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Interview mit dem Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke

Im September 2011 hat Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke die Aufgaben als Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr noch als Abteilungsleiter im Bundesministerium der Verteidigung übernommen und die Neuausrichtung der Bundeswehr und des Sanitätsdienstes an entscheidender Stelle geprägt.

Seit Oktober 2012 steht er als Inspekteur an der Spitze des neu aufgestellten Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr und somit auch dem militärischen Organisationsbereich des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr vor. Im Interview mit Heike Lange, Verlegerin des Beta-Verlages, und Oberfeldarzt Dr. Kai Schmidt, Chefredakteur der „Wehrmedizin und Wehrpharmazie“, äußert sich Generaloberstabsarzt Dr. Patschke zur aktuellen Situation und zur Zukunft des Sanitätsdienstes der Bundeswehr.

WM: Sehr geehrter Herr Generaloberstabsarzt Dr. Patschke, seit Oktober 2012 gibt es das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr als die oberste sanitätsdienstliche Kommandobehörde am Zusammenfluss von Rhein und Mosel. Sie waren als Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in der Vergangenheit Angehöriger des Bundesministeriums der Verteidigung und stehen nun dem Kommando in der rheinland-pfälzischen Metropole vor. Wie fühlen Sie sich, wieder in der Koblenzer Rheinkaserne, die Sie ein Jahr zuvor als Stellvertreter des Befehlshabers des Sanitätsführungskommandos verlassen haben, zu sein?

GOSA Dr. Patschke: Für mich ist das hier durchaus wie ein Stück alte Heimat. Gerade gestern war der Neujahrsempfang im Soldatenheim hier in Koblenz mit einer breiten Resonanz aus dem zivilen, dem karitativen und dem militärischen Bereich. Das war wieder die „alte Heimat“, die „alten“ Gesichter. Insofern ist es ein bisschen, als ob ich gar nicht weg gewesen wäre. Aber es ist natürlich schon so, dass die Funktion für mich gewechselt hat, und deswegen auch die Perspektiven für mich andere sind. Sie richten sich in der Funktion als Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr natürlich stärker in Richtung Ministerium und ganz aktuell auch auf unsere neuen Fähigkeitskommandos, die wir gerade aufgestellt haben. Von der Perspektive her ist es schon eine andere Aufgabe - auch persönlich, was zum Beispiel das Planen von Dienstreisen betrifft. Früher, als Stellvertreter des Befehlshabers Sanitätsführungskommando, waren es wirklich mehr die Dienstaufsichtsreisen, die Kontaktreisen in den eigenen Kommandobe­reich hinein. Heute ist es sehr viel mehr der Kontakt mit der Politik und auch das multinationale Geschäft. Insofern ist es der gleiche Ausgangspunkt, die gleiche Startsituation, aber die Ziele sind doch andere.

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 Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Interview mit Verlegerin Heike Lange und dem Chefredakteur Oberfeldarzt Dr. Kai Schmidt.

 

WM: Die Aufstellung des neuen Kommandos bündelte ja Aufgaben des ehemaligen Führungsstabes des Sanitätsdienstes im Bundesministerium der Verteidigung, des Koblenzer Sanitätsführungskommandos sowie des Sanitätsamtes der Bundeswehr in München. Gleichzeitig wurden Aufgabenpakete in das neue Verteidigungsministerium und auch in nachgeordnete Behörden, die neuen Fähigkeitskommandos für Sanitätsdienstliche Ein­satz­unterstützung und Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung überführt. Wie sehen Sie - etwa ein Quartal nach der Indienststellung - den Stand der Aufstellung Ihres Kommandos am Deutschen Eck?

