GEFÄßCHIRURGIE FÜR EINSATZCHIRURGEN – EIN PRAXISORIENTIERTER AUSBILDUNGSKURS

Die wachsenden fachlichen Anforderungen an die Einsatzchirurgen in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr einerseits und die zunehmende Spezialisierung der chirurgischen Ausbildung in Deutschland andererseits, trieben zur Entwicklung des sogenannten DUOplus-Ausbildungskonzepts für Einsatzchirurgen der Bundeswehr.

Dieses Konzept beinhaltet den Erwerb des Facharztes Allgemeinchirurgie, um eine breite chirurgische Basis für die Auslandseinsätze zu sichern, und die Erlangung eines zweiten chirurgischen Facharztes eigener Wahl zum Ausbau der Spezialisierung in den Bundeswehrkrankenhäusern. Begleitend zu dieser DUOFacharztausbildung werden definierte, einsatzspezifische Ausbildungsmodule – das Plus zum DUO - in Form von Kursen und Praktika absolviert. Eines dieser Module beinhaltet den Kurs „Gefäßchirurgie für Einsatzchirurgen“.

Der folgende Beitrag stellt diesen, in einer Zusammenarbeit der Konsiliargruppe Chirurgie, der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie und der Vascular International School AG entwickelten, und erstmalig im April 2011 im Zentrum für Gefäßmedizin der Bundeswehr am Bundeswehrkrankenhaus Ulm durchgeführten Ausbildungskurs vor.

Konzept des Kurses

Die Vascular International School AG blickt auf eine 20-jährige Erfahrung mit gefäßchirurgischen Basiskursen und speziellen Veranstaltungen für Fortgeschrittene zurück. In dieser Zeit wurden das Konzept und v.a. die lebensnahen Gefäßmodelle dieser Kurse kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert. Die so entstandene „European Vascular Masterclass“ in Pontresina/Schweiz ist inzwischen eine der führenden gefäßchirurgischen Veranstaltungen dieser Art in Europa.

Bei der Gestaltung des Kurses „Gefäßchirurgie für Einsatzchirurgen“ wurden diese langjährige Erfahrung und das bewährte Kurskonzept, einschließlich der Übungsmodelle, übernommen und um einsatzspezifische Aspekte erweitert. Zu diesen militärchirurgischen Anpassungen zählen: Beschränkung auf wenige Gefäßnahttechniken, z.B. eine Anastomosennaht, zugunsten eines Zeitgewinns für mehr praktische Übungen. Schwerpunkt der Ausbildung sind periphere Gefäßrekonstruktionen, da bei Verwundung in Kriegsschauplätzen zu 90% die Extremitätenarterien betroffen sind. Ganz verzichtet wird auf endovaskuläre Verfahren (z.B. iliacale Stents, aortale Stentgrafts). Stattdessen werden einsatzrelevante Techniken wie das Einlegen temporärer intravasaler Shunts und die Thrombektomie mit einem Fogarty-Katheter in das Kursprogramm integriert. Bei allen Übungen werden ausschließlich die auch im Einsatzland verfügbaren Produkte (Prothesen, Katheter etc.) verwendet, damit die Kursteilnehmer mit diesen Materialien bereits praktische Erfahrung sammeln können und ein Wiedererkennungseffekt im Auslandseinsatz gewährleistet ist.

Auch der, bewusst knapp gehaltene, theoretische Ausbildungsteil fokussiert ganz auf die Erfordernisse der Einsatzchirurgie. Besprochen werden u.a. das taktische Vorgehen bei Gefäßverletzungen, z.B. zentrale Blutungskontrolle jenseits anatomischer Barrieren, Möglichkeiten der Transplantatentnahme für autologe Rekonstruktionen, vorausschauendes Abdecken des OP-Gebiets bei V.a. Gefäßverletzung, Behelfstechniken zur intraoperativen Angiographie und Besonderheiten der postoperativen Nachsorge unter Einsatzbedingungen. Verzichtet wird auf die Darstellung von operativen Zugangswegen zu den Gefäßen, um zeitraubende Überlappungen mit anderen Kursen der DUOplus-Module, z.B. dem Präparationskurs an der Leiche an BwKrhs und Universität Ulm, zu vermeiden.

Ablauf des Kurses

Jeweils zwei Kursteilnehmer („Operateur“ und „1. Assistent“) teilen sich einen Arbeitsplatz (Abb. 1). Dieser ist mit den Gefäßmodellen, allen notwendigen chirurgischen Instrumenten und einer OP-Leuchte ausgestattet. Für jeweils vier Teilnehmer steht ein Monitor gut sichtbar zur Verfügung.

Zu Beginn jeder Übung wird diese von zwei Tutoren an einem separaten Arbeitsplatz Schritt für Schritt vorgeführt und kommentiert (Abb. 2). Über eine fest installierte Kamera wird diese Demonstration live auf die Monitore an den Arbeitsplätzen übertragen, sodass alle Kursteilnehmer die Übungsschritte genau verfolgen können. Nach der Vorstellung wird die Übung von den Kursteilnehmern abwechselnd durchgeführt.

