04.09.2017 •

    „Ich habe nur als Mensch gehandelt“ Zum Namensgeber der Blankenburger Kaserne: Feldwebel Anton Schmid (1900 - 1942)

    Aus der Sanitätsakademie der Bundeswehr (Kommandeurin: Generalstabsarzt Dr. G. Krüger)

    V. Hartmann

    Von der überregionalen Öffentlichkeit kaum beachtet wurde am 22. Juni 2016, dem 75. Jahrestag des Beginns des Krieges gegen die Sowjetunion, die Harzkaserne in Blankenburg in einem feierlichen Appell nach Anton Schmid benannt worden. Die Liegenschaft ist dem Sanitätsdienst der Bundeswehr zugeordnet.

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    Anton Schmid als Zivilist im Jahr 1939. (Bild: Wieninger M: “Die Banalität des Guten. Feldwebel Anton Schmid“ (Wien 2014).

     Als Feldwebel in der Deutschen Wehrmacht gilt Schmid als ein wichtiger Protagonist des sogenannten „Rettungswiderstands“, als einer der wenigen Soldaten, die sich bewusst und nachdrücklich für das Leben von Juden eingesetzt und dabei ihr eigenes Leben aufgeopfert haben.

    Es war das Verdienst des Leiters des in der Blankenburger Kaserne beheimateten Versorgungs- und Instandsetzungszentrums Sanitätsmaterial, Oberfeldapotheker Marco Haupt, dem Namenspatron in einem eindrucksvollen Festakt in der Untertageanlage ein ehrendes Gedenken zuteil werden zu lassen. Neben dem Blankenburger Bürgermeister Heiko Breithaupt, Vertretern der jüdischen Gemeinde und interessierten Gästen nahmen auch hochrangige Offiziere des Sanitätsdienstes an der Neubenennung teil, darunter der Stellvertreter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes, Generalstabsarzt Dr. Stephan Schoeps und der Kommandeur des Kommandos Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung, Generalstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner.

    Die Namensgebung steht in einer guten Tradi­tion der Bundeswehr, Liegenschaften nach Angehörigen des Widerstands zu benennen. Sie schließt gerade in diesem Falle eine mehrjährige Lücke: Denn bereits im Mai 2000 hatte der damalige Bundesminister der Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Heeresflugabwehrschule in Rendsburg nach Anton Schmid benannt. Nach der Schließung der Liegenschaft infolge von Stationierungsentscheidungen hatte der Kaufbeurer Publizist und Studiendirektor Jakob Knab die Initiative ergriffen, damit die Traditionswürde von Anton Schmid in der Bundeswehr erhalten bleibt. Diese Verdienste von Bürgern aus der Zivilgesellschaft wurden auch im Grußwort der Ministerin Dr. Ursula von der Leyen gewürdigt: „Mit der Umbenennung der Harz-Kaserne in Feldwebel-Anton-Schmid-Kaserne wird das Andenken an einen beispielgebenden und vorbildlichen Soldaten weiter wachgehalten. Mein großer Dank gilt allen, die sich dafür engagiert haben. Die Erinnerung an Feldwebel Schmid entspricht unserem Traditionsverständnis. Und sie stiftet Sinn für die Angehörigen der Bundeswehr sowie für alle Bürgerinnen und Bürger.“ Jakob Knab, ausgewiesener Kenner des deutschen Widerstands gegen das NS Regime und unermüdlicher Kämpfer für eine sinnstiftende Tradition in den deutschen Streitkräften, hielt auch die Gedenkrede bei dem Festakt in Blankenburg.