GOSA Dr. Patschke: Auch da kann ich auf ein aktuelles Ereignis zurückgreifen, denn gerade vorgestern und gestern hatten wir eine große Besprechung hier in Koblenz mit den Unterabteilungsleitern und Referatsleitern meines neuen Stabes. Diese kamen aus Koblenz, teilweise aus Andernach, aber auch aus München – es war eine Veranstaltung im Sinne einer ersten großen Gesamt-Stabslage. Es ging darum, die Netzwerkbildung zu verstärken, aber auch untereinander klarzumachen, wer in diesem Kommando in welchem Referat welche Schwerpunkte hat und was zu tun ist. Dabei wurde aber auch klar, dass das Kommando Sanitätsdienst alleine den Prozess Gesundheitsversorgung gar nicht moderieren und steuern kann. Die Abläufe sind mit dem Ministerium zu synchronisieren. Dort sind weiterhin viele Aufgaben abgebildet, die zur Prozesssteuerung notwendig sind. Aber auch die neu geschaffenen Fähigkeitskommandos, die seit dem 1. Januar 2013 „am Netz“ sind und ihre neue Funktion erst einmal aufnehmen müssen, haben ihre Aufgaben. Teilweise ist es so, dass gerade im Bereich der Heilfürsorge unsere personelle Decke auf der Bearbeiter-Ebene doch so gering ist, dass wir hoffen, möglichst schnell Arbeits- und Verantwortungspakete zur Entlastung an das Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung in Diez abgeben zu können. Es ist von Anfang an Absicht gewesen, die Verantwortlichkeiten so weit wie möglich zu bündeln - nicht nur den Auftrag zu geben, sondern auch die zugehörigen Ressourcen abzuschichten. Die letzten zwei Tage haben gezeigt, dass das Einvernehmen innerhalb des großen Stabes gut ist. Es ist sicherlich aus Sicht des Sanitätsamtes der Bundeswehr nicht ganz leicht, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, in nicht allzu ferner Zukunft in Koblenz seinen Dienst zu tun, wenn man sich über lange Jahre in München eingerichtet hat - dienstlich und auch privat mit den Familien. Die Botschaft sollte aber auch sein: Sie sind hier gerne gesehen, wir sind ihre Kameradinnen und Kameraden und die Zusammenarbeit wird funktionieren. Die Richtung stimmt bereits. Aber nun kommt es darauf an, aus einem vernünftigen Miteinander auch einen administrativen „Output“ zu kreieren, und das auch in die Steuerung unserer regionalen Sanitätseinrichtungen sowie der Krankenhäuser einfließen zu lassen. Was die Sanitätstruppe betrifft, mache ich mir eigentlich keine Sorgen. Das Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung in Weißenfels ist gut aufgestellt, und die Aufträge für die Regimenter sind klar. Hier bin ich sehr zuversichtlich. Unser Hauptaugenmerk wird auf der präklinischen und klinischen Kuration liegen müssen.

WM: Herr Generalarzt, das ist ein erster Blick in das innere Geflecht des Organisationsbereichs. Im Rahmen der neuen Struktur ist u. a. das Bundesministerium der Verteidigung verschlankt worden und es wurden neue Organisationsbereiche geschaffen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den anderen „Playern“ in der neuen Struktur, beispielsweise mit den neuen ministeriellen Abteilungen oder dem Bundesamt für Ausstattung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr ebenfalls in Koblenz?

GOSA Dr. Patschke: Ich habe noch keinen Fall erlebt, dass wir mit Abteilungen des neuen Ministeriums oder mit neu geschaffenen Bundesämtern Schwierigkeiten bekommen hätten. Der Wille zur Kooperation und der Wille, „dass es klappt“, ist überall spürbar - bei uns und bei den anderen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist jedoch, dass wir in einigen Bereichen noch nicht so richtig die Berührungspunkte gefunden haben; wobei das „schlecht“ in diesem Zusammenhang nur relativ zu sehen ist. Beim Thema der Führung der Bundeswehrkrankenhäuser haben wir schon sehr frühzeitig festgestellt, dass dies nicht nur eine Sache des Sanitätsdienstes ist. Auch andere Bereiche - Personalführung mit der auch künftig großen Ressource Zivilpersonal oder auch die Beschaffer - sind hier maßgeblich involviert und es gilt, jeweils möglichst hoch in den Hierarchieebenen sogenannte „Special Points of Contact“ zu schaffen. Diese sind teilweise für uns noch nicht erkennbar ausgebracht. Ich stelle jedoch fest, dass daraus bisher noch keine unüberbrückbaren Schwierigkeiten erwachsen sind. Auch hier heißt es, Fugen zu glätten und reibungslose Abläufe sicherzustellen.

WM: Daran anknüpfend eine Frage, die ein wenig die emotionale Ebene betrifft: Sie sind angetreten mit dem Anspruch, jeden Einzelnen „mitzunehmen“. Ich denke, das ist auch das, was Sie auszeichnet - auf die Menschen zuzugehen und zuzuhören. Was bekommen Sie an Rückmeldung? Was bewegt die einzelnen Personen, gerade jetzt in der neuen Struktur und in der Anfangsphase?

