GESICHERTE GESUNDHEITSVERSORGUNG VOR DEM HINTERGRUND KNAPPER WERDENDER RESSOURCEN: NEUE WEGE FÜR EFFIZIENTERE VERSORGUNGSPROZESSE

Reliable provision of healthcare in light of dwindling resources: New solutions for more efficient processes

Aus dem Zentrum für Strahlentherapie Bremen / Westerstede¹ (Leiter: Prof. Dr. U. M. Carl), dem Bundeswehrkrankenhaus Westerstede² (Leiter: Flottenarzt Dr. K. Reuter) und der Abteilung C (Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. H.-P. Becker, MBA) im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr³ (Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr: Generaloberstabsarzt Dr. I. Patschke)

Mirko Nitsche¹, Ulrich M. Carl¹, ², Oliver Lauth³, Christoph Rubbert³


WMM, 58. Jahrgang (Ausgabe 5/2014, S. 178-181)

Zusammenfassung

Im deutschen Gesundheitswesen kann bei einzelnen Berufsgruppen, im speziellen dem Pflegepersonal, bereits heute von einem nahezu flächendeckenden Fachkräftemangel gesprochen werden. Betrachtet man die demografische Entwicklung als dominierenden Faktor, ist ein zunehmend krisenhafter Verlauf erkennbar.

Dies gilt insbesondere unter der Prämisse, dass innovative Adaptationsmaßnahmen ausbleiben. Auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist aufgrund seiner Verzahnung mit dem zivilen Gesundheitswesen von dieser Problematik betroffen. Eine Entschärfung kann nur gelingen, wenn einerseits Fachkräfte generiert bzw. akquiriert und andererseits Arbeitsbedingungen und Prozesse angepasst werden. Die verantwortlichen Akteure müssen erkennen, dass das oberste Ziel eine adäquate Patientenversorgung sein muss und dass diese bereits jetzt und insbesondere zukünftig von einem suffizienten Personalmanagement abhängt. Zusätzlich müssen Schnittstellen gepflegt, Sektorgrenzen aufgeweicht bzw. überwunden und Prozesse umgestaltet werden.
Schlagworte: Gesundheitssystem, Fachkräftemangel, Personalgewinnung, Schnittstellenmanagement, Prozessausrichtung

Summary

An increasing shortage of medical health care professionals, in particular nursing personnel, can be observed in the German health care system already today. Looking at the demographic trend as the main factor, a more and more critical progression can be noted. This is particularly applicable as innovative methods of adaptation are missing. Even the Bundeswehr Medical Service is affected by this problem due to its close interrelation with the civilian health system. A mitigation of this situation can only be achieved if on one side skilled personnel is generated and/or acquired and on the other side working conditions and processes are adapted. Responsible actors must understand that adequate patient treatment and care is the first and foremost goal and that this depends on an adequate human resource management - today and even more so in the future. In addition, interfaces must be maintained, sector boundaries must be “softened” and finally overcome, and processes have to be reshaped.
Keywords: Healthcare system, shortage of skilled specialists, acquisition of personnel, interface management, process orientation

Einleitung

Die Verringerung von Ressourcen für die Gesundheitsversorgung betrifft nicht nur das zivile Gesundheitswesen, sondern auch den Sanitätsdienst in den Streitkräften. Dieser muss sich einerseits mit den gestiegenen militärischen Anforderungen auseinandersetzen und ist andererseits aufgrund der Einbindung in das zivile Gesundheitswesen auch von den umfassenden Veränderungen im zivilen Bereich mittelbar und unmittelbar betroffen.
Ein Hauptproblem stellt der Pflegekräftemangel dar, wie aus einer Studie von Pricewater­houseCoopers (PwC) mit einem prognostizierten Defizit von 464 000 Pflegekräften für das Jahr 2030 hervorgeht [13]. Auch im ärztlichen Bereich werden in Deutschland bis zum Jahre 2030 ca. 100 000 Ärztinnen und Ärzte fehlen [11].
Gleichzeitig steigt aufgrund des technischen Fortschritts und der demografischen Entwicklung der Bedarf an medizinischen Leistungen. Diese Schere in der Entwicklung macht neue Lösungsstrategien erforderlich, um frühzeitig gegenzusteuern und vorhandenen Ressourcen effektiv und effizient zu nutzen- und dieses auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Das Thema knapper personeller Ressourcen bei gestiegenen Anforderungen hat demzufolge generische Bedeutung und sollte oberste Priorität genießen. Die vorliegende Arbeit zeigt daher sowohl allgemein als auch fokussiert auf den Sanitätsdienst der Bundeswehr Lösungsmöglichkeiten der dargestellten Problematik auf.

