EFFEKTIVE PATIENTENREGISTRIERUNG BEIM MASSENANFALL VON VERLETZTEN (MANV) IM BUNDESWEHRKRANKENHAUS HAMBURG
Aus der Abteilung X – Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. J. Hoitz) am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg (Chefarzt: Oberstarzt Dr. J. Nakath)
von Christiane Müller und Thomas Benner
Zusammenfassung
Hintergrund:
Jedes Krankenhaus kann im Rahmen einer Schadenslage plötzlich mit einem Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten (MANV) konfrontiert werden. Die vollständige Registrierung der Patienten und Betroffenen aus dem präklinischen in den klinischen Bereich stellt einen wichtigen Teil der Abarbeitung von Großschadensereignissen dar. Die weitreichenden Folgen einer mangelhaften Registrierung betreffen nicht nur das Krankenhaus, sondern binden zum Beispiel auch Ressourcen der Polizei und der Personenauskunftsstelle.
Methoden:
Für die Festlegung der Verfahren zur Patientenregistrierung wurden die Erfahrungen der bisherigen Vorgehensweise einschließlich gezielter Soll-/ Ist-Vergleiche und Schwachstellenanalyse, Literaturrecherchen, Berichte von abgelaufenen Einsätzen und Übungen sowie detaillierte Gespräche mit dem Beauftragten für Rettungswesen, der Polizei und Berufsfeuerwehr und der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg herangezogen.
Ergebnisse:
Aufbauend auf grundsätzlichen Standardisierungen und Empfehlungen, wie beispielsweise der Konsensuskonferenz Sichtungskategorien oder dem Leitfaden Krankenhausalarmplanung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, und adaptiert an die Spezifika der Freien und Hansestadt Hamburg sowie der Infrastruktur des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg wurde die Verfahrensweise der Patientenregistrierung festgelegt. Dazu wird die Sichtung und Registrierung in der Präklinik und im Krankenhaus, die personelle und materielle Ausstattung, den Datenfluss und die Einbindung in die Krankenhauseinsatzleitung beschrieben.
Schlussfolgerungen:
Großschadensereignisse mit einem MANV erfordern in jedem Krankenhaus einen effizienten Umgang mit Personalressourcen. Eine effektive Sichtung und Registrierung der Patienten ist Grundlage für eine gut abgestimmte Behandlung der Verletzten und ermöglicht eine reibungslose Zusammenarbeit mit Behörden und externen Einrichtungen, zum Beispiel Personenauskunftstellen. Die Abläufe eines solchen Verfahrens müssen detailliert geplant und regelmäßig geübt werden.
Effective registration of casualties in case of a mass casualty incident at the Military Hospital Hamburg
Summary
Background:
Every hospital could get faced with a mass casualty incident (MCI). The complete registration of all casualties is one of the most relevant processes in such cases. The consequences of an incomplete registration are affecting not only the hospital but also other institutions as the police and the inquiry office.
Methods:
For the definition of the procedures for the registration of casualties past experiences and to be/as is comparisons have been taken into account. Weak points have been analyzed, literature research was done, protocols of former accidents were reviewed and policemen, the fire department and government agencies were interviewed.
Results:
Based on general standards and re - commendations triage from the consensus conference or the Handbook for alarming Hospitals, procedures for the registration of casualties were defined and adapted to the specialties of the city of Hamburg and to the infrastructure of the military hospital Hamburg. The triage and registration of casualties prior to and at the hospital, the required resources, the data flow and the integration into the Hospital Emergency Incident Command System are shown.
Conclusion:
In case of a MCI an efficient use of all available resources is required. A well organized triage and registration of the casualties is a prerequisite for the coordinated treatment and for a frictionless cooperation with the public authority and other external institutions. Such procedures have to be planned in detail and should be practised frequently.
1. Einleitung
Jedes Krankenhaus kann im Rahmen einer Schadenlage plötzlich mit einem Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten (MANV) konfrontiert werden. Ziel ist es dann, das Bestmögliche für die größte Zahl an Patienten zu erreichen. Der dazu notwendige Prozess des Umdenkens im Vergleich zum Alltagsbetrieb beinhaltet auch die Sicherstellung eines umfassenden Informationsflusses aller Beteiligten (1). Die dazu notwendigen Verfahrens-schritte der Prozesskette bei gleichzeitiger Gewährleistung einer leistungsfähigen sanitätsdienstlichen Versorgung werden am Beispiel des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Hamburg dargestellt.
