Das adaptierte modulare gefäßchirurgische Ausbildungskonzept für den Einsatzchirurgen
Aus dem Bundeswehrkrankenhaus Westerstede1 (Chefärztin: Oberstarzt Dr. N. Schilling) und dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm2 (Chefarzt: Generalarzt Dr. A. Kalinowski)
K. Elias
Mit inzwischen 12 % hat der Anteil schwerer Gefäßverletzungen bei Verwundung im militärischen Einsatz in der letzten Dekade dramatisch zugenommen. Die Bundeswehr trägt diesem veränderten Verwundungsprofil Rechnung, in dem ein modulares gefäßchirurgisches Ausbildungskonzept zur Kompetenzerweiterung des Einsatzchirurgen entwickelt wurde.
Dieses sieht neben zwei modellbasierten Gefäßnahtkursen den ASSETT-Kurs sowie Life-tissue-Training vor. Abgerundet wird dieses Curriculum durch eine zwölfmonatige klinische Verwendung aller angehenden Einsatzchirurgen in gefäßchirurgischen Abteilungen. Um eine ausreichende OP-Kapazität für eine erfolgversprechende Ausbildung zu ermöglichen, ist eine Zusammenarbeit mit „high-volume-Häusern“ sinnvoll.
Einleitung
Die ausgeprägt hohe Einsatzrelevanz der Gefäßchirurgie ist mittlerweile weltweit in allen Armeen unbestritten. Die Inzidenz schwerer Gefäßtraumata ist bei Verletzungen durch Waffeneinwirkung ungleich höher als bei allen anderen Verletzungsmechanismen. Aktuelle Registerauswertungen gehen von einer Inzidenz von bis zu 12 %1 an Verletzungen relevanter Venen und Arterien aller Verwundungen im Einsatz aus. Dies entspricht nahezu einer Verfünffachung im Vergleich zu kriegerischen Konflikten des letzten Jahrhunderts. Vergleichsarbeiten aus dem zivilen Sektor liegen nur eingeschränkt vor, gehen dabei „lediglich“ von einer Inzidenz von 1,5 - 1,7 %, nur im Rahmen von Terroranschlägen mit einer erhöhten Rate von 10 %2 aus.
Dieser massive Anstieg hat verschiedene Ursachen. Dazu zählen die Effektivität der Tourniquets sowie der heutigen persönlichen Schutzausrüstung, die „frontnahe Positionierung“ der chirurgischen Kapazitäten sowie die schnelle Evakuierung mit Hubschraubern („combat air rescue“) und die Optimierung der Patientenversorgung vom Zeitpunkt der Verwundung aus.
Dies hat dazu geführt, dass sich der Einsatzchirurg unter häufig suboptimalen Rahmenbedingungen mit Gefäßverletzungen auseinandersetzen muss, die früher nicht lebend die chirurgische Versorgungsstufe erreicht hätten.
Trotz dieser Fortschritte ist die durch Gefäßverletzung verursachte Hämorrhagie zu 90 % ursächlich für alle potentiell vermeidbare Todesfälle auf dem Gefechtsfeld3.
Unabhängig von den Ursachen unterstreicht der Anstieg der Rate an Gefäßverletzungen mit den entsprechenden Konsequenzen in den heutigen Konflikten die Bedeutung der Ausbildung und des Kompetenzerhaltes im gefäßchirurgischen Fachgebiet für alle Einsatzchirurgen objektiv.
Subjektiv wird der Schulungsbedarf des Einsatzchirurgen durch eine Umfrage von OTA Prof. Willy unterstützt4. In dieser Evaluation bzgl. des empfundenen Schulungsbedarfes einzelner chirurgischer Manöver seitens der Einsatzchirurgen (Abb. 2) kamen 21 der 37 wichtigsten Manöver aus dem gefäßchirurgischen Fachgebiet. Das dies nicht nur ein „bundeswehreigenes“ Problem ist, wurde durch Tyler et al gezeigt, welcher eine vergleichbare Untersuchung bei den Armed Forces der USA durchführte, wo sich auch unter den Top 4 zwei gefäßchirurgische Verfahren positionierten5.
Anforderungsprofil Einsatzchirurg
Der Einsatzchirurg hat bei Gefäßverletzungen zwei Probleme zu behandeln; zum einen die Hämorrhagie und zum anderen die Ischämie. Während eine massive Blutung zu einem sofortigen Handeln noch vor Beginn des sonst üblichen ATLS (Advanced Trauma Life Support)-Algorithmus zwingt, wird die Ischämie zwar vordringlich, jedoch in aller Regel erst nach der Stabilisierung des Verwundeten und Komplettierung der Notfalldiagnostik angegangen6.