GOSA Dr. Patschke: Es ist schon unterschiedlich. Wenn ich in die Truppe komme - ich war unlängst zum Truppenbesuch im Regiment in Rennerod -, dann höre ich dort von den Spießen doch Skepsis, was die Nachbesetzung bei den jungen Leuten - Freiwillig Wehrdienstleistende, Feldwebelanwärter - und die Qualifizierung unseres Nachwuchses anbelangt. Ich habe an anderer Stelle Gespräche geführt, die diese Einschätzung im Grundsatz bestätigen. Daher will ich die Idee einer Kompaniefeldwebeltagung wieder aufleben lassen, um mit den Spießen allgemein über solche Problematiken zu sprechen, die sie zu Recht umtreiben. Gleichwohl ist der Wille in den Regimentern, die Dinge zu schultern, nach wie vor da, und das ist essentiell, auch in solchen Umbruchzeiten. Das ist auch das, was die Sanitätstruppe schon immer ausgezeichnet hat, in dieser Weise zu denken und zu handeln. Bei den regionalen Sanitätseinrichtungen stelle ich in der anstehenden Phase der Veränderungen oftmals eine abwartende Haltung fest. Bis zur Jahresmitte soll feststehen, welche Einrichtung bleibt, in welchem Umfang und wo wir, regional gesehen, eine Betreuung aufgeben und uns an eine zivile Versorgungsmöglichkeit anhängen müssen. Allerdings wird dies nur wenige Dienststellen betreffen. Aber wir haben natürlich die Phase des personellen Mangels bei weitem noch nicht hinter uns gelassen, und dies eint im Augenblick die gesamte Bundeswehr. Wir haben noch die Strukturen der größeren Streitkräfte, sind vom Personalkörper aber bereits geschrumpft auf die Zielstruktur. Damit ist in vielen Fällen „die Jacke zu weit“, weil der Körper, der sie tragen muss, eben schon kleiner geworden ist. Gerade die Regimenter spüren, dass ihnen die Mannschaftsdienstgrade fehlen und klagen darüber. Ich kann nur sagen: „Haltet durch!“ Der Abbau von Dienstposten für Mannschaften zugunsten von Unteroffiziersstellen ist beabsichtigt, und wir müssen durch Konzentration der Aufgaben Zwischenlösungen finden, bevor wir dann über die tatsächliche strukturelle Veränderung wieder in eine bessere Situation münden werden. Ich würde schon sagen, dass es nach wie vor ein „Mitnehmen“ gibt, ich glaube aber auch, dass es auch ein „Abwarten“ in unserem Sanitätsdienst gibt. Ich möchte hinzufügen, dass wir jetzt eine Studie zur Berufszufriedenheit unserer Soldatinnen und Soldaten auflegen wollen. Dieses Thema betrifft nicht nur unsere Sanitätsoffiziere. Es muss auch unsere Feldwebel betreffen, denn wir dürfen uns in all‘ unseren Bemühungen um Attraktivität nicht nur auf Sanitätsoffiziere - und dort vor allem auf die Kliniker - konzentrieren. Wir müssen alle Angehörigen des Sanitätsdienstes berücksichtigen und „mitnehmen“. Der Pflegenotstand steht vor der Tür und nur, wenn wir attraktiv sind und bleiben, werden wir auch unser Pflegepersonal halten können. Auch dazu dient diese Studie. Sie ist im Genehmigungsprozess schon weit gediehen, und ich hoffe, dass wir sie in Kürze ausschreiben und in Auftrag geben können. Absicht dieser extern durchzuführenden Studie wird es sein, die Stimmungslage im Sanitätsdienst offenzulegen und daraus Schlüsse zum weiteren Handeln zu ziehen. Ich glaube, das ist auch ein Beitrag zur „inneren Hygiene“. Wenn wir unsere Mitarbeiter fragen, wie es ihnen bei uns gefällt, dann fühlen sie sich, ja dann werden sie „mitgenommen“.

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 Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2013
6 INTERVIEW MIT DEM INSPEKTEUR DES SANITÄTSDIENSTES DER BUNDESWEHR, GENERALOBERSTABSARZT DR. INGO PATSCHKE
Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Interview mit Verlegerin Heike Lange
und dem Chefredakteur Oberfeldarzt Dr. Kai Schmidt.
Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke bei der Truppe.

 

WM: Koblenz entwickelt sich durch die Strukturentscheidungen des Bundesministers der Verteidigung zu „dem Sanitätsstandort“ in Deutschland. Insgesamt ist im Sanitätsdienst eine Konzentration auf weniger Standorte zu beobachten. Kann dies Motivation und Berufszufriedenheit der Angehörigen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr positiv beeinflussen? Was bedeutet diese Standortkonzentration für den truppenärztlichen Versorgungsauftrag?

GOSA Dr. Patschke: Zunächst einmal glaube ich schon, dass eine Konzentration auf weniger Standorte die Berufszufriedenheit beeinflussen wird - und zwar in der einen, wie in der anderen Weise. Wenn man erst einmal „da“ ist, wenn man erst einmal an einem Standort wie Koblenz ist, als Familie oder als jemand, der Karriere machen will, dann ist das eine angenehme Situation. Aber man muss natürlich erst einmal dort angelangt sein. Das heißt, bis dahin muss die/der Einzelne, muss die gesamte Familie Veränderungen hinnehmen und sich darauf auch einstellen können. Ich glaube, dass dies in den überwiegenden Fällen gelingen wird, denn der langandauernde Neuausrichtungsprozess gibt uns etwas Zeit. Für viele - und Sie haben die regionale Versorgung angesprochen - wird die berufliche und private Umorientierung 2015 und 2016 stattfinden. D. h. man hat nun Zeit, um mit seiner Familie zu planen und ggf. zu dem Schluss zu kommen, an diesem Ort wird für mich keine berufliche Möglichkeit mehr sein, wir müssen mittelfristig umziehen. Das halte ich für möglich. Ich vertraue auch darauf, dass wir eine längere Struktursicherheit haben. Ich bin mir mit all‘ meinen Inspekteur-Kameraden darüber einig, dass eine neuerliche Runde einer Bundeswehrstruktur, die zeitnah erfolgen würde, auf absolutes Unverständnis unserer Soldatinnen und Soldaten treffen würde.
Was die regionale Versorgung anbelangt, wird es in der Tat für einzelne kleine Standorte darauf ankommen, eine Lösung zu finden - und zwar eine Lösung außerhalb des Sanitätsdienstes. Das betrifft jetzt weniger uns als Dienstleister, sondern es betrifft alle Soldatinnen und Soldaten an bestimmten Standorten als Patientinnen oder Patienten. Hier sind wir nach wie vor im Gespräch. Wir prüfen zur Zeit, ob wir ggf. selbst noch eine Weile an bestimmten Standorten stationiert bleiben müssen, obwohl die Versorgungsstärke eigentlich zu gering ist, um eine eigene Sanitätseinrichtung zu rechtfertigen, wir dort jedoch aktuell kein Kooperationsmodell mit dem zivilen Bereich schaffen können oder noch keine verlässliche zivile Struktur haben, der wir unsere Soldatinnen und Soldaten anvertrauen können. Wenn das so ist, müssen wir sicherlich noch einmal in die Versorgungsverträge hineinsehen, ob die aktuellen Abschlüsse nach unseren Dienstvorschriften tatsächlich so tragfähig, so attraktiv sind, dass ein ziviler Arzt die Betreuung nach unseren Vorstellungen übernehmen kann.