Die vollständige Registrierung der Patienten und Betroffenen bei einem MANV aus dem präklinischen in den klinischen Bereich stellt einen wichtigen Teil der Abarbeitung von Großschadensereignissen dar. Die weitreich-enden Folgen einer mangelhaften Registrierung betreffen nicht nur das Krankenhaus, sondern binden zum Beispiel auch Ressourcen der Polizei und der sogenannten Personenauskunftsstelle (PAST). Auch für die Angehörigen kann dies dramatische Folgen haben, wenn sie aufgrund fehlender Informationen ihre vermissten Angehörigen nicht ausfindig machen können. Die Krankenhauseinsatzleitung (KEL) trägt die Verantwortung für eine möglichst effiziente Erfassung und einen schonenden Umgang mit ihren Personalressourcen sowie eine möglichst rasche und fehlerfreie Weiterleitung der Informationen an zuständige Behörden.
2. Methoden
Für die Festlegung der Verfahren zur Patientenregistrierung wurden die Erfahrungen der bisherigen Vorgehensweise einschließlich gezielter Soll-/ Ist-Vergleiche und Schwachstellenanalysen, Literaturrecherchen, Berichte von abgelaufenen Einsätzen und Übungen sowie detaillierter Gespräche mit dem Beauftragten für Rettungswesen, der Polizei und Berufsfeuerwehr und der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG) der Freien und Hansestadt Hamburg herangezogen.
3. Ergebnisse und Diskussion
Aufbauend auf grundsätzlichen Standardisierungen und Empfehlungen wie beispielsweise der Konsensuskonferenz Sichtungskategorien oder dem Leitfaden Krankenhausalarmplanung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und adaptiert an die Spezifika der Freien und Hansestadt Hamburg und der Infrastruktur des BwKrhs Hamburg wurde die Verfahrensweise der Patientenregistrierung festgelegt (3).
3.1 Präklinische Sichtung und Registrierung
Zur Registrierung von Notfallverletzten bei einem MANV werden am Schadensort Kartensysteme eingesetzt. Folgende Informationen müssen aufgenommen werden:
• Persönliche Daten des Verletzten
• Verletzungsmuster
• Hinweise zur Erstversorgung
• Sichtungskategorie
• Eindeutige Identifikationsnummer (einmalig)
• Transportziel.
Um neben der polizeilichen Ermittlungsarbeit auch Angehörigen Auskunft über den Verbleib von Personen geben zu können, sind unbedingt die persönlichen Daten zu erfassen. Auch Gegenstände können durch die Kennzeich-nung mit der jeweiligen Identifikationsnummer den Verletzten zugeordnet werden.
In Deutschland ist derzeit kein einheitliches Verletztenanhängekartensystem im Einsatz. Einzelne Länder haben sich entschieden, eigene Verletztenanhängekarten zu entwickeln und diese einzusetzen.
3.1.1 Registrierung am Unfallort
Die Verletztenanhängekarte der Feuerwehr Hamburg
Das Hamburger Dokumentationssystem im präklinischen Bereich basiert auf der Verletztenanhängekarte der Feuerwehr Hamburg. Diese wird im Rettungsdienst der Stadt Hamburg eingesetzt. Sie ermöglicht eine einfache Registrierung der Patienten und die Dokumentation der erhobenen Befunde sowie der durchgeführten Maßnahmen an der Einsatzstelle, auf dem Transport bis hin zur Aufnahme im Krankenhaus. Alle Karten sind wasserfest, eindeutig durchnummeriert und jede Identifikationsnummer ist nur einmal vergeben. Zusätzlich sind sechs abziehbare Patientennummern- Aufkleber auf der Rückseite angebracht, zum einen zur Dokumentation für Aufnahmelisten, zum anderen auch zur Zuordnung von persönlichen Gegenständen. Am Unterrand der Karte befinden sich codierte Abrissabschnitte in den Farben der Sichtungskategorien rot, gelb, grün und schwarz. „Weiß“ bedeutet hier „noch nicht gesichtet“.
