Das ZMZ Seminar des Beta Verlages fand in diesem Jahr – Pandemie bedingt- zwar nicht wie ursprünglich geplant in Präsenz in der Hauptstadt statt, konnte aber auch auf virtueller Basis ein hochkarätiges Kollegium von Referenten zum Thema gewinnen. Frau Heike Lange, die Geschäftsführerin des Verlags, unterstrich in ihrer Begrüßung die Wichtigkeit der zivil-militärischen Zusammenarbeit gerade im medizinischen Bevölkerungsschutz vor dem Hintergrund der derzeitigen Corona-Lage und freute sich auf die Stellungnahmen der Vielzahl der Experten und Verantwortungsträger der gesamtstaatlichen Gefahrenabwehr im Seminar.
In ihrer Keynote unterstrich MdB Katrin Budde Bedeutung und Stellenwert der zivil-militärischen Zusammenarbeit für Parlament und Legislative und skizzierte Möglichkeiten einer weiteren intensiven Stärkung des Bevölkerungsschutzes auch in finanzieller Hinsicht. Ebenso bekräftigte Christian Reuter, Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), als weiterer Keynote Speaker die Notwendigkeit einer engen Partnerschaft zwischen dem DRK und dem Sanitätsdienst der Bundeswehr und forderte neben einer deutlichen Mittelaufstockung eine Bündelung von Ressourcen aller beteiligten Institutionen im Zivil-, Katastrophen- und Bevölkerungsschutz über alle föderalen, staatlichen und nichtstaatlichen Ebenen hinweg.
Im Anschluss an die Keynotes begann unter der routinierten Moderation von Oberst d. R. Edgar P. Chatupa das eigentliche Seminarprogramm mit einem Vortrag von Generalarzt Dr. Bruno Most, Beauftragter für zivil-militärische Zusammenarbeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Most wies zunächst auf die große Aktualität des Seminars in der wohl größten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik hin und fokussierte sich auf die daraus erwachsene besondere Bedeutung der medizinischen zivil-militärischen Zusammenarbeit. Nach Aufzeigen der organisatorischen Strukturen der Einbindung des Sanitätsdienstes in die ZMZ, der Schilderung der klassischen Abfolge eines Großschadensereignisses erläuterte er die aktuelle Unterstützung des Sanitätsdienstes bei der Bewältigung der Pandemie, wie den Einsatz von mobilen Abstrichteams, den Aufbau von Test-Centern bis hin zu der Abstellung von Personal für die Unterstützung der Pflege. Als aktuelles Beispiel erwähnte Dr. Most den Einsatz von 83 Soldatinnen und Soldaten aus Weißenfels für Krankenhäuser im besonders von Corona betroffenen sächsischen Görlitz.
Im Anschluss stellte Giulio Gullotta, Abteilungsleiter Wissenschaft und Technik im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, den Sachstand der Zivilverteidigung im Gesundheitswesen vor. Insbesondere die umfangreichen Änderungen in der Zivilverteidigung seit Ende des Kalten Krieges, wie die Abschaffung der Wehrpflicht, die Abkehr der Bundeswehr aus der Fläche, der Fachkräftemangel oder auch die Lieferketten- und Ressourcenproblematik treffen auf neue Bedrohungslagen wie Terror- oder Cyberangriffe. Diese hybriden Gefahren mit begleitender Propaganda, Streuung von Fake News, der Unterstützung gesellschaftlicher Opposition durch autoritäre Staaten bis hin zur Nutzung von ABC-Kampfmitteln gegen einzelne Personen erfordern einen neuen wesentlich weitergehenden Ansatz in der Zivilverteidigung. Wichtig ist aus Sicht des Bundesamtes eine gemeinsame Analyse der Bedrohungslage, die Schaffung personeller Reserven und auch eine materielle Grundbefähigung für die Notwendigkeiten des Bevölkerungsschutzes.
Als nächster Referent widmete sich Dr. Johannes Richert, der Leiter des Bereichs Nationale Hilfsgesellschaft im Generalsekretariat des DRK, den Auswirkungen des DRK Gesetzes auf die Beteiligung in der Landes- und Bündnisverteidigung. Das 2008 erlassene Gesetz definiert den Status des DRK als nationale Rotkreuz-Gesellschaft auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und legt seine Aufgaben insbesondere in der Unterstützung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, der Verbreitung von Kenntnissen über das humanitäre Völkerrecht oder auch die Wahrnehmung bei der Nachforschung nach Zivilisten und Soldaten bei kriegerischen Auseinandersetzungen fest. Interessant ist in diesem Zusammenhang auf der einen Seite die gesetzliche Verpflichtung des DRK, die Bundesregierung im Bedarfsfalle zu unterstützen, auf der anderen Seite jedoch auch Neutralität und Unparteilichkeit zu gewährleisten. Höchst erfolgreich ist die Zusammenarbeit zwischen Sanitätsdienst und DRK als humanitärer Auxiliar der Bundesregierung im Ebola-Einsatz 2014/2015 praktiziert worden, auf den Dr. Richert zum Abschluss hinwies.