WM: Herr Generalarzt, die Zeitachse der Einnahme der neuen Struktur haben Sie bereits angesprochen. Während das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr in Koblenz sowie die Fähigkeitskommandos in Diez und Weißenfels bereits aufgestellt worden sind, liegen die Neustrukturierungen der sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtungen und der Sanitätstruppe noch in relativ weiter Zukunft. Was können Sie den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sagen, die noch keine zukunftssicheren Dienstposten bekleiden, doch gleichwohl zusätzliche Aufgaben aufzulösender Dienststellen zu übernehmen haben?

GOSA Dr. Patschke: Die Botschaft ist nicht leicht zu vermitteln, weil Auflösung und Unsicherheit immer unangenehme Begleiter sind. Auflösung ist auch immer verbunden mit einem emotionalen Abschiedsakt. Man hängt meistens an seiner Dienststelle. Auflösung ist auch manchmal mit dem Gefühl verbunden, man sei einer von den letzten, die noch Dienst auf einem „sinkenden Schiff“ tun, während andere schon das „rettende, attraktive Ufer“ erreicht haben. Wir müssen natürlich sicherstellen, diesen Eindruck zu vermeiden, indem wir über die Personalsteuerungsorganisation versuchen, möglichst frühzeitig Bedürfnisse zu erfassen und eine sichere Zukunft zu geben. Z.B. darf es nicht so sein, dass ein Regiment „alter Art“ mit sicherem Standort mit seinem Personal alle Schlüsseldienstposten attraktiv besetzt und andere, die dann ggf. aus aufzulösenden Standorten zuversetzt werden, nur noch das bekommen, „was übrig bleibt“. Hier muss beim Aufwuchs der neuen Regimenter ein Kompromiss gefunden werden. Es müssen Dienstposten freigehalten werden für Kameraden aus aufzulösenden Dienststellen. Das heißt aber auch, „Hinnahme von Mangel“, auch in der Auftragserfüllung, sowohl für die Regimenter, die aufgelöst werden, als auch für die Verbände, die aufgestellt oder verlegt werden. Es wird also eine Phase der Belastung und sicherlich auch der Unzufriedenheit geben. Das heißt für die Disziplinarvorgesetzten, für mich: Hier muss sich gekümmert werden. Man kann nicht alles auf die Steuerkopforganisation abschieben. Hier muss man als Chef, als Kommandeur selbst aktiv werden. Für die regionalen Sanitätseinrichtungen gilt dies gleichermaßen. Und man muss auch ein Geschick dafür entwickeln, Aufträge zu verdichten. Wenn ich noch drei Kompanien eines Regimentes habe, allerdings nur noch Personal für zwei oder gar anderthalb Einheiten, dann muss ich Kompanien schließen und versuchen, das Material so früh wie möglich abzusteuern. Ggf. muss ich dann auch einmal sagen, dass ein Auftrag nicht mehr durchführbar ist. Das gilt natürlich nur begrenzt für die Regimenter, die zukünftig noch einer Einsatzverpflichtung nachkommen müssen. Doch diese Problematik haben wir - so weit als möglich - in den zeit­lichen Staffelungen der Auflösungspläne unserer Truppenteile berücksichtigt. Die Verbände, Einheiten oder regionalen Versorgungseinrichtungen, die neu geschaffen werden, werden wir eben aufbauen. Aber in diesem Zusammenhang sehe ich, von den Regionalitätsprinzipien her, keine schwerwiegenden Probleme.

WM: Herr Generalarzt, das Jahr 2013 hat gerade begonnen. Der Jahresbeginn ist immer eine Zäsur: Zum einen blickt man zurück, zum anderen fasst man Vorsätze. Welche Schwerpunkte oder Ziele haben Sie sich für 2013 gesetzt und eventuell auch darüber hinaus?