Ein großes handschriftliches „P“ deutet auf eine dringliche Transport- und Behandlungspriorität hin. Diese Anhängekarte wird mit einem Band am Hals befestigt. (Abb 1)
Neben den Verletzten, die durch Rettungsdienste registriert, versorgt und transportiert werden, ist mit vielen weiteren Verletzten und Betroffenen (das heißt: unverletzt) zu rechnen, die eigenständig Hilfe in Krankenhäusern suchen. Dies kann sich erheblich auf das Gesamtgeschehen auswirken. Kliniken müssen sich dazu ein eigenes Registrierungssystem mit einer eigenen Registrierungsnummer einrichten. Die Nummer der Registrierung vom Schadensort muss zwingend mitgeführt werden. Das ermöglicht bei Nachfragen von Behörden oder Angehörigen eine Zuordnung, insbesondere auch zum Schadensort, da mehrere Schadensorte gleichzeitig vorhanden sein können.
Abb 1: Verletztenanhängekarte der Hamburger Feuerwehr (5)3.1.2 Sichtung und Registrierung im Krankenhaus
Die Sichtung, auch „Triage“ oder „Sortierung“ genannt, bedeutet, die Verletzten hinsichtlich der Art und des Umfangs ihrer Verletzungen zu beurteilen und eine Versorgungspriorität festzulegen.
Die Sichtungsstelle in einem Krankenhaus muss so angeordnet werden, dass nur ein Eingang möglich ist, um eine vollständige Erfassung und Sichtung zu realisieren (Flaschenhalsprinzip).
Vor der Sichtung und / oder in deren Verlauf muss die Registrierung der Daten der Patienten erfolgen. Das bedeutet, neben den persönlichen Daten, sofern sie bekannt sind, die Sichtungskategorie und die erhobenen Vitalparameter, die während der Sichtung ermittelt werden, zu dokumentieren.
Registrierungsauftrag
Die vollständige Registrierung aller ankommenden Verletzten ist Teilaufgabe der Sichtungsstelle. Die Registrierung ist ein elementarer Teil im Rahmen der Aufnahme von Patienten im Krankenhaus, die bei Unvollständigkeit oder gar völligem Ausbleiben in der Folge zu einem enormen Ressourcenschwund führen kann.
Registrierungsteam
Das Registrierungsteam ist Teil des Sichtungsteams. Es besteht aus dem Sichtungsarzt, mindestens einer Pflegekraft oder einem Rettungsassistenten und einer erfahrenen Verwaltungskraft, die sich über die Tragweite fehlender Daten im Klaren sind. Der Umgang mit dem Dokumentationsmaterial sollte bekannt und geübt sein. Im BwKrhs Hamburg sichert der Dokumentationsassistent, ein Vertreter aus der Patientenaufnahme, zusätzlich die erfassten Daten der Patienten und veranlasst die sofortige Weiterleitung zur Krankenhauseinsatzleitung (KEL). Der Krankenpfleger/Rettungsassistent führt unter anderem die hausinterne Registrierungsliste. Hier werden auch die Diagnosen stichpunktartig festgehalten (Abb 2).
Diese Registrierungsliste wird bei der Sichtung durch den Krankenpfleger / Rettungsassistenten geführt und alle 15 min zur KEL gefaxt oder per Melder gebracht.
Abb 2: Patientenregistrierungsliste Bundeswehrkrankenhaus Hamburg (2, 6)3.2 Sichtungsstelle und Ausrüstung der Registrierung
Das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg verfügt für jeden Versorgungsabschnitt (VA) über Material-Rollcontainer. Die Container sind entsprechend des Versorgungsabschnittes aufgerüstet. Insgesamt gibt es neun Container (1 x Rot; 1 x Gelb; 2 x Grün; 1 x Sichtung; 1 x KEL; 3 x CBRN-Lagen). Eine regelmäßige Kontrolle der Container ist durch das Personal der Abteilung X sichergestellt. Der Container für die Sichtungsstelle enthält das notwendige Registrierungsmaterial. Ressourcenschonend für den Einsatzfall sind die Container jeweils in den Versorgungsabschnitten auf der entsprechenden Etage untergebracht.
In den Sichtungssets befinden sich für die Registrierung pro Set:
- Zwei Bögen Patientenaufkleber mit der krankenhauseigenen Identifikationsnummer
- Patientenunterlagen der stationären Patientenaufnahme
- Erfassungsbogen Sichtung/Notfall - aufnahmebögen
- Laborzettel mit Blutmonovetten (entsprechend der Identifikationsnummer) • Röntgen-Anforderungsscheine
- Narkoseprotokolle
- Plastikbeutel für Patienteneigentum
- Wertsachenbeutel.
