"OHNE EINEN LEISTUNGSFÄHIGEN SANITÄTSDIENST SIND DIE AUSLANDSEINSÄTZE DER BUNDESWEHR NICHT DENKBAR"
Interview mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan
WM: Die Veränderungen in der sicherheitspolitischen Weltlage haben eine tiefgreifende Transformation der Bundeswehr notwendig gemacht. Welche Veränderungen hat dieser Prozess für das Gesamtgefüge der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche mit sich gebracht?
General Wolfgang Schneiderhan im Gespräch mit der Gecshäftführerin des Beta-Verlages, Heike Lange anlässlich der 7. Arbeitstagung der Offiziere im Sanitätsdienst des Nordens am 5. März 2009 in Damp (Foto Kristin Hampicke)
General Schneiderhan: Die Transformation der Bundeswehr ist bildlich gesprochen die Lehre aus der Veränderung des sicherheitspolitischen Umfelds seit 1989 mit den zunehmenden Forderungen an Multinationalität, Vernetzung, technologischem Fortschritt und Globalisierung und vor allem den Einsätzen der Bundeswehr. Ein wesentliches Element der Neuausrichtung ist die aufgabenbezogene Differenzierung der Streitkräfte in Kräftekategorien. Damit ist es gelungen, uns auf ein breites Spektrum an Aufgaben auszurichten, von der Landesverteidigung bis zu Einsätzen der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung.
Die Zusammenfassung von querschnittlichen Fähigkeiten in der Streitkräftebasis, wie auch die Zentralisierung der Aufgaben im Sanitätsdienst waren der richtige Weg. Gerade in diesen Bereichen konnten die klassischen Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine von allgemeinen Aufgaben entlastet werden, um so effizienter zu handeln und sich auf ihre militärischen Kernaufgaben zu konzentrieren. Anfängliche Befürchtungen sind jedoch der allgemeinen Erkenntnis gewichen, dass unser Gesamtansatz in vielen Bereichen zweckmäßig und zur Normalität geworden ist. Die Bereiche Logistik, Zivil-Militärische Zusammenarbeit und die Leistungen des Zentralen Sanitätsdienstes sind nur wenige Beispiele.
Dennoch sind wir noch längst nicht am Ende angekommen. Transformation ist ein fortlaufender und vorausschauender Prozess, die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen. Diesen Prozess müssen wir unverändert aktiv gestalten, um nicht Gefahr zu laufen, durch äußere Einflüsse fremdbestimmt zu werden. Wir müssen uns der sich verändernden Welt anpassen, nicht umgekehrt.
WM: Welche Entwicklung hat der Sanitätsdienst vollzogen, welche muss er noch vollziehen?
General Schneiderhan: Ohne einen leistungsfähigen Sanitätsdienst der Bundeswehr sind die Einsätze unserer Streitkräfte im weltweiten Aufgabenspektrum nicht denkbar. Die Bilanz sanitätsdienstlicher Versorgung, die seit Bestehen des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr im In- und Ausland vorgewiesen werden kann, ist beeindruckend. Sie ist eine wesentliche Grundlage politischer Entsendeentscheidungen.
Der sanitätsdienstliche Leistungsstandard hat der Bundeswehr als Ganzes auch international Reputation eingebracht. Kräfte und Mittel unseres Sanitätsdienstes dienen mittlerweile vielen alliierten Partnern als Orientierung. Die frühzeitige Bündelung der sanitätsdienstlichen Aufgaben des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr war trotz der gelegentlich zu hörenden Kritik ohne jede Frage die richtige Entscheidung.