    Wer war Anton Schmid und worin liegt die Bedeutung seines Handelns gerade für Angehörige des Sanitätsdienstes der Bundeswehr? Zu Beginn des Jahrhunderts, am 9. Januar 1900, kam er in Wien in einfachen Verhältnissen zur Welt. Über seine Jugend wissen wir nur wenig, nach der Volksschule absolvierte er eine Elektrotechniklehre und diente noch im letzten Kriegsjahr 1918 als Soldat an der italienischen Piave-Front. Nach der Heirat erwarb er einen kleinen Reparaturladen in einem Vorort der österreichischen Hauptstadt, der ihm ein bescheidenes Auskommen ermöglichte. Dort erlebte er den durch die Nationalsozialisten erzwungenen „Anschluss“ Österreichs an Deutschland im März 1938 und den Beginn des Krieges. Mit dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 diente Anton Schmid als Feldwebel in einem aus älteren kaum fronttauglichen Soldaten bestehenden Landesschützenbataillon. Mit dieser Einheit traf er im September 1941 in der deutsch besetzten litauischen Hauptstadt ein, um dort eine Versprengen-Sammelstelle zu übernehmen.

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    Generalstabsarzt Dr. Baumgärtner, Oberfeldapotheker Haupt, Bürgermeister Breithaupt. (Abb.: Bundeswehr Zacher)
    Wilna war bis zum Juni 1941 eine multiethnische Stadt mit einem reichen jüdischen Wissenschafts- und Kulturleben und vielfach als geistiges Zentrum, als „Jerusalem des Ostens“ gerühmt. Die jahrhundertelange und großenteils fruchtbare Koexistenz zwischen Litauern, Polen, Weißrussen, Russen und Deutschen unterschiedlicher Konfession fand mit Eintreffen der Wehrmacht ihr sofortiges Ende. Für die jüdische Bevölkerung der Stadt, etwa 65.000 Personen, begann ein unbeschreiblicher Leidensweg. Diskriminierungen, Entwürdigungen, Vertreibungen sowie Gewalttaten bis hin zu Morden waren an der Tagesordnung. Dieses Vorgehen war durch verbrecherische Befehle Hitlers, wie z. B. den „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in der Sowjetunion“, zu Beginn des Angriffskriegs legitimiert und wurde von den deutschen Einheiten in der Wilnaer Etappe bis auf sehr wenige Ausnahmen unter den Soldaten willig umgesetzt. Als Anton Schmid in Wilna eintraf, erlebte er jedoch noch eine größere Dimension des Geschehens. Mithilfe von litauischen Hilfspolizisten und deutschen Polizeieinheiten hatte die Einsatzgruppe A der SS begonnen, die jüdische Bevölkerung systematisch zu ermorden. Die Menschen wurden rücksichtslos aus ihren Häusern geworfen, zusammengetrieben und im Wald von Ponary vor der Stadt in Sandgruben erschossen und verscharrt. Im Dezember 1941 lebten nur noch etwa 15 000 Juden in ­Wilna, großenteils als Zwangsarbeiter oder Arbeitssklaven.