Bei Patienten mit unbekannter Identität wird an der Sichtungsstelle ein Vordruck des Landeskriminalamtes zusätzlich dem Registrierungsset beigelegt. (siehe Punkt 3.5; Patienten mit unbekannter Identität)
3.3 Weiterleitung der Patientendaten
Die Patientenregistrierung und Dokumentation erfolgt schon bei der ersten Sichtung an der Sichtungsstelle. Hier liegen für alle Verletzten vorgefertigte Sichtungssets und Registrierarmbänder bereit. Auf den farblichen Registrierbändern wird entsprechend ein Patientenaufkleber mit der hauseigenen Identifikationsnummer angebracht (2, 3). Die ID-Nummer der Verletztenanhängekarte des Rettungsdienstes muss mit übernommen werden, um den Verbleib des Verletzten lückenlos vom Ort des Geschehens bis in den klinischen Bereich nachvollziehen zu können. Neben der externen Dokumentation vom Unfallort muss mit der internen Dokumentation, zum Beispiel Patientenidentifikation, Überführung der Daten in das hauseigene Dokumentationssystem sowie das weitere Mitführen der externen Registriernummer, möglichst rasch begonnen werden.
Die Verwahrung und Registrierung von Patientenwertsachen erfolgt in vorgefertigten Wertbeuteln am Patientenbett. Im BwKrhs Hamburg liegen zur Registrierung für einen Massenanfall von Verletzten fünfzig Registrier-Etiketten bereit, die schon im Dokumentationssystem eingepflegt sind und nur noch mit der präklinischen Registrierung und gegebenenfalls mit Namen ergänzt werden (sogenannte „Schattenstation“). So können zum Beispiel Laboruntersuchungen reibungslos durchgeführt und nachvollzogen werden. Die Dokumentation erfolgt in der Patientenaufnahme über die Dateneingabe Abb 2: Patientenregistrierungsliste Bundeswehrkrankenhaus Hamburg (2, 6) in den Computer.
Aus der Praxis heraus empfiehlt es sich, eine große Übersichts-Magnettafel zur Hilfe zu nehmen und die Patientendaten / -namen sowie die Personalkomponenten entsprechend in den jeweiligen Versorgungsab-schnitt zu heften. Veränderungen, wie unter anderem der Sichtungskategorie in der Nachsichtung oder Verlegungen intern und extern, können hierdurch schneller und übersichtlicher dokumentiert werden. Außerdem lassen sich die Informationen von jedem Mitglied der KEL zu jedem Zeitpunkt visuell verfolgen, da Betten- und Funktionsressourcen übersichtlich und zeitnah dargestellt werden.
Damit die Verletzten über eine Angehörigen- Hotline der Polizei abrufbar sind, müssen sie in einem Speichermedium der Polizei erfasst sein. Dies ist ein wichtiger Baustein, um eine komplette behörden-übergreifende Hotline zu installieren. Die Erfassung der Daten von bewusstlosen oder nicht orientierten Patienten wird in Hamburg mit den Identifikationsbögen des Landeskriminalamtes (LKA) sichergestellt.
3.4 Krisenreaktionsteam (KRT) und Krankenhauseinsatzleitung (KEL)
Für ein Krankenhaus sind bei besonderen Gefahrenlagen Entscheidungen zu treffen. Die Verantwortung obliegt bei Alarmeingang grundsätzlich dem Krisenreaktionsteam (KRT). Ist die Krankenhauseinsatzleitung (KEL) einsatzbereit, geht die Verantwortlichkeit auf sie über.
Das KRT im BwKrhs Hamburg besteht aus dem diensthabenden Oberarzt/ Facharzt der Anästhesie, dem OvK (Offizier vom Krankenhaus) und gegebenenfalls dem technischen Leiter. Ein Vorteil für die Bewältigung eines MANV besteht darin, dass das KRT immer erreichbar und vor Ort ist. Der diensthabende Oberarzt / Facharzt entscheidet über die jeweilige Alarmierungsstufe und somit, ob die KEL aufgestellt wird.
