Unter Lebensmittelbetrug versteht man im Allgemeinen das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit dem Ziel, durch vorsätzliche Täuschung einen finanziellen oder wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen. Immer wieder decken neue Recherchen in den unterschiedlichsten Lebensmittelprodukten Unstimmigkeiten bezüglich der Aufmachung, Deklaration und tatsächlichen Zusammensetzung auf. Hierfür findet der Begriff Food Fraud (Lebensmittelbetrug, Lebensmittelverfälschung) in den vergangenen Jahren zunehmend Verwendung.
Für die Bundeswehr spielen in diesem Zusammenhang neben handelsüblichen Lebensmitteln insbesondere die speziell für die einsatzrelevante Versorgung von Soldaten hergestellten Nahrungsmittel eine bedeutende Rolle. Diese werden nach Leistungsvorgaben des Verpflegungsamts der Bundeswehr (VpflABw) produziert und unterliegen im Gegensatz zu handelsüblichen Produkten keiner weiteren prüfenden Instanz in der zivilen Lebensmittelüberwachung.
Diese Aufgabe wird im Rahmen der Eigenvollzugskompetenz durch die Zentralen Institute des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZInstSanBw) hinsichtlich der rechtlich vorgeschriebenen Kennzeichnung sowie der Beschaffenheit, Qualität und Sicherheit der Lebensmittel wahrgenommen. Da Food Fraud auch hier ein potenzielles Risiko darstellt, ist eine eingehende Betrachtung und Bewertung der bundeswehrspezifischen Lebensmittel auch vor diesem Hintergrund von großer Bedeutung.
In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Skandale publik, die unterschiedlichste Arten und Stufen des Lebensmittelbetruges beziehungsweise der Lebensmittelverfälschung aufzeigen. Diese reichen von falschen Kennzeichnungen (beispielsweise konventionelle statt biologische Herstellung, Fisch aus Aquakultur anstelle von Wildfang oder Umetikettieren von Fleisch nach Ablauf des Verbrauchsdatums) bis hin zur Zugabe von Melamin zu Milchpulver für die Säuglingsnahrung zwecks Vortäuschung eines höheren Proteingehalts.
Das „Spanische Ölsyndrom“, bei dem 1981 Speiseöl mit Anilin vergällt wurde, führte zu einer Massenvergiftung von mehr als 20 000 Personen mit geschätzten 370 bis 835 Todesfällen. Der Melaminskandal 2008 durch mit stickstoffhaltigen Kunstharzgrundstoffen gestreckte Milch in China verursachte etwa 300 000 erkrankte Babys, von denen sechs starben. Ebenso zogen die Fälle von verarbeitetem Pferdefleisch in Rindfleischprodukten 2013, der Nachweis von Fipronil in Eiern 2017 sowie das Schlachten kranker Kühe in Verbindung mit der Deklaration der Unbedenklichkeit 2019 weltweit die Aufmerksamkeit auf sich.
Hierbei zeigen sich somit Auswirkungen auf die Lebensmittelqualität bis in die Lebensmittelsicherheit hinein. Lebensmittelverfälschung stellt dabei eine von vier Komponenten der Lebensmittelintegrität dar, die keiner scharfen Trennung unterliegen, sondern inhaltliche Überschneidungen aufweisen, wie in Abbildung 1 aufgeführt.
Grundlage für alle Regelungen hinsichtlich der Lebensmittelintegrität ist die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit. Zum Schutz der Verbraucherinteressen muss demzufolge den Verbrauchern die Möglichkeit geboten sein, in Bezug auf die Lebensmittel, die sie verzehren, eine sachkundige Wahl zu treffen. Praktiken des Betrugs oder der Täuschung, die Verfälschung von Lebensmitteln und alle sonstigen Praktiken, die den Verbraucher irreführen können, müssen verhindert werden. Seit dem Dezember 2019 gilt die Verordnung (EU) 2017/625 für die Durchführung amtlicher Kontrollen und anderer amtlicher Tätigkeiten der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. Sie fordert, bei Kontrollen auch mögliche betrügerische und irreführende Praktiken in Betracht zu ziehen.