Untersuchungsmethode

Zur Darstellung des steigenden Ressourcenbedarfs sowie des zunehmenden Fachkräftemangels im Gesundheitssektor wurden aktuelle Veröffentlichungen zu dieser Thematik ohne Anspruch auf eine vollständige wissenschaftliche Analyse aller verfügbaren Arbeiten berücksichtigt. Zusätzlich wurden Beiträge in Printmedien, Maßnahmen einzelner Unternehmen und Entscheidungen sowie Maßnahmen politischer Akteure, der ärztlichen Vereinigungen und Organisationen sowie des Gesundheits- und Arbeitsministeriums einbezogen.
Auf dieser Basis wurden bereits eingeleitete Maßnahmen zur Lösung der absehbaren Versorgungskrise dargestellt und weitere Lösungsmöglichkeiten allgemein und fokussiert auf den Sanitätsdienst der Bundeswehr herausgearbeitet.

Ergebnisse

Umfang des Ressourcen- und Fachkräftemangels
Es gibt viele Einzelstatements in Presse, Fernsehen und Rundfunk zum Thema Ressourcen- und Fachkräftemangel. Viele Quellen beschäftigen sich eher journalistisch als wissenschaftlich mit der Thematik. Geht es um Einzelaspekte, finden sich auch wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Thematik. Im März 2012 wurde ein Info-Brief [10] zum Thema Fachkräftemangel in Deutschland veröffentlicht. Im Bereich Pflegepersonal ist die PwC-Studie aus dem Jahr 2012 wegweisend [13]. Grundlage für die Beurteilung des Faktors Demografie ist die Entwicklung der Bevölkerungspyramide in Deutschland mit Prognosen bis 2060 [16]. Derzeitig stehen etwa 63 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 Jahren. Im Jahre 2060 sind dies nur noch 50 - 52 %. 16 % der Bevölkerung sind heute älter als 65 Jahre. Für 2060 wird ein Anteil von 33 -34 % erwartet. Diese Menschen sind dann in einem Alter, in dem davon auszugehen ist, dass Morbidität und Pflegebedürftigkeit zunehmen. Rechnerisch kommen heute auf jeden potenziell zu pflegenden Menschen 3,9 Menschen im erwerbsfähigen Alter. Im Jahre 2060 ist nur noch von einem Verhältnis ca. 1,5 -1,6 Erwerbstätigen je zu Pflegendem auszugehen. Im Jahre 2050 werden nur 30 bis 50 % der notwendigen Menschen verfügbar sein, um unsere Gesellschaft ausreichend medizinisch und pflegerisch zu versorgen. Schon heute bestehen große Probleme, die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen Deutschlands zu sichern. Auch der Aspekt der Finanzierung des Gesundheitssystems wird hier direkt berührt [11].
Aber auch städtische Regionen haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Stellen mit Fachkräften zu besetzen. Das gilt für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Institute, Praxen und natürlich auch für den Sanitätsdienst der Bundeswehr, obwohl für diesen finanzielle Aspekte – aufgrund der im Verteidigungshaushalt gesicherten „Fremdfinanzierung“ – hinter dem Ziel der Auftragserfüllung zurückstehen.