GOSA Dr. Patschke: Für 2013 habe ich drei große Zielblöcke avisiert. Zum einen geht es um Multinationalität. Der Sanitätsdienst wird sich unter dem Gesichtspunkt der Ressourcenreduzierung immer mehr mit anderen Sanitätsdiensten verzahnen müssen. Und wir haben ja viele befreundete Nationen, die hier zur Kooperation bereit sind. Da sind die US-Amerikaner, die uns z.B. morgen besuchen werden, und wo wir auf dem Weg sind, einen Verbindungsoffizier im Pentagon zu etablieren, um unser Miteinander und die Kooperationen zu stärken. Da sind die Franzosen. Aktuell ist in diesem Zusammenhang das Thema Mali in aller Munde. Wir werden in 2013 zwei multinationale Übungen in Deutschland fahren. Die eine erstmalig zusammen mit den Österreichern und den Schweizern im Allgäu in Vorbereitung des Langenargener Symposiums. Und wir führen eine Übung in Feldkirchen durch, zusammen mit Frankreich, um die NATO-Konzepte „Smart Defense“ und „Pooling and Sharing“ auch in unserem Bereich voranzutreiben. Andere Nationen, wie die Chinesen, werden uns höchstwahrscheinlich besuchen. Das andere große Thema ist das Weiterverfolgen der Strukturentwicklungen unseres Sanitätsdienstes. Zur Jahresmitte wird unsere Sanitätsakademie der Bundeswehr im neuen Kleid aufgestellt - unter Führung eines Zwei-Sterne-Generals. Hier wird es eine Neuordnung der Ausbildungs- und Forschungslandschaft geben. Aber auch dann sind wir noch nicht am Ende, was die Neuformatierung unseres Sanitätsdienstes betrifft. Wir werden unsere Zusammenarbeit mit den Sanitätsdiensten der anderen Teilstreitkräfte anpassen, ja modernisieren und bündeln - Stichwort: Institutslandschaften. Hier werden wir zukünftig gewinnbringend kooperieren, da gibt es durchaus Möglichkeiten. Das Dritte ist ein Punkt, den wir unbedingt liefern müssen - und zwar Qualität. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben in den letzten ein, zwei Jahren ohne Klage tapfer durchgehalten - obwohl die Strukturen gerade „am Schwimmen“ waren und obwohl es bis heute eigentlich noch nicht so viele Dinge gibt, die sich grundlegend und spürbar für die Einzelne und den Einzelnen verbessert haben. Vielmehr haben sie einfach „mitgezogen“, und dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Aber mir ist auch klar, dass wir jetzt aus der Phase der Ankündigungen heraustreten müssen. Wir müssen den Soldatinnen und Soldaten eine Perspektive geben - das, was sie angesprochen haben: „Wo komme ich hin?“, „Wie kann ich das leisten?“, „Bringt es auch für mich eine Verbesserung?“. Das betrifft alle. Das betrifft auch die Krankenhäuser, die erst später umstrukturiert werden. Aber man muss auch hier sagen: „Wir sind in der Planung - Ihr seid beteiligt.“, „Das ist der Plan - auch im Detail, für jeden Einzelnen.“, „Da müssen wir dieses Jahr hinkommen.“

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 Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff, sowie Generalarzt Dr. Michael Tempel beim Indienststellungsappell des Kommandos Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung auf dem Marktplatz in Weißenfels.

 

WM: Sie haben auf zwei Fragen aus unserem Fragenkatalog schon geantwortet. Stichworte: Multinationalität und Zusammenarbeit mit den USA. Es ist einer Ihrer Schwerpunkte, die Zusammenarbeit mit den Amerikanern anders aufzustellen und zu intensivieren. Was ist aus Ihrer Sicht ein möglicher direkter Vorteil für den deutschen Sanitätsdienst in der Zusammenarbeit mit den Amerikanern, und wie ist da die Perspektive?

