U.S.A. auf dem Weg zu einem zentralen Sanitätsdienst?
Ab 1. Oktober 2018 übernimmt die Defense Health Agency (DHA) des amerikanischen Military Health Systems (MHS) zentral den Betrieb aller militärischen Krankenhäuser und Clinics weltweit von den Teilstreitkräften. Army, Navy und Air Force geben diese Verantwortung schrittweise ab. Sind die U.S.A. damit auf einem Weg zu einem zentralen Sanitätsdienst? Welche Auswirkungen hat dies auf die Aufgaben der Sanitätsdienste in Army, Navy und Air Force?
Der Principal Deputy Assistant Secretary of Defense for Health Affairs Mr. Thomas McCaffery schreibt am 1. Oktober 2018 auf Twitter: „Today, on the @DoD_DHA’s 5th anniversary, we welcome the first military hospitals and clinics transitioning to the DHA. This is the first step for the MHS to emerge as a more integrated and efficient system of health and readiness.”
Autarkie der Sanitätsdienste
Die Sanitätsdienste der U.S. Army, Navy und Air Force sind seit den Geburtsstunden der Teilstreitkräfte unabhängig voneinander organisiert und erfüllen seither ihre teilstreitkraftspezifischen Aufgaben weitestgehend eigenständig. Alle drei Bereiche betreiben eigene Krankenhäuser und Clinics für die ambulante und stationäre allgemeinmedizinische, zahnmedizinische und fachärztliche Versorgung und verfügen jeweils über eigene einsatzspezifische Elemente sowie Forschungseinrichtungen. Dies führt nicht nur zu unterschiedlichen Organisationsformen, sondern insbesondere zu unterschiedlichen materiellen Ausstattungen oder Herangehensweisen der einsatzvorbereitenden Ausbildung von Fachpersonal (Abbildung 1). Versuche der Vereinheitlichung und der gemeinsamen Herangehensweise gab es sehr wohl, dennoch ist die Autarkie der Teilstreitkräfte weiterhin groß. Trotz gemeinsamer Standards oder beispielsweise TSK-gemeinsamer Ausbildung von ausgewählten Fachlehrgängen in San Antonio, sind die Sanitätsdienste letztendlich autark und verweisen jeweils auf die Einzigartigkeit ihrer Aufgaben. Dies ist begründet in den gesetzlichen Vorgaben, nach denen die Teilstreitkräfte dafür verantwortlich sind, ihre Bereiche personell zu besetzen, auszubilden, auszustatten und zu organisieren (Title 10 Authorities: ‚Recruit, Train, Equip and Organize‘).Auf der anderen Seite wurden aber in den letzten dreißig Jahren eine Vielzahl an Studien durch das Department of Defense in Auftrag gegeben, die aktuellen sanitätsdienstlichen Strukturen und Organisationsformen im Department of Defense hinsichtlich Effektivität, Effizienz und Ressourceneinsatz zu untersuchen. Die Mehrzahl dieser Studien schlugen im Ergebnis entweder eine teilstreitkraftübergreifende Wahrnehmung sanitätsdienstlicher Aufgaben oder sogar die Etablierung eines ‚Unified‘ Medical Commands vor. Seither versucht das System einen Weg zwischen diesen Polen zu finden, der einerseits mehr Effizienz ermöglicht, die Autarkie der Sanitätsdienste von Army, Navy und Air Force jedoch andererseits nicht einschränkt.
Ausgangspunkt: Defense Health Agency
Ein entscheidender Schritt auf diesem Weg fiel im Jahr 2013 mit der Entscheidung, die Defense Health Agency zu etablieren, welche in 2014 in Falls Church aufgestellt wurde und ihre ‚Full Operational Capability‘ im Herbst 2015 erreichte. Seit dieser Zeit hat die Frage der Zentralisierung von Prozessen und Standardisierung von Verfahren über die TSK-Grenzen hinaus eine neue Dynamik erfahren. Aufgestellt wurde die DHA insbesondere um sanitätsdienstliche Fachaufgaben teilstreitkraftübergreifend zu koordinieren und standardisierte Fachvorgaben zu etablieren, die dann wiederum in den TSK Sanitätsdiensten umgesetzt werden müssen. Zu Beginn konzentrierte sich die DHA noch auf zehn ausgewählte gemeinsame Fachaufgaben (sogenannte ‚Shared Services‘). In den folgenden Jahren wurde dieses Aufgabenpaket schrittweise erweitert und die Verantwortung der DHA in ihrer Rolle als ‚Combat Support Agency‘ gestärkt. Einsatzrelevante Beratungs- oder Koordinierungsaufgaben wie beispielsweise aus dem Bereich der Präventivmedizin und der Gesundheitsüberwachung kamen hinzu, gemeinsame Entwicklungen z. B. von Health IT Lösungen (‚Electronic Health Record‘) oder Kosteneinsparungen in Milliardenhöhe z. B. durch den zentralen Einkauf von Pharmaka konnten realisiert werden.