Ein Vergleich der heutigen sanitätsdienstlichen Versorgung mit der Leistungsfähigkeit der Sanitätsdienste der einzelnen Teilstreitkräfte vor 2001 zeigt die gesteigerte Handlungsfähigkeit. Standardisierte Führungsund Einsatzgrundsätze, einheitliche Verfahren in Prävention und Behandlung, die Fähigkeit zur Bündelung von Kräften und Mitteln und die zentrale logistische Steuerung und Bewirtschaftung zeichnen den modernen Sanitätsdienst heute aus. Diese Merkmale, die nur durch eine zentrale Führung und Steuerung realisiert werden können, sind entscheidend für die verlässliche und kontinuierliche Funktionalität des Sanitätsdienstes im Streitkräfteverbund. Wichtig ist jetzt, dass wir den Zentralen Sanitätsdienst trotz der großen Herausforderungen und den damit verbundenen hohen Belastungen für das Personal zu - kunfts fähig gestalten.
WM: Der deutsche Sanitätsdienst im Auslandseinsatz wird oft als "Botschafter" im Gastland und als "Versicherung" für die eineingesetzten Soldaten bezeichnet. Er genießt dabei einen sehr guten Ruf. Hierdurch entsteht aber als Kehrseite eine teilweise hohe Belastung durch die Abwesenheit des Personals bei der Inlandsversorgung oder die gehäufte Trennung von der Familie, die sich um ihre Angehörigen sorgt. Kann dieser gordische Knoten durchschlagen werden?
General Wolfgang Schneiderhan im Gespräch mit einem Rettungsassistenten (Foto Michael Schreiner)
General Schneiderhan: Ich bin mir dabei sehr bewusst, dass die Einsatzbelastung für das Sanitätspersonal in weiten Bereichen sehr hoch ist. Dies führt zu wiederholter Trennung von der Familie und zu Abwesenheiten vom Dienstposten in Deutschland, auf dem ja auch der Realauftrag Gesundheitsversorgung kontinuierlich geleistet werden muss. Wir versuchen, durch gezielte Maßnahmen die Verwendungszeiten der Sanitätsoffiziere an einem Standort in Deutschland signifikant zu verlängern, um so zumindest im Inlandbetrieb die Abwesenheit von der Familie so gering wie möglich zu halten.
Bezüglich der Durchhaltefähigkeit der Leistungserbringung in Deutschland in den Bundeswehrkrankenhäusern und regionalen Sanitätseinrichtungen spielen allerdings einsatzbedingte Abwesenheiten des Personals nicht die zentrale Rolle. Diese sind nämlich organisatorisch weitgehend durch die Einrichtung von Dienstposten für Ergänzungspersonal kompensiert. Nur: Dienstposten alleine reichen nicht - sie müssen auch besetzt werden können. An diesem Punkt wird klar, dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr einer von vielen Arbeitgebern im deutschen und europäischen Gesundheitswesen ist. Die Thematik "Personalgewinnung und Personalbindung" ist ein Arbeitsschwerpunkt der Arbeitsgruppe Attraktivität und Funktionalität des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Wir wollen nicht nur qualifiziertes Personal gewinnen, sondern wir müssen es auch halten können. Ich erwarte, dass diese Arbeitsgruppe bis Jahresmitte eine Anzahl von Maßnahmen identifizieren wird, von denen einige auch kurzfristig realisiert werden können.
WM: Naturgemäß wirken besonders auf den Sanitätsdienst alle Veränderungen und Probleme des zivilen Gesundheitswesens ganz direkt ein. Dies macht sich besonders im Personalbereich bemerkbar. Der Prozess ist nur durch Maßnahmen innerhalb der Bundeswehr zu beeinflussen. Was kann die Bundeswehr vermitteln oder bieten, um den Sanitätsdienst für Bewerber aller Dienstgradgruppen - besonders aber für die Sanitätsoffiziere - weiter attraktiv zu machen?