Insofern müssen neben den Kenntnissen der Diagnostik von Gefäßverletzungen mittels klinischer Untersuchung, CW (continous wave) – Doppler, ggf. CT – Angiographie und Arteriographie auch die operativen Fähigkeiten zur Versorgung der selbigen vorliegen. Reduziert auf die Grundlagen umfasst dies die Exposition bzw. die Präparation an und um Blutgefäße herum, die Erlangung proximaler und distaler Blutungskontrolle sowie das Beherrschen von damage-control- und definitiven Rekonstruktions-Maßnahmen. Bzgl. der einzelnen Verfahren wird auf den Artikel Engelhardt et al Wehrmedizinische Monatsschrift 2015 verwiesen.
Zur Blutungskontrolle etabliert sich neben den offenen Verfahren der Blutungskontrolle sowie dem mittlerweile selbstverständlichen Einsatz des Tourniquets das REBOA (Resuscitative Endoluminal Balloon Occlusion of the Aorta) – Prinzip. Dabei wird bei kreislaufinstabilen Traumapatienten mit infradiaphragmalen Verletzungsmustern über einen Leistenzugang endovasculär ein Blockadeballon eingebracht und die Aorta temporär occludiert. Dieses Verfahren setzt Grundlagenkenntnisse des endovasculären Arbeitens voraus.
Ausbildungskonzept der Bundeswehr
Um die Chirurgen der Bundeswehr bestmöglich auf die Einsatzanforderungen vorzubereiten, wurde das sogenannte „DUO-plus“-Ausbildungskonzept etabliert. Dieses umfasst neben dem Facharzt für Allgemeine Chirurgie wahlweise einen zweiten Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie, Visceral-, Thorax- oder Gefäßchirurgie. In dieser Ausbildungszeit sollen zwölf Monate gefäßchirurgische Weiterbildung implementiert werden. Weitere Ausbildungsinhalte sind u. a. Kursmodule wie der Einsatzchirurgie-, der Neurotraumatologie- und seit 2015 zwei aufeinander aufbauende Gefäßtrauma-Kurse sowie eine dreimonatige Hospitation in Südafrika.
Mit der Einführung von zwei verschiedenen Gefäßtraumakursen (Basis- und Aufbaukurs) in Zusammenarbeit mit der Vascular International School AG sowie einer Erweiterung des Einsatzchirurgiekurses um den ASSETT-Kursanteil wurde auf die veränderte Situation bzgl. der ansteigenden Gefäßverletzungen reagiert. So werden im Basiskurs die Grundlagentechniken der Gefäßchirurgie an einer Trainingsbox sowie im Bein-Modell im „hands-on-Prinzip“ vermittelt. Der Aufbaukurs umfasst den Transfer der Kernkompetenzen in komplexere Modelle des Halses sowie des Abdomens und das Erlernen des REBOA-Manövers.
Durch den ASSETT (Advanced Surical Skills for Exposure in Trauma)-Kurs über zwei Tage im Rahmen des Einsatzchirurgie – Kurses, erlernt der Teilnehmer am Körperspender sämtliche relevanten Zugangswege zu den Gefäßen. Mittels Lifte-Tissue-Training, ebenfalls über zwei Tage i. R. des Einsatzchirurgie-Kurses, werden zahlreiche, auch gefäßchirurgische Damage-Control-Manöver vermittelt.
Dieses Kursausbildungskonzept ist in dieser Kombination weltweit einmalig. Der Bedarf wurde auch von anderen Nationen erkannt. Mittlerweile haben Teilnehmer aus mehr als zwölf Nationen an einem gefäßchirurgischen Kursmodul teilgenommen. Im März dieses Jahres fand in Paris, ausgerichtet durch die französische Armee, erstmalig der Bundeswehr-Basiskurs für französiche Einsatzchirurgen
statt. Auch bei diesem Lehrgang waren zwei SanStOffzArzt GCH als Tutoren eingesetzt.
Duschek et al konnten nachweisen, dass diese Form an lebensechten, pulsatilen Modellen eine deutliche Verbesserung der chirurgischen Fähigkeiten bewirkt7. Unbestritten ist jedoch auch, dass eine rein kursbasierte Ausbildung dem angehenden Einsatzchirurgen keine ausreichende Kompetenz und Sicherheit vermitteln kann.
Vielmehr geht eine erhöhte Anzahl an Operationen mit einer verbesserten Performance einher8. Entsprechend sind zwölf Monate gefäßchirurgische Weiterbildung obligatorisch in die Ausbildung zum Einsatzchirurgen implementiert. In dieser Hospitation sollen operative Eingriffe an Arterien und Venen sowohl am Torso als auch an den Extremitäten durchgeführt werden, was deutlich über die aktuellen Anforderungen des Facharztkatalogs für Allgemeinchirurgie hinausgeht. Dieser verlangt lediglich 25 Eingriffe jeglicher Form aus dem gefäßchirurgischen Formenkreis.
