„… interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern“
Interview mit dem Leitenden Zahnarzt der Bundeswehr, Flottenarzt Dr. Helfried Bieber
Herr Flottenarzt Dr. Bieber, als Leitender Zahnarzt der Bundeswehr tragen Sie die fachliche Verantwortung für den Fachbereich Zahnmedizin der Bundeswehr. Dazu steht Ihnen im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr die Unterabteilung III – Zahnmedizin mit den Referaten „Planung und Steuerung der zahnärztlichen Versorgung der Bundeswehr“ und „Zahnärztliche Individualmedizin, Begutachtender Zahnarzt der Bundeswehr, Kommandozahnarzt und spezialisierte Gesundheitseinrichtungen“ zur Verfügung. Zusätzlich ist in der Abteilung G3 des Kommandos Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung die Gruppe „Zahnmedizin“ ausgebracht.
WM: Wie gestaltet sich die Arbeitsteilung in der aktuellen Struktur und hat sich diese bewährt?
FLA Dr. Bieber: Als Leitender Zahnarzt der Bundeswehr bin ich in Personalunion auch Leiter der Unterabteilung III Zahnmedizin im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw, UAbt III). Das von Ihnen bereits angesprochene, nachgeordnete 3-Säulenmodell hat sich in meiner Wahrnehmung im System der zahnmedizinischen Gesundheitsversorgung grundsätzlich sehr gut bewährt. Leitgedanke zur Neuordnung der UAbt III mit zwei Referaten war die klare, aufgabenbezogene und somit zweckmäßig wie prozessual orientierte Gliederung des Fachbereichs Zahnmedizin im Kdo SanDstBw, unter Berücksichtigung der Aufgaben der Fachdezernate G 3.3 und des Kommandozahnarztes im Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung (Kdo RegSanUstg) als dritte Säule des Gesamtsystems Zahnmedizin Bundeswehr.
Dass wir allen Herausforderungen, auch denen im Rahmen der Umstrukturierung, absolut gewachsen waren, ist nicht zuletzt eine hervorragende Teamleistung, auf die ich sehr stolz bin. In diesem Sinne bin ich mir sicher, dass wir auch die vielen vor uns liegenden Aufgaben in dieser Konstellation werden erfolgreich annehmen können.
WM: Seit dem 1. Mai 2015 sind Sie Leitender Zahnarzt der Bundeswehr. Welche Ziele haben Sie sich vorgenommen? Welche konnten Sie bereits realisieren und wo liegen Ihre künftigen Schwerpunkte?
FLA Dr. Bieber: Als Leitender Zahnarzt der Bundeswehr bin ich dem Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr direkt unterstellt und für das Gesamtsystem der zahnmedizinischen Versorgung verantwortlich. Zu dieser Verantwortung gehört auch eine kritische Evaluation. In meiner Bewertung hat sich der Fachbereich Zahnmedizin in der Vergangenheit eine sehr erfreuliche Akzeptanz bei den Patienten erarbeitet. Dies gilt sowohl für die zahnmedizinische Versorgung im Inland als auch für die fachlich hochwertige Betreuung unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Für mich war es deshalb von Beginn an wichtig, dieses etablierte und bewährte Versorgungsniveau weiterhin anbieten zu können und den Anspruchsumfang auf zahnärztliche Versorgung auf dem bestehenden angemessenen Niveau zu erhalten. Ich denke hier auch an die Anpassung der Rechtsgrundlagen für die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung. Für die Zukunft setze ich als besondere Schwerpunkte die materielle Ausstattung kontinuierlich auf dem aktuellen wissenschaftlichen und technischen Stand zu halten, eine den Einsatzbedingungen angepasste fachliche Begleitung im Ausland sicherzustellen und den Präventionsansatz der Zahnmedizin als Teil der Medizin weiter zu verfestigen.
WM: Bereits seit vielen Jahren gibt es eine enge Zusammenarbeit des Fachbereichs Zahnmedizin mit zivilen Standesorganisationen und wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Inwieweit sind Sanitätsoffiziere Zahnarzt in wissenschaftliche Forschungsprojekte innerhalb aber auch außerhalb der Bundeswehr eingebunden?