Aber all dies trug noch nicht ausreichend zur Zufriedenheit des U.S. Kongresses bei, der ab dem Jahr 2017 weitere Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen forderte. Beginnend mit dem ‚National Defense Authorization Act‘ für das Jahr 2017 (NDAA 2017) erließ er umfangreiche Vorgaben zur Organisation des MHS. Darunter auch die Vorgabe, dass alle Behandlungseinrichtungen der Army, Navy, Air Force ab 2018 aus den Teilstreitkräften herausgelöst und zentral durch die DHA betrieben werden sollen.
Demzufolge übernimmt die DHA ab dem 1. Oktober 2018 schrittweise alle weltweit 457 Military Treatment Facilities (MTF – Clinics, Hospitals und Center, die zuvor durch Army, Navy, Air Force betrieben wurden), um diese zentral zu führen und zu betreiben. Dieser Schritt leitet die größte Reform des MHS in den letzten 30 Jahren (Vgl. Interview mit dem damaligen Acting Assistant Secretary of Defense Health Affairs Dr. David Smith; Wehrmedizin & Wehrpharmazie III 2017) ein. Weitere Kosteneinsparungen sowie eine verbesserte Einsatzbereitschaft der Streitkräfte über ein zentral gesteuertes integriertes Behandlungssystem sollen ermöglicht werden. Dabei soll insbesondere die einsatzrelevante Aus-, Fort- und Weiterbildung und Inübunghaltung des Fachpersonals bereits im Grundbetrieb über eine Neuausrichtung der Behandlungseinrichtungen mit der Vermittlung von mehr einsatzrelevanten ‚Knowledge, Skills and Abilities (KSA)‘ ermöglicht werden.
Was bedeutet das für die Defense Health Agency?
Die DHA übernimmt bis 2021 den Betrieb von weltweit 457 MTF (darunter auch das Army Landstuhl Hospital in Deutschland). Sie wird u. a. verantwortlich sein für das Führen der Einrichtungen, die Finanzierung, die Infrastruktur, die IT Ausstattung sowie sämtliche klinische Prozesse. Die DHA wird damit im MHS allein verantwortlich sein für den Prozess der Patientenversorgung (‚Health Care Delivery‘) mit einem umfangreichen integrierten Versorgungssystem (‚Direct Care‘ über militärische Behandlungseinrichtungen und ‚Purchased Care‘ über den Einkauf von Leistungen mittels Vertragspartner) für mehr als 9,3 Millionen Leistungsempfänger.
Die Zentralisierung unter der DHA soll aber insbesondere auch dazu beitragen, dass über eine fachliche Neuausrichtung der Krankenhäuser, über zivil-militärische Partnerschaften und andere Kooperationen das klinische Umfeld so verändert wird, dass das eingesetzte Fachpersonal (analog der Bundeswehrkrankenhäuser) zukünftig mehr einsatzrelevante Fälle bereits im Grundbetrieb behandelt und somit besser auf den Einsatz vorbereitet ist.
Die truppendienstliche Verantwortung für das militärische Fachpersonal in den MTF verbleibt jedoch bei den Teilstreitkräften. Das militärische Personal wird demzufolge an die DHA geführte Einrichtung entliehen, mit dem Auftrag klinisch und fachlich auf den Einsatz vorbereitet zu werden und über ausreichende klinische Fähigkeiten und Fertigkeiten (‚Knowledge, Skills and Abilities‘) für den Einsatz zu verfügen. Das zivile Fachpersonal dahingehend wird durch DHA eingesetzt. Damit soll ein jederzeitiger Zugriff der Teilstreitkräfte auf ihr einsatzbereites Fachpersonal im Einsatzfall ermöglicht werden, während die DHA in der Lage sein soll, durch den Einsatz verursachte personelle Lücken in eigener Zuständigkeit mit Vertragspersonal schließen zu können.