Die derzeitige Rechtslage in Bezug auf Food Fraud ist allerdings heterogen und fragmentarisch. Eine europarechtlich harmonisierte Regelung oder Definition existiert nicht, gleichwohl gibt es eine Reihe von umschreibenden Vorschriften, die europäisch vereinheitlicht formuliert sind. Diesen zufolge ist unter Lebensmittelbetrug das vorsätzliche Inverkehrbringen von Lebensmitteln zu verstehen, deren tatsächliche Beschaffenheit nicht mit ihrer Auslobung übereinstimmt. Die vorsätzliche Täuschung zielt auf einen finanziellen oder wirtschaftlichen Vorteil ab. Lebensmittelbetrug kann, muss jedoch nicht zwingend mit einem Gesundheitsrisiko für Verbraucher einhergehen. Das Europäische Netzwerk zur Bekämpfung von Lebensmittelbetrug der EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission (EU Food Fraud Network) hat als zu erfüllende Grundvoraussetzung für einen potentiellen Lebensmittelbetrug die Kriterien des Vorsatzes, des Verstoßes gegen das EU-Lebensmittelrecht, die Gewinnerzielung sowie die Täuschung des Verbrauchers aufgestellt.
Die bezüglich der Lebensmittelverfälschung statistisch häufigsten Lebensmittel sind in Abbildung 2 dargestellt.
Food Fraud kann in einer Vielzahl verschiedener Formen auftreten. So können Zusätze eines lebensmittelfremden (exogenen) oder im Lebensmittel bereits enthaltenen (endogenen) Stoffes zur Streckung oder zur Vortäuschung einer besseren Qualität verwendet oder Produkte aus verschiedenen geographischen und/oder botanischen/tierischen Herkünften ohne entsprechende Kennzeichnung verschnitten werden. Ebenso sind Anwendungen nicht gekennzeichneter oder nicht erlaubter Herstellungsprozesse sowie Falschdeklarationen möglich. Eine Aufstellung verschiedener Arten der Lebensmittelverfälschung gibt Abbildung 3 wieder.
Der Vergleich mit den häufigsten der Lebensmittelverfälschung unterliegenden Lebensmitteln (Abbildung 2) zeigt, dass diese auch in der amtlichen Überwachung in der Bundeswehr Bedeutung besitzen, wenngleich die Produktvielfalt deutlich begrenzt ist. Da diese Produkte aber ebenfalls und in größerem Ausmaß durch die zivile Lebensmittelüberwachung untersucht werden, kann im Zusammenwirken der zivilen und bundeswehrinternen Maßnahmen ein adäquates Maß an Verbrauchersicherheit als gewährleistet angenommen werden.
Einen zunehmenden Stellenwert für die Untersuchungstätigkeit der ZInstSanBw nehmen bundeswehrspezifische Lebensmittel ein, die für den Einsatzvorrat Verpflegung produziert, vorgehalten und, wie eingangs bereits erwähnt, durch die zivilen Behörden nicht untersucht werden. Im Rahmen der amtlichen Kontrolle erfolgt durch die ZInstSanBw zu jedem Produktionsauftrag lediglich eine einzige amtliche Probenahme, sodass nur ein geringer Anteil der produzierten Lebensmittel begutachtet wird. Zur Gewährleistung einer engmaschigeren Kontrolle erfolgen daher bereits während der Produktionsphase zusätzliche Untersuchungen von Fertigungsmustern aus jeder Tagesfertigung chargenbezogen im Auftrag des VpflABw und unter vereinbarten Kriterien, die sich einerseits an der Lebensmittelqualität orientieren und andererseits der Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit dienen.
