09.01.2020 •

IFOR – SFOR – EUFOR

15 Jahre Bundeswehreinsatz in Bosnien – Herzegowina

Nach dem schrittweisen Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien verschärfte sich Anfang 1992 die bereits durch nationalistische Strömungen aufgeheizte Lage in Bosnien – Herzegowina; im April des gleichen Jahres brach dann der Bosnienkrieg aus. Als Höhepunkt dieses Bürgerkrieges müssen die im Juli 1995 vorgefallenen genozidalen Handlungen rund um die Stadt Srebrenica angesehen werden. Im August begann die NATO mit Luftangriffen auf Stellungen der bosnisch-serbischen Armee einzugreifen; am 14. Dezember 1995 wurde das DAYTON-Abkommen unterzeichnet, das den Bürgerkrieg beendete.

Im Februar 2011 war im Intranet der Bundeswehr ein Artikel mit dem Satz „Der Deutsche Sanitätsdienst verabschiedet sich aus Bosnien und Herzegowina“ betitelt. In dem Artikel der Pressestelle EUFOR aus Butmir konnte man lesen, dass nach 15 Jahren der Einsatz des deutschen Sanitätsdienstes in Bosnien und Herzegowina endet.

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Binationales UNPROFOR Lazarett Trogir (Abb. Militärhistorische Lehrsammlung der SanAkBw)
Dieser langjährige Einsatz begann am 30.06.1995 mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages, einem Einsatz der Bundes­wehr zum Betrieb eines gemeinsamen deutsch-französischen Feldlazaretts in der Republik Kroatien zur sanitätsdienstlichen Versorgung der UN-Friedenstruppe, der UNITED NATIONS ­PROTECTION FORCE (UNPROFOR), zuzustimmen. Das binationale Lazarett wurde in TROGIR eingerichtet. Sein Auftrag lautete, die sanitätsdienstliche Versorgung der UN-Truppe mit einem Level III-Hospital sicherzustellen. Mit seinen Schwerpunkten Chirurgie, Innere Medizin und Anästhesie sowie weiteren 12 verschiedenen Fachbereichen entsprach es dieser UN-Forderung.

Das erste Kontingent, das im Zeitraum Juli – Dezember 1995 eingesetzt wurde, bestand aus rund 500 Soldaten und baute ein leistungsfähiges Feldlazarett mit 50 Pflege- und 10 Intensivbetten in einem Depot der kroatischen Marine auf. Der französische Anteil des Lazaretts, genannt „Antenne de Transit Sanitaire Aérien“ mit seinen ebenfalls 50 Betten war für die Betreuung von Patienten bis zum Transport zur Weiterversorgung ins Heimatland verantwortlich.

Am 20. Dezember 1995 ist dann UNPROFOR durch die IMPLEMENTATION FORCE (IFOR), die unter NATO-Kommando stand, abgelöst worden.

Insgesamt wurden während des IFOR-Einsatzes Patienten aus 60 verschiedenen Nationen behandelt, 18 000 davon ambulant und 2 700 stationär. Diese Bandbreite des sicherzustellenden Versorgungsumfanges in Verbindung mit der Einsatzdauer zeigte aber auch deutlich auf, dass zukünftig eine Einbindung des Sanitätsdienstes in multinationale Strukturen unerlässlich sein würde, um über die „lead nation“ Funktion und der „Lastenteilung“ dem sanitätsdienstlichen Einsatzauftrag dauerhaft gerecht werden zu können.

Am 13. Dezember 1996 stimmte der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit der weiteren Beteiligung an der NATO-Operation zur militärischen Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien zu. Das neue Mandat, STABILIZATION FORCE – SFOR genannt, schloss sich direkt an das am 20. Dezember 1996 abgelaufene IFOR-Mandat an. 

Von rund 3.300 deutschen Soldaten ist der Heeresanteil mit rund 2 400 Bundeswehrangehörigen direkt in Bosnien-Herzegowina stationiert worden. Neuer Großstandort für die deutschen Truppen wurde die Kasernenanlage SAREJEWO – RAILOVAC. 

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Haupteingang Feldlazarett (Abb. Prof. Dr. Dr. Grunwald).)
Dies bedeutete für den deutschen Sanitätsdienst vor allem die schnelle Verlegung des Feldlazaretts von Trogir nach Bosnien, um die Unterbrechung der sanitätsdienstlichen Versorgung durch die Role 3 möglichst kurz zu halten. Zwischenzeitlich sollte eine Abstützung auf die französischen Feldlazarette in Railovac und Mostar erfolgen, die ungefähr der Role 2 entsprachen.

Am 24. Februar 1997 erfolgte im Rahmen eines Appells die Übernahme des Lazaretts durch den neu aufgestellten Sanitätsverband in Railovac; an diesem Tag ist auch die volle Einsatzbereitschaft gemeldet worden.