Bereits eingeleitete Maßnahmen gegen die absehbare Versorgungskrise
Wie sehen nun die bisherigen Lösungen aus? Um die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen Deutschlands zu verbessern trat im Jahre 2012 das vom Bundesmister für Gesundheit (BMG) vorgelegte Versorgungsstrukturgesetz in Kraft [2].
Aufgrund der demografischen Entwicklung wurde die Lebensarbeitszeit bis zum 70. Lebensjahr verlängert. Dieser Ansatz verschärft jedoch den bereits demografisch bedingten Alterungseffekt in der erwerbstätigen Bevölkerung, der Lösungen hinsichtlich deren Einsetzbarkeit erfordert.
Die meisten Quellen weisen als eine Lösungsmöglichkeit sehr schnell auf den Zuzug von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland hin. Im Jahre 2011 kamen 1351 Ärzte aus nicht EU-Staaten nach Deutschland [6]. Die Gesamtzahl ausländischer Ärzte stieg nach Angaben der Bundesärztekammer von 2010 bis 2011 um 3 039 auf eine Zahl von 28 355. 74 Prozent dieser ausländischen Ärzte kommen aus Europa. Nach Österreich nehmen Griechenland mit 2 224 und Rumänien mit 2 105 Ärzten als Herkunftsländer die Ränge zwei und drei ein. Hauptproblem des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen ist jedoch nicht der ärztliche, sondern der pflegerische Bereich; und hier stellt der deutsche Berufsverband für Pflegeberufe zurecht fest, dass die Anwerbung von im Ausland qualifizierten Pflegefachpersonen nur zu einem geringen Teil den Fachkräftemangel in der Pflege verringern wird [1]. Dennoch lassen sich zivile Firmen wie beispielsweise Agaplesion®, die selbst Pflegekräfte ausbilden, eine zusätzliche Akquise aus dem Ausland viel Geld kosten. So hat Agaplesion® im Jahre 2012 zusätzlich 60 Fachpflegekräfte aus dem Ausland (EU) gewonnen, mit einem Kostenaufwand für Ausbildung in Höhe von 15 000,- Euro je Kraft. Insgesamt sind dort 100 Fachpflegekräfte aus dem EU-Ausland angestellt. Für eine generelle Kompensation des Pflegekräftemangels ist jedoch die Personalgewinnung aus dem Ausland nicht ausreichend [9]. Letztlich muss klargestellt werden, dass Migration das Problem des Alterns des Patientenklientels nicht lösen wird, da der Anteil an Mitbürgern mit Migrationshintergrund insgesamt relativ konstant bleibt und im Vergleich zur Gesamtbevölkerung nur eine untergeordnete Rolle spielt [17].
Selbst für den Bereich der Streitkräfte werden Überlegungen angestellt, die Lücken, die sich durch den demografischen Wandel ergeben, durch Inländer auch ohne deutschen Pass zu schließen [20].
Unerwähnt bleibt vielfach, dass durch die Akquise von Fachkräften aus dem Ausland das Problem in Länder exportiert wird, die wahrscheinlich noch größere Schwierigkeiten haben werden, ihre Zukunft – und im medizinischen Bereich die Gesundheitsversorgung ihres Landes – in den Griff zu bekommen. In einigen Ländern Europas, die von der Finanzkrise besonders betroffen sind – wie Griechenland und Spanien – steht zu befürchten, dass sich durch Abwanderung qualifizierter Kräfte aus dem Gesundheitssystem dramatische Entwicklungen ergeben werden. In der ARD-Sendung Weltspiegel vom 21.04.2013 wurde dokumentiert, dass dies z. B. in Polen bereits heute in einigen Bereichen zum medizinischen Notstand geführt hat [19].