Sollten die Rahmenbedingungen (Fallzahlen, Fallschwere, etc.) in den militärischen MTF nicht ausreichen, um die fachlichen KSA ausreichend zu vermitteln oder aufrechtzuhalten, obliegt es der DHA über Partnerschaften oder Kooperationen die fachlichen Voraussetzungen zu schaffen, das Personal auszubilden und in Übung zu halten.
Die Sanitätsdienste der Army, Navy, Air Force übertragen ihre Verantwortung über die Führung der MTF schrittweise an die DHA. Sie konzentrieren sich zukünftig auf das Thema ‚Operational Readiness‘, also auf die sanitätsdienstliche Einsatzbereitschaft ihrer Soldaten, das Bereitstellen einsatzbereiter sanitätsdienstlicher Einsatzelemente (z. B. Field Hospitals) sowie auf die Beratung ihrer Teilstreitkräfte. Die Organisationsstrukturen der Sanitätsdienste in Army, Navy und Air Force und damit auch beispielsweise das Regional Health Command Europe der U.S. Army in Deutschland werden sich dementsprechend anpassen und auf die operativen Aufgaben konzentrieren.
Ausblick
Die aktuellen Reformschritte sind ein historisch großer Schritt hin zu einem zentraleren MHS. Gleichzeitig wird aber auch in Gesprächen deutlich, dass selbst dieser Schritt nicht der letzte gewesen sein wird, sondern die derzeitige Führung des MHS als auch der U.S. Kongress an weiteren tiefgreifenden Schritten interessiert sind. Der oben zitierte Tweet deutet bereits weitere Schritte an. Parallel dazu hat der aktuelle U.S. Verteidigungsminister James Mattis die Reform der Business Prozesse im Department of Defense (dazu zählt auch die Reform des MHS) zu einer seiner Top 3 Ziele erkoren. Und auch der U.S. Kongress hat bereits weitere Schritte angekündigt. Weitere Aufgaben sollen in der Defense Health Agency vereint werden. Der ‚National Defense Authorization Act 2019 (NDAA 2019)‘ spricht bereits davon, dass zukünftig der gesamte Aufgabenbereich der wehrmedizinischen Forschung, der bisher zwar weitestgehend durch die DHA koordiniert wurde, aber in den Forschungslaboren der Teilstreitkräfte umgesetzt wurde, zentralisiert werden soll. Und auch die Aufgaben des vorbeugenden Gesundheitsschutzes (Public Health/Preventive Medicine) soll mittelfristig zentral durch die DHA koordiniert und umgesetzt werden. Dies würde dann zu weiteren Herauslösungen entsprechender Einheiten aus der Army (z. B. die Public Health Commands), Navy und Air Force führen. Darüber hinaus fordert der U.S. Kongress im NDAA 19 das MHS explizit dazu auf, die Möglichkeit zu prüfen, ob und wenn ja wie eine Transformation der Defense Health Agency zu einem Defense Health Command erfolgen könnte, um eine zentrale Führung des Sanitätsdienstes in den U.S. Streitkräften zu ermöglichen.
Die aktuellen Reformschritte stellen die umfangreichste Reform des Military Health Systems der letzten 30 Jahre dar. Die Reformschritte zeigen eine zunehmende zentralisierte Wahrnehmung sanitätsdienstlicher Aufgaben unter Führung der Defense Health Agency. Der Reformprozess, der im Jahr 2013 mit der Entscheidung zur Gründung der Defense Health Agency begonnen wurde, wird konsequent fortgesetzt. Das Military Health System hat nunmehr sogar die einmalige Chance auf Basis der Vorgaben des U.S. Kongresses den Grundstein für eine zentrale sanitätsdienstliche Führung zu legen, um die Aufgabenwahrnehmung weiterhin zu verbessern, effizienter zu gestalten und gleichzeitig die Einsatzbereitschaft des sanitätsdienstlichen Fahrpersonals zu erhöhen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr wird dabei weiterhin als ein Modell mit Vorbildcharakter dienen.
Korrespondenzadresse des Autors:
Oberstarzt Dr. Kai Schlolaut
Kai.s.schlolaut2.fm@mail.mil
Quellen:
Department of Defense Personnel and Readiness-Report to Congress, 30. Juni 2018
@DoDHealth – Mr. Thomas McCaffery; Twitter, 1. Oktober 2018
Diverse persönliche Gespräche
Datum: 27.02.2019
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018