Dieser neu aufgestellte Sanitätsverband mit seinen anfänglich 150 Soldatinnen und Soldaten war nun verantwortlich für die sanitätsdienstliche Betreuung aller deutschen Soldaten in Bosnien, aber auch für die MULTINATIONALE DIVISION SÜDOST (MND/SE) in Mostar. 

Aufgrund der günstigen Truppenkonzentration in Rajlovac erfolgte eine Neustrukturierung des Truppensanitätsdienstes unter ­einheitlicher Führung in einem Standort­sanitätszentrum. Dies brachte damals erhebliche Probleme mit sich, denn die Truppenärzte von sechs im Lager stationierten Verbänden wurden hier zusammengefasst – was oft nicht die begeisterte Zustimmung der betroffenen Kommandeure fand.

Im Gegensatz zum rein national geführten Sanitätszentrum stand das Feldlazarett unter der operativen Kontrolle der MND/SE. Es war im gesamten Einsatzgebiet die einzige Role3 – Einrichtung und stand allen Soldaten von SFOR zur Verfügung. Diese multinationale Aufgabe war aber nur dann vollständig erfüllbar, wenn eine ausreichende Anzahl verschiedener Verbindungskommandos ärztlich mitarbeitete. Vor allem Frankreich engagierte sich mit einem Chirurgenteam. 

Eine besondere Herausforderung war in dieser Anfangszeit in Railovac auch die intensive medizinische und organisatorische Unterstützung des durch den Bürgerkrieg geschwächten zivilen Gesundheitswesens.

Höhepunkt dieses ersten Kontingents war sicherlich die nationale Evakuierungsoperation „Libelle“ am 14.03.1997, in der mit sechs CH-53, darunter der Großraumrettungshubschrauber, 104 europäische Staatsbürger aus TIRANA ausgeflogen wurden. Die gesamte Sanitätskomponente wurde vom Sanitätsverband gestellt.

Zwischenzeitlich hatte das Bundesverteidigungsministerium entschieden, im Bereich des Zentralen Sanitätsdienstes zwei Lazarette für Krisenreaktionskräfte einzurichten. Organisatorisch sollte je eines dieser KRK-Lazarette in die Strukturen des Bundeswehrzentralkrankenhauses (BwZKrhs) Koblenz und des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs)Ulm integriert werden. Da der Kommandeur des KRK-Lazaretts zugleich stellvertretender Chefarzt des Krankenhauses war, stellte er somit das Bindeglied zwischen dem „weißen“ und dem „grünen“ Sanitätsdienst dar.

Mit der Aufstellung dieser beiden Lazarette begann man ab Oktober 1996, anfänglich mit der Stabskomponente. Der personelle Aufwuchs des klinischen Bereichs erfolgte weitestgehend durch das medizinische Personal des jeweiligen Krankenhauses. Aus Kapazitätsgründen wurden aber auch in den anderen BwKrhs Soldaten für die KRK-Lazarette vorgehalten.

Um den Sanitätsdienst des Heeres zu entlasten, befahl der damalige Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Demmer, Ende Oktober 1997 einen möglichen Einsatz des KRK-Lazaretts Koblenz als Leitverband für das Feldlazarett und das Standortsanitätszentrum in Rajlovac im Zeitraum Mitte bis Ende 1998 zu prüfen. In enger Abstimmung zwischen der Führung des KRK-Lazaretts und den einzelnen Abteilungen des Krankenhauses konnte der Chefarzt rasch melden, dass ein derartiger Einsatz möglich sei. Darüber hinaus könnten auch die Aufgaben eines Leitverbandes – wie z. B. die Planung, Steuerung und teilweise selbst durchzuführende Einsatzbezogene Kontingentausbildung – durch den Stab des KRK-Lazaretts geleistet werden.

Die dann folgende Entscheidung für einen Einsatz des KRK-Lazaretts als Leitverband des Sanitätseinsatzverbandes, SanEinsatzVbd / SFOR, bedeutete einen enormen Motivationsschub für alle Beteiligten im BwZKrhs. Die Einsatzvorbereitungen konnten pünktlich abgeschlossen werden und Mitte Juli 1998 meldete sich das KRK-Lazarett in seinen ersten Einsatz ab. 

DerSanEinsatzVbd 1. Kontingent SFOR Joint Force, dessen Einsatz sich von Mitte Juli bis Mitte Dezember 1998 erstreckte, umfasste 332 Soldaten. Davon wurden 151 Dienstposten vom KRK-Lazarett besetzt, schwerpunktmäßig im Stab und in der Klinik-Kompanie. Vor allem die Medevac-Komponente und viele Spezialisten der Stabs- und Versorgungskompanie mussten jedoch vom Sanitätsdienst Heer gestellt werden.

