbeitet. Über die klinische Tätigkeit hinaus wurden auch öffentliche Wahrnehmungsaufgaben gemeinsam bewältigt, wie der Besuch eines lokalen Wohltätigkeitsvereins (Association de bienfaisance d’entre-aide D’Arhiba) im Stadtteil Arhiba. Dieser hat über seinen Vorsitzenden Zugang zum CMCIA und organisiert für Bedürftige die Behandlung in dieser Einrichtung. Aus dieser Patientenklientel wurde ein Großteil der durch uns chirurgisch versorgten Patienten rekrutiert mit Ausprägungen von Krankheitsbildern, wie sie heute in Deutschland kaum noch gesehen werden. So hatte ein deutsch-französisches Team von Ärzten und Pflegern aus dem CMCIA die Möglichkeit, auf Einladung des Vereins den Stadtteil Arhiba zu besuchen, um sich direkt vor Ort ein Bild von den Lebensverhältnissen dieser Patienten zu machen und die gut organisierte soziale Arbeit des Vereins wahrzunehmen (Abb. 8).
Aber auch die Gestaltung der Zeit nach Dienst unterstreicht die gute Qualität der Kooperation. Gemeinsame Unternehmungen und Sport trugen zu einem beständig guten Arbeitsklima bei. Auch die Bemühungen der Führung der französischen Role 2 um das Wohlergehen der deutschen Kameraden war vorbildlich, so dass ein durchweg positives Fazit gezogen werden konnte. Dieser Einsatz stellt hinsichtlich der Zusammenarbeit mit anderen Nationen auf dem Gebiet des Sanitätsdienstes eine Besonderheit dar, da hier kein Element der Kooperation autark arbeiten kann und man wirklich auf Zusammenarbeit angewiesen ist. Man begegnete sich auf Augenhöhe und konnte Einblicke in die jeweiligen Versorgungsstrategien der Partner erlangen und sich austauschen.
Schlussfolgerung
Der Einsatz in diesem Element ist sowohl fachlich als auch zwischenmenschlich hochinteressant und abwechslungsreich. Die deutsch-französische Kooperation kann hier auf Arbeitsebene gut gelebt werden. Hierdurch konnte für die stationierten Soldaten und ihre Angehörigen, aber auch für Teile der hiesigen Bevölkerung ein positives Bild der beteiligten Nationen gezeichnet werden. Eine Fortführung dieses Engagements sollte angestrebt werden.
Alle Abb. bei Verf.
Anschrift für die Verfasser:
Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. med. habil. Christoph Schulze
Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr
Dr.-Rau-Allee 32, 48231 Warendorf
E-Mail: christoph4schulze@bundeswehr.org
Datum: 28.02.2020
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2019