GOSA Dr. Patschke: Ein großer Vorteil für uns ist sicher das Thema „Wissenstransfer“. Einen praktischen Vorteil stellt im Augenblick natürlich die gute Zusammenarbeit in Afghanistan dar. Und die Bereitstellung von US-Blackhawk-Hubschraubern zur „Aero-Medical-Evacuation“, also zum Verwundetenlufttransport, ist hier das sichtbarste Zeichen. Aber die Amerikaner sind natürlich eine Nation, die, was die Forschungsansätze und auch deren Kriegserfahrungen angeht, eine immense Erfahrung aufweisen. Über die gemeinsame Teilhabe an den Trauma-Datenbanken werden wir viel von den Amerikanern, aber auch von den Briten, lernen können. Wir selbst sind dabei, eine entsprechende Datenbank, adaptiert an die Erfahrungen der Alliierten, aufzubauen, um auf vielfältige Fragenkomplexe bessere Antworten bekommen zu können. Nach der aktuellen Fragestellung der „Posttraumatischen Belastungsstörungen“, die bei den Amerikanern schon seit dem Vietnamkrieg intensiv behandelt wurde, ist es jetzt die Fragestellung nach den „Brain Injuries“, der Hirnschädigung durch Verletzungen und Schädelprellungen. Dem gehen die Amerikaner mit einem enormen Ressourcenaufwand nach, weil sie sagen, hier könnte es Interferenzen zu posttraumatischen Störungen sowie Spätfolgen geben. Ich weise in diesem Zusammenhang auf Erfahrungen in der amerikanischen Football League hin, wo durch häufige Kopfstöße - trotz Helmpflicht - viele Fälle von Schlaganfall, Frühdemenz etc. auftreten und eine riesige Klagewelle bevorsteht. Dem wollen die Amerikaner im militärischen Bereich vorbeugen und leisten enorme Forschungsarbeit. Da müssen wir uns dranhängen. Als anderes Beispiel nenne ich Hörschädigungen. Die Amerikaner haben festgestellt, dass durch Gefechtshandlungen sowohl der individuelle Schaden für den Soldaten, als auch der volkswirtschaftliche Schaden durch soziale und berufliche Nichtteilhabe enorme Kosten verursacht. Auch hier sind wir gerade über das Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz und eine entsprechende NATO Working Group in sehr engem Kontakt mit unseren amerikanischen Freunden. Das sind aktuelle Beispiele für extrem interessante medizinische Entwicklungen, die wir ohne das amerikanische Interesse so in dieser Form vielleicht gar nicht verfolgen könnten.

WM: Herr Generalarzt, eine Frage im Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Wie bewerten Sie die Nachwuchssituation für unseren Sanitätsdienst und wie wollen Sie den Wettbewerb um die besten Köpfe gegenüber zivilen Arbeitgebern gewinnen?

GOSA Dr. Patschke: Beim Thema Demografie bin ich etwas irritiert. In der gestrigen Tagespresse war zu lesen, dass nunmehr im zweiten Jahr in Folge, die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland gewachsen sei, und zwar nicht durch Geburten, sondern durch Zuzug von Immigranten. Man muss tatsächlich abwarten, wie sich die Dinge wirklich entwickeln. Immigration und Staatsbürgerschaft kann ja auch zu einem Mitwirken im Sanitätsdienst führen. Wir haben im deutschen Sanitätsdienst fantastische Frauen und Männer mit Migrationshintergrund. Wenn das nicht tragfähig genug ist, und davon gehe ich zurzeit noch aus, dann müssen wir zwei Dinge tun: Erstens müssen wir verstärkt auf unsere Frauen setzen. Wir sind der einzige Anteil in den Streitkräften, der mit Heilberufen noch-typische Frauenberufe bietet. Wir haben auch schon einen großen Anteil an Frauen bei uns in der Bundeswehr und speziell im Sanitätsdienst. D. h. wir sind, verglichen mit anderen, so gesehen „demografiefester“. Das ist ein großer Vorteil. Wir sind deswegen vielleicht, wenn es eng wird, länger durchhaltefähig - auch was unsere derzeitigen Strukturen betrifft. Wir sind der Bereich in den Streitkräften, der wegen eines hohen Frauenanteils auf der Zeitachse verlässlich Leistungen bringen kann - und zwar gute Leistungen. Das bedeutet aber auch, wir müssen gerade für Frauen, unter dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Dienst, attraktive Modelle schaffen. Das Thema Betriebskindergärten ist z. B. etwas, was im zivilen Bereich oft aufgegriffen wird und neben dem Thema Besoldung sicher einen wichtigen Faktor darstellt. Hier müssen wir in unseren Krankenhäusern und auch ansonsten vorankommen. Wenn wir ein Regiment nehmen und haben einen Kindergarten am Standort, dann kann man, wenn man von den Übungszeiträumen einmal absieht, relativ verlässliche Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder vorsehen. Für die Kliniken gilt Ähnliches. Hier kommen noch die Themen „Schichtdienst“ und „früher Arbeitsbeginn“ hinzu. Man muss eben mit den Kindergärten entsprechende Arrangements treffen. Ich weiß, dass der Dienstherr hier dran ist, aber es wird für uns sicherlich ein entscheidender Punkt sein, hier gute Bedingungen anbieten zu können. Das andere ist natürlich: Attraktivität und Berufszufriedenheit. Ich glaube, dass wir in vielen Fällen sehr wohl konkurrenzfähig mit dem zivilen Bereich sind. Wir haben insgesamt eine gute Ausbildung. Ich glaube, dass wir ferner ein gutes Betriebsklima haben. Die Gehaltssituation ist aus meiner Sicht, zumindest für die Ärzteschaft, gut. Wenn man Vergleichstabellen für Einkommensverhältnisse für niedergelassene Ärzte aus diversen Publikationen heranzieht, so denke ich, dass wir im Augenblick durchaus konkurrenzfähig sind. Ich will aber noch erreichen, dass wir in der Zukunft an vielleicht unattraktiveren Standorten durch eine zivil-militärische Verzahnung weitere Möglichkeiten für unsere Ärzte in den regionalen Sanitätseinrichtungen schaffen: Zugang zu einem anderen Patientenklientel und vielleicht damit zu weiteren finanziellen Möglichkeiten. Aber es geht natürlich auch um unsere Feldwebel. Hierauf müssen wir unser Augenmerk richten. Hier müssen wir u.a. beim Thema „Akademisierung der Heil- und Pflegeberufe“ einsteigen. Das ist in der Planung. Wir wollen z. B. in den Krankenhäusern die „Chief Nurse“ und somit entsprechende Berufsbilder akademisieren. Das hat natürlich auch Konsequenzen im Laufbahnrecht. Das sind „dicke Bretter, die gebohrt“ werden müssen. Ich glaube aber, dass sie langfristig unumgänglich sind. Wir haben gute Feldwebel, hervorragende Feldwebel, und die müssen wir fördern können. Denen müssen wir eine Plattform geben, so wie wir den Fachdienstoffizieren bereits heute einen anderen Stellenwert beimessen. Was wir hier jahrelang verfolgt haben, müssen wir jetzt auch für unsere Feldwebel tun. Das beinhaltet aber gleichzeitig, dass die Feldwebel etwas aktiver darangehen und sagen: „Ja, wir wollen einen Rettungsassistenten-Kongress haben!“. Dann bin ich auch gerne bereit, aktiv zu unterstützen.