Die KEL erhält vom KRT bei Eintreffen die Leitungsverantwortung und wird vom KRT unterstützt. Die KEL besteht im Bundeswehrkrankenhaus aus dem Chefarzt, der Pflegedienstleitung und gegebenenfalls aus dem technischen Leiter. Zusätzlich sind die Stabsbereiche S1 Personaleinsatz, S2 Lage / Sicherheit, S3 Einsatz (LNAKrankenhaus), S4 Logistik, S5 Öffentlichkeitsarbeit (Presseoffizier), S6 Kommunikation (Leiter Technik) sowie die Fachberater, zum Beispiel Katastrophenschutzbeauftragter, Brandschutzbeauftragter, Strahlenschutzbeauftragter oder Hygienefachkraft, zu aktivieren. Alarmiert wird die KEL durch den OvK, die Sicherungssoldaten oder das KRT. In Bundeswehrkrankenhäusern ist die Situation vereinfacht, da militärische Dienststellen obligatorisch einen Stab haben.
Die KEL leitet bei größeren und längeren Lagen oder besonderem Bedrohungspotenzial, ist allen Mitarbeitern gegenüber weisungsbefugt und übt das Hausrecht aus. Das KRT hat bis zur Leitungsübernahme durch die KEL die gleichen Rechte und Pflichten wie die KEL. Alle Mitarbeiter haben der KEL gegenüber eine Informationspflicht. Die KEL ist die bei außergewöhnlichen Schadensereignissen führende Einheit im Krankenhaus und koordiniert alle Aufgaben. Für diese Koordinierungsarbeit müssen ausreichend Kommunikationsmittel und Materialien zur Verfügung stehen.
Die einzelnen Stabsbereiche müssen in besonderen Fällen personell aufgestockt werden, um ihre Aufgaben zu bewältigen. Hier sollten Mitarbeiter der Pflegedienstleitung oder Verwaltung unterstützen.
3. 5 Verarbeitung der registrierten Daten in der KEL
Die Registrierungslisten vom Dokumentationsassistenten der Patientenaufnahme und Krankenpfleger / Rettungsassistenten werden in regelmäßigen Zeitabständen (optimal alle 15 Minuten) von der Sichtung zur KEL gefaxt oder per Melder zugestellt. Diese Listen werden durch den S2 abgeglichen und gegebenenfalls bei Unstimmigkeiten nachrecherchiert. Somit ist hier auch eine Kontrollfunktion vorhanden. Die Namen der Betroffenen und die Registrierungsnummern extern und intern werden in der Lagekarte (Magnettafel) festgehalten. Bei hausinternen Verlegungen muss grundsätzlich der S2 informiert werden, da nur so eine Auskunft über den aktuellen Sachstand im BwKrhs Hamburg möglich ist. Weder der Leitende Notarzt (LNA) Krankenhaus noch der Sichtungsarzt werden über spätere interne Verlegungen informiert.
Die Polizei wird sich bei der Personensuche grundsätzlich an die KEL wenden, daher ist es sehr wichtig, dass die registrierten Informationen schnell und unverzüglich zur KEL weitergeleitet werden.
Die zum Landeskriminalamt Hamburg weitergegebenen Daten der Betroffenen werden gespeichert. Eine Personenauskunftsstelle (PAST) wird je nach Größe des Schadensereignisses durch die Hamburger Polizei eingerichtet und betrieben. Über deren Hotline können zum Beispiel Angehörige über den Verbleib der Betroffenen Informationen erhalten. Dafür muss es gelingen, entsprechende Informationen zeitnah bereit zu halten. Aber: Nur Daten, die tatsächlich registriert wurden, können auch weitergeleitet werden, um den Kreis zu den Auskunftssuchenden schließen zu können.
An dieser Stelle sei noch einmal darauf verwiesen, dass der personelle Aufwand für Nachforschungen zu fehlenden Daten unangemessen hoch ist und diese Personalressourcen an anderer Stelle im Krankenhaus fehlen. Zu beachten ist auch, dass die Polizei jedem Krankenhaus vorläufig eine Auskunftssperre erteilen kann, wenn die Verletzten Opfer eines terroristischen Anschlags sind. Auskünfte dürfen dann nur nach Rücksprache mit der Polizei gegeben werden.