Lebensmittel des Einsatzvorrates setzen sich aus vielfältigen und unterschiedlich vorverarbeiteten Komponenten zusammen, die auch den in Abbildung 2 dargestellten Kategorien zuzuordnen sind. Als Beispiele aus dem Spektrum der Einsatzverpflegung seien für den Untersuchungsbereich ZInstSanBw Kiel Schokolade, Müsli, Getränkepulver, Gebäck und Brot, Snacks, Brotaufstriche, Fischerzeugnisse sowie Trockenprodukte wie Obstdesserts genannt. In solchen Produkten können sowohl besonders wertgebende Bestandteile verarbeitet werden als auch wertgeminderte Grundzutaten Verwendung finden. Dadurch wird auf der einen Seite die Überschneidung der Kategorien der Lebensmittelintegrität (vergleiche Abbildung 1), auf der anderen Seite die Notwendigkeit einer risikoorientierten Betrachtung und Untersuchung der Lebensmittel hinsichtlich der Möglichkeit von Verfälschungen im Sinne des Food Fraud offensichtlich.
Im Zusammenhang mit Food Fraud wird vielfach die chemisch-physikalische Analytik in den Vordergrund gestellt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass häufig physikalische Verfahren zur Produktverfälschung verwendet, dem betreffenden Lebensmittel vergleichbare Zutaten zur Streckung beigefügt oder lebensmittelfremde Komponenten zur Substitution oder augenscheinlichen Verbesserung eingesetzt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die angewendete Analysentechnik sehr aufwändig hinsichtlich der Messmethode sein kann und über eine dem nachzuweisenden Anteil der Verfälschung präzise und valide Aussagekraft und Messsicherheit verfügen muss. Insbesondere Techniken der Authentizitäts- und Herkunftsprüfung wie Kernresonanzspektroskopie oder hochauflösende Massenspektrometrie sind aufwändig, erfordern entsprechende Fachexpertise, sind sehr teuer und nur in spezialisierten Laboren verfügbar.
In vielen Fällen werden über die Analysentechnik und Expertise hinaus zusätzlich Datenbanksysteme zur Einordnung und Bewertung der ermittelten Daten und zur Ableitung der Beschaffenheit oder Herkunft der Lebensmittel benötigt. Für das Aufgabenspektrum der ZInstSanBw stehen auf der Grundlage der Personal- und Materialausstattung hochwertige, aber in der Spezialisierung eingeschränkte Untersuchungsmöglichkeiten zur Verfügung, die für die Überprüfung der Lebensmittelqualität, Lebensmittelsicherheit sowie möglicher Lebensmittelverfälschungen Verwendung finden. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zum gesetzten Ziel, sondern zeigt, dass neben analytischen Strategien auch weitere Aspekte zur Risikobetrachtung und -minimierung von Lebensmittelverfälschungen hinzugezogen werden müssen. Diese umfassen neben eingehender Beurteilung der Geschäftsbeziehungen im Rahmen produkt- sowie prozessbezogener Audits durch das VpflABw auch die sensorische (sinnesphysiologische) Prüfung der Lebensmittel, da hierbei bereits Auffälligkeiten oder Abweichungen zur üblichen Beschaffenheit festgestellt werden können.
Darüber hinaus ist bei Lebensmittelverfälschungen auch zu bedenken, dass trotz nachgewiesenem Tatbestand ursächlich nicht der Betrug oder die Irreführung maßgebliche Intention sein muss. Dies kann beispielhaft an einer Trockenfruchtmischung, bestehend aus gefriergetrockneten Apfel- und Aprikosenstücken, dargestellt werden, welche produktionsbegleitend bei ZInstSanBw Kiel untersucht wurde. Gemäß der Kennzeichnung des Produktes enthielt die Mischung keine Zusatzstoffe der Kategorie Sulfite. Die Untersuchung zeigte hingegen, dass einzelne Chargen zweifelsfrei mit Schwefeldioxid als Konservierungsstoff versetzt waren. Nachdem der Hersteller zunächst versicherte, sein Produkt nicht auf diese Weise behandelt zu haben, zeigten anschließende vergleichende Untersuchungen des ZInstSanBw Kiel und eines vom Hersteller beauftragten Labors die Richtigkeit der ursprünglichen Ergebnisse.