FLA Dr. Bieber: Wir sind nicht nur seit langem eng mit den zivilen Standesorganisationen und wissenschaftlichen Fachgesellschaften verbunden, sondern kooperieren auf vielfältige Weise mit dem zivilen Bereich. So trägt beispielsweise eine intensive Zusammenarbeit mit zivilen Hochschullehrern im Rahmen unserer fachlichen Fortbildung dazu bei, dass unsere Sanitätsoffiziere Zahnarzt stets auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft sind. Zudem greifen wir gegenwärtige wissenschaftliche Entwicklungen auf und forschen selbst oder in Kooperation mit zivilen Hochschulen zu speziellen zahnmedizinischen Belangen der Wehrmedizin. Wissenschaftliche Forschung im Fachbereich erfolgt dabei auf verschiedenen Ebenen, wie z. B. in subsidiär geleisteten Sonderforschungsprojekten – allen voran durch die Sanitätsoffiziere Zahnarzt in den Bundeswehrkrankenhäusern und einigen regionalen Behandlungseinrichtungen. Hier werden zumeist wehrmedizinische Fragestellungen bearbeitet, da diese in der zivilen wissenschaftlichen Forschung aus verschiedenen Gründen keine oder nur eine unzureichende Beachtung finden. Auch im Rahmen der wissenschaftlichen Kooperation konnte unser Fachbereich in den letzten Jahren deutlich Fahrt aufnehmen. Beispielhaft möchte ich hier den Arbeitskreis (AK) Wehrmedizin unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) nennen. Der AK Wehrmedizin hat sich dort mittlerweile als allseits anerkannter wissenschaftlicher Bestandteil etabliert und findet beispielsweise durch ein eigenes Symposium auf dem Deutschen Zahnärztetag alljährlich große Beachtung auch unter den zivilen zahnärztlichen Kollegen. Die Zusammenarbeit mit den Standesorganisationen ist dagegen von mehr praktischen Erwägungen bestimmt. Als ständiger Gast des Vorstands der Bundeszahnärztekammer kann ich die Interessen des Sanitätsdienstes in dieser strategisch ausgerichteten Institution einbringen. Zudem arbeiten Sanitätsoffiziere der UAbt. III in den Ausschüssen der Bundeszahnärztekammer mit. Auf der Ebene der Landeszahnärztekammern stehen Beauftragte des Leitenden Zahnarztes als deren Ansprechpartner zur Verfügung.
WM: Die Belastung des Fachbereichs Zahnmedizin durch die Einbindung an Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird sicherlich auch in der Zukunft weiter zunehmen. Wie ist der Fachbereich auf diese Herausforderungen materiell wie personell vorbereitet, zumal die familienbedingten Abwesenheiten von Sanitätsoffizieren Zahnarzt und militärischem Assistenzpersonal an den Standorten bereits jetzt in einigen Bereichen spürbar sind und voraussichtlich ansteigen werden? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Frauen im Fachbereich Zahnmedizin?
FLA Dr. Bieber: Lassen Sie mich zunächst an dieser Stelle ausdrücklich sagen, wie sehr es mich freut, dass wir bisher ausnahmslos alle bisherigen Einsätze ausschließlich mithilfe von Freiwilligenbewerbungen personell besetzen konnten. An diesem Prinzip würde ich gern auch in Zukunft festhalten. Im Bereich der materiellen Ausstattung für Einsätze stehen die MSE-Container zur Verfügung, die allerdings nicht mehr überall einsetzbar sind. Aus den Erfahrungen von Feyzabad und zuletzt Mali wurde ersichtlich, dass auch eine hochmobile zahnärztliche Materialausstattung dringend erforderlich ist, an deren Beschaffung und Einführung in die Bundeswehr gearbeitet wird. Diese Einsatzorte konnten in der Vergangenheit nur im Rückgriff auf die sog. Bordzahnstation der Marine versorgt werden. Für den Anteil Marine zur Regeneration der Bordzahnstation wurde ein Lösungsvorschlag erarbeitet, der sich in der Realisierung befindet. Insoweit stimmen mich die Planungen für die Zukunft hoffnungsvoll.
Im Fachbereich haben wir den höchsten Frauenanteil im Gesamtsystem Sanitätsdienst der Bundeswehr. Diese Situation ist bei uns seit vielen Jahren gelebte Normalität. Ich persönlich empfinde genau diese als Bereicherung. Der „Gender Switch“ ist auch im zivilen Gesundheitssystem im Zahnarztberuf bereits angekommen. Ich habe den Eindruck, dass sich die Frauen in unserem Fachbereich ausgesprochen wohl- und aufgehoben fühlen.
WM: Als Vertreter der Belange des Fachbereiches nach innen und außen können Sie sicherlich aus erster Hand sagen, wo Ihre Mitarbeiter „der Schuh drückt“. Was bewegt die Angehörigen des Fachbereichs? Von welchen Sorgen und Nöten wird Ihnen berichtet?
