Im Westen nichts Neues? Und ob!
– Famulatur in einer französischen RegSanEinr
V. Kuhlwilm
Aus dem Sanitätsunterstützungszentrum Kiel (Leiter: Oberstarzt Dr. H.-P. Diller)
Anfang März 2017 begann mein Praktikum in der Antenne Médicale in Colmar, einer Außenstelle des Centre Médicale des Armées Nouvelle Génération (CMA NG Strasbourg) Diese Einrichtung ist einem deutschen Sanitätsversorgungszentrum vergleichbar und stellt die truppenärztliche Versorgung des französischen 152. Infanterieregiments sicher, einer Einheit mit langer Tradition zurück bis in den Ersten Weltkrieg. Insofern war ich schon etwas stolz darauf, in dieser Sanitätseinrichtung als deutscher SanOA vier Wochen gemeinsam mit französischen Sanitätern zu dienen und betrachte das als eine in höchstem Maße erfreuliche Entwicklung.
In Colmar angekommen, wurde ich von den dortigen Kameraden sehr herzlich begrüßt und mir wie selbstverständlich sogar von Général LEYCURE, dem Leiter des CMA NG Strasbourg, persönlich geholfen, mein Gepäck auf die Stube zu verbringen. Diese Geste hat mir persönlich sehr imponiert!
In der Antenne Médicale wurde ich rasch in das Team integriert und konnte gleich an der Versorgung der Patienten teilnehmen. Dabei begleitete ich stets einen der drei Ärzte und übernahm zunehmend Anamnese, Untersuchung und Therapieempfehlung. Keiner der Patienten störte sich an meiner Anwesenheit, im Gegenteil: viele fragten interessiert nach dem Hintergrund meines Aufenthalts. Bei der Patientenbetreuung gab es viele Parallelen zu den Verhältnissen in Deutschland. Ein für mich interessanter Aspekt war es zu beobachten, dass der Truppenarzt in beiden Armeen deutlich mehr Zeit für seine Patienten hat, als ein Allgemeinmediziner im Zivilen. Ich hatte zudem den Eindruck, dass der Truppenarzt in beiden Ländern aufwändigere und möglicherweise auch teurere Untersuchungen, wie z. B. ein MRT der Extremitäten, rascher anordnen kann als ein ziviler Kollege.Auch die Arbeitsweise in der Antenne Médicale war sehr ähnlich zu der in Deutschland: Ärzte und Assistenzpersonal, welches v. a. Voruntersuchungen, Blutentnahmen und Impfungen durchführte, arbeiteten eng zusammen. Französische Soldaten haben jedoch eine Krankenversicherung, sodass sie nicht zwingend zum Truppenarzt gehen müssen, sondern auch einen zivilen Allgemeinmediziner konsultieren können. Nur bei Dienstunfällen müssen die Soldaten zum Truppenarzt gehen. Das hatte zum einen zur Folge, dass es deutlich weniger Vorstellungen, z. B. wegen Erkältungskrankheiten gab und zum anderen, dass die französischen Ärzte deutlich mehr Überweisungen an zivile Kollegen und Rezeptierungen in zivile Apotheken tätigten. Der vorhandene Vorrat an Medikamenten wurde nur selten an die Patienten ausgegeben.