Die folgenden gemeinsamen Recherchen führten zunächst nicht zur Klärung, da der Produkteinkauf des Herstellers vom Vorlieferanten nachweislich die Lieferung unbehandelter Ausgangsware gefordert hatte. Nachfolgende Untersuchungen des Herstellers der Fruchtmischung zeigten aber chargenspezifisch positive Befunde des Ausgangsmaterials, die bei der weiteren Verarbeitung in das Endprodukt übertragen wurden und zu den entsprechenden Untersuchungsergebnissen des ZInstSanBw Kiel führten. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie komplex sich die Interaktion der Prüfung der Lebensmittelqualität (produktionsbegleitende Untersuchung durch ZInstSanBw im Auftrag des VpflABw), der Lebensmittelsicherheit (zugelassener Zusatzstoff, jedoch fehlende Kennzeichnung als potentielles Allergen) und der Lebensmittelverfälschung (Verschleierung der Verwendung durch den Hersteller des Ausgangsproduktes) darstellen kann.
Die frühzeitige und zuverlässige Aufdeckung von Lebensmittelverfälschungen bildet einen wesentlichen Baustein von Strategien zur Erkennung und Abwehr. Verfälschungen werden dabei in der Regel durch Methoden chemisch-physikalischer Laboranalytik sowie zunehmend auch durch qualifizierte Methoden zur sensorischen Bewertung im Vergleich zu spezifizierten Sollzuständen ermittelt. Beide Herangehensweisen können sowohl gerichtet (Überprüfen einer bekannten Verfälschung) als auch ungerichtet (Überprüfen auf Abweichungen mit nachfolgender Spezifizierung) zum Einsatz kommen.
Unverzichtbar ist im ebenso großen Maß die Zusammenarbeit, Risikobetrachtung und -minimierung auf Grundlage präziser und valider Daten durch Auditierungen, Untersuchungsplanungen und deren Ergebnisse auf allen Stufen der Produktbeschaffung. Für den Aufgabenbereich der ZInstSanBw zeigt sich, dass Food Fraud oder Lebensmittelverfälschungen ein weitgefächertes Arbeitsgebiet sind, das nicht in allen Teilbereichen zu jeder Zeit und vollumfänglich bearbeitet sowie zweifelsfrei beherrscht werden kann. Auch wenn für wirtschaftlich lukrative Verfälschungen bekannte Lebensmittel in der bundeswehrspezifischen Lebensmittelversorgung keine nennenswerte Rolle spielen, zeigt sich unter anderem an dem aufgeführten Beispiel, dass Food Fraud nicht erst im Endprodukt, sondern auch an anderer Stelle der Lebensmittelproduktion auftritt und in solchen Fällen nur durch die enge Kooperation aller beteiligten Stellen aufgeklärt werden kann.
Als wirksame Vorbeugungsmaßnahme und Präventivstrategie ist ein umfassender Ansatz bestehend aus Untersuchungskompetenz und Zusammenarbeit mit weiteren fachspezialisierten Stellen unter Einbezug möglichst vieler Daten und Ergebnisse erforderlich. Es ergeben sich also nicht nur Risiken, die beherrscht werden müssen, sondern auch Chancen, Food Fraud in einer konstruktiven Zusammenarbeit und Auftragserfüllung zu begegnen und kontinuierlich zu verhindern. Unter den genannten Aspekten betrachtet ist Food Fraud neben der Lebensmittelqualität und -sicherheit eine wichtige, zu berücksichtigende Komponente in der Lebensmittelintegrität – und ganz sicher ein Thema für die Bundeswehr.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2021
Verfasser:
Oberfeldapotheker Markus Küsters1
Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kiel
Kopperpahler Allee 120, 24119 Kronshagen
E-Mail: Markus1Kuesters@bundeswehr.org
1 Aus der Abteilung B – Lebensmittel- und Ökochemie (Abteilungsleiter: Oberstapotheker Dr. H. Petersen) des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kiel (Leiter: Oberstveterinär Dr. J. Schulenburg)