Lösungsmöglichkeiten - allgemein und für den Sanitätsdienst
Wie kann es gelingen, den erhöhten Anforderungen an die Versorgung bei gleichzeitig zunehmenden Fachkräftemangel in Deutschland gerecht zu werden und welche Entwicklungspotenziale gibt es für den Sanitätsdienst der Bundeswehr?
Es erscheint angesichts der möglichen Folgen einer kritiklosen Akquise von Fachkräften aus dem Ausland notwendig, ein System zu entwickeln, das allen Seiten hilft, die Zukunft zu meistern. Es müssen lernwillige und lernfähige Menschen vor allem aus Schwellenländern bei uns mit dem Ziel ausgebildet werden, ihre erworbenen Fähigkeiten auch in ihre Heimat zu transportieren und dort Schulen und Universitäten zu gründen. Hierdurch würde der Umfang an verfügbaren Fachkräften insgesamt erhöht werden. Förder- und Austauschprogramme verringern mittelfristig gegenseitig den Fachkräftemangel. Ein weiterer Gewinn solcher Programme wäre, dass Sprachbarrieren reduziert werden, ist doch die Kommunikationskompetenz gerade im Gesundheitswesen von sehr großer Bedeutung [14].
Darüber hinaus muss sowohl bei ärztlichen als auch bei pflegerischen Aufgaben stärker als bisher darüber nachgedacht werden, welche Aufgaben mit einem breiten wissenschaftlichen Hintergrund und einer entsprechenden Ausbildung wahrgenommen werden müssen und welche eher praktischen Tätigkeiten auch ohne eine breite Wissensbasis beherrscht werden können. Eine derartige aufgaben- und prozessbezogene Diversifizierung von Berufsbildern wird erforderlich sein, um breiten Bevölkerungsschichten einen umfassenden Zugang zu unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern in der Medizin zu verschaffen. Hierdurch wird es sowohl zu einer Akademisierung von Pflegepersonal als auch zu einer „Entakademisierung“ von heute noch ärztlichen Tätigkeiten kommen. Betrachtet man die Arbeitsmarktsituation und die Beschäftigtenzahlen in Deutschland gilt es natürlich, die vorhandenen und in Teilen durchaus verfügbaren Ressourcen zu nutzen. So nehmen trotz des vorhandenen Bedarfs nicht alle Menschen in Deutschland am Berufsleben teil. Es wird daher auch angeregt, die Ausbildung mehr zu fördern [10] und berufliche Aufgaben teilweise zu entakademisieren [8]. Zwangsläufig ergibt sich dabei eine Verlagerungsproblematik. Die Abgabe von Anteilen ärztlicher Tätigkeiten in den Pflegebereich beispielsweise bessert die Fachkräfteproblematik im Pflegesektor primär nicht. Langfristig kann dies jedoch zur Attraktivitätssteigerung und Aufwertung der Pflegeberufe führen, weshalb gleichzeitig in Teilbereichen höherer Verantwortung eine Förderung der Akademisierung von Pflegeberufen erfolgen muss.
Die bisher vorgeschlagenen und in Teilen aufgezeigten personal- und rekrutierungstechnischen Lösungsansätze werden jedoch kaum ausreichen, den zukünftigen Bedarf an Fachkräften im Gesundheitswesen zu decken. Es müssen vielmehr auch strukturelle und insbesondere prozessorientierte Konzepte entwickelt werden, die das System verschlanken, die sektorbezogenen Grenzen abbauen und die Prozesse beschleunigen - ohne die Versorgungsqualität zu verschlechtern.
Die Bundeswehr hat mit dem Konzept der öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) oder Public-Private-Partnership (PPP) in verschiedenen Bereichen (z. B. Flottenmanagement, IT, Bekleidungsmanagement) einen beispielhaften Weg beschritten, um sich Fähigkeiten und Sachverstand außerhalb der eigenen Organisation zu erschließen. Hier wurden Aufgaben, die nicht zum „Kerngeschäft“ der Streitkräfte gehören, an Dritte vergeben oder in Zusammenarbeit mit anderen Leistungsanbietern erledigt. Auch der Sanitätsdienst verfügt über ein vergleichbares Modell am Standort Westerstede. Das Bundeswehrkrankenhaus Westerstede arbeitet als eigenständiges Krankenhaus in einem Modell der ÖPP mit der Ammerland-Klinik GmbH zusammen. Durch diese enge Kooperation mit der zivilen Klinik werden Synergien erzeugt. Die Bundeswehr erhält Unterstützung durch die zivilen Kapazitäten und umgekehrt. Dadurch wird die Versorgung der Soldaten im Inland gesichert, auch wenn viele Sanitätsoffiziere im Ausland gebunden sind. Umgekehrt stehen Fachkräfte des Sanitätsdienstes, die nicht im Einsatz sind, zur Versorgung der Zivilbevölkerung mit zur Verfügung. Diese Form der kooperativen Versorgung hilft beiden Seiten, ihr Angebot zu optimieren und ihren jeweiligen Auftrag effizienter zu erledigen.
In diesem Zusammenhang gibt es aber auch noch eine Reihe bürokratischer Hürden, die dringend einer Überprüfung bedürfen. Teilweise sind Richtlinien und gesetzliche Vorschriften nicht mit den zukünftigen Anforderungen kompatibel. Gleichzeitig können Vorgaben von Planzahlen den Stellenmarkt mit Blick auf Ausbildung, Anstellung und Niederlassung negativ beeinflussen. Diese Aspekte werden nur der Vollständigkeit halber erwähnt, sollen aber nicht weiter vertieft werden.
Neben der Personalgewinnung und der kooperativen Aufgabenerfüllung müssen insofern weitere Methoden entwickelt werden, um Leistungen im Gesundheitssystem effektiver und effizienter zu erbringen und damit Ressourcen zu sparen. Zukünftig wird das Arbeitsleben mehr und mehr von dieser Effektivität und Effizienz bestimmt, so dass kritisch geprüft werden muss, inwieweit die jetzigen Bestimmungen homogenisiert werden können, damit sich der mit ihnen verbundene Aufwand minimiert. Die Anpassung der Arbeitsbedingungen muss zukünftig einen ähnlichen Stellenwert wie die Fachkräftegewinnung haben [15].
Zusätzlich muss es Ziel der Bemühungen im deutschen Gesundheitssystem sein – neben effektiver Prävention – kranken Menschen auch in Zukunft eine menschliche Behandlung auf höchstem technischem Niveau zukommen zu lassen. Dies erlangt unter dem Gesichtspunkt einer steigenden Morbidität bei höherem Lebensalter besondere Bedeutung. So sind die häufigsten Todesursachen in Deutschland derzeit Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Durch Zunahme der Lebenserwartung steigt das Risiko, eine derartige Erkrankung zu erleiden [18]. Vor allem dem Krebstod gehen jedoch häufig lange Krankheitszeiten voraus, die mehr oder weniger pflegeintensiv sind. Neben diesen wird auch der Behandlungs- und Pflegebedarf bei anderen chronischen Erkrankungen (z. B. Diabetes, Demenzerkrankungen, dialysepflichtige Niereninsuffizienz) steigen. Auch wenn die sanitätsdienstliche Versorgungssituation in der Bundeswehr selbst nur in Teilen betroffen ist, so hat die Entwicklung durch die Einbindung und die Schnittstellen des Sanitätsdienstes in bzw. zum zivilen Gesundheitssystem doch direkte Auswirkungen auf die medizinische Versorgung in den Streitkräften. Auch die Bundeswehrkrankenhäuser sehen sich aufgrund des steigenden Anteils der zivilen Patienten mit derartigen Krankheitsbildern konfrontiert. So wird auch die Abbildung geriatrischer Kompetenzen nicht nur in zivilen Krankenhäusern sondern auch in Bundeswehrkrankenhäusern eine “Conditio sine qua non“ darstellen. Entsprechende Konzepte werden erstellt bzw. sind zu erstellen.