General Schneiderhan: Dass sich Veränderungen des zivilen Gesundheitswesens unmittelbar auf den Sanitätsdienst der Bundeswehr auswirken, hat sich vor allem im vergangenen Jahr deutlich bemerkbar gemacht. Der in Deutschland immer klarer hervortretende Ärztemangel, der bis 2015 noch deutlich zunehmen wird, führt zu einer erhöhten Nachfrage nach qualifiziertem Personal, die gerade unseren besonders gut ausgebildeten Sanitätsoffizieren reizvolle Alternativen zum Dienst als Soldatin oder Soldat bietet. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die sich entschieden, die Streitkräfte zu verlassen war im Jahr 2008 bis in den Januar 2009 deutlich höher als zuvor. Diesem Trend müssen wir begegnen.
Erste Schritte konnten bereits realisiert werden, indem mit dem Dienstrechtsneuordnungs gesetz eine monatliche Zulage von 600 Euro für kurativ tätige Fachärzte und regelmäßig in Übung gehaltene Rettungsmediziner festgeschrieben, aber auch die Möglichkeit einer zivilen Verbeamtung für Zeitsoldaten an einen Zustimmungsvorbehalt des Verteidigungsministeriums geknüpft wurde.
WM: Die Bedeutung von PTBS in den Streitkräften hat sich aus einem jahrzehntelangen Tabu heraus zu einem weltweiten Problem entwickelt. Es ist heute bei uns auch so aktuell, dass es bereits im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Spielfilm verfilmt wurde. Welchen Stellenwert räumen Sie dieser Krankheit ein?
General Schneiderhan: In den Einsätzen sind unsere Soldatinnen und Soldaten nicht nur körperlichen, sondern auch besonderen seelischen Belastungen ausgesetzt. Die Bundeswehr nimmt diese Belastungen und deren mögliche Folgen sehr ernst - genauso ernst wie sichtbare Verletzungen oder Verwundungen. Es tut unseren Soldatinnen und Soldaten gut, wenn ihre Belastungen - auch angeregt durch den bewegenden Fernsehfilm "Willkommen zu Hause" - innerhalb der Streitkräfte und in der Öffentlichkeit thematisiert wird. Die Bundeswehr hat die Bedeutung von PTBS rechtzeitig erkannt und wir haben schnell und angemessen gehandelt. Das heißt nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen dürfen. So hat die Entschließung des Deutschen Bundestages zu PTBS vom Feb. 2009 uns z.B. geholfen, den geplanten Forschungs- und Kompetenzschwerpunkt PTBS am Institut für Medizinischen Arbeits- und Umweltschutz in Berlin vorzeitig zu realisieren.
WM: Haben wir Ihrer Beurteilung nach ausreichende gesetzliche Regelungen für diese oder andere Wehrdienstbeschädigungen im Auslandseinsatz?
General Schneiderhan: Die bestehenden gesetzlichen Regelungen halte ich für ausreichend. Sie tragen den besonderen Erfordernissen bei Wehrdienstbeschädigungen im Auslandseinsatz Rechnung. Die vorgesehenen Leistungen (z.B. Heilbehandlung, einkommensunabhängige und einkommensabhängige Renten, Fürsorgeleistungen) berücksichtigen die jeweilige gesundheitliche Schädigung betroffener Wehrdienstbeschädigter aller Statusgruppen und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen im notwendigen Maße. Vor allem durch das Einsatzversorgungsgesetz im Jahre 2004 wurden die versorgungsrechtlichen Regelungen stark verbessert.
Es hat sich in der Vergangenheit aber auch gezeigt, dass es Betroffene gibt, die nach einer Einsatzverletzung gerne weiter im Dienst verbleiben würden, wenn sie noch über ein Mindestmaß von Verwendungsfähigkeit verfügen. Solchen Soldatinnen und Soldaten wie auch Beamten und Arbeitnehmern der Bundeswehr wird daher durch das im Dezember 2007 in Kraft getretene Einsatz-Weiterverwendungsgesetz grundsätzlich ein beruflicher Verbleib in der Bundeswehr ermöglicht, wenn sie das wünschen.
WM: Herr General Schneiderhan, ich bedanke mich ganz herzlich für das Interview und für Ihre offenen und klaren Worte.
Datum: 01.04.2009
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/2