Fliegerarzt im binationalen Umfeld

Das Deutsch-Französische TIGER-Ausbildungszentrum in Le Luc

Seit dem 06.04.2005 fliegt der Kampfhubschrauber Tiger an der ersten deutsch-französischen Ausbildungsstätte für Kampfhubschrauberpiloten des Heeres in Frankreich. Der folgende Artikel soll die vielseitige Arbeit des deutschen Fliegerarztes an der Ecole Franco-Allemande TIGRE darstellen und die Gemeinsamkeiten, sowie Unterschiede zwischen den militärischen und zivilen Gesundheitssystemen beider Nationen darstellen.

Am 22.01.1963 unterzeichneten der ehemalige Bundeskanzler Konrad Andenauer und der damalige französische Staatspräsident Charles de Gaulle im Pariser Elysée-Palast den so genannten Elysée-Vertrag. Nach der Unterzeichnung des Vertrages vom 22.01. 1988, wurde der deutsch-französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat auf Grundlage des Elysée-Vertrages gegründet.

Um die in der Vergangenheit erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Nationen zu vertiefen und von einer gemeinsamen Entwicklung des Kampfhubschrauber TIGER zu profitieren, wurde am 10. November 2000 das Abkommen über die Einrichtung und den Betrieb des Deutsch-Französischen Heeresfliegerausbildungszentrum TIGER unterzeichnet.
Am Standort Le Luc en Provence wurde im Juli 2003 die „École Franco-Allemande TIGRE“ durch die Inspekteure Heer beider Nationen, Generalleutnant Thorette und Generalleutnant Gudera feierlich in Dienst gestellt. Das „Deutsch-Französische Heeresfliegerausbildungszentrum Tiger“ stützt sich auf die bereits ebenfalls vor Ort befindliche E.A. ALAT ( École d`Application de l`Aviation Légère de L`Armée de Terre ) im täglichen Betrieb ab. Hierzu zählen unter anderem die Flugsicherung, Tankbereitschaft sowie Wetterberatung, Flugberatung und Flugplatzfeuerwehr. Beide Schulen nutzen ebenfalls die neu eingerichtete Truppenküche.
Die Führung des Ausbildungszentrums wechselt alle drei Jahre um keine der beiden Nationen zu benachteiligen. Der jetzige Kommandeur Oberst Horstmar Bussiek übernahm im Juni 2006 das Kommando von Oberst Alain Salendre. Der Stellvertreter wird durch die jeweils andere Nation besetzt. Der Auftrag des Ausbildungszentrums ist die gemeinsame Ausbildung französischer und deutscher Hubschrauberpiloten auf das Waffensystem TIGER unter Nutzung einer geschaffenen binationalen Infrastruktur und der binationalen Ausbildungsmittel am Standort Le Luc. Die gemeinsamen genutzten Ausbildungsmittel bestehen aus vier Full Mission Simulatoren, zwei Cockpit Procedure Trainern sowie einem Computer Aided Training Hörsaal. Mit der momentanen Planung werden zukünftig 12 deutsche KHS Tiger und acht französische HAP Tiger am Standort Le Luc zur Hubschrauberschulung eingesetzt.
Der Fliegerarzt/Truppenarzt untersteht disziplinar dem deutschen Kommandeur und betreut den deutschen Anteil der Soldaten und berät den Kommandeur in fliegerärztlichen Angelegenheiten. Die Komponente Fliegerarztgruppe besteht aus dem Fliegerarzt, Fliegerarztassistent und einem Kraftfahrer B. Die infrastrukturellen Voraussetzungen haben sich seit September 2006 mit Umzug in einen Neubau für die Fliegerarztgruppe entscheidend verbessert. Die Flugunfallbereitschaft wird von französischer Seite organisiert und fällt bei Nachtflugvorhaben an die jeweiligen zivilen Rettungskräfte im Departement Var. Die Arbeit in einem binationalen Umfeld ist für alle Soldaten eine Herausforderung und bedarf täglich in vielen Arbeitsabläufen einer Harmonisierung, die aber meist problemlos umgesetzt werden kann.
Die Aufgaben des Fliegerarztes/Truppenarztes sind ebenfalls vielschichtig und erfordern die Kenntnisse aus beiden Gesundheitssystemen mit ihren Besonderheiten, so sind beispielsweise nicht immer alle Medikamente, die man aus Deutschland gewohnt ist erhältlich und auch die Rezepte in Frankreich erfordern einiges an Umstellung, da genaue Dosierungsangaben durch den verordnenden Arzt aufgeführt werden müssen. Die notwendigen fachärztlichen Untersuchungen finden zum Großteil im Militärkrankenhaus in Toulon statt, es besteht allerdings auch die Möglichkeit mit zivilen Fachärzten zusammenzuarbeiten, der Anteil deutscher Kollegen ist in Frankreich mittlerweile erstaunlich hoch, da wohl eine gewisse Flucht aus dem deutschen Gesundheitssystem stattfindet und die Anerkennung einer Facharztausbildung innerhalb der EU problemlos ist. Bei der Zusammenarbeit mit den zivilen Kollegen zeigen sich wiederum deutliche Unterschiede der beiden Gesundheitssysteme, Patienten müssen in Frankreich die Kosten ihrer Arztbehandlung sofort entrichten und können sich im Anschluss bei der zuständigen Krankenkasse ca. 80% der entstandenen Kosten rückerstatten lassen, deutsche Soldaten müssen die Facharztuntersuchung zunächst auch selbst bezahlen, bekommen allerdings durch die hiesige Truppenverwaltung die kompletten Kosten erstattet.
Trotz Europäisierung und enger Zusammenarbeit innerhalb der Nato-Staaten zeigen sich gerade im Bereich der Flugmedizin und vor allem der militärischen Begutachtungen noch deutliche Unterschiede zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland. Als ein Beispiel sei hier die Wehrfliegerverwendungsfähigkeit genannt, die beim französischen Militär in einem anderen Rhythmus und unterschiedlichen Untersuchungsumfang als in Deutschland durchgeführt wird. Der französische Fliegerarzt muss alle sechs Monate „seine“ Piloten untersuchen, die „große“ Untersuchung findet alle zwei Jahre an einem der Flugmedizinischen Institute statt, wovon es in Frankreich insgesamt drei gibt. Somit sind die WFV Untersuchungen nicht 100% kompatibel und können nicht beliebig durch die jeweils andere Nation durchgeführt werden.
Die Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen klappt sehr gut, bei kurzen Abwesenheiten des deutschen Fliegerarztes erfolgt komplikationslos die Betreuung der deutschen Soldaten durch einen französischen Kollegen. Die nicht wenigen binationalen Veranstaltungen (Nationalfeiertage, Sportveranstaltungen, Flugtage etc.) werden meistens sanitätsdienstlich durch beide Nationen betreut, so dass im Behandlungsfall immer ein deutschoder französisch sprechender Arzt oder Sanitäter vor Ort ist. Allerdings sieht die deutsche Seite keine Möglichkeit eines Patiententransportes vor und besitzt deshalb auch kein entsprechendes Fahrzeug. Auch lässt die personelle Lage es nicht zu, weiterführende Aufgaben zu übernehmen, was bei der Neueinführung eines Waffensystems und einer komplett neuen Ausbildungsstruktur im binationalen Umfeld ein großes Manko darstellt, denn die bisherigen neuen Erkenntnisse machen es meiner Meinung nach dringend erforderlich einen größeren wissenschaftlichen Ansatz in die laufende Umstellung der Ausbildung und Neueinführung eines komplett neuen Waffensystems einzubringen.
Da sich die beiden Hubschraubervarianten nicht unerheblich unterscheiden, ist es nicht immer einfach, die neu gewonnenen Erkenntnisse über die Waffensysteme auszutauschen und in die jeweilige Ausbildung zu integrieren, letztendlich ist man gezwungen viele Ausbildungsabschnitte national zu gestalten, während die Infrastruktur mit den Ausbildungsmitteln immer von beiden Nationen genutzt werden können. Bei den Simulatoren bestehen als ein weiteres Beispiel gravierende Unterschiede in der Umsetzung der Abstände Simulatorflug-Realer Flugdienst, auf deutscher Seite wird z.Zt ein Abstand von 12 Stunden eingehalten, während die französische Seite hier keine eindeutige Regelung vorsieht. Durch weitere gemeinsame Untersuchungen zur Thematik Simulatorkrankheit lässt sich auch hier zukünftig sicherlich eine einheitliche Regelung finden.
Weiterführende gemeinsame Untersuchungsprojekte gestalten sich aufgrund der bis ins Detail reichenden Unterschiede der Waffensysteme nicht immer einfach, sollten aber weiter vorangetrieben werden, denn nur gemeinsame Erkenntnisse bei der Einführung des Waffensystems Tiger machen es später auch möglich, die gemeinsamen Stärke des Waffensystems im Verbund bei multinationalen Einsätzen vorteilhaft umzusetzen.
Insgesamt ist es eine positive Erfahrung in einem binationalen Umfeld als Fliegerarzt/Truppenarzt arbeiten zu dürfen und die täglichen Herausforderungen mit einem länderübergreifenden, gemeinsamen Waffensystem führen zu einem wichtigen Beitrag in der fortschreitenden Europäisierung der Streitkräfte.