    Wie den meisten Soldaten vor Ort blieben auch Anton Schmid diese Verbrechen nicht verborgen. So beobachtete er aus seinem Büro die brutalen Vertreibungsszenen im Wilnaer Bahnhof und erfuhr in persönlichen Gesprächen von den düsteren und lebensbedrohlichen Aussichten für die Juden. Wie genau seine Hilfe für die Verfolgten aussah, wissen wir vor allem durch Überlebende und von ihm Gerettete. Eigene detaillierte Aufzeichnungen existieren abgesehen von wenigen Briefen an die Ehefrau nicht. Demnach rettete Schmid aktiv Juden, in dem er einzelnen Verfolgten gefälschte Papiere besorgte und damit neue Identitäten ermöglichte. Später gelang es ihm, in Werkstätten seiner Versprengten-Sammelstelle Juden durch Beschäftigung zu schützen, ähnlich dem durch Film bekannten Oskar Schindler. Und schließlich transportierte er sogar selbst Juden mit seinen LKWs aus Wilna heraus in andere Städte und nahm dabei Kontakt zu jüdischen Widerstandsorganisationen auf. Anton Schmid ging gerade durch diese waghalsigen Rettungsfahrten ein sehr hohes persönliches Risiko ein, durchaus im Gegensatz zu anderen Offizieren, die in ähnlicher Weise jüdische Verfolgte unter Hinweis auf angeblich kriegswichtige Arbeiten retteten, dabei aber nicht in derartiger Weise gefährdet waren. Schmid wird von seiner Persönlichkeit her als ein einfacher und bodenständiger Mensch mit festen Wertevorstellungen, die in einer tiefen Gläubigkeit verankert waren, beschrieben. Seine Motivation zu helfen entsprang nicht der Einsicht in übergeordnete militärische Zusammenhänge oder intellektueller philosophischer Überlegungen. Vielmehr ließ er sich auch aufgrund humaner Orientierung und christlicher Überzeugung einfach davon leiten, unschuldig bedrängten Individuen in Todesgefahr mit seinen beschränkten Möglichkeiten, aber allem persönlichen Einsatz, zu Hilfe zu kommen. Durch die Rettung von bis zu 300 Juden zeigte er damit nicht nur Zivilcourage unter extremen Bedingungen, sondern auch soldatische Tapferkeit und Mut im besten Sinne des Wortes. Die genauen Umstände der wahrscheinlich auf Verrat beruhenden Verhaftung Feldwebel Anton Schmids im Januar 1942 sind unbekannt. Auf jeden Fall wurde er in einem Wehrmachtsgefängnis inhaftiert und von einem Feldkriegsgericht in Wilna am 25. Februar 1942 wahrscheinlich aufgrund der Termini „Feindbegünstigung und Kriegsverrat“ zum Tode verurteilt. Allerdings sind die genaue Anklageschrift und das Urteil heute verschollen. Feldwebel Anton Schmid wurde nach Ablehnung eines Gnadengesuchs am 13. April 1942 durch ein Exeku­tionskommando der Wehrmacht erschossen und auf dem Soldatenfriedhof Wilna beerdigt.

    Sein Leben ist nach dem Krieg durch gerettete Juden nachgezeichnet worden. Seine Rettungstaten wurden vielfach geehrt, u. a. hat auch die jüdische Schriftstellerin Hannah Arend in ihrem berühmten Werk „Eichmann in Jerusalem“ ihm ein Denkmal gesetzt als Beispiel des Widerstands gegen das Böse. „Während der wenigen Minuten, die Kovner brauchte, um über die Hilfe eines deutschen Feldwebels zu erzählen, lag Stille über dem Gerichtssaal; es war, als habe die Menge spontan beschlossen, die üblichen zwei Minuten des Schweigens zu Ehren des Mannes Anton Schmid einzuhalten. Und in diesen zwei Minuten, die wie ein plötzlicher Lichtstrahl inmitten dichter, undurchdringlicher Finsternis waren, zeichnete ein einziger Gedanke sich ab, klar, unwiderlegbar, unbezweifelbar: wie vollkommen anders alles heute wäre, in diesem Gerichtssaal, in Israel, in Deutschland, in ganz Europa, vielleicht in allen Ländern der Welt, wenn es mehr solche Geschichten zu erzählen gäbe.“ 1967 fand Anton Schmid Aufnahme als „Gerechter unter den Völkern“ in der jüdischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem. Sein Wirken als Soldat weist somit eindrucksvoll auf den Handlungsspielraum auch von Soldaten nicht-­höherer Dienstgrade hin, unmenschliche Befehle nicht zu befolgen und sich organisierten Gewaltverbrechen gegen wehrlose Zivilisten zu widersetzen.

    In seinen Taten und seinem Opfer folgte Feldwebel Anton Schmid einer humanen Orientierung. Damit setzte er bereits vor Jahrzehnten den heutigen Leitspruch des Selbstverständnisses des Sanitätsdienstes in die Tat um: „Der Menschlichkeit verpflichtet“.

     

    Anschrift des Verfassers:
    Flottenarzt Dr. Volker Hartmann
    Sanitätsakademie der Bundeswehr
    Neuherbergstr. 11
    80937 München
    volkerhartmann@bundeswehr.org

    Datum: 04.09.2017

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