Konzept zur Ressourcenoptimierung
Ein Hauptproblem bei der Versorgung ist die häufig unzureichende Schnittstellenkompetenz. Es ist möglich, verfahrenstechnische Optimierungen in vielen Situationen zu erzielen. Ein Navigationssystem kann dem Reisenden entweder die kürzeste oder die schnellste Wegstrecke von A nach B weisen; in der Gesundheitsversorgung wird jedoch die individuell optimale Lösung benötigt, die ein Ziel definieren und dessen Erreichung messen muss. Dies regt zu der Überlegung an, dass es doch auch im Gesundheitswesen Ziel sein müsste, optimale individuelle Behandlungspfade zu entwickeln. Leitlinien, wie sie z. B. von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften vorgegeben sind, beinhalten komplexe Behandlungsstränge. Diese sind weiter zu analysieren, um so die Abläufe zu straffen und an die jeweilige Umgebungssituation zu adaptieren. In die meisten medizinischen Behandlungsprozesse sind eine Reihe von verschiedenen Fachbereichen bzw.- gebieten eingebunden. Einzelne Bereiche mögen in sich sehr effektiv arbeiten, sind aber häufig nicht in der Lage, Patienten für den folgenden Behandlungsablauf angemessen vorzubereiten. Häufige Folge ist eine unklare Zielsetzung bei der Übergabe des Patienten. Die Vervollständigung mangelhafter Unterlagen ist zeitaufwändig, so dass Wartezeiten dann unumgänglich sind. Systeme, in dem speziell ausgebildete Krankenschwestern den Patienten durch „seine” Therapie navigieren, existieren und werden erfolgreich eingesetzt [7]. So gab es bereits 1990 erste Anstrengungen, den Zeitabstand zwischen Diagnose und Behandlung bei Brustkrebs zu verkürzen. Es konnte gezeigt werden, dass dies einen positiven Einfluss auf die 5-Jahres-Überlebensrate hat [12]. Es ist offensichtlich, dass Reibungsverluste immer Staus und Verzögerungen bedingen. Ein reibungsloser, optimierter Ablauf führt zur Verkürzung der Gesamtbehandlungszeit. Durch den wirtschaftlichen Umgang mit der Ressource „Fachkraft” wird Kapazität gewonnen. Ein positiver „Nebeneffekt” ist, dass der Patient schneller wieder zur Normalität zurückfindet. Dadurch sinkt einerseits die Belastung des Patienten selbst, andererseits wird der volkswirtschaftliche Aufwand gesenkt. In diesem Zusammenhang wird der Begriff des sogenannten Case-Managements zunehmende Bedeutung erlangen.