Das Kontingent war besonders durch seine Bautätigkeit geprägt: die Überdachung der Wohncontainer, Umbaumaßnahmen im Bereich der Containerküchen wie auch des Triageraums dienten der Verbesserung der Winterfestigkeit. Hinzu kam die Vernetzung des Feldlazaretts und der Aufbau der Telemedizin.

Die sanitätsdienstliche Versorgung der Soldaten wie auch der UN-Angehörigen verlief problemlos. Die vielen Diskussionen über die ärztliche Hilfe für die Einheimischen, die im 1. Kontingent teilweise äußerst emotional geführt wurden, hatten sich versachlicht; Hilfe erfolgte für sie nur noch im Notfall.

Und auch im Land selbst konnte man beobachten, dass mit einem Wiederaufbau begonnen wurde.

Die Notwendigkeit, für einen möglichen Einsatz im KOSOVO ausreichend sanitätsdienstliche Kräfte des Heeres bereitzustellen, führte dazu, dass der geplante zweite Einsatz des KRK-Lazaretts Koblenz um ein Kontingent vorgezogen werden musste und das Lazarett Mitte Dezember 1999 erneut im Einsatz war und das KRKLaz aus Ulm ablöste. 

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Harter Wintereinbruch 1999 – Eingang zur Notaufnahme (Abb. Prof. Dr. Dr. Grunwald)
Dieses 5. Kontingent SFOR war das erste Kontingent mit sechsmonatiger Einsatzdauer. Diese sechs Monate bedeuteten für viele Kameraden eine erhebliche Belastung. Einmal für sie selbst, aber auch für die Familien in Deutschland. Das Kontingent feierte im Einsatz Weihnachten, den Jahreswechsel 2000 und das Osterfest. Zudem erlebte es mit minus 30° Grad Celsius den kältesten Winter auf dem Balkan und die höchste je in Sarajewo gemessene Schneehöhe. Darauf folgte dann der heißeste April seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen.

Nach rund neun Jahren beendete am 2. Dezember 2004 die NATO ihre SFOR-Operation erfolgreich und übergab die Verantwortung für die weitere Stabilisierung Bosniens an die Europäische Union, die mit der EUROPEAN UNION FORCE – EUFOR ihre bislang größte militärische EU-Landoperation durchführte. EUFOR hatte in der Nachfolge von SFOR zunächst die Struktur und auch die Stärke der Vorgängermission übernommen. Der Deutsche Bundestag stimmte diesem Einsatz erstmalig am 26. November 2004 zu. 

Mit dem Beginn des ISAF – Einsatzes in Afghanistan 2002 wandelte sich die Bedeutung des Bosnien-Einsatzes. EUFOR stand nicht mehr im Mittelpunkt des Einsatzgeschehens. Aufgrund der Absicht, Mitte Mai 2007 die letzte deutsche Einsatzkompanie nach Deutschland zurückzuführen sowie das Lager aufzugeben, empfahl der Befehlshaber Sanitätsführungskommando, Generaloberstabsarzt Dr. Bick, aufgrund seiner Erkenntnisse, die er im Rahmen einer Dienstaufsichtsreise 2006 gewonnen hatte, das Feldlazarett auf das Niveau eines Rettungszentrums mit einer kleinen Teileinheit als Rescue Coordination Cell (RCC) zu reduzieren und diese Einrichtung in das Hauptquartier nach BUTMIR zur Betreuung der dortigen deutschen Soldaten zu verlegen. Natürlich wurde dieser Empfehlung gefolgt. Man war froh, so die Einsatzbelastung doch erheblich reduzieren zu können, um schließlich im Februar 2011 den sanitätsdienstlichen Einsatz in Bosnien und Herzegowina endgültig zu beenden. 

Auch wenn das Funktionieren von Bosnien-Herzegowina als Gesamtstaat sicherlich noch zu wünschen übriglässt, kann ein Rückfall des Landes in das „ethnische Chaos“ als unwahrscheinlich angesehen werden. Damit fand ein rund 15 Jahre währender Einsatz dann ein glückliches Ende. 

„Bei vorliegendem Beitrag handelt es sich mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und der Redaktion um einen teilweisen Zweitabdruck des Artikels: IFOR, SFOR, EUFOR – Erinnerungen an drei Einsätze auf dem Balkan. In: Sanitätsdienst der Bundeswehr – 50 Jahre Auslandseinsätze 1960 - 2010. Hrsg.: Beta – Verlag & Marketinggesellschaft mbH. Bonn 2011. S. 61 - 65“. 

Verfasser:
Generalarzt a. D. Prof. Dr. Dr. Erhard Grunwald
Maastrichter Ring 20A
56072 Koblenz-Güls
E-Mail: Grunwald.Gessner-Grunwald@t-online.de 

Datum: 09.01.2020

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2019

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