Datum: 01.09.2009

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/2

Verwandte Artikel

Empty Image

Simulatorinduzierte Befindlichkeitsstörungen bei Heeresfliegern

Der Nutzen von Simulatoren in der Ausbildung zum Hubschrauberpiloten wird durch das potentielle Auftreten von Befindlichkeitsstörungen getrübt. Bei dem Phänomen der Simulatorkrankheit handelt es sich um körperliche Missempfindungen, die nur bei...

Empty Image

Luftrettung und Lufttransport mit NH 90 - Stand der Entwicklung

Der Aufbau einer leistungsfähigen Rettungskette ist in den meisten Einsatzgebieten ohne Abstützung auf Hubschrauber kaum vorstellbar. In manchen Einsatzszenarien - dies gilt insbesondere für die luftmechanisierten Operationen bzw. luftgestützten...

Empty Image

Konzept zur Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten

Flugplätze stellen ein besonderes Gefährdungspotential für Massenanfälle von Verletzten dar. Das Starten und Landen von Luftfahrzeugen mit oftmals vielen Passagieren an Bord sowie der Ausbildungsflugbetrieb mit der Durchführung von Notverfahren...

Meist gelesene Artikel

Photo

So geht Wundbehandlung heute

Eine Umfrage zeigt, dass beim Thema Wundbehandlung nach wie vor erhöhter Aufklärungsbedarf bei Patienten besteht: Demnach versorgen mehr als zwei Drittel der Befragten ihre Alltagsverletzungen…