Weiterhin muss die Polizei der KEL klare Anweisungen erteilen, welche Informationen generell weiter kommuniziert werden dürfen. Ansprechpartner bei der Suche nach dem Verbleib von Betroffenen ist stets der S2. Als problematisch erweist sich immer wieder die Kommunikationsweitergabe zum S2. Gerade wenn Verletzte neu gesichtet werden oder den OP verlassen und auf die Intensivstation verlegt werden, ist die Weitergabe des Verbleibs schleppend und muss gezielt nachgefragt werden.
Für die Polizei ist in erster Linie entscheidend, ob sich der Verletzte im entsprechenden Krankenhaus befindet, weniger der genaue Versorgungsabschnitt. Die externen Identifikationsnummern sind meistens die einzigen Anhaltspunkte um einen lückenlosen Verbleib der Betroffenen vom Schadensort in den klinischen Bereich dokumentieren zu können. Wenn diese Nummer bei der Sichtung nicht in den Verletztendaten dokumentiert wird, ist die Zuordnung eines Betroffenen schwierig und kaum noch nachvollziehbar. Sollte dieser Fehler stress-situationsbedingt dennoch passieren, hilft nur noch, alle Patienten in jedem Bereich durch einen Mitarbeiter aufsuchen zu lassen und entsprechend zuzuordnen. Hier kommt es besonders darauf an, dass das Sichtungspersonal eingespielt und mit seinen Aufgaben vertraut ist oder gegebenenfalls vor Sichtungsbeginn durch den LNA Krankenhaus oder Führungsgehilfen (Organisatorischer Leiter) entsprechend einzuweisen ist.
Andernfalls muss die Polizei Mitarbeiter in das Krankenhaus entsenden, die zum Beispiel bei einem Großschadensereignis eigentlich an anderer Stelle dringend benötigt werden.
3.6 Patienten mit unbekannter Identität
Nicht jeder Patient hat grundsätzlich seinen Ausweis oder ein anderes Personaldokument in unmittelbarer Nähe. Gerade wenn Patienten nicht mehr ansprechbar oder zu ihrer Person nicht orientiert sind, stellt sich hier eine besondere Lage dar.
Grundsätzlich gilt: Die Versorgung von Notfallpatienten geht immer vor einer Datenerhebung. Wenn ein Patient keine Angaben zu seiner Person machen kann, wird im BwKrhs Hamburg an der Sichtungsstelle durch den Sichtungsarzt ein Dokument des LKA Hamburg mitgegeben mit dem klaren Hinweis, dass unverzüglich während oder nach der Versorgung dieses Dokument ausgefüllt und zum S2 überbracht werden muss.
Es wird immer wieder diskutiert, ob dieses Dokument nicht generell in jedem Registrierungsset vorhanden sein sollte. Aus der Praxis des BwKrhs Hamburg ergab sich der Entschluss, dass der Sichtungsarzt nur dann diesen Vordruck des LKA mitgibt, wenn ein Patient ohne bekannte Identität an der Sichtung aufgenommen wird. Somit kann die direkte Weitergabe des Dokuments das behandelnde Team mit dem Ziel sensibilisieren, das Dokument schneller wahrzunehmen, als wenn es obligatorisch in jedem Set vorhanden wäre. So lassen sich stressbedingte Fehler durch routinemäßiges Ausfüllen von Dokumenten vermeiden, durch welche die KEL mehr als die zu erwartenden Identifizierungsbögen erhielte. Damit würden auch keine weiteren Personalressourcen für unnötige Nachforschungen vergeudet.
Die KEL hat durch die Registrierungslisten der Sichtung und zusätzlich durch die Liste der Patientenaufnahme mit der fehlenden Patientenidentität einen klaren Hinweis, dass dieses Dokument nachgeführt werden muss. Bei längerer Dauer muss auch nachgefragt werden. Die Polizei kann jedoch schon den Hinweis erhalten, dass Patienten mit unbekannter Identität aufgenommen wurden und weitere Angaben folgen.
Auch schwerstverletzte und bewusstlose Patienten, die keine personenbezogenen Dokumente, unter anderem Personalausweis, Führerschein, EC- oder Kreditkarten, bei sich tragen, sind schnell zu identifizieren und entsprechend den Angehörigen zuzuordnen. Daher muss zeitnah ein Dokument zum Unterstützen der Identifizierung ausgefüllt und der zuständigen Polizeibehörde zur Verfügung gestellt werden. Dieser Vordruck des Landeskriminalamtes wird nicht bei der Sichtung ausgefüllt sondern bei der körperlichen Untersuchung mit Entkleidung der Geschä - digten im jeweiligen Versorgungsabschnitt.
