Fallbeispiel: Enchondrom
Zur Risikoklassifizierung von gutartigen Knochentumoren für die Beurteilung der allgemeinen Dienst- und Verwendungsfähigkeit von Soldaten
Kevin Dallacker-Losensky¹, Magnus Scheer², Inken Seelmann¹, Michael Uhl³
¹Sanitätsversorgungszentrum Volkach
²Sanitätsversorgungszentrum Altenstadt
³Sanitätsunterstützungszentrum Hammelburg
WMM 59. Jahrgang (Ausgabe 12/2015; S. 406-407)
Fallbeschreibung
In der truppenärztlichen Sprechstunde des Sanitätsversorgungszentrums Volkach stellte sich ein 25-jähriger Soldat zur Abklärung unklarer Kniegelenksbeschwerden vor. Diese waren in den letzten drei Monaten ohne erinnerliches Trauma aufgetreten und variierten in Intensität und Auftreten im Bereich des kranialen und distalen Patellaransatzes links.
Für den Soldaten war eine Verwendungsplanung vorgesehen, die den Erwerb der Fahrerlaubnisklasse G und die Fallschirmsprungausbildung beinhaltete. Damit ergab sich für den Truppenarzt Abklärungsbedarf im Hinblick auf die Beurteilung der Verwendungsfähigkeit.
Bei der klinischen Untersuchung fand sich ein reizfreies Kniegelenk links. Funktionsuntersuchungen zeigten intakte Kreuzband- und Meniskusstrukturen ohne Hinweis auf pathologische Befunde. Als einzige Auffälligkeit konnte klinisch eine leichte Patellalateralisation festgestellt werden, welche sich unter Beugung deutlich provozieren ließ und mit der geklagten Beschwerdesymptomatik vereinbar war. Um diesen Befund zu sichern, wurde im Anschluss an die klinische Untersuchung eine radiologische Diagno-stik eingeleitet.
Hier konnte im MRT eine Patelladysplasie und röntgenologisch die klinisch diagnostizierte Patellalateralisation bestätigt werden. Als Nebenbefund zeigte sich in der MRT eine zystisch tumoröse Raumforderung von etwa 2 x 1 x 2 cm im Bereich des distalen Femurs mit der Verdachtsdiagnose: „Gutartiger Knochentumor im Sinne eines Enchondroms“. Die Diagnose wurde durch Röntgenbild, MRT und CT, aber auch sonographisch gesichert.
Eine Einschränkung und Gefährdung durch geplante Risikoverwendungen im Rahmen axialer Belastung des Femurs beim Führen von schweren Fahrzeugen und bei Sprungtätigkeit konnte aufgrund der fehlenden Frakturgefahr fachärztlich aktuell verneint werden. Eine klinische und radiologische Kontrolle, besonders im Hinblick auf Wachstumstendenz des Tumors im Abstand von sechs Monaten, wurde für vorerst zwei Jahre vereinbart. Abhängig von Verlauf und Befund muss dann die Verwendungsfähigkeit neu beurteilt werden.
Die initialen Schmerzen des Knies waren nach Einleitung einer physiotherapeutischen Behandlung zur Patellazentralisation rückläufig und sind damit als nicht im Zusammenhang mit dem Enchondrom zu sehen.
Enchondrome
Enchondrome, als Vertreter der onkologischen Skeletterkrankungen, sind primär gutartige, vom Binnenskelettraum der Knochen ausgehende Tumore. Histologisch bestehen sie aus chondralem Gewebe. Zu differenzieren sind multiple Enchondromerkrankungen (Enchondromatosen, Maffucci-Syndrom, Ollier-Syndrom) von den solitären Enchondromen [8].
Bevorzugte Lokalisationsorte der stammfernen solitären Enchondrome sind mit etwa 48 % das Hand- und 6 % das Fußskelett. Die Manifestation „stammnah“ und damit außerhalb der Hand- und Fußskelette ist dagegen eher selten; sie betreffen nur um 40 % aller solitären Enchondrome, wobei hier die Femurregionen mit etwa 10 % einzeln aufgeführt werden [8].
Generell kann als Häufungszeitraum für Symptom- und Dia-gnosemanifestationen das 2. und 3. Lebensjahrzehnt ohne geschlechtsspezifische Häufung genannt werden [5]. Die Entstehungsursache wird in der Versprengung von Knorpelzellen der angrenzenden Wachstumsfugen gesehen, wobei hier Beschreibungen von Enchondromen der Schädel und Schlüsselbeine für diese Entstehungsform abgegrenzt werden müssen [2]. Aufgrund des langsamen und asymptomatischen Tumorwachstums werden Enchondrome häufig erst im Erwachsenenalter entdeckt. Sind es im Bereich der Hand- und Fußskelette schmerzhafte, teils tastbare bis hin zu von außen sichtbare Knochenauftreibungen, handelt es sich bei den stammnahen Enchondromen eher um Zufallsbefunde, oder sie werden bei pathologischen Frakturen ohne (adäquate) Traumata entdeckt [1, 8].