Während der praktischen Übungen kontrollieren die Tutoren die Lehrgangsteilnehmer. Eine hohe Tutorendichte von 7 Tutoren auf 24 Kursteilnehmer gewährleistet eine kontinuierliche Supervision mit sofortiger Korrektur von Fehlern und Tipps zur Verbesserung der Technik. Alle in Ulm eingesetzten Tutoren sind erfahrene Chef- bzw. Oberärzte größerer gefäßchirurgischer Kliniken.

Die ersten Übungen, z.B. Übernähen von Gefäßlazerationen, End-zu-End-Anastomosen und Patchplastiken, werden an speziellen Boxen geübt (Abb. 3). In diese Boxen ist jeweils eine wasserdurchströmte, pulsierende Kalbsarterie eingespannt. Dieses pulsierende Gefäßmodell ist nicht nur motivierend, weil lebensecht, sondern erlaubt auch eine Selbstkontrolle nach dem Declamping der Arterie. Bei dieser Gelegenheit kann auch gleich das trouble-shooting bei undichten Gefäßnähten geübt werden!

Nach den Übungen an der Gefäßbox wird auf Gefäßmodelle der unteren Extremität gewechselt (Abb. 4). Diese stellen eine realitätsnahe Simulation der Zugangswege zu den Beinarterien dar und erhöhen darüber hinaus den Schwierigkeitsgrad der Übung wegen des engeren Zugangsweges. Am Beinmodel werden v.a. Übungen zur Bypassanlage durchgeführt, z. B. Seit-zu-End Anastomosen mit autologen oder alloplastischen Grafts.

Neu im Ausbildungsprogramm ist das Einlegen intravasaler Shunts (Abb. 5) einschließlich der sicheren Fixation für den Weitertransport in eine höherwertige Versorgungseinrichtung. Ebenfalls neu ist das Üben von Thrombektomien (sog. Fogarty-Manöver) am endovaskulären Simulator (Abb. 6). Dieser Simulator, ursprünglich für das Training von endovaskulären Aortenoperationen und Stenting von Beckenarterien entwickelt, wurde umgestaltet um unter Sicht transfemorale Thrombektomien der Beckenarterien durchführen zu können. Beide Übungen, Shuntanlage und Thrombektomie, sind wesentliche Techniken bei der Versorgung arterieller und venöser Verletzungen, v. a. an den Extremi - täten und den hirnversorgenden Gefäßen.

Begleitend zum praktischen Kurs erhalten alle Kursteilnehmer ein ausführliches, reichlich bebildertes Skript mit Tipps und Tricks rund um die einsatzorientierte Gefäßchirurgie.

Fazit

Der Kurs „Gefäßchirurgie für Einsatzchirurgen“ stellt einen ganz auf die Erfordernisse des modernen Einsatzchirurgen ausgerichteten, praxisnahen Kurs dar. Er richtet sich an alle Fachärzte für Chirurgie, welche sich gefäßchirurgisch weiterbilden möchten, und an bereits erfahrene chirurgische Assistenzärzte. Der Kurs kann und soll die 1-jährige Ausbildungsphase in einer gefäßchirurgischen Klinik im Rahmen der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinchirurgie - als erster Schritt der Weiterbildung im DUOplus-Konzept - nicht ersetzen. Er stellt jedoch eine praxisorientierte Vorbereitung auf diesen Ausbildungsabschnitt dar.

Datum: 04.06.2012

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2012/1

Verwandte Artikel

Das adaptierte modulare ­gefäßchirurgische Ausbildungskonzept für den Einsatzchirurgen

Das adaptierte modulare ­gefäßchirurgische Ausbildungskonzept für den Einsatzchirurgen

Mit inzwischen 12 % hat der Anteil schwerer Gefäßverletzungen bei Verwundung im militärischen Einsatz in der letzten Dekade dramatisch zugenommen. Die Bundeswehr trägt diesem veränderten Verwundungsprofil Rechnung, in dem ein modulares...

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/2

Wir sind der chirurgische Nachwuchs

Wir sind der chirurgische Nachwuchs

„Zwei Dinge pflegen den Fortschritt der Medizin aufzuhalten: Autorität und System.“ – selbst über hundert Jahre nach dem Tod Virchows beeinflussen diese seine Worte die Kreativität und Inspiration der medizinischen Gesellschaft.

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/22

Empty Image

„Damage Control“ bei Gefäßverletzungen im Einsatz

Zusammenfassung

Mit einer Inzidenz von 10 - 12 % sind schwere Gefäßverletzungen im Einsatz deutlich häufiger als im zivilen Umfeld. Drohende Folgen sind der Tod durch Verblutung und Majoramputationen.

Meist gelesene Artikel

Photo

Kohäsion

Unter Kohäsion werden der Zusammenhalt und der gemeinsame Zeichenvorrat von Manöverelementen verschiedener Teilstreitkräfte (TSK) bzw. Militärischer Organisationsbereiche (MilOrgBer) verstanden.…