An die Anfänge der Bekämpfung der COVID-19 Pandemie Ende Januar 2020 in Deutschland erinnerte Frank Jörres, Bundes-Katastrophenschutzbeauftragter im DRK. Er schilderte die großen Herausforderungen für seine Organisation bei der Evakuierung und anschließende Unterbringung deutscher Staatsbürger aus dem chinesischen Wuhan. Gemeinsam mit Luftwaffe und Sanitätsdienst der Bundeswehr und einer Vielzahl Landes- und Kommunalbehörden galt es über längere Zeit eine große Anzahl von Menschen in einer Kaserne in Germersheim zu betreuen, für Dienstleistungen zu sorgen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dies konnte nur in kameradschaftlicher Zusammenarbeit lösungsorientiert mit allen beteiligten Akteuren geschaffen werden.
Die Perspektive und die bisherigen Erfahrungen des Malteser Verbundes bei der Pandemiebewältigung vertrat Markus Bensmann, Bereichsleiter Notfallvorsorge auf Bundesebene. Insbesondere gab er einen Rückblick auf die sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem Verbund und dem Sanitätsdienst der Bundeswehr bei dem Corona Ausbruch in Gütersloh im Sommer 2020. Hunderte eigener Mitarbeiter in Führungsstäben, Probeentnahmeteams, Fieberambulanzen und bei der Nachverfolgung waren im Zuge der Managements von 15.000 in Quarantäne befindlichen Personen im Umfeld eines bekannten fleischverarbeitenden Betriebs im Einsatz.
Mit Oberstarzt PD Dr. Kai Kehe, Leiter der Unterabteilung VI – Präventivmedizin, Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung im KdoSanDstBw, erläuterte ein ausgewiesener Experte der Forschungs-Community innerhalb des Sanitätsdienstes zivil-militärische Zusammenarbeit und evidenzbasierte Public Health Maßnahmen. Am Beispiel von COVID-19 stellte er zahlreiche auf höchst erfolgreicher ZMZ beruhende nationale und auch internationale Projekte forschender Einrichtungen des Sanitätsdienstes vor. So war es im Januar dem InstMikroBioBw in Zusammenarbeit mit Prof. Drosten von der Charité in kürzester Zeit gelungen, eine Diagnostik des neuen Erregers zu erreichen und diese bei der weiteren Identifizierung des sog. Webasto-Clusters in München, des ersten Ausbruches von COVID-19 in Deutschland, einzusetzen. In Anbetracht zahlreicher Innovationen in Forschung und Wissenschaft durch die Pandemie zog Dr. Kehe das Fazit, dass auch die wissenschaftliche Welt nach der Pandemie eine andere sein wird.
Oberstarzt Dr. Thomas Harbaum, Referatsleiter FüSK San III im BMVg und zuständig für alle Fachfragen auf Ressortebene auch im Zusammenhang mit COVID-19, stellte in seinem Vortrag „Wirkung vor Deckung vs Wirkung durch Deckung – Corona und die interkulturelle Kompetenz“ zunächst die komplexe Führungsstruktur mit ihren unterschiedlichen Aufgaben auf strategischem, taktischem und operativem Gebiet vor. Danach skizzierte er die Entwicklung übergreifender Dokumente im strategischen Rahmen, die stets auch mit fachlichen Weisungen des KdoSanDstBw und des Robert-Koch-Instituts abgeglichen werden müssen. Abschließend zeigte er die Breite der bisherigen Amtshilfe der Bundeswehr im territorialen Rahmen auf und gab eine Vorschau auf die vorgesehene noch viel weitergehende Unterstützung der Streitkräfte bei der Durchführung der anstehenden Impfkampagnen.
Einer der Höhepunkte des Seminars war die Zuschaltung von Generalstabsarzt Dr. Ulrich Holtherm, seit Beginn der Pandemie Leiter der neuen Abteilung 6 „Gesundheitssicherung, Gesundheitsschutz, Nachhaltigkeit“ im Bundesministerium für Gesundheit. Dr. Holtherm, der zum Krisenmanagement der Bundesregierung vortrug, verkörpert als hochrangiger Sanitätsoffizier in einem zivilen Ministerium in persona best practice ZMZ. In seinem Vortrag stellte er zunächst noch einmal den Verlauf der Pandemie und die verschiedenen Phasen ihrer Bekämpfung in Deutschland vor. Im Anschluss erläuterte er die zahlreichen sich ständig weiterentwickelnden Maßnahmen des Ministeriums, dem Infektionsgeschehen Einhalt zu gebieten. Stichworte sind die Entwicklung digitaler Tools, wie der Corona Warn App oder digitaler Einreiseportale, die Beschleunigung von Prozessen der Impfstoffentwicklung bis hin zur Einleitung und Anpassung von Verordnungen und Gesetzen. Derzeit wird daran gearbeitet, die Priorisierungen bestimmter Gefährdungsgruppen bei den vorgesehenen Impfungen rechtlich zu regeln.
Zum Abschluss des Seminars diskutierten die Experten in einem virtuellen Podiumsgespräch insbesondere die zukünftigen Erfordernisse, die sich aus der heutigen Situation für den medizinischen Bevölkerungsschutz ergeben. Einhellige Meinung war dabei, rasch gemeinsam eine Bestandsaufnahme durchzuführen und Verbesserungspotentiale in Fragen der Ausbildung, Übungen, Mitarbeitergewinnung, Kooperation der Keyplayer, Krisenkommunikation, Schaffung einer materiellen Reserve und legislativer Umsetzung zu definieren, um der Politik in einem ganzheitlichen Ansatz konkrete Maßnahmen vorzuschlagen.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2020
FLA Dr. Volker Hartmann