Das Wachstum von Einzelherden ist in der Regel aufgrund des Entstehungsmechanismus mit dem Körperwachstum abgeschlossen. Jedoch sind in der Literatur Fälle beschrieben, welche eine maligne Entartung zeigen und im Rahmen einer Herdvergrößerung aufgetreten waren [4].
Daher sind Zufallsbefunde von solitären Enchondromen, so wie in unserem Fall, immer abklärungsbedürftig und je nach Befund auch prognostisch relevant für die allgemeine Dienst- und Verwendungsfähigkeit vom Soldaten, besonders im Hinblick auf (Hoch-) Risikoverwendungen mit besonderer Belastung des Skelettapparates im Sinne der Frakturgefahr [4].
Die diagnostischen Möglichkeiten zur Klärung des Befundes und prognostischen Aussagen sind vielfältig. Zeigt sich im Röntgenbild und CT der stammnahen Enchondrome eine mehr oder weniger zentrale, metaphysär gelegene zystische Struktur mit einzelnen Aussparungen, sind sie in der Regel scharf konturiert mit deutlichem Sklerosesaum [2, 4, 8]. Fleckförmige Verkalkungen können auftreten. Zusätzlich sind mittels MRT, Angiographie und Szintigraphie die wichtigsten Differentialdiagnosen des Knocheninfarktes und Chondrosarkoms sowie die Dignitätstendenz abgrenzbar [4, 9]. In unserem Fall konnte durch Röntgenbild, MRT und CT, aber auch sonographisch der Befund eindeutig identifiziert und differenziert werden. Gerade die CT-Untersuchung lieferte in unserem Fall keine Hinweise für große Tumoraussparungen mit prognostischer Relevanz für geringes Frakturrisiko.
Vergleicht man die Literatur über Enchondrome, so sind mehr Fälle der malignen Entartung für die stammnahen Enchondrome beschrieben als bei peripherer Lokalisation [8]. Als prognostisch ungünstig werden rasches Wachstum, Lokalisationen im Becken, Schädel, proximalen Femur, in der Wirbelsäule, peripheren Lagen und bei einer Kerngröße > 8 cm beschrieben. Die letztendliche eindeutige Diagnose bei fraglichen Befunden kann nur eine Biopsie liefern.
Bei Hinweisen auf typische und gutartige stammnahe Enchondrome – wie oben beschrieben – sowie bei fehlenden klinischen Symptomen ist eine Therapie nicht unbedingt notwendig. Symptomatische Läsionen werden in der Regel chirurgisch im Sinne der Exzision en-bloc und Kürettage exzidiert und mit Spongiosa aufgefüllt oder der moderneren Methode der Radio-frequenzablation zugeführt. Kann ein bösartiger Tumor nicht sicher ausgeschlossen werden, sollte der Tumor en bloc mit -Sicherheitsabstand entfernt werden. In jedem Fall ist die eng-maschige (Nach-) Kontrolle notwendig [3, 6, 7].
Literatur
- Chun KA, Stephanie S, Choi JY, Nam JH und Suh JS. Enchondroma of the Foot. Journal of Foot and Ankle Surgery. 2015.
- Freyschmit J, Ostertag H und Jundt G. Knochentumoren. Springer. 2003; 321 u. 339.
- Lui TH. Endoscopic curettage and bone grafting of the enchondroma of the proximal phalanx of the great toe. Journal of Foot and Ankle Surgery. 2015.
- Nottrott M, Hardes J, Gosheger G, Andreou D, Henrichs M uns Streitbuerger A. Benign cartilage tumors. What should I do with incidental findings? Unfallchirurg. 2014, 117: 905-914.
- Praxis der konservativen Orthopädie: 175 Tabellen. Thieme. 2007; 596.
- Sensarma A, Madewell JE, Meis JM, Kumar R, Lin PP und Amini B. Regression of an enchondroma: a case report and proposed etiology. Skeletal Radiol. 2015; 44:739-142.
- Tang C, Chan M, Fok M und Fung B. Current management of hand enchondroma: a review. Hand Surgery. 2015; 20:191-195.
- Weber U und Jaeger R. Das solitäre Enchondrom. Archieve of Orthopedic Traumatologic Surgery. 1979, 93:133-140.
- Zheng K, Yu X, Xu S und Xu M. Periosteal chondroma of the femur: A case report and review of the literature. Oncology Letters. 2015; 9:1637-1640.
Kernaussagen
- Zentrale oder periphere Knochentumore mit Verdachts-diagnose „Enchondrom“ sind immer abklärungsbedürftig, jedoch gibt es aufgrund von Lokalisation und radiologischen Kriterien Differenzierungsmöglichkeiten zwischen benignen Enchondromen oder solchen mit malignen Tendenzen.
- Die Therapie richtet sich nach Symptomen und Dignität; sie reicht von konservativ kontrollierend, über radiologisches bis hin zu radikal chirurgischem Vorgehen.
- Auf Grund der unterschiedlichen körperlichen Beanspruchungen des axialen Skeletts bei Soldaten ist, selbst bei Gutartigkeit, die Frage der Frakturgefahr für die weitere allgemeine Dienst- und Verwendungsfähigkeit entscheidend.
- Eine Verlaufskontrolle selbst nach benigner Diagnose-stellung ist notwendig.
Datum: 12.01.2016
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2015/12