Fazit

Gesundheitspolitiker sehen eine Chance zur Entschärfung der Krise durch frühzeitige Anpassung [15]. Gleichzeitig wird z. B. mit dem Versorgungsstrukturgesetz in marktwirtschaftliche Mechanismen eingegriffen.
Notwendig ist jedoch eher eine Liberalisierung und Flexibilisierung des Gesundheitsmarktes verbunden mit einem Um- und Weiterdenken sowohl hinsichtlich der Fachkräfte im Gesundheitswesen als auch der Versorgungsprozesse und -strukturen.
Zur Milderung der Fachkräfteproblematik mit dem Hauptziel einer suffizienten Personalakquise und -bindung als Grundlage für eine nachhaltige Qualitätssicherung und Auftragserfüllung ist die Schaffung und Erhaltung einer motivierenden, identitäts- und loyalitätsstiftenden Ausbildung und Personalführung unabdingbar und muss auch im Fokus aller zukünftiger Überlegungen zur Weiterentwicklung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr stehen. Das Hauptkriterium von Great Place to Work®, nämlich die Frage, „inwieweit die Mitarbeiter eines Unternehmens ihre Organisation für einen ausgezeichneten Arbeitgeber halten“, erlangt unter diesem Gesichtspunkt zentrale Bedeutung [4].
Im Rahmen der Verbesserung von Versorgungsprozessen und -strukturen müssen aber auch konsequent Fremdaufgaben abgebaut, Patienten reibungsarm durch komplexe Behandlungsabläufe navigiert und das Ziel einer optimalen Therapie allen Einzelinteressen übergeordnet werden.