Derzeit, und wohl auch in der neuen Struktur, stehen dem Sanitätsdienst zwei eigene Abteilungen Gefäßchirurgie mit entsprechendem operativen Spektrum für diese gefäßchirurgische Ausbildung der Einsatzchirurgen zur Verfügung: im BwZKrhs Koblenz und im BwKrhs Ulm. In beiden BwKrhs stehen maximal vier bis fünf OP-Säle pro Woche hierfür bereit, was etwa 1 000 Operationen pro Jahr, davon etwa 400 arterielle Rekonstruktionen, zulässt. Mit diesen überschaubaren Leistungszahlen müssen beide Ausbildungsaufträge „Einsatzchirurg“ und „volle Weiterbildung Gefäßchirurgie“ abgedeckt werden.
Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben und die volle Weiterbildungsberechtigung sicher zu stellen, müssen auch an den BwKrhs zunehmend mehr Eingriffe endovaskulär durchgeführt werden. Dies bedeutet jedoch, dass für die allgemeinchirurgische Ausbildung wertvolle Eingriffe verloren gehen und sich insgesamt die Anzahl der offenen gefäßchirurgischen Eingriffe drastisch reduziert. Sowohl die Zahl der offenen Aorten-, als auch der Bypasschirurgie hat sich in den letzten Jahren halbiert9. Daraus resultiert durch die zunehmende Spezialisierung der einzelnen Operationen ein Rückgang der Anzahl der einsatzrelevanten Eingriffe, so dass für den angehenden Allgemeinchirurgen im Rahmen seiner Ausbildung um > 30 % die OP-Zahlen sich reduziert haben.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass nicht alle Einsatzchirurgen ihre gefäßchirurgische Ausbildung in einer der beiden eigenen Abteilungen zeitgerecht absolvieren können. Eine Möglichkeit, diesen Ausbildungsengpass zu umgehen, besteht in der Intensivierung der zivil-militärischen Zusammenarbeit mit sogenannten „high-volume-Häusern“. Dies wurde schon seitens des BDC 2012 angeregt10. Aufgrund der hier vorhandenen hohen Operationsfrequenz sowie -expertise werden noch in ausreichender Anzahl „offene“ Eingriffe mit entsprechend hoher Einsatzrelevanz durchgeführt. Für den Sanitätsdienst bietet sich hierzu die Gefäßchirurgie im Klinikzentrum Westerstede (Ammerlandklinik) in Verbindung mit dem BwKrhs Westerstede an. In der Ammerlandklinik stehen 20 OP-Säle pro Woche zur Verfügung mit einer jährlichen durchschnittlichen OP-Zahl von > 4 000. Dies entspricht der mehr als vierfachen OP-Anzahl einer der beiden gefäßchirurgischen Abteilungen der BwKrhs.
Um die einsatzrelevanten Operationen zu selektieren und den angehenden Einsatzchirurgen entsprechend dem Ausbildungsstand schnell an diesen partizipieren zu lassen, ist eine Koordination durch einen Einsatzchirurgen mit Einsatzerfahrung notwendig. Vorausgehen sollten klare Absprachen bzgl. der Dauer und der Anzahl und Art der Operationen. Am effektivsten gelingt dies durch die Platzierung eines SanStOffzArzt Gefäßchirurgie als „steuerndes Element“ in dieser Abteilung. Derzeit wird dies bereits in der Ammerlandklinik in Westerstede in Kooperation mit dem BwKrhs Westerstede seit 06/2015 als Pilotprojekt praktiziert. Die befürchtete Problematik der Integration aufgrund teilweise ungeplanter Abwesenheiten durch Lehrgänge bzw. Auslandseinsätze kann aktuell nicht nachvollzogen werden. Vielmehr ist durch die bestehende Personalknappheit eine „win-win-Situation“ erzielt worden. Insofern ist bis jetzt diese Form der Kooperation als Erfolgsmodell zu bezeichnen und sollte weiter fortgesetzt werden.
Fazit
Die Relevanz der Gefäßchirurgie für den Einsatz ist deutlich gestiegen, entsprechend wurde das modulare Ausbildungskonzept des Einsatzchirurgen mit verschiedenen Kursformaten weltweit einmalig angepasst.
Dies kann jedoch nicht die praktische Ausbildung im OP ersetzen, welche zum einen durch die erheblich eingeschränkten OP-Kapazitäten in den BwKrhs sowie zum anderen durch die ausgeprägte Spezialisierung der Gefäßchirurgie im Sinne des endovasculären Operierens erschwert wird. Dies kann unterstützend nur in „high-volume-Häusern“ erfolgen, wo noch in ausreichender Zahl offene Operationen durchgeführt werden. Um dabei die Ausbildung zu koordinieren, ist es zweckmäßig, in diesen Kliniken einen SanStOffz Arzt GCH zu etablieren, welcher eine gezielte und intensive Ausbildung sicherstellt.
Literatur beim Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Oberdfeldarzt Dr. Kristoffer Elias
Bundeswehrkrankenhaus Westerstede
Gefäßchirurgie
Lange Str. 38
26131 Westerstede
E-Mail: Kristoffer.Elias@bwk-westerstede.de
Datum: 28.02.2017
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/2