FLA Dr. Bieber: Der Anteil der weiblichen zivilen und militärischen Beschäftigten wird sowohl im Fachbereich als auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr stetig weiter wachsen. Zugleich werden durch den allgemeinen Generationenwandel übergreifend neue Erwartungen von unseren Frauen und Männern an die Vereinbarkeit von Familie und Berufsausübung gestellt: Es ist zweifellos ein Zug der modernen Gesellschaft, dass die gewünschte „Work-Life-Balance“ zeitgemäße Lösungsmuster erfordert, um eine zufriedenstellende Lebensqualität in der Berufsausübung zu erreichen. Dies betrifft auch die Bundeswehr und den Fachbereich Zahnmedizin. Wir haben bereits jetzt schon viele Instrumente an der Hand, um die Vereinbarkeit von Dienst und Familie zu verbessern. Hieran müssen wir weiter arbeiten. Ein adäquates Vakanzenmanagement ist unabdingbar. Vakante Dienstposten zeitnah mit qualifiziertem Personal zu besetzen, ist mit Herausforderungen verbunden. Hier gilt es, z. B. durch Flexibilisierung im Personalmanagement, praktikable Lösungen zu finden. Die jungen Kolleginnen und Kollegen und auch das nichtärztliche Fachpersonal müssen im System gefördert werden – wir müssen unserem qualifizierten Nachwuchs die Chance geben, in unserem System zu wachsen und zu bleiben. Gute Zahnmedizin braucht ein gutes Praxisteam. Und ein Team benötigt verantwortungsbewusste Führung, die man erlernen kann. Ein Instrument stellt das angelaufene Mentoringprogramm dar, bei dem ausgewählte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von einer Führungskraft und ggf. einem externem Coach über einen bestimmten Zeitraum hinweg begleitet und bei der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung unterstützt werden.
WM: Herr Flottenarzt, der Sanitätsdienst der Bundeswehr möchte in Zukunft die internationale Zusammenarbeit weiter stärken. Wie kann der Fachbereich Zahnmedizin hier unterstützen?
FLA Dr. Bieber: Der Fachbereich unterstützt und gestaltet bereits seit Jahren die internationale Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen und genießt auch bei unseren Partnernationen im Ausland einen exzellenten Ruf. Auch die rege Teilnahme von Sanitätsoffizieren Zahnarzt an internationalen Kongressen unterstreicht unsere Rolle im Rahmen der internationalen Kooperation. Ich denke hier beispielhaft an die Kooperation mit dem Zahnärztlichen Dienst der Indonesischen Streitkräfte, wo im Jahre 2016 im Rahmen des Bilateralen Jahresprogramms zwei Sanitätsoffiziere Zahnarzt in Jakarta ein mehrtägiges Symposium mit verschiedenen fachlichen Vorträgen zu oral- und parodontalchirurgischen Themen durchgeführt haben. Auch mit dem Zahnärztlichen Dienst der Jordanischen Streitkräfte beginnen wir derzeit eine Kooperation. Der Fachbereich ist auf den Jahrestagungen der militärzahnärztlichen Sektion der FDI (World Dental Federation/ Fédération Dentaire Internationale) vertreten. Wir selbst sind Ausrichter des Internationalen Symposiums Forensic Dentistry an der Sanitätsakademie München und nehmen zur Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit an Militärischen Internationalen Identifizierungsworkshops (Kanada, Norwegen) teil.
Als Leitender Zahnarzt der Bundeswehr begleite ich im Rahmen meiner Präsidiumsarbeit zurzeit die Arbeit in der Section of Defence Forces Dental Services (SDFDS) aktiv als Vice Chair. Diese Meetings dienen dem internationalen Austausch auf wissenschaftlicher, militärzahnmedizinischer und kollegialer Ebene. Zudem bestehen im Fachbereich Zahnmedizin enge Kontaktbeziehungen mit den Partnernationen auf Ebene NATO COMEDS Dental Service Panel (DS P) und auch im Rahmen des Framework Nation Concepts.
WM: Wo sehen Sie in den nächsten zehn Jahren die größte Herausforderung für den Fachbereich Zahnmedizin?
FLA Dr. Bieber: Die Trends in der Zahnheilkunde gehen schon länger weg von der alten Denkweise der Zahnbehandlung bei Beschwerden hin zur Prävention, Prophylaxe und zu minimalinvasiven Versorgungen, sprich Zahnerhalt statt Zahnersatz; die Erhaltung der natürlichen Zahnsubstanz steht im Fokus. Ich stelle mir die Entwicklung eines innovativen Präventionskonzeptes vor, das uns die Werkzeuge an die Hand gibt, den uns anvertrauten Soldaten und Soldatinnen individuell gerecht zu werden. Zudem wird einer meiner fachlichen Schwerpunkte die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit mit den anderen medizinischen Fachdisziplinen sein. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr bietet hier nahezu ideale Voraussetzungen, dies gilt für die Bundeswehrkrankenhäuser genauso wie für die regionalen Sanitätseinrichtungen. Unser Fachbereich hat dem technischen Fortschritt in der Zahnheilkunde zu folgen. Stichworte sind u. a. die Implementierung der digitalen dentalen Radiologie samt Workflow, die digitale Kommunikation mit den zahntechnischen Laboren sowie die Einführung der digitalen Patientenakte jeweils unter Berücksichtigung der gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Es ist meine feste Überzeugung, dass wir als Fachbereich Zahnmedizin die anstehenden Herausforderungen annehmen und meistern werden
Datum: 14.07.2017
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2017/2