Bild: Wilhelmine Wulff  / pixelio.de

Literatur

  1. DBfK: Stellungnahme des DBfK zur Anwerbung ausländischer Pflegekräfte. 2012; http://www.dbfk.de/download/download/DBfK-zu-Anwerbung-auslaend-Pflegefachpers-2012-12-17.pdf, 02.11.2013.
  2. Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz GKV – VStG). Bundesgesetzblatt 2011; Teil 1, Nr. 70: 2963-3022.
  3. Freeman, H.P.: History and Principles of Patients Navigation. Cancer (08/11): 3539-3542.
  4. Great Place to Work® (2013) FAQ: “Ich frage mich, warum ein bestimmter Arbeitgeber im Ranking der besten Unternehmen vertreten ist. Welche Kriterien wenden Sie bei der Erstellung Ihrer Rankings an?“ http://www.greatplacetowork.de/unser-ansatz/faq#Underserving_Company
  5. Höbbeler, B.: Fachkräftemangel: Zahl ausländischer Ärzte steigt. Dt. Ärzteblatt 2012; 109: 33-34.
  6. Höbbeler, B.: Ausländische Ärzte schließen die Lücke. Dt. Ärzteblatt 2013; 5: 158-161.
  7. Hoffman H. J., LaVerda N. L., Young H. A.: Patient Navigation Significantly Reduces Delays in Breast Cancer Diagnosis in the District of Columbia. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev October 2012; 21:1655-1663.
  8. Homelius, F.: Regionen vernetzt? Nds. Ärtzeblatt 2012; 10: 50-51.
  9. Horneber, M.: ”Strategien gegen den Fachkräftemangel im Krankenhaus – Arbeitgebermarke”. Vortrag auf Expertentagung Fachkräftemangel – Eine Herausforderung für das Gesundheitswesen, Bayreuth, 25.04.2013.
  10. Kolodziej, D.: Fachkräftemangel in Deutschland: Statistiken, Studien und Strategien. Infobrief Wissenschaftl. Dienste Dt. Bundestag, Az WD6-3010 - 189/11, 26.03.2012.
  11. Kopetsch, T.: Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Altersstruktur- und Arztzahlentwicklung 5. Auflage. 08/2010; BÄK und KBV: ISBN 978-3-00-030957-1.
  12. Landry, A.: Patient Navigation Speeds Breast Cancer Diagnosis. cancernetwork 2012; http://www.cancernetwork.com/oncology-nursing/patient-navigation-speeds-breast-cancer-diagnosis
  13. PricewaterhouseCoopers: ”112 – und niemand hilft”, Frankfurt, August 2012.
  14. Protschka, J.: Ausländische Ärzte ”Wieviel Deutsch braucht ein Arzt?” Dt. Ärzteblatt 2012; 109: 2077.
  15. Schnack, D.: Fachkräftemangel ist die Chance für innovative Lösungen. Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2012; 9: 28 - 29.
  16. Statistisches Bundesamt, Datenreport 2011, Kap. 1, Bonn 2011.
  17. Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 2.2, 2011, Wiesbaden 2012.
  18. Vohmann, C., Kieschke, J.: Beunruhigende Prognose. Demokratischer Wandel und die Entwicklung von Krebsneuerkrankungen im Land und in den Landkreisen Niedersachsen bis 2030. Niedersächsisches Ärzteblatt 2012; 9: 38-41.
  19. Weltspiegel, ARD Polen: Ärztemangel kostet Menschenleben. 21.04.2013; http://www.daserste.de/information/politik weltgeschehen/weltspiegel/sendung/swr/2013/ polen-aerztemangel-100.html, 02.11.2013.
  20. Wolf R.: Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr, Berlin 2011.

Datum: 17.07.2014

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2014/5

Verwandte Artikel

Interoperabilität sorgt für Ruhe im Patientenzimmer

Interoperabilität sorgt für Ruhe im Patientenzimmer

Silent-PICU1 Showcase auf der HIMSS2 Conference 2023: Konzept für die Alarm-Weiterleitung und Stummschaltung von Medizingeräten mit SDC.

Empty Image

GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTIONSFORSCHUNG IM KONTEXT VON ARBEIT UND LEISTUNG

Zusammenfassung

Hintergrund: Die Reduktion von Bewegung und körperlicher Arbeit in Beruf, Verkehr, Haushalt und Freizeit, ungünstige Verhaltensdispositionen und Einstellungen haben zu gesundheitlich negativen Entwicklungen...

Digital-Gesetze passieren den Bundesrat DGIM: Wichtiger Schritt in Richtung eines digitalen Gesundheitswesens

Digital-Gesetze passieren den Bundesrat DGIM: Wichtiger Schritt in Richtung eines digitalen Gesundheitswesens

Der Bundesrat hat in seiner heutigen Sitzung zwei Gesetzen – dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (DigiG) und dem
Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (GDND) – zugestimmt.

Meist gelesene Artikel

Photo

Sonographie im Einsatz

Die Entwicklung des medizinischen Ultraschalls wurde nach den ersten Verwendungen in der Neurologie in den 1950er Jahren zur Darstellung von Ventrikeln mittels A-Mode in den darauffolgenden Jahren…