Die beiden wichtigsten Diagnosen scheinen mir in beiden Sanitätsdiensten sehr ähnlich zu sein, nämlich orthopädische Erkrankungen und solche aus dem psychischen Formenkreis. Beides ist wohl durch die hohe Belastung der Soldaten im Dienst zu erklären. Deshalb war es mir auch ein Anliegen, neben der truppenärztlichen Versorgung auch die infanteristische Ausbildung einschätzen zu lernen. Französische Sanitätsoffiziere schilderten mir nämlich, dass neben der wichtigen fachlichen Inübunghaltung die allgemeinmilitärische Ausbildung nur eine untergeordnete Rolle spielt, sodass es wichtig ist, jede Möglichkeit zu nutzen, seine soldatischen Fähigkeiten auszubauen. Auch dies gestaltete sich unkompliziert und so konnte ich an mehreren Vorhaben teilnehmen. Höhepunkt war die Teilnahme an einem Auswahlverfahren eines spezialisierten Zuges, der in etwa vergleichbar war mit den EGB-Kräften der Fallschirmjäger. Über dreieinhalb Tage wurden die Anwärter und ich auf Herz und Nieren geprüft. Angefangen von mehreren Sporttests, über Märsche, Orientieren und Stationsprüfungen (Abseilen, Waffen zusammensetzen, Funk, Infiltration, Sprengen, usw.) war dies eine sehr fordernde Prüfung, die ihren Abschluss in einem Kommandomarsch fand: 8 km mit Gepäck und Waffe im Laufschritt in unter 50 Minuten. Angetrieben von den Ausbildern mussten wir Teilnehmer unsere Reserven mobilisieren. Bei der Rückkehr in der Kaserne wartete dann noch eine letzte Aufgabe auf uns: Bodenkampf und Boxen. Sah es im Bodenkampf durch mein Judo noch gut aus für mich, so wendete sich das Blatt beim Boxen, da mein Gegenüber über 15 Jahren Boxerfahrung verfügte und diese Sportart auch im Sporttableau der Bundeswehr nicht unbedingt an erster Stelle steht. Doch auch dieser Aufgabe stellte ich mich und darum ging ja es in den vergangenen Tagen: Nicht nur antreten, sondern auch durchhalten und bestehen. Diese Erfahrung hat mich extrem bereichert, zumal ich dort viele Kameraden kennengelernt habe, mit denen ich mich austauschen konnte. Ich war beeindruckt von der Motivation und der Einsatzerfahrung der französischen Kameraden: viele von Ihnen hatten annähernd so viele Einsätze wie Dienstjahre. Zusätzlich werden sie noch im Inland, z. B. zur Terrorabwehr (Operation Sentinelle), eingesetzt. Obwohl ich noch keine Einsatzerfahrung vorweisen konnte, wurde ich sehr respektvoll und auch freundlich behandelt. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, aufgrund meiner Zugehörigkeit zum Sanitätsdienst nicht ernstgenommen zu werden. Die Kameradschaft unter den Truppengattungen hat mich bei meinem Praktikum am meisten beeindruckt. Es wurde sich alles geteilt und gemeinsam durchgezogen. Gerade der Erfahrungsaustausch mit den dortigen Kameraden hat mich persönlich bereichert. Wir stellten viele Gemeinsamkeiten fest und tauschten uns über Besonderheiten unserer Länder aus: so erwähnten die Franzosen immer wieder, dass sie von unserer Disziplin beeindruckt seien. Ebenso imponierte mir die körperliche Verfassung vieler Soldaten. Auch in der Antenne Médicale war zwei- bis dreimal die Woche Dienstsport fest in den Dienstplan integriert. In Gesprächen waren wir uns alle einig, dass der Austausch zwischen unseren beiden Nationen schon zu einem frühen Punkt der Ausbildung auch im militärischen Bereich nicht nur sehr interessant, sondern auch wichtig ist, damit wir aktuelle und zukünftige Aufgaben in Europa und der Welt militärisch und fachlich gemeinsam lösen können.
Zusammenfassend konnte ich feststellen, dass es aus meiner Perspektive viele Parallelen im militärischen und sanitätsdienstlichem Truppenalltag in Frankreich und Deutschland gibt. Zudem habe ich viele neue Bekanntschaften schließen dürfen und bin deshalb sehr dankbar, eine solche Chance eines Praktikums erhalten zu haben. Dafür bedanke ich mich bei den beiden deutschen Verbindungsoffizieren in Paris (OTA Eger, OTA Dr. Niggemeier-Groben), dem französischen Verbindungsoffizier in Koblenz (Colonel (MC) Cahuzac), den deutschen und französischen Kommandobehörden und nicht zuletzt meinem Chef, OTA Dr. Diller, der mich bei dem Vorhaben sehr unterstützt hat. Ich hoffe, dass nach mir noch weitere SanOAs aus beiden Nationen ein solches Praktikum gegenseitig ableisten können.
Anschrift des Verfassers:
Lt (SanOA) Valentin Kuhlwilm
Fleischhauerstraße 4
23552 Lübeck
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Datum: 10.09.2018
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2018