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 Im Gespräch mit Soldaten des Sanitätsdienstes.

 

WM: In der Vorweihnachtszeit hat unser Bundespräsident Afghanistan, die deutschen Soldatinnen und Soldaten sowie die deutschen Zivilisten, die in Afghanistan eingesetzt sind und arbeiten, besucht. Er hat dabei konstatiert, dass es in der deutschen Bevölkerung bedauerlicherweise keine selbstverständliche Bereitschaft zum Dienen und zur Hingabe gibt. Sehen Sie insbesondere für den Sanitätsdienst der Bundeswehr, mit seinem helfenden humanitären Grundauftrag, da vielleicht sogar einen Vorteil gegenüber anderen öffentlichen Bereichen oder anderen Bereichen der Streitkräfte?

GOSA Dr. Patschke: In der Tat. Die Sinnhaftigkeit unseres Dienstes ist eigentlich sichtbar, für jeden sichtbar – egal, ob er tatsächlich im Auslandseinsatz ist, oder ob er in Deutschland Dienst tut. Wer kurativ tätig ist, weiß was er tut. Die Dankbarkeit der Bedürftigen, d.h. der verwundeten und erkrankten Soldatinnen und Soldaten, ist ihr/ihm, meine ich, immer sicher. Daraus ziehen wir als „Heilberufler“ ja auch unsere Befriedigung - als Feldwebeldienstgrad und als Sanitätsoffizier. Natürlich gibt es auch administrative Dienstposten in der Truppe, die nicht so nahe am Patienten sind. Gleichwohl ist leicht ersichtlich, dass auch diese im Rahmen der Rettungskette eine wesentliche Rolle spielen. Letztendlich kommt es auf alle Glieder in dieser Kette an. Insofern glaube ich schon, dass wir als Sanitätsdienst auch an dieser Art der „Satisfaktion durch das Helfen“ partizipieren.
Insgesamt ist die Bevölkerung nicht nur egoistisch. Wenn wir sehen, wie viele Menschen sich in Deutschland in ehrenamtlicher Tätigkeit engagieren - und die Zahl ist zunehmend -, dann sieht man eigentlich zwei Trends: Der eine ist eine Entstaatlichung - also weg vom Staat. Der Staat betreibt es ja in vielen Fällen, indem er Aufgaben „zivilisiert“, abgibt, „outsourced“, etc. Das vollziehen in vielen Fällen auch unsere Bürger nach. Auf der anderen Seite gibt es immer noch Empathie, immer noch die Bereitschaft, etwas zu tun. Für viele erschließt sich das zum ersten Mal im Auslandseinsatz. Dann sind sie durchaus verblüfft und auch begeistert, was man an Mitmenschlichkeit in einem Einsatz erleben kann. Aber dafür muss man erst einmal Soldatin/Soldat sein. Das ist unser Geheimnis. Dieses Geheimnis nach außen zu tragen, diese Kameradschaft und auch das Miteinander sowie, für den Sanitätsdienst, das Helfen - auch das Helfen unter Lebensgefahr und die Empathie und die Dankbarkeit, die man zurückbekommt - das ist durchaus ein großer Gewinn für jeden Einzelnen.

WM: Sie haben viele verschiedene Facetten aus dem Sanitätsdienst und auch aus seiner neuen Struktur dargelegt. Könnten Sie summa summarum den Leserinnen und Lesern sagen, welchen Einfluss die Neuausrichtung der Bundeswehr - und hier insbesondere die des Sanitätsdienstes - auf die Auftragserfüllung im Einsatz und im Inland hat?