3.6.1 Vordruck des Landeskriminalamtes Hamburg
Der aktuelle Vordruck des LKA Hamburg zur Bestimmung von Patienten mit unbekannter Identität ist ein wichtiges Instrument zur Identifizierung (Abb 3) Dieser sollte gründlich und mit möglichst genauen Angaben gefüllt werden, denn je mehr Merkmale beschrieben werden, desto einfacher ist die Zuordnung bei Vermissten.
Grundsätzlich gilt hierbei zu beachten, dass verstorbene Personen zur Identifizierungsmaßnahme nicht entkleidet werden dürfen! Ein entsprechender Hinweis ist auf dem Vordruck vorhanden.
Merkmale sind unter anderem:
- Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht (auch geschätzt), Körperbau
- Typ (europäisch, asiatisch, negroid, Sonstiges beschreiben)
- Kopfhaar (Typ, Länge, Farbe, Farbton, Dichte, Art, Glatze)
- Bart (Typ, Farbe)
- Augen (Farbe, Besonderheiten: schielt nach innen/außen rechts/links, künstliches Auge rechts/links)
- Besondere Kennzeichnungen (Narben, Tätowierungen, Missbildungen, Amputationen, Hautauffälligkeiten)
Besondere Kennzeichnungen können in ein Körperschema mit Hilfe von vorgegebenen Ziffern eingetragen werden. Der Vordruck ist mit einer Fax- Nummer versehen.
Abb 3: Vordruck des LKA Hamburg zu einer unbekannten verletzten bzw. verstorbenen Person für Identifizierungsmaßnahmen (4)3.7 Auswirkungen einer mangelhaften Registrierung auf externe Bereiche
Wenn bei der Sichtung Fehler in der Datenerhebung auftreten, sind die Konsequenzen, wie schon bereits erwähnt, auch außerhalb des Krankenhauses spürbar. Abgesehen von der eigenen Personalbindung, die zur Fehlerbehebung eingesetzt werden muss, sind die Mängel bis in die höchsten eingebundenen Behörden bedeutsam. Folgen sind unter anderem, dass die Polizei und Feuerwehr Nachstellungen veranlassen und Personal in die Krankenhäuser zur Aufklärung und Suche nach Verletzten entsenden müssen. Das bindet viel Personal, das eigentlich in der Versorgung der Verletzten dringend gebraucht wird. Die Angehörigenstellen und Telefon-Hotline sind blockiert, weil Verwandte sich wiederholt nach dem Verbleib ihres Angehörigen erkundigen. Konsequenz ist, dass viele weitere Angehörige durch diese „Telefonblockade“ später oder im schlimmsten Fall gar keine Informationen erhalten.
4. Schlussfolgerungen
Eine vollständige Erfassung der Patientendaten ist keine unnötige Bürokratie, sondern erspart im Einsatzfall Personal, das sinnvoller eingesetzt werden kann. In Ausnahmesituationen kann durch die konsequente Registrierung der Verletzten oder Erkrankten (nicht nur im Krankenhaus sondern auch bei beteiligten externen Organisationseinheiten) ein wesentlicher Beitrag zur Entspannung der Situation geleistet werden. Maßgeblich hierbei ist unter anderem die Einsicht der registrierenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Wichtigkeit dieser Maßnahme und die Kenntnis der weitreichenden Folgen einer mangelhaften Registrierung. Selbstver-ständlich steht die medizinische Versorgung der Betroffenen jederzeit im Vordergrund, aber die vorstehend aufgeführten Argumente verdeutlichen, dass durch einen relativ geringen Mitteleinsatz bei der Registrierung die im Großschadensfall sehr knappen Ressourcen rationell genutzt werden können.
Unabhängig davon kann sich wohl jeder in einen Menschen hineinversetzen, der nicht bei seinem sterbenden Angehörigen sein konnte, nur weil die Daten an der Sichtungsstelle nicht aufgenommen wurden. Wer möchte dann für diesen Mangel Verantwortung tragen?
Datum: 01.08.2011
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/7