GOSA Dr. Patschke: Ich glaube, dass wir mit der Neustrukturierung unsere Auslandseinsätze reaktionsschneller, aber mit der gleichen, hohen Qualität bedienen können, und dass wir den „Lessons Learned“-Prozess durch die Konzentration auf eine Truppenstelle, ein Leitkommando, besser bedienen können, als wir das vorher getan haben. Bei der Inlandsversorgung bin ich mir - was die Bundeswehr-Krankenhäuser betrifft - sicher, dass wir weiterhin gute Arbeit leisten können. Ich glaube, dass wir unsere Krankenhäuser zukunftssicher positionieren können. Was die präklinische Versorgung betrifft - also die regionalen Sanitätseinrichtungen - bin ich zuversichtlich, dass wir in den Einrichtungen, die wir selbst zukünftig mit wenigstens drei Truppenärzten und mindestens zwei Truppenzahnärzten „robust“ betreiben wollen, mehr Zufriedenheit sowohl bei den Patienten, als auch bei den Behandlerinnen/Behandlern und deren Assistenzen erreichen werden. Keine tragfähige Aussage kann ich zurzeit für den prozentual geringen Anteil an Soldatinnen oder Soldaten machen, die wir in die zivile Hand geben müssen. Hier ist es natürlich mein Ziel, von uns aus so viel Service und so viel Dienstleistung wie möglich anzubieten - Stichwort Impftrupps, Begutachtung, etc. - und auf der anderen Seite auch entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich unsere kranken Soldatinnen und Soldaten auch dort wohlfühlen werden.

WM: Herr Generalarzt, eine letzte Frage: Insbesondere in Afghanistan erlebten und erleben die Angehörigen der Bundeswehr - und damit auch die des Sanitätsdienstes - die Folgen asymmetrischer Konflikte. Es gab und gibt viele verletzte und verwundete Koalitionssoldaten und auch gefallene Kameraden. Deutsche Truppen wurden und werden in Gefechtssituationen verwickelt. Neben dem Primärauftrag des Helfens und des Heilens waren Sanitätssoldatinnen und Sanitätssoldaten auch immer wieder darauf angewiesen, zur Verteidigung ihrer selbst sowie der anvertrauten Patienten kämpfen zu müssen. Wie beeinflusst dieses besondere Spannungsfeld „zwischen Hippokrates und Krieg“ das berufliche Selbstverständnis von Angehörigen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr?

GOSA Dr. Patschke: Das ist eine in der Tat schwierige Frage, für die man in der Beantwortung und auch der Vorbereitung unserer Soldatinnen und Soldaten, die in die Einsätze gehen, nur Rahmenbedingungen schaffen kann. Letztendlich wird es immer wieder auf die Individualsituation ankommen, in der eine Soldatin/ein Soldat handeln muss. Was wir der Soldatin oder dem Soldaten mit auf den Weg geben können, ist, dass wir ihr/ihm sagen: „Du bist aus der hippokratischen Verpflichtung, also aus der Verpflichtung zu heilen und zu helfen, nicht entlassen!“. Auch nicht, wenn es sich um einen Feind handelt. Dies steht im Einklang mit der Genfer Konvention. Sie/Er ist aber auch verpflichtet, sich als Ärztin/Arzt für seine anvertrauten Patientinnen und Patienten einzusetzen. Das kann im Zweifelsfall bedeuten, zur Waffe zu greifen. Wir müssen ihm sagen, dass er als Sanitätsfeldwebel oder als Sanitätsoffizier nicht an den Befehl einer Kampfhandlung dergestalt gebunden ist, dass er sich an einem Feuerkampf beteiligen muss, sondern dass er sich an diesem Feuerkampf beteiligen kann. Und zwar so, wie es sein Gewissen, sein hippokratischer Eid sowie seine Verpflichtung gegenüber sich selbst, gegenüber seinen Kameradinnen und Kameraden und gegenüber seinen Patientinnen/Patienten zulassen. Unsere Verantwortung ist es, unsere Soldatinnen und Soldaten dazu zu befähigen. Ich denke, dass das neue Schießausbildungskonzept ein gutes Beispiel dafür ist, wie auch unsere Sanitätsoffiziere und unsere Feldwebel hier ausgebildet werden können - und müssen. Der Kopf kann somit ein Stück weit frei für diese „ethischen Entscheidungen“ bleiben. Wenn ich nur noch panisch handele, weil ich eigentlich mit meiner Waffe nicht richtig umgehen kann, eigentlich nicht weiß, wie meine Rolle im Trupp ist, dann habe ich für die Frage, „Schieße ich?“ oder „Schieße ich nicht?“ oder „Gebe ich Warnschüsse ab, um den Gegner in eine Deckung zu zwingen?“ oder „Nehme ich den Tod des Gegners bewusst in Kauf?“, zu wenig Zeit. Deswegen ist die Vorausbildung unserer Soldatinnen und Soldaten so enorm wichtig.

WM: Herr Generalarzt, wir bedanken uns recht herzlich für dieses Interview und die Einblicke, die Sie unseren Leserinnen und Lesern vermittelt haben.

 

Datum: 25.06.2013

Quelle:

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2013/1

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